Liebestränke, Giftmorde und Wehenpflaster

  • Sechsbeiner trägt die Auszeichnung in Deutschland, Österreich und der Schweiz
  • Gemeinsame Pressemitteilung mit der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung

Heute wird im Haus der Natur in Potsdam der Schwarzblaue Ölkäfer zum Insekt des Jahres 2020 gekürt. Das Kuratorium unter dem Vorsitz von Prof. Dr. Thomas Schmitt, Senckenberg Deutsches Entomologisches Institut in Müncheberg, und der Schirmherrin Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, prämierte die Käferart aus einer Reihe von Vorschlägen. Der Schwarzblaue Ölkäfer wurde in der Menschheitsgeschichte aufgrund seines im Körper enthaltenen Reizgiftes Cantharidin als Heiltier, aber auch für Giftmorde verwendet.

Der Schwarzblaue Ölkäfer (Meloe proscarabaeus) wird 10 bis 35 Millimeter lang und hat es in sich: Er besitzt ein hochgradig wirksames Gift! „Mit dem Schwarzblauen Ölkäfer haben wir die vierte und eine ganz besondere Käferart zum ‚Insekt des Jahres’ gekürt. Dieser schwarz-blau glänzende Sechsbeiner ist seit 4000 Jahren Bestandteil unserer Kultur. Das Reizgift Cantharidin im Körper der Käfer wurde gegen eine Fülle von Krankheiten verwendet – bereits 1550 vor Christus wird im altägyptischen Papyrus EBERS das wahrscheinlich älteste Ölkäferpflaster beschrieben, welches wehenerzeugend wirken sollte“, begründet Prof. Dr. Thomas Schmitt, Direktor des Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut in Müncheberg und Vorsitzender des Kuratoriums die Wahl.

In Honig zubereitet gehörten Ölkäfer zu den bekanntesten „Liebestränken“ zur Steigerung der sexuellen Potenz. Oftmals mit fatalen gesundheitlichen Folgen: Bereits ein einziger Käfer enthält eine tödliche Dosis Cantharidin für einen Erwachsenen! Diese hohe Toxizität wurde im antiken Griechenland für Hinrichtungen missbraucht, zudem sind Morde mit dem Käfergift bis in die Neuzeit bekannt.

„Heute leben mehr als 30 Arten aus der Familie der Ölkäfer in Mitteleuropa – am häufigsten ist dabei der Schwarzblaue Ölkäfer. Dieser übernimmt – gerade aufgrund seiner Giftigkeit – im Ökosystem eine wichtige Schutzfunktion für andere Käfer. Sein Gift wird in geringen Dosen an Larven, Eier und Puppen dieser Arten übertragen und rettet sie so vor Freßfeinden“, erklärt die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz und diesjährige Schirmherrin Prof. Dr. Beate Jessel und fährt fort: „Ich freue mich, dass dieser einzigartige Käfer als ‚Insekt des Jahres 2020’ ausgezeichnet wird!“

Denn der Schwarzblaue Ölkäfer ist auch aus ökologischer Sicht eine interessante und ganze besondere Art: Die Larven klettern auf Blüten und warten dort auf bestimmte Wildbienen, um von ihnen in deren Nester transportiert zu werden. Dort ernähren sich die Larven von den Bieneneiern und vom Pollenvorrat. Nach der Überwinterung im Boden schlüpfen die Käfer im März bis Mai. Die Art lebt an sandigen und offenen Stellen mit zahlreichen Bienennestern. Sie kommt an extensiv landwirtschaftlich genutzten Standorten wie beispielsweise in Heidegebieten, Trockenrasen und Streuobstwiesen vor.

Trotz seiner enormen Vermehrungskraft – ein einzelnes Weibchen kann fünf- bis sechsmal im Abstand von ein bis zwei Wochen je 3000 bis 9500 Eier legen – wird der Schwarzblaue Ölkäfer in Deutschland in der Roten Liste als gefährdet eingestuft. „Ursache der Bestandabnahme ist an erster Stelle der Lebensraumverlust, aber auch der Straßenverkehr. Da ihre Entwicklung vom Ei zum ausgewachsenen Tier sehr störungsanfällig ist, können schon kleine Veränderungen zu großen Ausfällen führen“, ergänzt Prof. Dr. Dr. h. c. Bernhard Klausnitzer, Entomologe und Mitglied des Kuratoriums.

Das Insekt des Jahres wird seit 1999 proklamiert. Die Idee hierzu stammte vom Prof. Dr. Holger Dathe, damaliger Leiter des Senckenberg Deutschen Entomologischen Instituts in Müncheberg. Ein Kuratorium, dem namhafte Insektenkundler und Insektenkundlerinnen sowie Vertreterinnen und Vertreter wissenschaftlicher Gesellschaften und Einrichtungen angehören, wählt jedes Jahr aus verschiedenen Vorschlägen ein Insekt aus.

Die Natur mit ihrer unendlichen Vielfalt an Lebensformen zu erforschen und zu verstehen, um sie als Lebensgrundlage für zukünftige Generationen erhalten und nachhaltig nutzen zu können – dafür arbeitet die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung seit nunmehr 200 Jahren. Diese integrative „Geobiodiversitätsforschung“ sowie die Vermittlung von Forschung und Wissenschaft sind die Aufgaben Senckenbergs. Drei Naturmuseen in Frankfurt, Görlitz und Dresden zeigen die Vielfalt des Lebens und die Entwicklung der Erde über Jahrmillionen. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Das Senckenberg Naturmuseum in Frankfurt am Main wird von der Stadt Frankfurt am Main sowie vielen weiteren Partnern gefördert. Mehr Informationen unter www.senckenberg.de

Als wissenschaftliche Behörde für den nationalen und internationalen Naturschutz unterstützt und berät das Bundesamt für Naturschutz das Bundesumweltministerium fachlich in allen Fragen des Naturschutzes und der Landschaftspflege. Zur Erfüllung seiner Aufgaben betreibt es angewandte wissenschaftliche Forschung. Das BfN nimmt zudem wichtige Aufgaben beim Vollzug internationaler Abkommen, beispielsweise im Bereich des Artenschutzes, wahr. Darüber hinaus fördert das BfN mit Mitteln des Bundesumweltministeriums auch eine Vielzahl von Naturschutzprojekten auf Bundesebene, zum Beispiel im Bundesprogramm Biologische Vielfalt. Mehr Informationen unter www.bfn.de

 

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