Zunächst der Rücktritt: Ohne Corona-Maske kein Portfolio. Bei einem Ausflug ins heimische Irland wurde Außenhandels-Kommissar Phil Hogan ohne Corona-Maske erwischt. Er nahm mit zahlreichen Politiker-Kollegen an einem Abendessen der irischen parlamentarischen Golfvereinigung teil. Stilvoll, doch ohne Maske. In Irland gelten derzeit die mit Abstand restriktivsten Einschränkungen des privaten und des öffentlichen Lebens. Offensichtlich sind die Iren auch strikter bei ihrer Umsetzung als die Belgier. Hogan trat zurück. Jetzt muss die Regierung in Dublin einen Nachfolger ernennen, der dann vom EU-Parlament befragt wird. Mit anderen Worten: Das Tele-Parlament sucht eine neue Maske. Das lässt sich noch machen.
Dann der angebliche Fortschritt: Ein neuer Pakt für Migration und Asyl kündigt sich an. Die „Dublin-Regel“ sieht vor, dass Migranten in dem Mitgliedstaat einen Asylantrag stellen müssen, in dem sie erstmals den Boden der EU betreten. Das ist nicht mehr praktikabel. Eine Reform ist aus praktischen Gründen dringend notwendig, wird jedoch aufgrund politischer Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten immer wieder verschoben. Die EU ist hier sehr weit von ihrem selbstproduzierten Narrativ der Einigkeit entfernt. Nun soll ein Vorschlag Ende September unter dem Titel „Ein neuer Pakt für Migration und Asyl“ vorgelegt werden. Die Wortgleichheit mit dem sehr umstrittenen gleichlautenden Pakt der Vereinten Nationen ist keineswegs zufällig. Eine öffentliche Umfrage der EU-Kommission – weitgehend unbeachtet mitten in Corona-Stillstand und Sommerpause, ohne weitere größere Ankündigung angesichts eines politischen Problems dieses Ausmaßes – brachte knapp 2000 Rückmeldungen von Bürgern und Initiativen zusammen. Sieht so die Beteiligung der Bürger im 500-Millionen Konglomerat aus?
Wichtiger aber als die übliche, elitäre Marginalisierung der Völker bei zukunftsentscheidenden Themen ist der Vorschlag, den die Kommission plant, nämlich einen verpflichtenden Verteilungsmechanismus einzuführen, der jeden einzelnen Mitgliedsstaat zur Aufnahme einer von vornherein festgelegte Anzahl von Migranten verpflichtet. Bislang ist das reine Symbolpolitik, denn die wirklichen Fluchtursachen werden ja auch weiterhin nicht bekämpft. Spannend wird die Haltung der vier Visegrad-Staaten Ungarn, Polen, Slowakei und Tschechische Republik. Die vier halten von Zwangsquoten gar nicht viel. Die Fernsehbilder der Vergangenheit schufen auch kein Vertrauen. Noch im Frühjahr wurden „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ aus Flüchtlingslagern in Griechenland in das Großherzogtum Luxemburg und nach Deutschland ausgeflogen. Im Fernsehen sah man halbstarke Jugendliche in Kapuzenpullovern mit der Aufschrift „All Cops Are Bastards“.
Als ob das nicht schon als kaum lösbares Problem reichte, treten die Brexit-Verhandlungen auf der Stelle. Schlimmer noch: unter den Parteichefs aller drei maßgeblichen Parteien im Vereinigten Königreich sind jetzt keine „Remainer“ mehr, die sich dezidiert für den Verbleib in der EU aussprechen würden. Natürlich gibt es Nuancen. Der Regierungschef und Vorsitzende der konservativen Partei, Boris Johnson, ist weiterhin der Heißsporn für einen Austritt mit oder ohne Vertragsregelungen. Der neue Chef der Sozialdemokraten Keir Stamer und der neue Chef der Liberaldemokraten Ed Davey haben sich mit dem Brexit abgefunden und wollen einfach „das Leben nach dem Brexit“ vorbereiten. Das Leben der politischen Parteien geht ja auch irgendwie weiter. Sicher, die pro-europäische Stimmung eines Teils der britischen Bevölkerung verschwindet gewiss nicht über Nacht, und die massenhaften Anträge für doppelte Staatsbürgerschaften von UK-Bürgern in anderen EU-Mitgliedstaaten zeigen das auch an. Doch die pro-europäische Stimmung hat jetzt kein hochrangiges politisches Führungspersonal im Vereinigten Königreich mehr. Wenn es, wie viele in Brüssel und in Großbritannien immer noch hoffen, eines Tages eine Bewegung gäbe, um dem EU-Block wieder beizutreten, müsste dies wie eine Graswurzelbewegung von Grund auf geschehen. Brüssel würde dieses Pflänzchen ganz gewiss innigst hegen und pflegen. Doch die Realität sieht so aus: es verbleiben gerade mal noch sechs Wochen, um die Verhandlungen abzuschließen. Auf dem Spiel steht vor allem die Frage der gleichen Wettbewerbsbedingungen zwischen dem Festland und der Insel sowie die Fischfangquoten. Der Verhandlungsgrundsatz lautet „Nichts ist beschlossen, solange nicht alles beschlossen ist“, und zwar bis zur nächsten ordentlichen Sitzung der Staats- und Regierungschefs am 15. Oktober in Brüssel, damit die anderen 27 Mitgliedsstaaten vor dem 31. Dezember den Scheidungsvertrag ratifizieren können. Unterdessen bereitet die Kommission eine Notfall-Übergangslösung vor, falls eine Einigung scheitert. Allerdings geschieht das auf ganz leisen Sohlen und im Homeoffice, denn die mögliche Einigung soll ja nicht infrage gestellt werden.
Und wer soll das alles bezahlen? Der nächste Mehrjährige Finanzrahmen der EU, also die ungleiche Umverteilung durch Brüssel der Geldbeträge, die die Mitgliedstaaten zuvor nach Brüssel überweisen, ist die größte Herausforderung in dieser Herbstzeit. Deutschland überweist für den sogenannten „Wiederaufbaufonds“ dreimal mehr, als es zurückbekommt. Der jetzige Finanzrahmen endet am Jahresende. Er muss vom EU-Parlament mitbeschlossen werden. Einfach wird das nicht, denn nie lagen die Forderungen des Parlaments und die Zahlungsbereitschaft der Mitgliedstaaten weiter auseinander. Die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten müssen den Sonderhaushalt von 750 Milliarden Euro ratifizieren. Das geht auch nicht so schnell. Doch das hat auch einen Vorteil: je länger die Prozedur dauert, umso intensiver können sich die Bürger mit den Vor- und Nachteilen des EU-Haushalts auseinandersetzen, Zahlen vergleichen und sich eine eigene Meinung bilden. Wenn denn fair, faktenbasiert und neutral darüber berichtet wird.
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