Erika und Jürgen Borchardt sind aber nicht nur die Autoren neuer und diesmal recht seltsamer Geschichten über das berühmte Schweriner Petermännchen und seine Erlösung, sondern auch die Herausgeber eines ungewöhnlichen Wanderführers – „Sagenhafte Orte. Um den Schweriner See. Zwischen Warnow und Stepenitz, Döpe und Lewitz“, so sein Titel.
Mit der rebellischen Jugend des erst sehr viel später zu einem der Klassiker des Marxismus ernannten Friedrich Engels befasst sich Walter Baumert in dem Mitte der achtziger Jahre auch vom DDR-Fernsehen verfilmten Roman mit zwei Titeln – „Schau auf die Erde“ in der DDR und „Der Flug des Falken“ in der BRD, wie man damals sagte. Mehr dazu und was der Münsteraner Tatort-Professor Jan-Josef Liefers damit zu tun hat, lesen Sie weiter unten.
Bleibt schließlich noch ein vorletztes Sonderangebot. Und dabei handelt es sich gewissermaßen um die Fortsetzung eines Sonderangebotes der vorigen Woche. Hatten wir Ihnen damals unter anderem den „Märkischen Bilderbogen. Als Reporterin zwischen Spreewald und Stechlin“ von Gisela Heller vorgestellt, so präsentieren wir heute ihren „Neuen Märkischen Bilderbogen. Reporterin zwischen Havel und Oder“. Viel Spaß im Brandenburgischen.
Und damit kommen wir zum aktuellen Beitrag unserer Rubrik Fridays for Future. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Aus Anlass der 80. Wiederkehr des Beginns des von Hitler angezettelten Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 befasst sich der Fridays-for-Future-Newsletter im Monat September mit dem Thema Krieg und Frieden: Wie und warum „entstehen“ eigentlich Kriege? Welche Ursachen haben sie und wie kann man sie verhindern? Es geht aber auch um Fragen der tatsächlichen Geschehnisse und der historischen Wahrheit sowie um ihrer Bedeutung für heute und somit auch um das mitunter höchst brisante Verhältnis von Geschichte und Politik.
Ein besonders eindrucksvolles Beispiel ist der Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer, dessen Beginn sich gerade erst vor wenigen Wochen zum 75. Mal jährte. Am 1. August 1944 hatte sich die Armia Krajowa – die Polnische Heimatarmee – gegen die Besatzungsmacht der Nazis erhoben. Nach 63 Tagen war der Warschauer Aufstand von den deutschen Besatzern, die grausame Rache übten, blutig niedergeschlagen worden.
Zu den diesjährigen Gedenkfeierlichkeiten in der polnischen Hauptstadt war erstmals seit 15 Jahren wieder ein Mitglied der Bundesregierung nach Warschau gereist. Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) würdigte die „unglaubliche Widerstandskraft der Polen“ gegen die Grausamkeit der Nazis. „Für das, was Polen von Deutschen und in deutschem Namen angetan wurde, kann man nur tiefe Scham empfinden“, sagte Maas nach einem Gespräch mit dem polnischen Außenminister Jacek Czaputowicz in der polnischen Hauptstadt. Es erfülle ihn „mit Demut und mit Dankbarkeit“, in Warschau bei den Gedenkfeiern zum Jahrestag des Aufstands dabei zu sein, sagte Maas.
Auf besonders intensive und ehrliche Weise hatte sich bereits wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ein junger DDR-Schriftsteller mit diesem Thema beschäftigt, der dafür 1956 mit dem seit 1953 verliehenen Heinrich-Mann-Preis der damaligen Akademie der Künste der DDR ausgezeichnet worden war.
Erstmals 1954, also nur ein Jahrzehnt nach den in seinem Buch beschriebenen Ereignissen, veröffentlichte Wolfgang Schreyer im Verlag Das Neue Berlin seinen Anti-Kriegsroman „Unternehmen Thunderstorm“, von dem wir diesmal den zweiten Band präsentieren: Dies ist ein Tatsachenbuch über den Warschauer Aufstand, der die Dinge schildert, wie sie waren, der nichts verschweigt. Wolfgang Schreyer schrieb diesen packenden Bericht eines von den Engländern geplanten militärischen Großunternehmens, über das jahrelang fast nichts bekannt geworden ist, nach gründlichem Materialstudium. Wir erleben das Schicksal einer deutschen Flakbatterie, verfolgen den Weg einer kleinen Gruppe britisch-amerikanischer Fallschirmspringer und das Ringen polnischer Untergrundkämpfer. Der Autor enthüllt die Methoden internationaler Spionagedienste, zeigt Generale, Konzerndirektoren und Diplomaten bei der Arbeit, schildert Verhandlungen in Moskau ebenso wie Operationen der Roten Armee. Durch das ganze Buch weht der heiße Atem einer pausenlosen dramatischen Handlung. In der prallen Fülle ihrer Gestalten und Schicksale ersteht noch einmal eine Welt des Aufstiegs und des Untergangs. Der zweite Teil schildert den Aufstand und seine blutige Niederschlagung. Hier ein kurzer Auszug aus dem sehr spannend und sehr emotional geschriebenen Buch, das den Leser das jeweilige Geschehen höchst unmittelbar miterleben lässt, gerade so als sei man selbst dabei:
„Der Panzer klirrte heran. Er rollte langsam und schwenkte dabei sein schlankes Geschützrohr sichernd hin und her. Es überragte den Bug um mehr als einen Meter und war hinter der Mündungsbremse mit einem Dutzend heller Ringe bemalt, so dass es an den Hals einer Giraffe erinnerte. Stefan sah das alles sehr genau. Die geringste dieser schrecklichen Einzelheiten brannte sich in sein Bewusstsein ein. Er roch den scharfen Treibstoffgestank, vernahm das grauenerregende Brummen des Motors und sah die träge rotierenden acht großen Laufrollen, das schwarz-weiße Kreuz am Turm, die geschlossene Kuppel, die Nummer und die wippende Antenne dahinter. Leise scheppernde, seitlich vorgehängte Kettenglieder verstärkten die Panzerung. Über die ruckenden Zähne des Triebrads rann eine dunkle, dampfende Flüssigkeit, die er zunächst für Öl hielt. Dann erkannte er: es war das Blut zerquetschter menschlicher Leiber.
Als das Ungeheuer dreißig Schritte vor dem Körper des Mädchens stand, schleuderte Stefan die erste Flasche. Sie zerschellte an der Hinterfront des Turms. Das Benzin lief augenblicklich über Kuppel, Turm und den Teil des Rumpfes, unter dem sich der Motor befand. Er warf eine Handgranate hinterher, sie zerplatzte mit hellem Belfern, und das Benzin flammte auf. Jetzt schleuderte er die zweite Flasche. Eine Stichflamme schoss hoch. Im Innern des Panzers explodierte Munition. Der Stahlkoloss zerkochte, zischender Qualm brach aus Rissen. Die glühenden Panzerplatten sprangen ab. Niemand versuchte, herauszuklettern. Er brannte mit riesiger, knatternder Flamme. In diesem Feuer, das sein eigener Treibstoff ständig nährte, wurde das eiserne Gerippe sehr rasch weich und sackte zusammen.
Stefan schnellte hoch. Er lief zu dem Mädchen hin, hob es auf, zerrte es zum Straßenrand… Das war heller Wahnsinn, er wusste es; denn nun bot er der Infanterie, die den Panzer begleitet hatte, ein Ziel – deutlich und kaum zu verfehlen. Während er mit all seiner Kraft den leblosen Leib umklammerte, wartete er auf das wohlbekannte Pfeifen, auf einen schmerzhaften Schlag oder bohrenden Stich irgendwo in seinem Körper.
Doch dieser Schlag blieb aus. Todesstille lag über dem Kampfplatz. Leise knisternd und fauchend verbrannte im Hintergrund ein Haus. Schwarze Wolken dicker, flockiger Asche wirbelten umher. Da hörte er Schritte. Sie tappten heran von der anderen Seite, nicht aus der Richtung des Feindes… Wohl ein Dutzend geduckte Gestalten…
Als ersten erkannte er Werner, den Deutschen. Dann beugte sich Henryk über ihn. „Junge, komm hoch“, keuchte der Hauptmann. „Wo sind die anderen? Wo ist Bardini? Los, Gegenstoß! Der Panzer ist hin, jetzt sind sie verwirrt. Kannst du nicht mehr? Komm doch hoch! Leg das Mädel doch hin – siehst du nicht, sie ist tot!“
Stefan ließ das Mädchen sinken. Ihre Schläfe war zerschmettert; er hatte es zuvor nicht bemerkt. Schönes, seidiges, dunkles Haar verhüllte die Wunde. Es war das Haar seiner Sonja. Aber ihre Augen, die ihn starr und fragend ansahen, glitzerten nicht grün; noch im Tode leuchteten sie in einem warmen, zärtlichen Braun. Stefan drückte sie behutsam zu. Seine Hände bebten. Eine Welle unsagbarer Erleichterung durchflutete ihn; ihr folgte ein Strom heißer, brennender Scham. Er schluchzte auf. Ein anderer weinte um sie! Ein anderer Mensch. Ein Mensch wie du…
Mühsam richtete er sich auf. Tränen liefen über seine Wangen; die Straße mit dem vom Feuer zerfressenen Panzer verschwamm, versank darin. Noch immer fiel kein Schuss; noch immer wirbelten fette Rußflocken über die grausige Szenerie der Vernichtung und des Todes; denn die Kulissen brannten. Taumelnd begann er zu laufen, er folgte dem Stoßtrupp.
Jürgen Faber und Bardini hatten über eine enge, halbverschüttete Wendeltreppe den Hof erreicht. Zum Nachbargrundstück führte eine kleine Tür – nur zehn Schritte entfernt und in wenigen Sprüngen zu erreichen. Doch sie wussten nicht, ob sie sich öffnen ließ und was dahinter lag. Ganz in der Nähe knatterten Schüsse. Die SS schien noch nicht weit vorgedrungen zu sein. Der Ausbruchsversuch musste, wenn man es geschickt anfing, gelingen.
Während sie noch flüsternd die Richtung ihrer Flucht erwogen, sprang die Tür in der Hofmauer kreischend auf, und fünfundzwanzig oder dreißig Menschen – Frauen, ein paar Kinder und einige alte Männer – wurden hereingetrieben. „Sauerei“, schimpfte der SS-Mann an der Spitze, „hier ist genau so’n Dreck wie nebenan. Wozu das bloß?“ – „Halt den Schnabel“, sagte ein zweiter, der neben der Tür stehen blieb und taktmäßig mit dem Karabiner in die Menge stieß. „Halt den Schnabel.“ Unter den Ärmeln seines Waffenrocks, die er aufgekrempelt trug, zeichneten sich große Schweißflecke ab. Die Menschen wichen seinen nicht einmal kräftigen Stößen aus, stolperten über das mit Mauerbrocken und zersplitterten Balken bedeckte Hofpflaster. Sie wurden in einer Ecke zusammengepfercht. Als letzter kroch ein Uniformierter durch die Tür. Er hatte ein viereckiges, gutmütiges, schmutziges Gesicht und war so groß, dass er sich bücken musste. Auf seinem linken Kragenspiegel blinkte ein silberner Stern. Er trug ein leichtes Maschinengewehr in der Rechten, als hätte es kein Gewicht; er schlenkerte damit wie ein müßiger Wanderer mit dem Stock. Sorgfältig schloss er die knarrende Pforte hinter sich.“ Und damit zu den ausführlichen Beschreibungen der vier aktuellen Sonderangebote dieses Newsletters.
Erstmals 1986 erschien im Verlag der Nation Berlin das Buch „Neuer Märkischer Bilderbogen. Reporterin zwischen Havel und Oder“ von Gisela Heller: Wie in ihren vorigen erfolgreichen Büchern „Märkischer Bilderbogen“ und „Potsdamer Geschichten“ erzählt Gisela Heller auch hier über Land und Leute ihrer unmittelbaren Heimat. Sie war abseits der Touristenstraßen zwischen Havelland und Oderbruch, Fläming, Barnim und Prignitz unterwegs und fand allenthalben den Satz des märkischen Wanderers Fontane bestätigt: „Das Beste aber, dem Du begegnen wirst, das werden die Menschen sein …“ In 22 Reportagen erfahren wir Interessantes über Zeitgenossen und über Menschen vergangener Jahrhunderte: alten Adelsgeschlechtern, Militärs, Hofbeamten, Künstlern und namenlosen kleinen Leuten. Spuren ihres Daseins und Wirkens, die dem Auge des Durchreisenden allzu leicht entgehen, hat Gisela Heller für uns entdeckt und aufgeschrieben. Wir begegnen den unrühmlichen Herren von Bredow, die der Teufel einst über Friesack verloren haben soll, den schießwütigen Kähnes, die die Gegend um Petzow unsicher machten, dem alten Zieten, der tatkräftigen Frau von Friedland und an vielen Orten den Namen des Baumeisters Schinkel und des Gartenkünstlers Lenné. Fontane, der diese Gegend vor über hundert Jahren durchstreift hat, ist fast immer gegenwärtig. Gisela Heller erzählt über sie ernst oder anekdotisch, manchmal spottend über alte Zöpfe, die wir selbst noch tragen, und immer mit der versteckten Aufforderung, doch einmal selbst nachzuschauen. Neben den alten Namen stehen die von Genossenschaftsbauern, Arbeitern, Wissenschaftlern, die in den letzten vierzig Jahren das Gesicht dieser Landschaft prägen halfen. Ihre Schicksale sind beredtes Zeugnis, wie sich das Leben in diesem einst rückständigen Landstrich gewandelt hat. Die Probleme der Vorväter sind längst gelöst, neue dafür entstanden. Sie werden die Menschen dieser Gegend weiter herausfordern, aber nicht mehr ihre Existenz bedrohen wie noch zu Zeiten der Bredows und Kähnes. Und so lesen sich die Reporteringeschichten von Gisela Heller:
„Kelten, Karpfen und Kasematten in Peitz
Mit Peitz, das ich nur vom Hörensagen kannte, verband sich für mich dreierlei: Karpfen, Hammerwerk und Festung.
Jeder dritte Karpfen, der bei uns sein Dasein in Weißwein-, Dill- oder Buttersoße beschließt, stammt aus der Gegend um Peitz. In keinem einheimischen Kochbuch fehlt das Rezept „Peitzer Karpfenragout“. Man schneide die Karpfenfilets in drei Zentimeter breite Stücke, würze sie mit Salz, Pfeffer und Lorbeerblatt, streue reichlich frisch gehackte Petersilie oder Dill darüber und lasse das Ganze zugedeckt zwei Stunden marinieren. Danach grob gewürfelte Zwiebeln in Öl goldgelb anschwitzen, ebenfalls grobwürflig geschnittene Senf oder saure Gurken hinzugeben, alles gut durchschwenken, zusammen mit den marinierten Karpfenstücken etwa fünf Minuten dünsten, mit Mehl bestäuben, mit einer Mischung aus Sahne und Sauermilch auffüllen, kurz aufkochen und zugedeckt noch eine Viertelstunde ziehen lassen. Mit frischen Meerrettichspänen garniert anrichten, Salzkartoffeln oder Kartoffelpüree und grünen Salat dazu reichen.
Die Mischung von scharf und lieblich sowie der obligate Meerrettich verraten schon die Spreewaldnähe.
Ich habe die Peitzer Karpfen besucht, die noch nichts von Dill und Weißwein ahnen und sich in ihrem eigentlichen Element tummeln. Zu Hunderttausenden. Quicklebendig geht’s in den Karpfenkinderstuben zu, den sogenannten Streckteichen. Die andern Teiche, von wildwüchsigen Hecken umsäumt und einzelnen Weiden bewacht, liegen ruhiger da. Nur ab und zu bilden sich auf der Wasseroberfläche rasch größer werdende Kreise, zeigt sich kurz eine dunkle Rückenflosse. Dann ist wieder alles unglaublich still und friedlich. Der ahnungslose Wanderer genießt die sommerliche Idylle und hält nicht für möglich, dass er sich in einer siebenhundert Hektar umfassenden intensiven Produktionsstätte befindet. Er müsste im Dezember wiederkommen, wenn „die reifen Karpfen geerntet“ werden und die Peitzer Fischer – von Kopf bis Fuß in Gummi eingehüllt – Schwerstarbeit verrichten. Doch den verwöhnten Städter würde vermutlich schon beim Zuschauen ein ungemütliches Frösteln befallen.
Am Ortseingang von Peitz lockte ein Wirtshausschild: „Zur Teichschenke“. Nichts wie hinein! Endlich würde ich einen original Peitzer Karpfen frisch aus dem Teich serviert bekommen! Aber denkste! Alles, was ich bekam, war ein abschätziger Blick der Kellnerin. „Es ist Juni, meine Dame“, belehrte sie mich, „und in den Monaten ohne R gibt es keinen Fisch mit R!“ Da hatte ich mein Fett weg und bestellte kleinlaut Wiener Schnitzel.
Am Abend entdeckte ich auf der Speisekarte des Cottbuser Hotels „Lausitz“ gebackene Regenbogenforelle mit gemischtem Salat und Nusskartöffelchen. Wie das? Schließlich war immer noch Juni, und die Regenbogenforelle hat sogar zwei R in ihrem Namen! Die junge Serviererin erklärte mit liebenswürdigem Lächeln, dass die Forellen aus den Kühlwasserreservoirs der großen Kraftwerke kämen. Sie würden – was bei den empfindlichen Fischen niemand für möglich gehalten hätte – in dem klaren, fließenden, aber zwei bis drei Grad wärmeren Wasser schneller wachsen als üblich und bekämen festes, fettarmes, mildaromatisches Fleisch. „Überzeugen Sie sich selbst. Ich wünsche Ihnen guten Appetit!“
Die Forelle wurde früher „Fisch der Könige“ genannt, was Rückschlüsse auf den Preis zulässt. In dieser sprichwörtlich armen Gegend dürfte er damals kaum auf den Tisch gekommen sein. Inzwischen ist er dank rationeller, aber immer noch aufwendiger Intensivhaltung ein durchaus „bürgerlicher“ Fisch geworden, ein Essen für jedermann, wenn auch ein Sonntagsessen.
Karpfen dagegen galten in und um Peitz von jeher als etwas Gewöhnliches, denn es gab sie in Hülle und Fülle. Das hängt – so wunderlich es zunächst klingen mag – mit dem Hammerwerk zusammen. Unmittelbar unter der Grasnarbe der morastigen Wiesen lagerte nämlich Raseneisenerz, das seit dem frühen 16. Jahrhundert abgebaut und im Peitzer Hammer geschmolzen und verarbeitet wurde. Die Franziskanermönche kamen als erste auf die Idee, in den verlassenen, relativ flachen Tagebauen eine Karpfenzucht anzulegen.
So friedlich, wie es sich anhört, war die Gegend aber keineswegs. Der Schein trügt, denn Nieder- und Oberlausitz waren jahrhundertelang Spielball der Mächtigen. Der Kurfürst von Brandenburg erwarb zwar 1448 die Niederlausitz, musste das Gebiet jedoch 1462 an den böhmischen König abtreten. Nur die Herrschaften Cottbus und Peitz blieben als Enklaven in seinem Besitz. Die Brandenburger mussten also in der Niederlausitz immer auf dem Quivive sein, und darum bauten sie 1559 den Peitzer Hammer als Waffenschmiede auf vorgeschobenem Posten aus. Bei der Gelegenheit rissen sie auch gleich das alte Schloss ab und verwendeten die Steine zum Bau einer Festung, die an Umfang und Wehrhaftigkeit mit der in Spandau oder Küstrin vergleichbar war. Das neue Hammerwerk lieferte für die Festung allerlei Werkzeuge und Geräte, vor allem aber Waffen, Mörser und Kanonenkugeln.“
Erstmals 1981 erschien dieses Werk über die rebellische Jugend des Friedrich Engels, von dem wir hier in diesem Newsletter die Gesamtausgabe präsentieren, von Walter Baumert und zwar damals sensationeller Weise gleichzeitig in beiden deutschen Staaten – allerdings mit unterschiedlichen Titeln – im DDR-Verlag Neues Leben Berlin lautete er „Schau auf die Erde“, im bundesdeutschen, links orientierten Weltkreis-Verlag Dortmund lautete er dagegen „Der Flug des Falken“: Ein Mensch wächst ins Leben, ein Mensch, mit dem man lachen und weinen, zweifeln und hoffen kann. Der wohlbehütete Fabrikantensohn, mit überdurchschnittlicher Intelligenz begabt und von großem Gerechtigkeitsempfinden erfüllt, wird zwischen der Zuneigung zu den Eltern, der Liebe zu Gott und der Armut und Ungerechtigkeit in der nächsten Umwelt hin und her gerissen. Seine Versuche, sich aufzulehnen, bringen ihn oft in Bedrängnis und führen zur harten Entscheidung des Vaters, dass er Kaufmann zu werden habe. Nebenbei bildet er sich, sucht er Gleichgesinnte, streitet Nächte hindurch, schreibt Gedichte und liebt – das Arbeitermädchen Agnes, die todkranke Pianistin Magdalena, die wenig ältere Susanne, die kapriziöse Jane, dann lernt er Mary Burns kennen. Ein junger Mensch in seinem Widerspruch, in seiner Entwicklung wird dargestellt: Friedrich Engels. Die „gute alte Zeit“ um 1830 war keineswegs eine beschauliche Epoche. Auch wenn der preußische Obrigkeitsstaat für Friedhofsruhe gesorgt zu haben scheint, gärt es in deutschen Landen. In dieser Zeit des Vormärz wächst der junge Engels heran, Sohn eines Wuppertaler Textilfabrikanten. Schon früh stößt Friedrich auf den Gegensatz von industriellem Aufschwung und dem Elend der arbeitenden Menschen. Schritt für Schritt löst er sich aus der beengten Umgebung des Elternhauses. Begegnungen mit immer neuen Menschen geben Friedrich neue Anstöße, die Halbheiten manches Vorbildes reizen zum Widerspruch, das Unrecht zur Rebellion.
Nach der literarischen Vorlage, die eine Gesamtauflage von 250 000 Exemplaren erreichte, entstand 1985 in der Regie von Peter Wekwerth und mit Dirk Wäger in der Hauptrolle des jungen Friedrich Engels der vierteilige Film für das DDR-Fernsehen unter dem gewissermaßen ostdeutschen Titel „Flug des Falken. Erstausstrahlung war am 17. November 1985. Die Rolle des Sohnes Karl, des Chefs der Welthandelsfirma Leupold in der Freien Reichs- und Hansestadt Bremen, des Königlich-Sächsischen Konsuls Heinrich Leupold, der mit Leinen, aber auch mit Kaffee und Zigarren handelte, spielte damals übrigens der junge Jan-Josef Liefers. Hier ein Ausschnitt aus dem Buch, in dem der junge Engels sowohl mit dem damals aktuellen Weltgeschehen als auch mit einer ganz persönlichen Familienangelegenheit konfrontiert wird – und mit einer klaren Ansage, sein Verhalten betreffend:
„An einem Dezembertag war Onkel Caspar mit Cousin Karl zum Tee gekommen. Wie gewöhnlich drehte sich das Gespräch um langweilige Dinge. Vom Geschäftsgang der Fabrik war die Rede, von Hochzeiten, Liebschaften und Krankheitsfällen im Bekanntenkreis. Unvermittelt fiel auch der Name des Mühlenwärters.
„Er macht uns Sorgen, der alte Rostand“, sagte Onkel Caspar. „Seit Monaten hat er keine Nachricht von seinem Sohn in Griechenland.“
Friedrich sah, wie Karl neben ihm aufhorchte. „Vater Rostand hat einen Sohn in Griechenland?“
„Ja“, sagte Mama. „Den einzigen.“
„Dann kämpft er gegen die Türken?“, fragte Karl atemlos. Mama nickte. „Mit Lord Byron und vielen Freiwilligen ist er hinübergesegelt, als du noch klein warst.“
Plötzlich mischte sich auch Fräulein Henriette, die unnahbare, ewig schweigsame, ins Gespräch ein. „Die letzte Nachricht kam aus Mesolongion“, sagte sie leise, mit belegter Stimme und seltsam glänzenden Augen.
Friedrich kannte den Namen Mesolongion. Zum ersten Mal erhascht in einer Zeit, an die er sich sonst fast nicht mehr zurückerinnern konnte, und viele Male wiedergehört, war er mit dem Namen der griechischen Stadt gewissermaßen aufgewachsen. Fremd klang er, geheimnisvoll und verlockend. Bilder erwachten in der Fantasie, die die Sinne erregten und das Blut schneller durch die Adern trieben. Griechen und Türken. Es war das Lieblingsspiel der Kinder. Keiner wollte Türke sein. Mesolongion – magisches Wort! Als Kampfruf konnte man es hinausschreien draußen auf der Wiese, wenn man gegen die Dornenbüsche der eingebildeten feindlichen Heeresmacht anrannte. Doch auch traurig konnte es machen, denn in einer fernen, unerreichbaren Welt lag Mesolongion, wo es Abenteuer gab, Bewährung, Heldentaten.
Allzu rasch war der unendlich scheinende Sommer in einen kalten, regennassen Herbst übergegangen. Bei diesem Wetter war es streng verboten, das Haus zu verlassen. Nur vom Fenster aus konnte man in den Garten blicken, um zuzusehen, wie sich nach und nach Bäume und Sträucher entblätterten. Eintönig und öde schlichen die Regentage dahin. Ach, weit fort lag Mesolongion.
Nun war es plötzlich in beklemmende Nähe gerückt. Den Brucher Platz hinunter, die Engelsstraße hinab zur Brückenstraße, dahinter die Mühle, Vater Rostand … Noch am selben Tag schlich Friedrich sich aus dem Haus. Es regnete in Strömen. Er merkte es kaum. Nur einen Gedanken hatte er: Ich muss Vater Rostand sehen! Ich muss ihn nach seinem Sohn fragen.
Fast bis zur Brückenstraße kam er. Da sprach ihn eine Männerstimme an. „Bist du nicht der kleine Engels?“ Hinter ihm stand der Postbote. Ehe er ausreißen konnte, war er gefangen. Unter der himmelblauen Pelerine wurde er nach Hause zurückgebracht und triefnass Fräulein Henriette ausgeliefert. Noch strenger als sonst war ihre Strafpredigt, während sie ihn rücksichtslos abrubbelte und ihm ein trockenes Hemd überstreifte. „Deine Mutter ist krank, sehr krank. Und du bist so abscheulich ungehorsam. Willst du, dass ich es ihr sage? Willst du das?“
Er schüttelte den Kopf.
„Dann versprich mir, dass du nie wieder allein das Haus verlässt!“
Er überlegte. Nie wieder? Aber ich muss doch Vater Rostand besuchen. Ich muss! Er schwieg.
Fuchsteufelswild wurde jetzt Fräulein Henriette. „Du willst also, dass ich es ihr sage? Und wenn sie nun stirbt?“
Friedrich hörte diese unfassbare Frage. Sprachlos vor Verblüffung sah er zu Henriette auf. Die wandte ihre Augen ab.
„Ja, schwer krank ist deine Mama, wir alle haben Angst um ihr Leben.“
Sie lügt! Schoss es Friedrich durch den Kopf. Trotzig verschloss sich sein Gesicht. In diesem Augenblick aber sah er Dr. Dörner die Treppe hocheilen. Ulrike rannte aufgeregt hinter ihm her. Aus dem ersten Stock hörte er deutlich Mamas Stöhnen.
„Nein, nein“, schrie er. „Sie soll nicht sterben! Alles verspreche ich, alles!“ Wie der Wind rannte er hinauf zu Mamas Zimmer. Eine fremde Frau versperrte ihm den Weg. Er blieb vor der Tür. Kaum ein Laut war mehr aus dem Zimmer zu hören. Wie gelähmt ging er schließlich ins Kinderzimmer. Hermann spielte hier mit Marie, als wenn nichts geschehen wäre.
Er sagte kein Wort. Angst schnürte ihm die Kehle zu. Da! War es nicht, als höre er einen Schrei? Er hielt es nicht länger bei den Geschwistern aus. Auf dem Flur lief er Ulrike in die Arme.
„Was ist mit Mama? Lebt sie?“
Ulrike streichelte seinen Kopf. Ein glückliches Lächeln trat in ihr Gesicht. „Ja, natürlich, mein Kind. Sie lebt. Du hast ein neues Schwesterchen.“
Da begriff er. Ungestüm küsste er Ulrike und stürmte die Treppe hoch. Erst wollte er den Geschwistern die Freudennachricht bringen. Dann besann er sich, stieg hinauf zum Dachboden. In die kleine Gerümpelkammer hinter dem Schornstein verkroch er sich, lachte und weinte, weinte und lachte.“
Erstmals 2008 erschien als Eigenproduktion der EDITION digital der von Erika und Jürgen Borchardt herausgegebene Wanderführer „Sagenhafte Orte. Um den Schweriner See. Zwischen Warnow und Stepenitz, Döpe und Lewitz“: Einzigartig bisher in Deutschland: Durch Wanderungen zu Sagenorten eine Landschaft bis in die kleinsten Winkel erkunden. Seen und Sölle, Wiesen und Wälder, Täler und Hügel, romantische Durchbruchstäler der Warnow, Relikte aus der Steinzeit, aus der Bronze- und Slawenzeit, Burgen, Dörfer, Herrenhäuser, Schlösser und Kirchen aus dem Mittelalter und der neueren Geschichte – viele von ihnen sind Geheimnis umwoben. Und immer befinden wir uns in der Nähe des Schweriner Sees und der vielen Seen an seinem Rand. Hier ein, zwei Beispiele aus der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern:
„I. Schwerin
Schwerin ist vielleicht die Stadt mit der größten Zahl von Sagen in Deutschland. Wandert man zu den Orten des geheimnisvollen Geschehens, lernt man wichtige Sehenswürdigkeiten der Stadt auf neue Weise kennen. Sie sind alle Sagen umwoben: Schloss und Dom, Alter Garten, Burg- und Schlossgarten, Altstadt und Schelfstadt, Alter Friedhof, die ehemaligen Dörfer Krebsförden, Zippendorf und Mueß, der Schweriner See, der Pfaffenteich und der Ziegelsee, Plätze und Parks zum Spielen, Bummeln und Träumen.
Woher mag dieser Sagenreichtum kommen? Aus einer besonderen Geographie?
Über ein Viertel der Stadtfläche ist Wasser, mitten in der Stadt befindet sich der Pfaffenteich mit Schwaneninsel und Petermännchen-Fähre, um sie herum liegen weitere größere Seen und Wälder, 500 Hektar des Stadtgebietes sind Parkanlagen und unter der Erde gibt oder gab es zahlreiche Kanäle und Gänge. Das alles ist wohl etwas Besonderes, für Sagen gut Geeignetes, aber ganz außergewöhnlich auch wieder nicht. Ob die Geschichte eine Ursache sein kann?
Schwerin ist die älteste Stadt Mecklenburgs. 1160 wurde sie von Heinrich dem Löwen gegründet, einem der mächtigsten deutschen Herrscher seiner Zeit. Hundert Löwen sollen im Stadtbild zu sehen sein. Sie aber könnten nicht die Ursache des Schweriner Sagenreichtums sein, selbst wenn es zu jedem der Löwen eine Sage gäbe. Forschen wir weiter.
Die Stadt ist ein sehr altes Siedlungsgebiet. Auf ihrem heutigen Areal fand man sechs Hügelgräber aus der älteren Bronzezeit, sie sind über 3000 Jahre alt. Während der Völkerwanderung im 4. bis 6. Jahrhundert u. Z. verließen die Germanen diesen Raum und der slawische Stamm der Obotriten besiedelte ihn neu. Sie bauten auf der Insel im See eine Burg, auf ihren Resten steht das heutige Schloss, prächtig anzusehen, mit seiner filigranen Fassade, den goldenen Kuppeln und den vielen Türmen und Türmchen, die zumeist Schornsteine sind. Jahrhunderte lang war es Residenz der aus dem Obotritenstamm hervorgegangenen mecklenburgischen Herzöge und Großherzöge. Entstanden ist es aus Bauten aus fünf Jahrhunderten.
Vielleicht liegen in der Vermischung dieser Geographie und Geschichte die wichtigsten Wurzeln für die außerordentlich hohe Zahl der Schweriner Sagen. Den übergroßen Anteil machen die Geschichten vom Schlossgeist Petermännchen aus, eine einzigartige Sagengestalt, mit so vielen Eigenschaften, wie sie keine andere Figur der deutschen Geistergeschichte aufweist. Über ihn existieren an die 700 Überlieferungen. Das ist außergewöhnlich. Der Siedlungsgeschichte entsprechend finden wir in Schwerin aber auch typische andere Sagenfiguren: den aus der germanischen Mythologie stammenden Wilden Jäger, den Schimmelreiter, das Land verlassende Zwerge, einen mittelalterlichen Poltergeist, einen geheimnisvollen Mann ohne Kopf, das Geldfeuer, ein sprechendes Gerippe, ein Ungeheuer im See und selbst eine Rosstrappe auf einem Stein in diesem See.
Der teuflische Fluch des Priesters
Vor achthundert Jahren. Ein deutscher Priester zerstört das Heiligtum der Obotriten. Der Obotritenprinz erschlägt ihn mit dem Schwert. Im letzten Atemzug verwünscht der Priester den Prinzen in einen Zwerg. Als Geist lebt der verwunschene Prinz im Schloss auf der Burginsel seiner Väter. Er ist ein Schutzgeist des Hauses, belohnt die Guten und straft die Bösen, kündigt traurige und schöne Ereignisse an, treibt Neckereien, macht sich unsichtbar, benutzt unterirdische Gänge, fliegt durch die Luft, hat eine Schatzkammer im See. Und er wartet auf Erlösung. Woraufhin, sollte das Werk gelingen, Schreckliches geschieht.
Standort am Schloss
Der übermütige Ritter vom Reiterhorn
Vom Werderholz bis Raben Steinfeld liegen im Schweriner See kleine Berge oder Klippen. Das sind: Der Weiße Berg, das Zippenhorn, das Bullhorn, das Reiterhorm, das Steinhorn, das Lenzerhorn und der Große Stein. Vor langer Zeit, als noch Gott Wotan die Welt regierte, standen an diesen Stellen Burgen. Ihre Besitzer waren freche Ritter, die sich mit Gott und aller Welt stritten. Eines Tages wurde der Ritter vom Reiterhorn übermütig und forderte mit einem kräftigen Fluch den Germanengott Wotan zum Kampf heraus. In der Walpurgisnacht zog Wotan mit Blitz und Donner über den Schweriner See hinweg. Das Wasser türmte sich zu hohen Bergen und verschlang alle Ritterburgen.
Reiterhorn: Im Schweriner See, zwischen Werderhalbinsel nahe dem Schloss und der Insel Kaninchenwerder“
Ebenfalls als Eigenproduktion der EDITION digital erschien im Frühjahr dieses Jahres als Band 3 der Reihe mit den schönsten Sagen und Geschichten vom Schweriner Schlossgeist von Erika und Jürgen Borchardt „Petermännchen will König werden. Seltsame Geschichten um seine Erlösung“ – und zwar sowohl als gedruckte Ausgabe als auch als E-Book: Wer möchte schon ein Zwerg und Schlossgeist bleiben, wenn er in Wirklichkeit ein verwunschener Prinz ist und König sein könnte! Der Schlossgeist Petermännchen bemüht sich seit Hunderten von Jahren redlich um seine Erlösung. Dafür gibt es viele verschiedene Möglichkeiten; mit ihm ringen, ihm das Schlüsselbund holen, sein Schwert putzen oder ihm bloß – den Kopf abschlagen. Es würde auch schon genügen, wenn seine Laterne mit einer bestimmten Schere geputzt wird oder wenn jemand etwas ganz laut ruft. Reicher Lohn winkt dem, der das macht. Und – fast – alles scheint auch ziemlich einfach zu sein. Aber die Wirklichkeit ist eine andere, birgt Schwierigkeiten über Schwierigkeiten. Als das beinah verzweifelte Petermännchen selbst seine Erlösung in die Hand nehmen will und sie scheinbar auch nach Plan verläuft, stellt sich am Ende heraus: Sogar ein Geist kann sich irren. Aber eine Möglichkeit bleibt ihm noch. Dafür braucht er eigentlich bloß Geduld. Und wieder kommt alles anders …
Dies sind frei gestaltete Geschichten nach Volksüberlieferungen. Benannt sind auch die Sagenorte. Sie aufzusuchen, um dort das geheimnisvolle Geschehen in der eigenen Fantasie zu erleben – wofür die Illustrationen einen zusätzlichen Raum bieten, mag ein weiterer Reiz der mit kongenialen Zeichnungen des Schweriner Grafikers Jürgen Willbarth versehenen Publikation sein, der auch das Titelbild und die hübschen Versalien zu Beginn der jeweiligen Sagen. Die beiden Autoren haben diesen Petermännchen-Band für ihre Tochter Antje geschrieben „und für alle, die Orte und Geschichten voller Geheimnisse mögen“, wie es im Impressum dieses sowohl als gedruckte Ausgabe wie auch als E-Book vorliegenden Textes „Petermännchen will König werden“ heißt. Hier ein Auszug aus einer der dort versammelten seltsamen Erlösungs-Geschichten, die jeweils einem konkreten Ort zugeordnet sind:
„Haselnüsse und Golddukaten
Sagenort: Ziegelsee
Das Petermännchen zu erlösen ist wirklich nicht so einfach, obwohl es manchmal anders erscheint. Es wird berichtet, dass es schon genügt, wenn ein Soldat, der an einem Sonntag zwischen zwölf und ein Uhr nachts geboren ist, das Geld, welches in Petermännchens Schatzkammer ruht, in vier vollkommen gleiche Teile teilt.
Nun gibt es sicherlich etliche Menschen, die in der Mitternachtsstunde eines Sonntags geboren sind, jedoch nicht jeder von ihnen wird Soldat. Und von jenen, die das Kriegshandwerk erlernten, gab es nur hin und wieder einen, der im Schloss eingesetzt wurde. Und dann war es möglicherweise nicht immer gleich der Klügste und Geschickteste. Der Schlossgeist musste recht aufmerksam sein, wenn neue Soldaten in die Residenzstadt versetzt wurden. Vielleicht war jemand darunter, der seinen Wunsch erfüllen konnte.
Eines Tages schien der Schlossgeist nach vielen Jahren ungeduldigen Wartens und vergeblicher Versuche Glück zu haben. Ein gerade eingekleideter Rekrut war der Auserwählte. Wenn auch ein wenig langsam im Denken, so war er doch kameradschaftlich und hilfsbereit. Er schien für Petermännchens Zweck wie geschaffen.
Der Schlossgeist zögerte nicht lange, erschien dem jungen Soldaten sogleich bei dessen zweiter Wache in der Abenddämmerung und trug ihm sein Anliegen vor.
„Du kannst mich von meiner zwergenhaften Gestalt erlösen und ich werde dich dafür reichlich belohnen“, sagte er. Wie oft hatte er das schon gesagt und wie oft war es umsonst gewesen. Einmal musste er doch Glück haben. „Ja gerne, wenn du mir sagst, was ich tun soll.“ Auch diese Antwort hatte er schon so oft gehört. Geduldig erklärte er dem Soldaten, wer er sei, warum er erlöst werden wollte und was er, der Soldat, dabei zu tun hätte. Dieser hörte ihm am Anfang aufmerksam zu, bald jedoch schweifte sein Blick in die Ferne, als ob er mit seinen Gedanken ganz woanders war. Das war Petermännchen nicht entgangen. Er ahnte schon, dass es Schwierigkeiten geben könnte. „Du brauchst mir erst mal nur furchtlos zu folgen, dann sage ich dir noch einmal, wie es weitergeht.“ Das Petermännchen brauchte gar nicht groß zu beteuern, dass der Soldat nichts Böses zu befürchten hätte, der ging dem Männchen ohne Zaudern hinterher. Feige war er nicht.
Ein klein wenig unheimlich war dem jungen Kriegsmann dennoch zumute, als er einen dunklen Gang entlang geführt wurde. Nach einer kurzen Weile waren sie nach rechts abgebogen und dann so an die zwei Kilometer noch weiter gegangen. Das Petermännchen erhellte den Weg notdürftig mit einer kleinen Laterne.
Endlich waren sie angelangt und der junge Rekrut stand vor einer mit rostigen Eisenbeschlägen versehenen großen Truhe aus schwerem Eichenholz. Wie von Geisterhand geöffnet, und so war es ja auch, tat sie sich vor ihm auf. Oh, was sahen seine Augen! Die Truhe war bis an den Rand mit glänzenden, altertümlichen Münzen gefüllt. So etwas war ihm sein Lebtag nicht geschehen. Was für ein Schatz! Nicht einmal im Traum hätte er sich solch einen Reichtum vorstellen können. Neben der Truhe lagen, zwischen Spinnweben und Staub, auf einem Hauklotz ein alter Hammer und ein Beil. Flüchtig dachte der Soldat daran, wie oft er mit solch einem Beil zu Hause Holz gespalten hatte und dass er manchmal mit einem Hammerschlag auf das Beil nachhelfen musste, wenn der Holzkloben gar zu knorrig war. Ja, damit kannte er sich aus. Aber hier sollte er ja kein Holz hacken. „Deine Aufgabe ist es jetzt, diesen Schatz in vier gleiche Haufen zu teilen. Also jeder Haufen muss gleich groß sein. Du hast dazu so viel Zeit wie du willst. Hast du das verstanden?“, fragte das Petermännchen langsam und mit Nachdruck. Ja, natürlich hatte er das verstanden, dachte der Soldat, das versteht jedes Kind. Vier gleiche Haufen sind eben vier gleiche Haufen, was gab es da zu verstehen.“
Trotzdem hat der Soldat am Ende dieser Sage Schwierigkeiten, den Schatz gerecht zu teilen, da schließlich nur noch … – aber halt, wir wollen nicht zu viel verraten. Auf jeden Fall muss das Petermännchen dieser Sage nach weiter auf seine Erlösung warten und dem Soldaten bleibt am Ende nur ein einziges Goldstück – zur Erinnerung an eine verpasste Gelegenheit.
Also, lassen Sie sich die Gelegenheit nicht entgehen, diese etwas anderen seltsamen Petermännchen-Geschichten anzusehen, zumal sie diesmal wie schon weiter oben gesagt oder besser geschrieben zum Sonder-Sonderpreis von nur 99 Cents zu haben sind. Aber auch die anderen vier Sonderangebote sind zumindest das Ansehen und vielleicht auch das Kaufen wert – auch wenn „Unternehmen Thunderstorm“ von Wolfgang Schreyer eine eher harte Lektüre sein dürfte.
In diesem Sinne viel Spaß beim Lesen, einen schönen Herbst und bis demnächst. Ach, und vielleicht ziehen Sie sich einfach mal wieder Ihre Wanderstiefel an und machen sich auf den Weg zu den sagenhaften Orten rund um den Schweriner See. Das ist nicht nur spannend, sondern außerdem noch gesund …
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