Um die schön erwähnte Menage á trois geht es im ersten von sechs Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 06.07.18 – Freitag, 13.07.18) zu haben sind. In „Johannes“ erzählt Wolfgang Licht, der diesmal mit zwei Büchern vertreten ist, von diesem „Versuch einer Ehe zu dritt“. Ob er gelingt? Auch in seinem zweiten Buch des aktuellen Newsletters befasst sich Wolfgang Licht mit menschlichen Beziehungen. In „Die Zelle“ forscht er einer Reihe eigentümlicher Ereignisse nach. Und mit ihm die Frau des Gynäkologen Dr. B.
Gleich zwei Mal auf See sind wir in den Büchern von Wolfgang Schreyer und Dietmar Beetz, „Die Beute. Erstes Buch: Schiff 17“ und „Arzt im Atlantik. Ein Brief von Bord“ von Dietmar Beetz. Allerdings spielen die Bücher von Schreyer und Beetz zu sehr unterschiedlichen Zeiten des vergangenen Jahrhunderts.
Freunde der Nikolai-Bachnow-Bücher von Aljonna und Klaus Möckel dürfen sich auf den Band 6 „Die unsichtbaren Fürsten“ freuen.
Und schließlich sind wir bei dem kleinen Jungen angelangt, der sich nicht duschen will und dafür lieber in der Kindergartenküche hilft. Das heißt, so ganz freiwillig war diese Entscheidung nun auch wieder nicht. Sie hat vielmehr mit Frau Lüddemann und einer unvorsichtigen Bewegung in einem engen Versteck zu tun. Aber wie schon gesagt, mehr dazu am Ende dieses Newsletters.
Und jetzt zurück oder vorwärts zu Wolfgang Licht und zu seinem „Versuch einer Ehe zu dritt“:
Erstmals 2002 ließ Wolfgang Licht im Tauchaer Verlag sein Buch „Johannes – Versuch einer Ehe zu dritt“ drucken: Vor, während und nach den gesellschaftlichen Veränderungen im Osten Deutschlands vollzog sich das ungewöhnliche Leben jenes Medizinstudenten und späteren Arztes, von dem uns Wolfgang Licht erzählt. Der Kern des Geschehens verleiht dem Buch hierzulande das Siegel der Einmaligkeit: Zwischen dem Mann und zwei Frauen entwickelt sich eine eindrucksvolle Beziehung starker seelischer Bindungen und spektakulärer sexueller Dreisamkeit, die als beglückende Erweiterung der Persönlichkeit erlebt wird. Dennoch kann das Unheil nicht ferngehalten werden, was schließlich zu einem tragischen Schicksal der „menage á trois“ führt. Am Anfang des Buches steht allerdings zunächst ein Blick in die Vergangenheit von Johannes:
„ERSTER TEIL: JOHNS VORZEIT
1. Kapitel
John hörte auf das Geräusch, das die Räder des Zuges auf den Stößen der Schienen machten. Ein hartes knallendes Schlagen. Eisen auf Eisen. Rücksichtslose Härte. In wechselndem Rhythmus: schneller werdend bei zunehmender Fahrt, wie von Freude getrieben; und zögernd, resignierend, bei Verlangsamung. Er sah durch die Fenster des Abteils: gebirgiges Land, durch das sich der Zug schleppte. In den engen Kurven konnte er die bullige Dampflok der Kleinbahn sehen, mit ihren roten Rahmen und Rädern. Ein nächstes Mal die einen Halbbogen bildenden Wagen, von dem aus, in dem er saß, bis zum Ende des Zuges. John war bei Tagesgrauen aufgestanden, um von L. nach K. zu kommen, wo er den Zug nach Fichtbach bestieg, in dem es mit einem Male voll geworden war. Voll von jungen Leuten, die offenbar aus den verschiedensten Gegenden des Landes gekommen waren, um als Bauhelfer für die entstehende Talsperre zu arbeiten, wo sie ein Nomadenleben auf Zeit führen würden.
John hatte buchstäblich in letzter Minute von der Werbeaktion erfahren. Darin wurde jedermann aufgerufen, sich an dem Volksbau zu beteiligen, soweit er abkömmlich wäre und es nötig hätte, zu Geld zu kommen, oder auch nur dem Alltäglichen für eine Weile entkommen wollte. Vor wenigen Tagen hatte der achtzehnjährige John sein Abitur abgelegt. Der Schulden bei seinem Klavierlehrer wegen, aber auch, um sich etwas zu verdienen, hatte er sich zu der Aktion gemeldet, unter der Bedingung, als sogenannter freier Arbeiter bei einer Firma eingestellt zu werden, was ihm zugesagt wurde.
Inzwischen war der Nachmittag vorüber, die Grenze zum Abend erreicht, den man an einem kühlen Lufthauch, sich verbreiternden und verlängernden Schatten ahnen konnte. Draußen zogen Fichtenwälder vorbei, die die Rücken der Berge bis zu deren Gipfeln bedeckten. Tiefblaue Flächen, von gelbgrünen, fieder- oder grätenförmigen Streifen durchbrochen. Ein Baum, einsam auf einem Vorsprung stehend, loderte im hellen Lichte gleich einer Flamme. Eine flüchtige Bangigkeit und das Gefühl des Unbehaustseins, das John angekommen war, infolge der abendlichen Kühle, des kräftigen Geruchs nach Erde und Nadelwäldern, verging rasch, zog sich gewissermaßen zurück in die Winkel seines Gemüts. Obwohl von Natur aus nicht ängstlich, bedrückten ihn mitunter Dunkelheit und Kälte, und beim Versinken der Sonne und aufkommender Kühle befiel ihn zuweilen eine unbestimmte Melancholie, die, wohl in früher Kindheit entstanden, ein Teil seines Wesens war.
Der Bahnhof in Fichtbach war klein. Die jungen Leute, die wie John zur Talsperre wollten, waren ausgestiegen. Sie erkundigten sich bei einem Mann am Schalter nach dem Weg zur Baustelle, die sie nach etwa halbstündigem Marsch erreichten. Im Verwaltungsgebäude trennten sie sich. John erhielt den Bescheid, sich in der Baracke drei zu melden. Er nahm den Lehmweg, der zu der genannten Baracke führte. Nach einiger Zeit sah er zwei Personen vor sich hergehen. Sie trugen lange Hosen. Ihre Haare waren kurz geschnitten. Im herrschenden Gegenlicht und aus der Ferne waren sie hinsichtlich ihres Geschlechts nicht sicher zu bestimmen. An der Art ihrer Bewegung, ihres Ganges und einer gewissen Anmut in ihrer Körperhaltung glaubte John schließlich, dass es Frauen seien. Er wollte sie aber nicht einholen und nicht anrufen. So verlangsamte er seinen Schritt etwas.
Bei einer Wegbiegung hinter einer Buschgruppe waren sie plötzlich verschwunden. Als John diese Stelle erreicht hatte, sah er sie auch nicht mehr. Obwohl der Weg zur Baracke vor ihm noch lang war und schnurgerade verlief. Sie hätten, um John aus den Augen zu kommen, gerannt sein müssen. Oder sich seitlich über die Wiesen wenden, wobei sie dort stehende Bäume förmlich als Deckung hätten nehmen müssen. Vielleicht, dachte er, hatte ihm seine sich nun einstellende Müdigkeit ein Phantom vorgespiegelt?
Die Baracke lag westlich. Die eben untergegangene Sonne hatte den Himmel über dem Gebäude in ein karmesinrotes Licht getaucht, das aussah. als steige es aus der Baracke empor, werde von ihr ausgeschieden. Ihre faserige Holztür war nicht eingeklinkt. John drückte sie auf, trat ein. Doppelstockbetten in Reihe standen mit den Giebeln zur Wand an der linken Seite. In der rechten, Fenster in Holzrahmen, deren weiße Farbe ziemlich abgesplittert war. Auffällig ein rustikaler Tisch in Türnähe, der die Form eines gleichschenkligen Dreiecks hatte, aber auf vier Beinen stand. Drei unter den Ecken, ein viertes stützte seine Mitte, als müsse es der mächtigen Platte einen zusätzlichen Halt geben. Die Stühle um den Tisch waren besetzt mit jungen Männern in Johns Alter.
Vor der Fensterwand, an der Basis des Dreieck-Tisches, dessen Spitze in den Raum ragte, saßen einige in Gespräche vertieft. Drei andere hatten einen Hocker zwischen ihre Stühle gestellt, um den sie sich geschart hatten, Tarock-Karten in den Händen. Weitere saßen auf der Kante ihres Bettes oder lagen auf den Matratzen. Unter den Kartenspielern entstand bei Johns Eintritt eine Bewegung, die aber nicht durch den Eintretenden ausgelöst wurde. Vielmehr ging es um ein Spielergebnis, das wohl strittig war. Zwei der drei Spieler blickten überrascht und empört auf den offensichtlichen Gewinner der Partie, der sich auf den Schenkel schlug und verhalten lachte. Kurz darauf sammelte einer der Verlierer das Spiel ein und steckte es in ein Behältnis, das sie auf dem Tisch liegen ließen. Worauf alle drei zu ihren Betten gingen und sich ziemlich lautlos hinlegten. Eine seltsame Lautlosigkeit, dachte John. Als erwarteten sie ein Ereignis, das mit dem Ergebnis des Spiels zusammenhing. Diejenigen, die unter den Fenstern saßen, beendeten jetzt ihren Disput. John hörte noch, wie ein mittelgroßer Brünetter sagte, er jedenfalls könne einen Sinn an sich in keiner Sache sehen. Den müsse jeder, bitte, schon selbst finden. Und John hatte plötzlich den Eindruck, der Ausspruch beziehe sich auf sein Hiersein. Ja, auf sein ganzes bisheriges Leben.“
Sieben Jahre später, 2009, erschien ebenfalls im Tauchaer Verlag erstmals „Die Zelle“ von Wolfgang Licht: Auch das Schicksal ist eine Zelle, aus der ein Ausbrechen nicht möglich ist! Das resümiert die Ehefrau des Gynäkologen Dr. B. nach einer Fülle eigentümlicher Ereignisse. Die beginnen damit, dass ihr Mann in der Zelle eines Gefängnisses landet – als Mörder aus Eifersucht. Von den Begehrlichkeiten hin- und hergerissen, entstehen beiderseits Liebesverhältnisse, die nicht ohne Folgen bleiben. Als schließlich die herangewachsenen, sich zunächst fremden Kinder zueinander finden, scheinen sich die verhängnisvollen Leidenschaften bitter zu rächen … Mit diesem Werk erzählt der Autor erneut ein Stück Alltagsgeschichte unserer Tage. Zunächst aber treffen wir – einen Mann im Wald:
„Das Urteil
Die Oktobersonne stand jetzt so tief, dass sie Morten blendete. Er hielt die Hand vor die Augen und blieb stehen. Vor ihm war dichter Wald. Durch die Zweige der Bäume drangen Sonnenstrahlen, die ihn wie Nadelspitzen in die Augen stachen. In seinen Beinen fühlte er eine unangenehme Schwere. Er wollte sich hinsetzen, ausruhen. Aber die drohende Dunkelheit zwang ihn, weiter zu gehen. Der Pfad, der anfangs deutlich zu erkennen war, hatte sich im Gras und Unterholz verloren.
Er holte den Zettel aus seiner Jackentasche, auf dem er die Orte notiert hatte, die er passieren musste, bis er sein endgültiges Ziel, Langenhagen an der Ostsee, erreicht hätte. Margret würde ihm dorthin mit den Kindern in acht Tagen folgen. Er hatte dieses Ortsverzeichnis angefertigt, um nicht jedes Mal die Landkarte aus dem Rucksack holen zu müssen. Von einem Ort zum anderen zu gelangen, war einfach, wie ihm schien. Die Himmelsrichtung bestimmte er nach dem Stand der Sonne, den man auch ermitteln konnte, wenn sie einmal nicht schien. In den ersten Tagen seiner Wanderung musste sie links von seinem Wege untergehen, danach, und auch heute, direkt vor ihm.
Sein heutiges Ziel war der Ort Erksdorf. Morten wusste nicht, wie weit er noch von ihm entfernt war; auch nicht, wie viele Kilometer er heute bewältigt hatte. Er war von Hainsberg in der Frühe losgegangen und war dann ohne Aufenthalt weiter gewandert. Es war genug für heute. Seine Kräfte waren ziemlich verbraucht. Die Sonne sank rasch. Sie sah jetzt aus wie eine Tomate, die in Möhrensaft versinkt. Es blieb ihm nichts als auf die sinkende Sonne zuzugehen. Aber sperriges Unterholz und Pflanzenwuchs behinderten sein Vorwärtskommen. Hin und wieder gab es Gestein, das, wer weiß wie, hierhergekommen war. Einen Pfad fand er nicht. Die Sonne war endgültig untergegangen. Nur wenn er aufblickte, sah er über den Baumwipfeln einen schwachen hellen Schein, der, ziemlich farblos, sich von dem Nachtdunkel abhob. Morten gab sich eine Frist. Noch eine halbe Stunde wollte er weitergehen, dann würde er einen Platz zum Schlafen suchen. Es wäre nicht das erste Mal, dass er in einem Wald übernachten würde. In seinem Rucksack hatte er einen Schlafsack; zum Glück regnete es nicht. Er dachte flüchtig an jenen Sommer, an dem er mit einem Studienfreund und einem Mädchen eine Radtour an die Ostsee unternommen hatte, auf der sie ebenfalls in einem Wald kampieren mussten. Und damals besaßen sie nicht einmal einen Schlafsack.
Kurz vor Sonnenuntergang war ein Vogelzug über ihn hinweg geflogen. Sie flogen in einer keilförmigen Formation. Dabei schienen sie keine Hierarchie zu kennen. Vögel aus den hinteren Reihen lösten die an der Spitze führenden Tiere ab. Mitunter bildeten sie eine zweite Kette, in die sich andere Vögel sogleich einfügten. Was ihn besonders bewegte, war das Geschnatter der Vögel. Sie gaben Laute von sich, in denen Morten eine Unterhaltung vermutete, die die Vögel miteinander führten. Immer neue Scharen in Keilordnung tauchten auf. So viele Vögel hatte er noch nie gesehen.
Ihre Körper waren gegen den noch hellen Himmel gut zu erkennen. Lang gestreckte Hälse, schlagende Flügelpaare. Es war wie ein Schauspiel. Er, hier in dieser Waldwüste. Sie, dort oben. Für sie gab es keine Hindernisse. Ihr Lebensraum, so schien es Morten, war unendlich. Er schaute und schaute. Fast hob er sich auf die Zehen. Aber es war ihm unmöglich, ihnen in ihre luftige Freiheit zu folgen.
Unwillkürlich unterstellte Morten ihnen eine Denk- und Fühlweise, die ihm eigen war, aber sicher nicht ihnen. Vor allem dünkte Morten, dass ihnen eine unendliche Leichtigkeit des Denkens eignete. Sie kennen, dachte er, keine Gedankenschwere, keine komplizierte Problematik bei ihrem freien Flug über Länder und Meere. Sie folgten einem Morten unbegreiflichen „Zielsinn“. Gefahren erwachsen ihnen nur durch eine von Menschen veränderte Umwelt,
Eine von Wehmut durchzogene Sehnsucht hatte Morten beim Anblick der Tiere ergriffen, deren eigentliches Ziel er nicht hätte nennen können. Eine Sehnsucht, wie er sie schon als Kind gekannt hatte. Er wollte aus seinen Lebenskreisen und Verhältnissen ausbrechen, darüber hinaus gelangen. Paradiesische Zustände erfahren. Dabei hatte er die Beschaffenheit dieser „Zustände“ nicht nennen, ja, sie sich nicht einmal vorstellen können. Er befand sich dann einfach in einer Gefühlslage, die ihm wohltat, obwohl ihm gleichzeitig zum Weinen zumute war. Einem heilsamen, erlösenden Weinen, wonach er sich als Kind an die Brust seiner Mutter geflüchtet hatte. Und später vielleicht in die Wärme einer Frau? Doch das wollte er heute dahingestellt sein lassen. Jetzt waren es die Reinheit der Himmelsfarben, die Klarheit des Firmaments, in denen er sich Räume der Seligen dachte.
Morten war jetzt in eine Dickung geraten, in der sich junge Kiefern schon mit ihren Zweigen berührten. Mühsam hatte er sich hindurchgezwängt, bis er auf ein Areal traf, wo mannshoher Adlerfarn förmlich wucherte. Plötzlich stieß er mit dem Fuß an einen metallenen Gegenstand. Er bückt sich, um ihn aufzuheben. Es war ein Messer. Sein Griff aus Horn. Die Schneide feucht, etwa zwanzig Zentimeter lang. In der starken Dämmerung hielt er sie für rostfarben. Er betrachtete es eine Weile, dachte, es wird Jägern gehören, die es hier wohl verloren haben. Er brauchte das Ding nicht, es konnte ihm nicht helfen, den Weg zu finden. Er ließ das Messer achtlos fallen, ging weiter, die Farne biegend, sich durch ihre Wedel windend.
Da hörte er das Röhren eines Hirsches. Er schien ganz nahe. Morten blieb stehen, lauschte. Es war Brunstzeit. Aber er glaubte nicht, dass ihm Gefahr drohen könne. Er überlegte, ob er sich hier zum Schlafen niederlegen sollte. Aber das wiederholte Röhren des Hirsches machte ihn doch unruhig. Und da er noch die Hand vor den Augen sehen konnte, ging er weiter. Abgestorbene Äste bedeckten den Boden, das Holz knackte berstend unter seinen Tritten. Dieses Areal wollte er noch hinter sich bringen. Er war seit sieben Uhr unterwegs, war mindestens fünfunddreißig Kilometer gelaufen. Müdigkeit überfiel ihn und verdrängte seine Unruhe.
Da sah er plötzlich einen dunklen Gegenstand auf dem Waldboden liegen. Es gab hier Luftwurzeln, auf denen sich Polstermoos gebildet hatte. Dort lag der Gegenstand, den Morten anfangs für einen umgestürzten Baumstamm hielt. Doch schnell erkannte er seinen Irrtum. Es war ein Mensch, der dort lag.“
Erstmals im Wendejahr 1989 brachte der VEB Hinstorff Verlag Rostock „Die Beute.
Erstes Buch: Schiff 17“ von Wolfgang Schreyer heraus: „Ein Traum hatte sich erfüllt, endlich war ich wieder unter Deutschen, Matrosen noch dazu. Diese Umgebung und das blaue Tuch im Spind 1 machten mich stolz. Stella hieß das Schiff übrigens nur, wenn es listig unter Hollands Flagge fuhr. Mit 2300 BRT war es der zweitkleinste Hilfskreuzer Seiner Majestät… Der Deckname war S. M. S. 17.“ Südatlantik, Januar 1915. Der junge Richard Harms will als blinder Passagier auf einem neutralen Frachter Europa erreichen, will wie viele „heim ins Reich“. Als der Frachter von S. M. S. 17 aufgebracht wird, verbindet sich Harms‘ Schicksal mit dem des kaiserlichen Hilfskreuzers: Kampf, Raub, Versenkungen, Stürme, Flucht und Täuschung; eine Kette von Seeabenteuern in den Weiten zweier Ozeane. Nach Tatsachenberichten aus dem Ersten Weltkrieg schrieb Wolfgang Schreyer diese fiktive Odyssee, einen Roman über militärisches Piratentum, die reguläre Seeräuberei dieses Jahrhunderts. Das E-Book gibt ein Zeitbild, es schildert die Welt von einst präzise in der Nussschale dieses Schiffs: Der Kriegsfreiwillige Harms steht im Mit- und Gegeneinander an Bord „seinen Mann“ – im Bann eines verwegenen Offiziers, den er auch dann noch bewundert, als ihm das Fragwürdige des schier endlosen, alle Sinne aufpeitschenden Beutezugs rund um den Erdball aufgeht. „Die Beute“ ist der Roman einer Verführung. Er legt jene seelischen Abläufe bloß, die deutsche Matrosen zum Selbstopfer trieben, bis nach all dem Grauen ein neues Denken in ihnen keimte, das sie innehalten und aufbegehren ließ. Das E-Book enthält auch einen bibliografischen Bericht über alle Werke des Autors bis 1989. Dazu schrieb er, in welcher Absicht, Stimmung oder Hoffnung er die Bücher schuf, wie er die einzelnen Arbeiten 1989 sah. Und nun begeben wir uns in das Jahr 1914, genauer gesagt Pfingsten 1914:
„Das Goldstück
All das lag noch vor mir, damals, Pfingsten 1914. Ich war im Winter fünfzehn geworden und dabei, etwas anderes zu entdecken: die Welt der Mädchen und den verwirrenden Reiz, der von ihr ausgeht. Nicht der Vater beschäftigte mich, sondern die Tochter seines Geschäftsfreunds. Sie hieß Anni Greve und war schon sechzehn, gut ein Jahr älter, was ich recht störend fand. Sie war die Schwester von Manfred, dem Klassenbesten unserer Untersekunda; ihr Zeugnis sollte gleichfalls glänzend sein. Noch mehr als das schüchterte mich ihre Ruhe ein, diese Leichtigkeit, die anmutige Art zu lachen, sich zu bewegen und wie eine Erwachsene mit meinen Eltern zu plaudern. Sah sie mich an – unter dem mittelblonden, gescheitelten Haar, dessen dicke Zöpfe zu Schnecken aufgesteckt waren –, verschlug es mir manchmal die Sprache.
Obwohl fast einen Kopf größer als sie, glaubte ich, in ihren Augen wie ein dummer Junge dazustehen. Manfred Greve bemerkte es. Überschätz sie nicht, riet er mir, sie tut nur so gelassen und gescheit. Die Weiber machen dir was vor, sie schauspielern meistens. Es stimmt zwar, sie sind früher reif, unser Grips soll ja erst mit achtundzwanzig Jahren komplett beisammen sein, ihrer schon mit achtzehn, aber er ist dann auch danach, wie Schopenhauer schreibt… Manfred war sehr belesen. Er suchte meine Freundschaft, weil ich der Stärkste in der Klasse war.
Unsere Familien verbrachten ein paar Ferientage auf dem Greifswalder Bodden. Vaters kleine Jacht „Nordstern“ hatte uns hingebracht. Zum Baden war es noch zu kalt, deshalb kreuzten wir Männer zwischen Mönchsgut und der Insel Vilm, wo die drei weiblichen Mitglieder an Land hausten. Für meinen Vater, den Rostocker Grundstücksmakler Albert Harms, zählte nämlich außerhalb des Büros nur zweierlei: das Segeln und das Münzsammeln. Von Anfang an versuchte er, mich für seine Passionen zu begeistern, und natürlich war es ihm geglückt. Ich schätzte ihn als Segler genauso wie als Münzkenner. Dass erst sein Geschäftserfolg ihm zu beidem verholfen hatte, darüber sprach man nicht, es war ja selbstverständlich.
Am Pfingstmontag lud er Anni Greve ein, mit uns an Stelle ihres Vaters, den ein Telegramm vorzeitig heimrief, an Bord zu gehen. Er zwinkerte mir dabei zu, als hätte er meinen heimlichen Wunsch erkannt, Anni mit meiner Segelei zu imponieren. „Aber nicht aufs offene Meer“, bat ihre Mutter, und mein Vater versprach es ihr. Wir Jungs jedoch steckten die Köpfe zusammen, der Bodden hing uns zum Hals heraus, vom letzten Sommer her kannten wir jeden Winkel. Die „Nordstern“ brauchte ein anständiges Ziel. Wenn schon nicht Saßnitz oder die Seebrücke von Binz – die Greifswalder Oie musste es wenigstens sein.
Als wir nach dem Mittagessen im Gasthaus von Vilm mit dem Beiboot zur Jacht übersetzen wollten, die draußen dümpelte, legte am Steg der Käpten Dippel mit seinem Kutter aus Lauterbach an. Von ihm erfragten wir, wie man den Hafen der Insel Oie anläuft, in der stillen Hoffnung, dass der Südostwind uns leichter dorthin als nach Peenemünde bringen würde. Lieber nicht, sagte mein Vater, da liegt ein Gewitter im Westen. „O wat“, winkte Dippel ab, „ehe dat rup kömmt, sünd ji lang door.“ Die Frage blieb offen. Unter der Küste von Mönchgut kreuzten wir gegen den schlappen Südost an. In der Hagenschen Wiek lag ein kleines Kriegsschiff, der Artillerie-Tender „Fuchs“ mit seinen vier Geschützen. Vater befahl zu grüßen, und ich zog die Flagge des Stralsunder Heimathafens hoch. „Seefahrt ist Not“, rief er, worauf Manfred den Kaiser zitierte: „Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser!“ Das waren so unsere Scherze, respektlos, doch letzten Endes glaubten wir daran. Vater war Leutnant der Reserve und, wie jeder gute Deutsche, ein Patriot.
Aber diesmal sank ihm der Mut. Nahe dem Zicker See blieb der Wind weg, am Horizont kroch es dunkel hoch. Vater wollte in diesen Nothafen rudern, um das Gewitter abzuwarten. Wir jedoch murrten. Die „Nordstern“ ist eine Segeljacht mit zwölf Zentnern Blei im Kiel. Was werden die Leute sagen, wenn wir rudern. Ja, wenn wir eine Maschine hätten wie der Stralsunder Oberfischmeister! Doch mein Alter nahm einen Riemen und fing an, das träge Wasser umzurühren. „Über allen Wimpeln ist Ruh‘, auf allen Segeln spürest du kaum einen Hauch“, sagte er zu mir. „Der Albert rudert vernünftig, warte nur, künftig ruderst du auch.“ Wir fühlten uns vor Anni blamiert, machten das Beiboot klar und schleppten mühsam die Jacht – allerdings südwärts, bis unter Thiessow. Auf dem Thiessower Haken kräuselte sich die See, Wind sprang auf, Nordwind. Jubelnd stiegen wir wieder ein, das Wasser rauschte am Bug, knapp acht Seemeilen vor uns lag die Oie, in einer Stunde würden wir dort sein, gefolgt von Donnergrollen. Ein Wagnis, ein Wettlauf mit dem Wetter. Anni schien stark beeindruckt. Vor ihren Augen hatte ich mich gegen Vaters Schwanken durchgesetzt. Ohne sie hätten wir uns wohl kaum in dieses Abenteuer gestürzt.
Bald türmten sich hinter uns, bis zu 45 Grad Höhe, prachtvolle Gewitterwolken, die Ränder von der Sonne vergoldet. Je näher wir dem Ziel kamen, desto flauer wurde mir. Das Wetter zog um ganz Rügen, es kreiste uns ein, denn auch über der pommerschen Küste stand eine schiefergraue Wand mit gelblichen, scharf hochgekämmten Fransen: ein Zeichen für Sturm. Wir passierten die Signaltonne zwei Meilen vor der Oie.
Verblüffend rasch kam der Abend. In dem Zwielicht blitzte der Leuchtturm auf und, ein Stück südlich, das Hafenfeuer. Gott sei Dank, es wies uns die Einfahrt. Schon lag sie dicht vor uns, da setzte der Wind aus. Wie ein Bündel Pfeile waren flockige Wölkchen, mir wohlbekannt, jetzt über uns. Wir hatten das Rennen verloren. Ohne dass ein Wort fiel, senkte ich die Gaffel, ließ das Großsegel herunter und zurrte es fest. Vater deckte das Cockpit ab, Manfred verteilte mit zitternden Fingern das Ölzeug. Kaum hatten wir es angezogen, fuhr heulend ein Windstoß in das Vorsegel und drückte uns auf die Seite. Die Fock knallte und schlug, gleichzeitig klatschte der Regen so dicht nieder, dass die Insel samt Hafenfeuer und Leuchtturm verschwand.
Solch ein Unwetter hatte ich noch nie erlebt. Aus allen Richtungen fielen Böen ein. Unser Versuch, zu ankern, misslang im Peitschen und Schmettern der Blitze. Jedes Aufzucken zerriss die Finsternis und warf auf die gepeinigte Netzhaut ein Momentbild vom Toben der Elemente: Wellen, starr wie Mauern, hinter Hagelkörnern, die in der Luft stillzustehen schienen.“
Zum ersten Mal 1971 konnten die Leser die im Verlag Neues Leben Berlin erschienene Erzählung „Arzt im Atlantik. Ein Brief von Bord“ von Dietmar Beetz lesen: Nordatlantik. Das bedeutet Kälte, Sturm, Nebel. Aber dort oben, zwischen Kanada und Grönland, treffen sich Schiffe aus allen Ländern Europas und aus Nordamerika: Fischfänger, Fischverarbeiter. Auf dem Fang- und Verarbeitungsschiff ROS 321 „Anna Seghers“ aus Rostock fährt ein junger Arzt. Es ist seine erste Seefahrt, sein großes Abenteuer. Der Aufbruch kam ziemlich rasch, überraschend sogar für die Frau, die selbst Ärztin ist und die die Seefahrtsträume ihres Mannes nicht so ernst genommen hat. Jetzt beginnt der Arzt einen langen Brief an sie. Er erzählt vom Leben an Bord, von seiner Arbeit, von „Hausbesuchen“ auf stürmischer See, von einer Fahrt nach Kanada mit einem lebensgefährlich verletzten Patienten, von der Kameradschaft der Seeleute. Er will die Frau überzeugen, dass es für ihn richtig und wichtig war, zur See zu fahren. Und dem Autor gelingt es, den Leser zu überzeugen. Hier seine erste Positionsmeldung nach Hause:
„Auf See, am 15. Januar
Liebes,
ein Glück, dass Distanzen mitunter rein äußerlich sind; denn zwischen uns liegt im Moment immerhin reichlich ein Sechstel Erdball. Neun Tage lang und neun Nächte sind wir ohne Unterbrechung hierher unterwegs gewesen, allerdings bloß bei mittlerem Radfahrertempo: elf Meilen pro Stunde – elf KNOTEN, wie‘s in der Fachsprache heißt. Heut um acht hab ich Frühstück gemacht; da war’s in Erfurt gerade zwölf, Mittagszeit also. Bleibt zu hoffen, dass Du mit der Sprechstunde fertig gewesen und mal pünktlich zum Essen gekommen bist.
Jetzt sitze ich übrigens im Hospital – genauer: im Behandlungsraum – und überlege, was ich mit mir anfangen soll. Komisches Gefühl: an einem Vormittag, noch dazu in der Woche, zu wissen, dass kein Patient auf dich wartet. Verkehrte Welt: Hier wartet der Arzt auf Patienten und hat, was man landläufig Muße nennt – ein Zustand, der an sich nicht übel ist.
Links von meinem Schreibtisch hängt noch die Dämmerung hinterm Bullauge; außerdem meint’s die See heute gut mit uns: Gemächlich klatscht sie gegen die Schiffshaut und schaukelt den Dampfer, als wolle sie uns einschläfern – genau die richtigen Umstände also, in sich zu gehn und seinem Little eine Art Positionsmeldung zu geben.
Dabei weiß ich noch nicht, was mal auf diesen Seiten stehen wird: ein Tagebuch, ein Brief in Portionen, ein Bericht oder eine Beichte. Vielleicht alles in einem – egal auch; Dich, Liebes, brauch ich in jedem Fall am anderen Ende. Du musst erfahren, was ich hier treibe und was sich inzwischen mit mir getan hat. Wenn Du schon nicht in meiner Nähe sein kannst, sollst Du zumindest so bei mir sein.
Bei mir sein, Dich umschaun wie ich und versuchen – bitte: wenigstens VERSUCHEN, mal mit meinen Augen zu sehn. Und zurückzugehn, falls nötig, neben mir, mit mir voraus, um zu VERSTEHN, weshalb ich heute hier bin, hier sein muss. Und dass ich, obwohl Du’s nach wie vor bezweifeln wirst, lieber bei Dir wär. Und immer wieder, so abgenutzt die Formulierung auch ist: Dass ich Dich brauche, dass kein Missverständnis, keine Enttäuschung, keine Bitterkeit zwischen uns aufkommen darf, dass nicht mal ein Sechstel Erdball mich von Dir entfernen kann.
Viel Tamtam – ich weiß – und hoffentlich so unnötig, wie Du sicher behaupten wirst, und ganz bestimmt zu ernst und sentimental. Völlig klar: Damit heb ich Dir die Mundwinkel nicht an. So will ich wenigstens versuchen, Deinen Neid zu provozieren oder den vorhandenen zu potenzieren; vielleicht hilft Dir das drüber weg und möbelt Dich auf.
Vernimm denn: Ich bin – ja, nun rate mal, wo ich gewesen bin! Gut eine Woche war ich nicht auf dem Dampfer; erst letzte Nacht bin ich wieder übergestiegen. Wenn Du so willst, komm ich geradewegs – wie sag ich’s nur am beiläufig-effektvollsten? Meinetwegen so: Ich komm man grad aus Richtung Kanada. Du hast richtig gelesen: KANADA und ICH. Bist Du nun wenigstens neugierig geworden? – Schön, dann musst Du im Folgenden erst mal eine weitere Einleitung über Dich ergehen lassen; denn ohne System kommt kein Deutscher aus, und die Ortsangabe gehört nun mal dazu.
Wir beginnen mit einem Räuspern und gehen vom Allgemeinen zum Besonderen, im vorliegenden Fall vom gesamten Atlantik zum Fangplatz vor Labrador. Und weil dieser Satz seinen Zweck erfüllt und reineweg nichts gesagt hat: Nimm unsern „Atlas zur Erd- und Länderkunde“ und schlage Nordamerika auf! Hast Du? Gut, oben rechts, so zwischen Grön- und Neufundland, fast genau am Schnittpunkt von 55 Grad Nord und 55 Grad West – da sind wir im Augenblick, und von da hat vor nunmehr acht Tagen auch mein GROSSES ABENTEUER seinen Ausgang genommen.
Nicht viel zu sehn auf der Karte, zugegeben: Ein bisschen dunkles und ein bisschen helleres Blau. Der Strich dazwischen könnte den Rand der Hamiltonbank markieren; da wird der Atlantik etwa 200 Meter flach. – Sagt Dir das was? Mir nicht, wenigstens nicht viel. Um eine genauere Vorstellung zu bekommen, musst Du schon zwei Pullover an- und darüber noch die Wattejacke ziehn. Vorsicht dann! Hinter der Tür, die an Deck führt und hier wie alle ihresgleichen SCHOTT heißt, springt Dich ein bissiges Vieh an: Luft, die so eine Bezeichnung nicht mehr verdient. Das ist Eis in gasförmigem Aggregatzustand; Nadeln sind das, unsichtbare Speerspitzen … Kurz: Hundekalt ist es da draußen.
Uns – Polarbären, die wir ja fast schon sind – macht das natürlich so gut wie beinah überhaupt nichts aus. Wie sich’s für Seeleute gehört und in Hinsicht auf die Schiffsbewegungen empfiehlt, staken wir breitbeinig über die bereiften Planken bis zur einzigen und bemerkenswert nützlichen Grenze unseres derzeitigen Territoriums: einem Eisenrohrgeländer namens RELING. Aufgestützt wird sich nicht, weil sonst im Handumdrehn der Handschuh anfrieren würde. Und nun nehmen wir mal optimale Umstände an: Windstille, Tageslicht. Was offenbart sich da unseren eindruckshungrigen Sinnen?
Den Ohren nichts als Gekreisch; das überfällt förmlich selbst ein lärmgewöhntes Gehör. Es wird verursacht von einer Art Ungeziefer; Du kennst sie und kennst doch die hiesige Variante nicht. Ihr Anblick ist, ästhetisch beurteilt, geradezu beleidigend und darüber hinaus geeignet, die Folgen schmarotzender Lebensweise zu demonstrieren: verfetteter Leib und verkümmerte, kaum noch flugtüchtige Flügel. Was da in Schwärmen unserem Schiff hinterherflattert und sich mit Fischverarbeitungsabfall den Kropf stopft, hat höchstens den Namen gemein mit jenem schnittigen Küstengeflügel, das auf keiner Urlaubskarte fehlen darf. Davon wenden wir uns ab.
Der Einfachheit halber blicken wir nicht zurück; denn das Deck zu beschreiben, fühlt sich der DOC – das bin ich – weder berufen noch fähig. Die ganze Installation und ihren Mechanismus muss er sich bald mal und dann sicher noch ein paarmal erklären lassen; vielleicht behält er danach auch das zugehörige Vokabular im Gedächtnis. – Erste Erkenntnis: Nicht nur unsere Nomenklatur, Liebste und Kollegin, hat’s in sich; kannst Du mir glauben.
Um aber im Text voran- und selbst umgehend wieder in die Nähe eines Heizkörpers zu kommen, lassen wir nunmehr unsern Blick – ja, was denn? – natürlich: schweifen, und zwar über Wasser, Wasser und noch einmal dieses Element, hier vorhanden in seinen drei möglichen Erscheinungsformen. Die flüssige überwiegt verständlicherweise und kann – das sei einstweilen behauptet – von manchem an Bord nicht mal mehr im Zahnputzbecher gesehen werden. Sie wird von der festen gefleckt und beschuppt. Ja, und darüber schleiert und ballt sich’s: hauptsächlich Kumulus mit verdächtig dunklen Rändern.
Darunterhin, beziehungsweise darauf und dazwischen, stampft’s und schlingert’s im Übrigen vielfach, mit und ohne GESCHIRR hinterm Heck her; doch das betrachten und kommentieren wir lieber, wenn sich’s am attraktivsten gibt: bei Nacht unter einem von Nordlicht nervösen Himmel. Dann kommst du dir vor wie im heimischen Mittelgebirge: ringsum die Lichtergirlanden der Dörfer – ein LEUCHTENDER GÜRTEL, der GÄHNENDE LEERE umspannt, und inmitten der SCHWÄRZE du auf einem bedenklich SCHWANKENDEN Blatt …
Ich soll das geschraubte Poetisieren lassen? Nicht mehr hören kannst Du das, nicht mal belächeln diese Parodie? – Ich auch nicht. Seit wenigstens zehn, vierzehn Tagen nicht mehr. Ohnehin würde ich jetzt, beispielsweise auf der Brücke im Gespräch mit dem ALTEN, meine Faszination, wenn überhaupt, ein bisschen anders formulieren, eventuell so: „Ganz schöner TROUBLE heute.“ – Und der Alte ließe sich, um diese Möglichkeit mal fortzuspinnen, Minuten später mit ebensolcher Ergriffenheit hören: „Trouble – und wie!“ Darin läge ein ganzes Poem.“
Damals noch unter dem Pseudonym „Nikolai Bachnow“ brachten Aljonna und Klaus Möckel bei der LeiV Buchhandels- und Verlagsanstalt als Band 6 der Nikolai-Bachnow-Bücher „Die unsichtbaren Fürsten“ heraus. Die Illustrationen stammen von Hans-Eberhard Ernst: Im Zauberland, ja in der Smaragdenstadt selbst, geschieht Ungeheuerliches. Läden werden am helllichten Tag ausgeraubt, ganze Viehherden weggetrieben, und das Gespenstischste ist, dass man die Räuber nicht oder bestenfalls als grünliche Schatten sehen kann. Als schließlich noch der alte Fischer Pet Riva, der sich als Hobbyzauberer einen Namen gemacht hat, mitsamt seiner Schaluppe entführt wird, muss der Weise Scheuch etwas unternehmen. Gemeinsam mit dem Löwen und dem Holzfäller begibt er sich auf Spurensuche. Dabei stellt sich heraus, dass Nachfahren aus den früheren Unterirdischen Königreichen die Untaten begehen. Als die damaligen Erzgräber nämlich vor Jahren zur Erdoberfläche zurückkehrten, waren einige Höhlenbewohner in den Gewölben geblieben und hatten einen eigenen Staat gegründet. Der Grüne Fürst, ein böser und aggressiver Herrscher, hatte sich nach allerhand Machtkämpfen an die Spitze gesetzt. Nun will er die Smaragdenstadt mit Krieg überziehen, um Reichtümer und Lebensmittelvorräte zu ergattern. Durch ein Wasser, das unsichtbar macht, scheinen die Banditen unangreifbar. Doch nach gefährlichen Abenteuern im weitverzweigten Höhlensystem unter der Erde, an denen auch Jessica, Betty Strubbelhaar und der tapfere Hund Knacks teilnehmen, finden die Freunde ein Gegenmittel. So sind sie bestens gerüstet, als die Räuber zum entscheidenden Kampf ansetzen. Ein weiteres spannendes Buch voller Überraschungen aus dieser Reihe der Nikolai-Bachnow-Bücher, die an das bekannte und beliebte Vorbild des Russen Alexander Wolkow anschließen. Zuerst bemerkt hat den Kuhherdenraub ein Hund, Knacks:
„Erster Teil: Ein Anschlag auf Pet Riva
Sonderbare Vorfälle
Der Hund Knacks, eine schwarzbraune Promenadenmischung mit Schlappohren und krummen Beinen, hatte einen wunderbaren Traum. Er war mit seinem Herrn zu einem Schlachtfest eingeladen und wurde aufs Herrlichste verwöhnt. Mit besten Fleischbrocken, Blutwürsten und Markknochen. Dazu trank er aus einem Napf frisches Quellwasser. Knacks schlappte und schlug sich den Bauch voll, dass es eine Lust war. Bis er plötzlich durch lautes Muhen aufgestört wurde. Weshalb brüllen hier die Kühe herum, dachte er erstaunt, was haben sie bei einem Schlachtfest zu suchen. Sie sollten sich lieber schleunigst davonmachen.
Die Bilder verwischten sich und Knacks erwachte. Etwas enttäuscht leckte er sich das Maul – leider hatte er keinerlei saftiges Bratenstück zwischen den Zähnen, lag vielmehr mit leicht knurrendem Magen unter einem Busch hinterm Hof seines Herrn. Das aufgeregte Muhen und Gebrüll der Kühe allerdings war Wirklichkeit und was er nun entdeckte, ließ ihn an seinem Hundeverstand zweifeln. Aus dem Gatter vor ihm, dessen Tor sich in diesem Moment weit öffnete, ohne dass der Bauer, seine Frau oder sonst jemand zu erblicken waren, kamen die Gescheckten herausgetrampelt und es klang, als würden Stockhiebe gegen ihre runden Flanken prasseln.
Was für eine Gaukelei, ich schlafe noch immer, dachte Knacks und schnappte, um sich von der Wahrheit zu überzeugen, nach seinem Ohr. Er biss kräftig zu, spürte den Schmerz und quietschte auf wie eine Gummipuppe. Ohne Frage, er war wach.
Knacks sprang auf die Füße. Die Kühe entfernten sich vom Hof, rannten auf den Wald zu. „Hiergeblieben, ihr Grasfresser!“, bellte der Hund empört. „Wo wollt ihr denn hin?“ Er stürzte auf sie zu, um sie aufzuhalten und zurück zur Umzäunung zu scheuchen. Doch die Gescheckten liefen weiter und eine, mit Namen Liese, erwiderte: „Es liegt nicht an uns. Wir wollen nicht wegrennen, man treibt uns. Hörst du nicht die Schläge, mit denen sie uns traktieren?“
„Stimmt, ich höre Schläge, aber wer, bei allen guten Geistern, teilt sie aus?“, rief Knacks. „Ich kann niemanden entdecken.“
„Wir auch nicht“, jammerte Liese, „doch sie sind um uns herum. Sie haben das Gatter geöffnet. Es sind Unsichtbare.“
Im Zauberland war allerhand möglich. Man hatte es schon mit Hexen, Feen, Zwergen, Riesen und Drachen zu tun gehabt. Es gab Seemonster, Nebelgespenster und Bäume, die einen beim Kragen packten. Trotzdem, von Unsichtbaren hatte Knacks noch nie etwas gehört. Dabei war er in seinem kurzen Leben bereits mit so erfahrenen Leuten wie dem Weisen Scheuch, dem Eisernen Holzfäller, dem Tapferen Löwen und der Prinzessin Strubbelhaar zusammengetroffen.
„Diesen Unsichtbaren werd ich’s gleich zeigen“, kläffte der Hund. Er hatte die Kühe inzwischen fast erreicht, stürzte sich todesmutig zwischen sie und biss aufs Geratewohl um sich. Tatsächlich bekam Knacks auch Stoff zu fassen, ein fremdes, muffig riechendes Hosenbein. Ein Fluch ertönte, dann wurde er geschüttelt und herumgeschleudert. Da er nicht losließ, sauste ihm ein Knüppel auf den Kopf. Aufjaulend gab er die Hose frei.
Doch so schnell war Knacks nicht aus dem Feld zu schlagen. „Gebt euch zu erkennen, ihr Banditen“, rief er wütend und wagte eine zweite Attacke. Diesmal gelang es ihm aber gar nicht erst, jemanden zu packen. Im Gegenteil, ein Fußtritt erwischte ihn und warf ihn ins Gras. Vorübergehend wurde er ohnmächtig. Als er wieder zu sich kam, hatten die Kühe bereits den Wald erreicht.
„Ihr Räuber, ihr Verbrecher“, stöhnte Knacks, denn bellen konnte er nicht mehr. Ihm taten alle Knochen weh, bestimmt waren einige gebrochen. Obwohl ihm das Nachdenken schwerfiel, überlegte er, was zu tun sei. Der Diebstahl durfte nicht ungesühnt bleiben. Doch für eine Verfolgung war er zu schwach. Nachdem er wieder etwas zu Kräften gekommen war, raffte er sich auf und humpelte zum Hof seines Herrn zurück. Bauer und Bäuerin waren bei der Feldarbeit und hatten nichts von dem Raub mitgekriegt.
Als Knacks den Vorfall endlich schildern konnte, wollten sie ihm zunächst nicht glauben. Aber der Hund war immerhin verletzt und die Kühe hatten sich in Luft aufgelöst. Der Bauer, die Mistgabel schwingend, rannte in den Wald, doch wo sollte er suchen? Er entdeckte noch einige Spuren: zertrampeltes Gras, frisch abgeknickte Zweige -, aber sie verloren sich bald im Dickicht. Unverrichteter Dinge musste er schließlich heimkehren.
Im Reich der Käuer mit der im ganzen Zauberland berühmten Smaragdenstadt war es seit Jahren nicht zu solch einem Vorfall gekommen. Die letzten Viehdiebstähle hatte hier ein Ungeheuer begangen, der furchtbare Drachenkönig, aber er war zur Strecke gebracht worden und hatte auch nur einzelne Tiere gerissen. Diesmal dagegen war eine ganze, wenn auch kleine Herde gestohlen worden. Und der Bauer war auf seine Gescheckten, die schon so manchen Preis gewonnen hatten, besonders stolz.
Das Unbegreiflichste jedoch war die Geschichte von den Unsichtbaren. Obwohl der kleine Hund Stein und Bein schwor, die Wahrheit und nichts sonst zu sagen, glaubte ihm keiner so recht. Feen, Zauberer, Hexen konnten blitzartig verschwinden oder auch auftauchen, aber sie waren stets zu sehen. Außerdem traten sie immer nur einzeln in Erscheinung. Hier dagegen musste es sich um mehrere Räuber gehandelt haben.“
Erstmals 1987 veröffentlichte Martin Meißner im Kinderbuchverlag Berlin sein für das Erstlesealter oder zum Vorlesen gedachtes Buch: „Die Flöte mit dem Wunderton“: Sebastian ist klein, rundlich, wasserscheu und ziemlich ängstlich. Schleifen kann er auch noch nicht binden. Wenn’s unangenehm wird, verdrückt er sich gern und wartet ab, bis alles vorüber ist. Diesmal aber hat er Angst. Er bangt um seine kleine Igelfamilie, die er schon seit einiger Zeit beschützt. Ein riesenhafter Hund steht vor den fünf stachligen Kugeln und greift die merkwürdigen Gegner immer wütender an. Sebastian fürchtet um das Leben seiner Schützlinge, denn er weiß nicht, wie lange Igel sich auf diese Weise einrollen können. Und da besinnt er sich auf seine Flöte mit dem Wunderton. Aber lernen wir ihn doch erst einmal kennen, diesen Jungen, der sich manchmal fortbewegte wie … Wie denn? Einen kleinen Moment bitte:
„1. Kapitel
Der Junge hieß Sebastian. Er war klein und rundlich und bewegte sich mit kurzen trippelnden Schritten vorwärts. Wenn er mit seinen Eltern die Straße überquerte, hopste er manchmal, um nicht zurückzubleiben, wie eine Amsel im Gebüsch. Aber lieber machte er seine gewohnten kurzen Schritte, die Fußspitzen ein wenig nach außen gedreht. Der Junge hatte dicke Backen und ein rundes Kinn mit einem lustigen Grübchen darin. Die Haare waren kurz geschnitten. An der linken Schläfe bildeten sie einen Wirbel und ragten wie ein Mützenschirm über die Stirn nach vorn.
Mit fünf Jahren zog Sebastian aus der großen Stadt Magdeburg in das kleine Städtchen Klobenwalde. Als er den dritten Tag im Kindergarten war, versteckte er sich in der Besennische. Während die anderen Kinder seiner Gruppe duschten, hockte er hinter einem Vorhang zwischen Wischeimern, Kehrblechen und einer Bohnermaschine. Wie das stachelt, dachte er, während die Borsten eines Schrubbers durch seinen Bademantel drangen, weil er sich in dem engen Verschlag nicht vom Fleck rühren konnte. Aber besser dieses Piken, als unter der Brause zu stehen. Bei einer unvorsichtigen Bewegung stießen zwei hängende Kehrbleche aneinander und verrieten ihn. Er wurde von Hilda entdeckt.
Hilda war die größte Frau im Kindergarten von Klobenwalde. Sie verteilte mittags das Essen, das in Kübeln gebracht wurde, machte sauber und passte nachmittags auf die Kinder auf. Hilda wurde von allen Hilda genannt. Die Eltern sagten manchmal Frau Hilda oder Fräulein Hilda. Die wenigsten wussten, dass sie mit Nachnamen Lüddemann hieß.
„Wer bist du denn?“, fragte sie, als sie den Vorhang zurückzog.
„Sebastian Pröhl.“ Er richtete sich zwischen den Eimern auf.
„Was machst du hier?“
„Ich warte.“
„Worauf wartest du?“, fragte Hilda und schaute den Flur entlang.
„Ich bleibe hier, bis meine Gruppe mit dem Duschen fertig ist. Wenn das Wasser nicht mehr rauscht, gehe ich zurück und ziehe mich wie die anderen an.“
„Und du duschst nicht?“
Sebastian zog den Bademantel zu und kreuzte die Arme vor der Brust, als wäre ihm kalt.
Als das Duschen beendet war, wurde der Junge vermisst. „Sebastian! Sebastian!“, rief Fräulein Lauschert durch den Flur. Sie war seine Kindergärtnerin. Hilda zog den Vorhang zu und schob Sebastian in die Küche.
„Wo steckt er nur?“ Fräulein Lauschert kam näher. Hilda trat wieder auf den Flur hinaus. Sie hatte ein Geschirrtuch genommen. Sie breitete es aus. Sie knüllte es zusammen.
„Wir haben einen Neuen“, erklärte Fräulein Lauschert. „Er hat sich vor dem Duschen gedrückt.“
„Ach, Sie meinen Sebastian“, sagte Hilda. „Ja, der ist in der Küche. Er hat mir geholfen. Heute gibt es eingelegte Heringe. Wir haben die Gräten herausgenommen.“
Die Kindergärtnerin schaute der älteren Frau ins Gesicht. „Komm mit, Freundchen!“, rief sie in die Küche. Als Sebastian mit kleinen Schritten und eingezogenem Kopf neben der Erzieherin herging, schaute Hilda ihnen nach.
Mandy, ein Mädchen aus derselben Gruppe, lief den beiden entgegen. „Er ist wasserscheu, Fräulein Lauschert“, stellte sie entrüstet fest. „Er ist sowieso solch ein Dicker. Kein Wunder, dass er sich nicht abhärten will.“
„Wasser ist eben nass“, bemerkte die Erzieherin.
„Ich dusche gern“, sagte Mandy.“
Das alles dürfte mehr als genug Lesestoff für eine Woche sein. Und noch dazu zu solch unterschiedlichen Themen wie Liebe und Seefahrt und Aufregung in der Zauberstadt. Und wir wollen auch die Ängste eines kleinen Jungen nicht vergessen, der ein bisschen wasserscheu ist. Ob er sich an Mandy ein Vorbild nehmen kann?
Viel Spaß beim Lesen, viel Vergnügen mit kleinen und großen Abenteuern an Land und auf See, weiter einen schönen Sommer und bis demnächst.
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