Die Gemeinschaft der Mütter

In ihrem zweiten Buch „Der weibliche Weg“ warnt die französische Yogalehrerin und Geburtsbegleiterin Martine Texier davor, die Verantwortung für die Geburt der Ärzteschaft zu überlassen. Denn so verlieren die Frauen die ihnen eigene Kraft und das Ereignis seine besonderen Bedeutung.

Die Angst vor der Macht der Frauen

Von allen Lebewesen auf der Erde erlebt der Mensch die längste Periode der Mutterschaft. Diese prägende Beziehung, in der die Mutter sich um das Kind kümmert, wird zum Modell für alle künftigen emotionalen Bindungen, das Vertrauen in uns selbst und in andere. Dennoch herrschte über Jahrtausende das biblische Dogma, dass Frauen dazu verurteilt seien, ihre Kinder „unter Schmerzen zu gebären“ (1 Mose 3,16).

Selbst heute noch werden unter dem Vorwand, die Sicherheit von Mutter und Kind gewährleisten zu wollen, Schwangerschaft und Geburt wie eine Krankheit betrachtet, die es zu kontrollieren gilt. Die Yogalehrerin Martine Texier, die seit über 30 Jahren Mütter und Paare auf die Ankunft eines Kindes vorbereitet, sieht darin auch einen Machtkampf, da die patriarchalische Gesellschaft Angst vor der Macht der Frauen und ihrer heiligen Rolle der Mutterschaft hat.

Ihr revolutionärer Ansatz besteht darin, in einer aufrechten Haltung – im Gegensatz zur liegenden Position der Kranken – ganz bewusst die verschiedenen Türen in Becken, Gebärmutterhals und Damm zu öffnen: „Ich hoffe, dass die Frauen sich bald aufrichten, um ihre wahre Dimension im Moment der Geburt zu erleben: Die senkrechte Dimension eines ‚geerdeten Menschen‘, der fest mit der Erde verbunden ist, aber offen ist für die feinstofflicheren Dimensionen.“

Das Wunder des Lebens

Für Martine Texier versteht der Mensch erst in Teilen das Wunder des Lebens, das Zeugung und Geburt eines Kindes darstellen. Den Weg der Initiation zu gehen, bedeutet vor allem, die Entbindung und die Geburt des eigenen Kindes zu erleben. Daran schließen sich Geburten auf anderen Ebenen an: Frauen werden in die Gemeinschaft der Mütter hineingeboren, in die Gruppe aller Mütter auf diesem Planeten, die von gestern, heute und morgen. Die Geburt des Kindes findet zwar in der Familie statt, aber auch auf der übergeordneten Ebene des Universums.

Wenn die Mutter sich ihr Kind sofort auf die Brust legt, sodass es ihren Herzschlag hört, dann werden durch ihren Herzschlag die Verbindungen zwischen dem Herzen des Kindes, seinem limbischen System, das über das Gefühlsleben entscheidet, und den Bereichen der Großhirnrinde aufeinander abgestimmt. Daraus kann sich eine größere soziale und spirituelle Kompetenz entwickeln. Diese ersten Augenblicke im Leben beeinflussen also die Fähigkeit, liebenswürdig zu sein und soziale Kompetenz zu erlangen.

Und der Frieden, den eine Frau nach einer natürlichen Geburt empfindet, bringt auch dem Kind Frieden, sodass es sich schnell von seinem Geburtstrauma erholt. Das hat dann einen weitreichenden Einfluss darauf, wie dieses Kind später einmal mit Angst umgehen wird. Und wenn der Säugling seiner Mutter ins Gesicht schaut, wird ein komplexer Prozess zur Formung des visuellen Gedächtnisses in Gang gesetzt. Es geht darum, dass er sie erkennt und damit die Entwicklung auslöst, Wahrnehmungen mit Emotionen zu verknüpfen.

Eine neue Art des Gebärens

An die Geburt des Kindes schließen sich zahlreiche Geburten auf verschiedenen, miteinander verbundenen Ebenen an, von der feinstofflichsten bis hin zur körperlichen. Die Geburt des Kindes führt zur Geburt der Mutter und des Vaters in ihrer Rolle als Eltern und zu einer Geburt aller ihrer Vorfahren, deren Rang sich um einen Platz verschiebt. Und schließlich wiederholt sich der Ablauf der Geburt für das Kind in jeder Krise, die es durchlebt, bei jedem Übergang. Sich dessen bewusst zu werden erlaubt ihm, sich davon zu befreien und anschließend sein Leben schöpferischer zu gestalten.

Martine Texier wünscht sich, dass ihre Überlegungen zu Entbindung und Geburt sowie zur Umsetzung durch Übungen aus dem Energie-Yoga Frauen und Paaren ermöglichen, eine völlig neue Art des Gebärens für ihr Kind in Betracht zu ziehen. Dieses Ereignis und sein Ablauf seien von entscheidender Bedeutung, denn es handelt sich um die Geburt der Menschen von morgen. Sie ermutigt Männer wie Frauen, auf einer authentischen Beziehung mit dem Körper und ihrem Schicksal zu bestehen. Doch ohne umfassende Initiation kann es sein, dass die Eltern unfähig werden, sich ganz und gar auf die Tiefe dieser Beziehung einzulassen, wie Martine Texier auf einfühlsame Weise ausführt: „Die Initiation, das ist im Wesentlichen die Geburt, das Geboren-Werden ins eigentliche Sein, in die kosmische Dimension, ins große Ganze, in die universelle Liebe, ins Mysterium, ins Göttliche, ins Selbst und ins Absolute.“

Buch-Tipp:
Martine Texier: Der weibliche Weg. Kraftvolle Rituale und Übungen für Schwangerschaft und Geburt. Deutsche Erstausgabe. Mankau Verlag 2018, Klappenbroschur, 13,5 x 21,5 cm, 302 Seiten, 15,95 Euro (D) / 16,40 Euro (A), ISBN 978-3-86374-481-6.

Link-Empfehlungen:
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