Der europäischen Bankenunion fehlt bisher die dritte Säule: ein gemeinsamer Sicherungsfonds für die Einlagen von SparerInnen bei Banken. Wie eine aktuelle Studie von Ökonomen der Abteilungen Konjunkturpolitik und Makroökonomie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) zeigt, bringt dies im Zuge der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie in Deutschland möglicherweise große Nachteile mit sich: Sollte es durch eine Insolvenzwelle bei Unternehmen zu Kreditausfällen in größerem Ausmaß kommen, wäre die nationale Einlagensicherung möglicherweise bald überfordert. Selbst wenn dann der Fiskus einspränge und alle Einlagen sichern würde, wäre eine europäische Einlagensicherung (EDIS) im untersuchten Szenario im Vergleich die bessere Variante: Mit ihr würde der private Konsum um 20 Prozent weniger und die Kreditvergabe um rund zehn Prozent weniger stark sinken als im Fall einer staatlichen Rettung, die zudem die Staatsverschuldung in die Höhe treibt.
„Eine effiziente europäische Einlagensicherung kann die Folgen von Banken- und Finanzkrisen abmildern“, sagt Stefan Gebauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Konjunkturpolitik am DIW Berlin, der die Studie gemeinsam mit Marius Clemens und Tobias König verfasst hat. „Auch aus deutscher Sicht spricht viel für eine stärkere Risikoteilung im europäischen Bankensystem und damit für eine zügige EDIS-Einführung. Zumal auch die Harmonisierung und Integration der Finanzmärkte in Europa einen guten Schritt vorankäme, was insgesamt die Stabilität erhöhen würde“, so Gebauer.
EDIS-Kompromissvorschlag minimiert Folgen von Bankenkrisen
Ein länderübergreifendes Sicherungssystem für Bankeinlagen ist seit mehreren Jahren ein Streitthema in Europa. Auch von Seiten der Bundesregierung gibt es starke Vorbehalte gegen eine Vergemeinschaftung der Einlagensicherung. Ein Kompromissvorschlag von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zu EDIS vom vergangenen November sieht vor, ein europäisches Rückversicherungssystem zu installieren, das neben den jeweiligen nationalen Einlagensicherungsfonds existiert und erst dann einspringt, wenn diese ausgeschöpft sind. Das entspräche zumindest zunächst nur dem ersten Schritt des ursprünglichen Plans, der letztlich eine vollständige Eingliederung der nationalen Systeme in ein europäisches System beinhaltete.
In ihrer Studie haben die Autoren diesem EDIS-Kompromissvorschlag zwei weitere Szenarien gegenübergestellt: In einem ohne EDIS würde der jeweilige Staat einspringen und die Bankeinlagen retten, wenn die entsprechenden nationalen Einlagensicherungsfonds erschöpft sind. In einem weiteren Szenario gibt es gar keine Absicherung über die nationalen Fonds hinaus – weder vom Staat, noch durch ein europäisches System. Für diese drei Szenarien berechneten Clemens, Gebauer und König die Auswirkungen von Kredit- und Einlagenausfällen in Höhe von – in Anlehnung an jüngste Schätzungen – insgesamt sechs Prozent über ein Jahr, die infolge einer Insolvenzwelle bei Unternehmen entstehen. Unter die Lupe nahmen sie dabei diverse makroökonomische Kennzahlen, etwa das Bruttoinlandsprodukt, den Konsum der privaten Haushalte, die Kreditvergabe und die Staatsverschuldung.
„Eine effiziente europäische Einlagensicherung kann die Folgen von Banken- und Finanzkrisen abmildern. Auch aus deutscher Sicht spricht viel für eine stärkere Risikoteilung im europäischen Bankensystem und damit für eine zügige EDIS-Einführung.“ Stefan Gebauer
Das Ergebnis: Im Szenario mit europäischer Einlagensicherung sinkt der private Konsum zwar ebenfalls, aber um 20 Prozent weniger stark als im Fall, in dem der Staat einspringt. Im Vergleich zum Zeitpunkt vor den Kredit- und Einlagenausfällen entspricht die Konsumreduktion infolge des höheren Ausfallrisikos demnach 0,4 statt 0,5 Prozent. Der Rückgang der Kreditvergabe an Unternehmen kann mit EDIS um immerhin zehn Prozent gedämpft werden und entspricht etwa 1,2 Prozent. Ein markanter Effekt zeigt sich bei der Staatsschuldenquote: Im Falle einer Rettung durch den Fiskus steigt diese im Vorkrisenvergleich um bis zu zwei Prozent, während sie bei einer Absicherung durch die europäische Einlagensicherung kurzfristig sogar sinkt. Stets die schlechteste aller Möglichkeiten ist, die SparerInnen im Stich zu lassen – in diesem Szenario, wenn weder der Staat noch EDIS einspringen, sind die Kosten am größten.
Europäische Einlagensicherung könnte Banken zu höheren Risiken veranlassen
Die Studienergebnisse sprechen für eine zügige Einführung einer europäischen Einlagensicherung – zumal allein schon aufgrund der in der Corona-Krise vorübergehend ausgesetzten Insolvenzmeldepflicht im Herbst mit einem deutlichen Anstieg der Unternehmensinsolvenzen zu rechnen ist. In Deutschland dürften vor allem kleine und mittelständische Firmen betroffen sein. In der Folge könnten unter anderem bei Sparkassen und Volksbanken, die mit solchen Unternehmen einen Großteil ihres Geschäfts machen, Kredite wackeln.
Zu einer überstürzten EDIS-Einführung würden die Studienautoren aber nicht raten. „An gleich mehreren Stellen auf dem Weg zu einer europäischen Einlagensicherung lauern Gefahren und Zielkonflikte“, sagt Marius Clemens. „So ist es denkbar, dass Banken höhere Risiken eingehen, wenn die Einlagen bei ihnen zusätzlich abgesichert sind.“ Studienmitautor Tobias König ergänzt: „Zudem könnte die Realwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen werden, wenn die Geldhäuser ihre gestiegenen Kosten – weil sie in ein weiteres Einlagensicherungssystem einzahlen – bei der Kreditvergabe an die Unternehmen weitergeben.“ Die Belastung für die Banken sollte daher möglichst gering gehalten werden, etwa indem die EDIS-Einzahlungen von den Beiträgen zu nationalen Sicherungssystemen abgezogen werden können. Zudem müssten vorab Lösungen gefunden werden, um eine reibungslose Verknüpfung der teils sehr heterogenen Einlagensicherungssysteme im Euroraum mit EDIS zu gewährleisten.
Das DIW Berlin (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) ist seit 1925 eines der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute in Deutschland. Es erforscht wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Zusammenhänge in gesellschaftlich relevanten Themenfeldern und berät auf dieser Grundlage Politik und Gesellschaft. Das Institut ist national und international vernetzt, stellt weltweit genutzte Forschungsinfrastruktur bereit und fördert den wissenschaftlichen Nachwuchs. Das DIW Berlin ist unabhängig und wird als Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert.
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e.V. (DIW Berlin)
Mohrenstraße 58
10117 Berlin
Telefon: +49 (30) 89789-0
Telefax: +49 (30) 89789-200
http://www.diw.de
Pressestelle
Telefon: +49 (30) 89789-250
Fax: +49 (30) 89789-200
E-Mail: presse@diw.de