Mehr Chancen für Fachkräfte ohne Gesellenbrief

Über 80 Prozent der Unternehmen sind bereit, bei Bedarf auch Menschen ohne Berufsabschluss einzustellen. Dies geht vor allem auf den hohen Grad an Spezialisierung in vielen Betrieben zurück – sowie den grundsätzlich herrschenden Fachkräftemangel. Um die Fähigkeiten dieser‚ Fachkräfte ohne Gesellenbrief sichtbar zu machen und auszubauen, helfen Teilqualifikationen.

Die Mehrheit der Unternehmen benötigt für die anfallenden Tätigkei­ten im Betrieb sowohl teil- als auch vollqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – und beide Gruppen werden ähnlich häufig gesucht. Bei Bedarf würden über 80 Prozent der Un­ternehmen Menschen einstellen, die lediglich in Teilen eines Berufs Kompetenzen haben. Eine repräsentative Arbeitgeberbefragung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung von Ende 2019 zeigt, dass ein hoher Grad an Spezialisierung und Arbeitsteilung in Unternehmen Job­einstiege für Menschen ohne Berufsabschluss ermöglicht. Viele Unternehmen suchen sogar Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die lediglich eines der üblicherweise fünf bis sechs Einsatz­felder eines Berufs beherrschen. Für Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, macht diese Erkenntnis Mut: „Zahlreiche Unternehmen haben sich spezialisiert und suchen Arbeits­kräfte mit spezifischen Fähigkeiten. Dies bietet Chancen für Menschen auch ohne Berufsab­schluss, aber mit nachweisbaren Kompetenzen.“

Teilqualifizierungen ermöglichen flexible Jobeinstiege

Für viele Beschäftigte und Unternehmen ist die Corona-Pandemie eine Herausforderung. Menschen ohne Berufsabschluss, die meist im Niedriglohnsegment tätig sind, sind beson­ders von den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt betroffen. Sie werden in Krisenzeiten schneller arbeitslos und haben es nach der Krise schwerer, eine neue Beschäftigung zu be­kommen. Aus Sicht der befragten Unternehmen sollten diese Einstiege deshalb um flexible Teilqualifizierungen ergänzt werden. „Gerade in und nach der Krise zeigt sich: Das Weiterbil­dungssystem sollte die besonders nachgefragten Teilqualifikationen vermitteln, damit Ge­ringqualifizierte den Berufseinstieg schaffen und schrittweise zu den Fachkräften von morgen werden“, so Dräger.

Teilqualifikation bisher nicht ausreichend sichtbar

Menschen ohne Berufsabschluss können häufig ihre durch Berufserfahrung erworbenen Kompetenzen nicht nachweisen. Über 70 Prozent der befragten Unternehmen fordern, dass diese Kompetenzen sichtbar gemacht werden müssen, um das verborgene Fachkräftepoten­tial zu heben. Darüber hinaus sollten Menschen ohne Berufsabschluss aus Sicht von 82 Pro­zent der Unternehmen eine schrittweise Nachqualifizierung durchlaufen. Ein Weiterbildungs­system, das Teilqualifikationen auf dem Weg zum beruflichen Vollabschluss nutzt und zertifi­ziert, ist somit ein wichtiger Schlüssel zu einem zukunftsfähigen Arbeitsmarkt.

Teilqualifikation als zweiter Weg zum Berufsabschluss

Laut Dräger relativieren die Befunde nicht die Bedeutung eines vollwertigen Berufs­abschlus­ses. Unternehmen, auch dies zeige die Studie, bevorzugen eine breite Ein­satzfähigkeit ihrer Belegschaft. Wenn sie vor der Wahl stehen, nehmen sie gerne Be­werberinnen und Bewer­ber, die mehr als die eigentlich geforderten Kompetenzen mitbringen. Zudem erläutert er: „Berufsabschlüsse sind krisenfest, schützen vor Arbeitslosigkeit und bringen gesellschaftli­che Anerkennung. Teilqualifizierungen sind dazu eine sinnvolle und flexible Ergänzung und eine Chance, einen Berufsabschluss nachzuholen.“

Zusatzinformationen

Die vorliegenden Ergebnisse wurden vom Forschungsinstitut für betriebliche Bildung (f-bb) gGmbH berechnet. Sie basieren auf einer repräsentativen Unternehmensbefragung mit 2907 Interviews im Zeitraum Mai bis September 2019. Die Repräsentativität der Befragungsergeb­nisse für die Grundgesamtheit hinsichtlich der Unternehmensgröße und dem Bundesland wurde durch eine geschichtete Stichprobenziehung und ein Gewichtungsverfahren herge­stellt. Die Befragung wurde als „Computer Assisted Telephone Interviews“ (CATI) und On­linebefragung durch die ForschungsWerk GmbH durchgeführt. Die berufsspezifischen Fra­gen basieren auf den Kompetenzmodellen der 30 MYSKILLS-Berufe, die eine Unterteilung in betriebliche Einsatzfelder ermöglichen.

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