Für mehr Sicherheit bei Pedelecs: Zweirad Einkaufsgenossenschaft ZEG und Fraunhofer LBF starten „Qualitätsinitiative E-Bikes“

Seit bei vielen Menschen die Lust am Fahrradfahren dank elektrischer Unterstützung (wieder) erwacht, boomen motorisierte Zweiräder. Inzwischen ist jedes siebte verkaufte Fahrrad ein Pedelec, allein 2016 waren es 605.000 Exemplare. Der Trend scheint beständig, laufend kommen neue technische Lösungen auf den Markt. Was dem Tempo des Booms allerdings nicht gefolgt ist, sind die entsprechenden Normen für die noch junge Fahrradgattung. Vor diesem Hintergrund hat die Zweirad Einkaufsgenossenschaft (ZEG) das Forschungs- und Entwicklungsprojekt „Qualitätsinitiative E-Bikes“ gestartet und das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF als wissenschaftlichen Partner für dieses Projekt gewonnen. Nach Ansicht der Beteiligten sind die derzeit geltenden Normen zur Prüfung der Festigkeit und Fahrsicherheit für Pedelecs teilweise wissenschaftlich nicht belastbar. Dies soll durch entsprechende anwendungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsarbeiten überwunden werden. Ziel ist ein belastbarer Qualitäts- und Sicherheitsstandard für Pedelecs.

Nach intensiven Analysen der aktuell gültigen Normen konnte das Fraunhofer LBF feststellen, dass beispielsweise die Laufleistung oder das zulässige Gesamtgewicht, außer bei der Bremsprüfung, nicht berücksichtigt wird, obwohl es je nach Modell stark variieren kann. Ein weiteres Defizit ist die fehlende Beachtung fahrdynamischer Effekte wie das Lenkerflattern. „Für Hersteller bieten die aktuell geltenden Normen und Richtlinien keine ausreichende Vorgabe, um Pedelecs nach dem Stand von Wissenschaft und Technik mechanisch zu prüfen. Vorhandene Normenentwürfe können den Herstellern als Leitfaden dienen, jedoch zweifeln wir an, dass die dort beschriebenen Prüfungen eine anspruchsvolle Nutzung durch den Kunden ausreichend abdecken“, betont Marco Jackel, im Fraunhofer LBF verantwortlich für das Projekt.

Da wesentliche Basisdaten zur Einstufung der Sicherheit von Pedelecs nicht oder kaum zur Verfügung standen, nahmen die Darmstädter Forscher nach der Analyse der Normen Pedelecs im praktischen Einsatz genau unter die Lupe. Dazu definierten sie anhand von Händlerbefragungen die verschiedenen Nutzertypen und deren Fahrstrecken. Die Fahrertypen wurden über ihre Gewichtsverteilung betrachtet. Im Fokus standen dabei beispielsweise die Laufleistungen der Bikes und die Art ihrer Nutzung in der Praxis, ob in der Freizeit, im Alltag oder im Urlaub sowie die Zuladung und Streckenprofile. Auch die Besonderheiten unterschiedlicher E-Bike-Arten, d.h. ob klassisches Fahrrad oder Mountainbike wurden untersucht.

Messfahrten, Prüfstände und Simulationen

Um Betriebslasten und Schwingungen praxisnah untersuchen zu können, entwickelten die LBF-Wissenschaftler auf Grundlage der bei den vorangegangenen Felduntersuchungen ermittelten Ergebnisse ein aufwändiges Programm von Messfahrten, Versuchen auf Prüfständen und Simulationen. Im Mittelpunkt standen Messfahrten, bei denen Daten zu den auftretenden Betriebslasten direkt gewonnen wurden. Bei diesen Alltagsrealistischen Touren wurden Parameter wie Fahrergewicht, Zuladung, Geschwindigkeit, Streckenprofile aber auch das Fahren über Bordsteinkanten oder Absätze so erfasst und variiert, dass sie den aus den Felduntersuchungen bekannten Nutzungs-, Fahrzeug- und Nutzermerkmalen entsprachen.

Deutliche Verbesserungsmöglichkeiten bei der Prüfung von Pedelecs

Die intensive Praxis- und Laborarbeit des Fraunhofer LBF machte deutlich, woran es bei der derzeitigen Prüfung von Pedelecs fehlt. „So bildet die geltende Norm die Betriebslasten und den damit verbundenen Schädigungseintrag teilweise unzureichend ab. Dies kann zu einem vorzeitigen Versagen sicherheitsrelevanter Bauteile führen“, erklärt Jackel. Die Abhängigkeit der Betriebslasten vom Gesamtgewicht, das heißt von Bike-, Fahrer- und Zuladungsgewicht, ist deutlich erkennbar. „Das ist bei der Festlegung von Prüflasten zu berücksichtigen“, so der LBF-Forscher.

Darüber hinaus konnte das Fraunhofer LBF nachweisen, dass sich die Betriebslasten von Elektro-Mountainbikes und klassischen E-Bikes signifikant unterscheiden. Der derzeitige Normentwurf berücksichtigt die höheren Lasten beim Geländeeinsatz von Elektro-Mountainbikes nicht. Dies müsste bei der Ableitung von Prüflasten berücksichtigt werden, finden die Darmstädter Forscher. Außerdem konnten sie zeigen, dass sich das Schwingungsphänomen Lenkerflattern auf einem Prüfstand nachstellen lässt und somit eine Weiterentwicklung zu einer Prüfmethode möglich ist.

Im weiteren Verlauf des Forschungsprojektes wird es darum gehen, aus den ermittelten Bemessungs- und Betriebslasten Prüflasten abzuleiten, Prüfungsmethoden und Prüfstandskonzepte zu überprüfen und gegebenenfalls weiter zu entwickeln. Am Ende soll ein dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechender Standard formuliert werden. Einen Entwurf hierzu wird das Fraunhofer LBF zusammen mit der ZEG Ende 2017 zur Diskussion vorlegen.

Über Fraunhofer Institut LBF

Das Fraunhofer LBF entwickelt, bewertet und realisiert im Kundenauftrag maßgeschneiderte Lösungen für maschinenbauliche Komponenten und Systeme, vor allem für sicherheitsrelevante Bauteile und Systeme. Dies geschieht in den Leistungsfeldern Schwingungstechnik, Leichtbau, Zuverlässigkeit und Polymertechnik. Neben der Bewertung und optimierten Auslegung passiver mechanischer Strukturen werden aktive, mechatronisch-adaptronische Funktionseinheiten entwickelt und prototypisch umgesetzt. Parallel werden entsprechende numerische sowie experimentelle Methoden und Prüftechniken vorausschauend weiterentwickelt. Die Auftraggeber kommen aus dem Automobil- und Nutzfahrzeugbau, der Schienenverkehrstechnik, dem Schiffbau, der Luftfahrt, dem Maschinen- und Anlagenbau, der Energietechnik, der Elektrotechnik, dem Bauwesen, der Medizintechnik, der chemischen Industrie und weiteren Branchen. Sie profitieren von ausgewiesener Expertise der mehr als 400 Mitarbeiter und modernster Technologie auf mehr als 11 560 Quadratmetern Labor- und Versuchsfläche an den Standorten Bartningstraße und Schlossgartenstraße.

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