Briefe ohne Unterschrift

„Schreiben Sie uns, wo immer Sie sind, was immer Sie auf dem Herzen haben“. Mit diesen Worten lud die BBC-Radiosendung Briefe ohne Unterschrift von 1949 bis 1974 Hörer*innen in der DDR zum Briefeschreiben ein. In dem in deutscher Sprache ausgestrahlten Programm wurden jeden Freitagabend ausgewählte Briefe vorgelesen. Sie boten direkte Einblicke in den Alltag der DDR-Bürger*innen, ihre Nöte und Sorgen, aber auch ihre Meinungen zu politischen und gesellschaftlichen Ereignissen. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR stufte die Sendung als Hetzsendung ein und versuchte – teils mit Erfolg –, die Verfasser*innen zu identifizieren und strafrechtlich zu verfolgen. Über die Jahre entwickelte sich Briefe ohne Unterschrift zu einer brisanten und emotional aufgeladenen Radiosendung im Propagandakrieg der deutschen Teilung.

Das Zuhause der Schreiber*innen, die Zentrale der Staatssicherheit der DDR, das BBC-Studio: Die Ausstellung Briefe ohne Unterschrift. DDR-Geschichte(n) auf BBC Radio, die das Museum für Kommunikation Berlin noch bis 11. Oktober 2020 präsentiert, beschreibt die Stationen der Briefe und erzählt die Geschichten, die damit verknüpft sind. Exklusive Interviews mit Briefeschreiber*innen und Sendungsmacher*innen zeigen persönliche Schicksale. Erstmals werden Tonbandmitschnitte, die das MfS von der Sendung angefertigt hat, zusammen mit den jeweiligen Originalbriefen aus dem Archiv der BBC präsentiert. Wo und mit welchen Mitteln sich heute Menschen weltweit für politische und gesellschaftliche Teilhabe sowie freie Meinungsäußerung einsetzen, wird am Beispiel aktueller Aktivist*innen deutlich. In einem Umfragetool können die Besucher*innen ihre persönliche Meinung zu der Frage „Wie frei fühle ich mich in meinen Äußerungen?“ reflektieren.

Rund 40.000 Briefe erreichten die Sendung Briefe ohne Unterschrift. Diese waren nahezu vergessen, bis die Autorin Susanne Schädlich sie 2012 bei Recherchen in einem BBC-Archiv wiederentdeckt und aufgearbeitet hat. Ihr Buch Briefe ohne Unterschrift. Wie eine BBC-Sendung die DDR herausforderte gab den Anstoß zu dieser Ausstellung.

Statt PK

In unserer digitalen Pressemappe finden Sie umfangreiche Informationen zur Ausstellung, darunter Fotos, Zeitzeugeninterviews, Briefe als Audiofiles, Ausstellungstexte sowie unseren Expotizer, der einen virtuellen Einblick in die Ausstellung ermöglicht. Am Montag, 18. Mai 2020 bieten wir außerdem die Möglichkeit, nach vorheriger Absprache zu Einzelterminen mit Kuratorin Katharina Schillinger, Autorin Susanne Schädlich und unserer Direktorin Anja Schaluschke zu uns in die Ausstellung zu kommen. Bitte kontaktieren Sie uns zur Terminabsprache vorab unter m.seidel@mspt.de. Von diesem Tag abweichende Interviewanfragen sind grundsätzlich möglich, werden aus organisatorischen Gründen jedoch unter Umständen nicht vor Ort, sondern per Telefoninterview zu realisieren sein. Selbstverständlich sind Sie herzlich eingeladen, die Ausstellung während unserer geänderten Öffnungszeiten auf eigene Faust zu erkunden. Alle wichtigen Informationen zum Besuch bei uns finden Sie unter www.mfk-berlin.de/besuch.

Briefe ohne Unterschrift. DDR-Geschichte(n) auf BBC Radio
bis 11. Oktober 2020
Gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

briefe-ohne-unterschrift.museumsstiftung.de

Die Ausstellungsstationen im Überblick:

Die Zeitgeschichte

Zum Auftakt gibt die Ausstellung einen Überblick über die Meilensteine, die für die Gesellschaft und das Kulturleben in der DDR relevant waren und die die politische Entwicklung widerspiegeln. Die Ereignisse hatten Auswirkungen auf den Alltag der Menschen. Daher beziehen sich viele Briefe an die BBC darauf. Neben der Geschichte der DDR (1949-1990) wird auch die der Sendung Briefe ohne Unterschrift (1949–1974) und die des German Service der BBC (1938–1999) erzählt.

Das Zuhause
Von staatlicher Seite war der Konsum westlicher Medien in der DDR nicht erwünscht. Dennoch wurden diese, sofern sie zu empfangen waren, gehört und gesehen. Neben Unterhaltungsformaten und Musiksendungen boten sie den Hörer*innen auch

politische und kulturelle Informationen – ein wichtiger Beitrag für die kritische Meinungsbildung in der DDR. Beim Hören gingen die Nutzer*innen ein Risiko ein. Insbesondere in den 50er und 60er Jahren ging die Regierung der DDR mit groß angelegter

Propaganda gegen die Nutzung von Westmedien vor. Daher hielt man das private „Westen Hören“ möglichst geheim und sprach auch nicht allzu offenherzig über das Gehörte. Dennoch konsumierten viele Hörer*innen nicht nur, sie wurden auch aktiv und äußerten ihre persönliche Meinung sowie Kritik in anonymen Hörer*innenbriefen. Handschriftlich auf einer Schulheftseite, mit Tinte, Bleistift, auf Luftpostpapier oder maschinengeschrieben: Die unterschiedlichen Briefe spiegelten die Verschiedenheit der Schreiber*innen wider. Viele äußerten den Wunsch nach freier Meinungsäußerung. Dieser war stärker als die Angst vor möglichen Konsequenzen.

Das Studio

Die BBC-Sendung Briefe ohne Unterschrift wurde 1949 erstmals ausgestrahlt. Mit 20 Minuten Sendezeit war sie jeden Freitagabend fester Bestandteil der Nachrichtensendung Programm für Ostdeutschland. Austin Harrison, der die Sendung von 1955 bis zu ihrem Ende 1974 moderierte, kommentierte die anonymen Hörer*innenbriefe. Die Zuhörer*innen bat er, an regelmäßig wechselnde Deckadressen in West-Berlin zu schreiben und keine Angaben zu machen, die Hinweise auf ihre Autor*innenschaft geben könnten. Anhand des Schriftbilds und inhaltlicher Hinweise beriet das Redaktionsteam, ob ein Brief von einer Sprecherin oder einem Sprecher vorgetragen werden sollte. Vorzulesende Textstellen wurden markiert, persönliche Informationen zum Schutz der Schreiber*innen gestrichen oder geschwärzt.

Die Zentrale

Das Ministerium für Staatssicherheit stufte Briefe ohne Unterschrift als Hetzsendung ein, mit der der Westen die „politisch-ideologische Zersetzung der DDR-Bürger“ voranzutreiben versuchte. Entsprechend ging das MfS gegen die Briefeschreiber*innen vor: von Überwachung und Kontrolle über repressive Methoden bis hin zur Strafverfolgung. Um verdächtige Briefe aufzuspüren, nutzte das MfS Methoden wie Anschriften- und Merkmalsfahndung. Anhand der abgefangenen Briefe wurde mit enorm hohem Aufwand nach der Identität der Schreiber*innen gesucht – unter anderem mit Hilfe von Schriftenanalysen und konspirativ beschafften Speichel- und Blutproben. Im Fokus standen nicht nur die Verfasser*innen der Briefe aus der DDR, sondern auch die Mitarbeiter*innen der BBC. Hinter deren Tätigkeiten vermutete das MfS konkrete Spionageabsichten gegenüber der DDR. Dementsprechend wurden das Berliner Büro der BBC wie auch die Bewegungen der Mitarbeiter*innen akribisch überwacht. Insbesondere Moderator Austin Harrison stand unter Beobachtung. Seine Observierung lief unter dem Decknamen „Werfer“; maßgeblicher Informant war der Inoffizielle Mitarbeiter „Carolus Winter“, der minutiös über Harrison berichtete.

Persönlich betrachtet

Was bewegt Menschen dazu, Briefe an die BBC zu schreiben? Welche Folgen kann ihr Handeln haben und wie denken die Briefeschreiber*innen heute darüber? Drei Zeitzeugen erzählen rückblickend von ihren persönlichen Erlebnissen – vom Verfassen der Briefe bis zur Verhaftung. Die aktuelle Sicht der Beteiligten auf die Vergangenheit setzt Fragen der Meinungsfreiheit damals und heute in Bezug zueinander. Fallakten des MfS führen dabei vor Augen, mit welchen Methoden die Stasi gegen die Verfasser*innen vorging. Sie sind heute im Archiv der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einsehbar. Einer der Zeitzeugen ist Karl-Heinz Borchardt aus Greifswald. Als 16-Jähriger schrieb er zum ersten Mal an den „Londoner Rundfunk“. Anlass waren für ihn die politischen Ereignisse um den Prager Frühling in der CSSR im Jahr 1968. Für insgesamt drei abgefangene „Hetzbriefe“ an die BBC wurde Borchardt am 31. August 1970, kurz nach seinem 18. Geburtstag, verhaftet. Nach langen Vernehmungen und sieben Monaten Untersuchungshaft wurde er zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Am  1. September 1971 wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

Das Briefarchiv

Über 25 Jahre schreiben tausende Hörer*innen an die Sendung Briefe ohne Unterschrift. Die Briefe der ersten fünf Sendejahre sind nicht erhalten. Ab 1955 beginnt die BBC, die Zusendungen systematisch zu sammeln und zu archivieren. Heute gewähren rund 40.000

Briefe, Postkarten und ausgeschnittene Zeitungsartikel in der Sammlung des Written Archives Center der BBC sehr persönliche Einblicke zu sehr unterschiedlichen Themen.  Besonders häufig äußerten sich die Schreiber*innen aus der DDR zur schlechten Versorgungslage, drückten ihren Wunsch nach Freiheit aus oder reagierten auf aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse.

Meinungsfreiheit heute

Twitter, YouTube, Facebook & Co. – neben dem Radio gibt es heute weitere Kommunikationswege, um Meinungen und Haltungen in den öffentlichen Raum zu tragen. Viele nutzen die Möglichkeiten des Internets, um ihre persönliche Meinung zu

verschiedenen Themen zu äußern oder auf Missstände aufmerksam zu machen – mitunter mit persönlichen Konsequenzen. Da die Gesetzeslage international variiert und das Verbreiten kritischer Meinung nicht überall erwünscht ist, können die juristischen und gesellschaftlichen Folgen drastisch für die Verfasser*innen sein. Trotzdem setzen sich jeden Tag weltweit Menschen für Meinungsfreiheit ein. Briefe ohne Unterschrift stellt sechs dieser Aktivist*innen vor: Colin Kaepernick, Malala Yousafzai, Deniz Yücel, Raif Badawi, Nadja Tolokonnikowa und Yasaman Aryani. In einem Umfragetool können die Besucher*innen schließlich ihre persönliche Meinung zu der Frage „Wie frei fühle ich mich in meinen Äußerungen?“ reflektieren und sich anonym auf einer Skala verorten.

Digitale Pressemappe

Pressefotos und Infos (Ausstellungstexte etc.) unter www.mfk-berlin.de/pressemappen

Expotizer

briefe-ohne-unterschrift.museumsstiftung.de

Publikation

Das Buch Briefe ohne Unterschrift. Wie eine BBC-Sendung die DDR herausforderte von Susanne Schädlich ist für 19,99 € im Museumsshop erhältlich.

Begleitprogramm
Das geplante Begleitprogramm ist bis auf Weiteres verschoben.

Alle wichtigen Informationen zum Besuch unter www.mfk-berlin.de/besuch

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