Auch zur aktuellen Funktion der Myrrhe als moderne Darmarznei lässt sich ein medizinhistorischer Bogen zum religiösen Einsatz spannen: Aufgrund ihrer vielfältigen Symbolik versinnbildlicht Myrrhe auch das Menschliche und Irdische von Jesus – denn sie hatte eine medizinische Wirkung in schmerzstillenden Heilsalben und Kopfschmerzmitteln. Des Weiteren war Myrrhe als Aphrodisiakum und als Räucherwerk in Tempeln im Einsatz. „Myrrhe steht also auch für Jesu Menschlichkeit und sie soll daran erin-nern, dass er die Menschen wahrhaft heilen soll“, Roth. Und genau das soll sie heute im übertragenen Sinne noch immer machen: So wird eine Myrrhe-Kombination mit Kamille und Kaffeekohle bereits seit mehr als 60 Jahren zur unterstützenden Behandlung zahlreicher Magen-Darm-Stö-rungen erfolgreich eingesetzt. Und das nicht nur, weil die Erfahrungsme-dizin ihre gute Wirksamkeit immer wieder aufs Neue bestätigt – sondern auch, da die wissenschaftliche Datenlage eine gute Wirkung und Sicher-heit zeigt.
Myrrhe stabilisiert die Darmbarriere
So bestätigte im Juli 2020 eine deutsche Studie[1], wie die pflanzliche Arz-neimittelkombination mit Myrrhe auf mehrfache Weise bei Magen-Darm-Erkrankungen hilft – bei ihren Untersuchungen an der Universität Leipzig stellten die Forscher folgendes fest: Die Arzneipflanzen wirken sowohl ein-zeln als auch in Kombination gegen Entzündungen im Darm. Myrrhe und Kaffeekohle stabilisieren darüber hinaus auch die Darmbarriere – letzte-res wurde für Myrrhe bereits in einer Studie an der Berliner Charité be-legt[2]. Diese stabilisierende Wirkung auf die Darmbarriere ist auch von besonderer Bedeutung, wenn Patienten Probiotika einnehmen, denn: Die zugeführten Bakterien können nur bei intakter Darmschutzschicht ihre optimale Wirkung entfalten. „Daher sollte besonders bei chronischen Darmpatienten vor jeder Probiotikatherapie beim Therapeuten unter-sucht werden, ob die Darmbarriere gesund, also dicht ist. Und wenn nicht, sollte vor der Probiotikatherapie erstmal die Darmwand stabilisiert werden – und idealerweise auch währenddessen, um den Bakterien ein vernünftiges Fundament anzubieten, auf dem sie sich ansiedeln und ihre Wirkung ausüben können“, erklärt Gastroenterologin Bregenzer.
Wirkung wissenschaftlich belegt
Weitere Untersuchungen an deutschen Universitäten zeigten, dass die Bestandteile der Myrrhe-Arznei auch entzündungshemmende[3-6] und entkrampfende Wirkungen aufzeigen[4,7]. Eine Beobachtungsstudie mit mehr als 1.000 Patienten ergab zudem, dass die unterstützende Behand-lung mit der Phytoarznei zur Besserung des Gesamtbeschwerdebilds bei Reizdarm sowie chronisch- und akut-entzündlichen Darmerkrankungen führte[8]. Eine weitere Studie an den Kliniken Essen-Mitte belegte, dass die Pflanzenkombination bei Colitis ulcerosa zur Erhaltung der beschwerde-freien Phase (Remission) vergleichbar wirksam war wie die Therapie mit dem chemischen Standardmedikament Mesalazin[9]. Seit Mai 2018 emp-fiehlt auch die für Ärzte wichtige S3-Leitlinie Colitis ulcerosa: „Eine Kombi-nation aus Myrrhe, Kamillenblütenextrakt und Kaffeekohle kann zur Ver-längerung der Remission eingesetzt werden.“[10]
Myrrhe: Seit tausenden Jahren als Arzneipflanze bewährt
Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse der „Neuzeit“ lassen erahnen, wa-rum Myrrhe auch als Arzneipflanze schon früh verwendet wurde: Seit dem 5. Jahrhundert vor Christus wurde sie von den Griechen zur Wund-behandlung, bei chronischem Husten, Asthma und Entzündungen der Mundhöhle eingesetzt. Arabische Ärzte legten dann um 1.000 nach Christus den Schwerpunkt der Anwendungen auf den Magen-Darm-Be-reich, was auch von europäischen Ärzten des Mittelalters übernommen wurde. Auch die berühmteste deutsche Kräuterkundige Hildegard von Bingen konstatierte im 12. Jahrhundert: „Myrrhe … verjagt alles Windige, und der Teufel verabscheut sie, weil ihre Natur nicht verderbt werden kann.“ Die verschiedenen Verwendungsmöglichkeiten der Myrrhe wur-den bis ins 20. Jahrhundert fortgeführt – die genauen Wirkmechanismen waren, wie bei vielen pflanzlichen Mitteln, jedoch lange nicht bekannt. Das hat sich inzwischen durch die intensive Erforschung besonders im ver-gangenen Jahrzehnt grundlegend geändert. „Die Mediziner heute wis-sen, was die Therapeuten damals nur erahnen konnten – nämlich warum Myrrhe-Arzneimittel ihren Darmpatienten wirkungsvoll helfen“, so Roth.
WEITERFÜHRENDE INFOS:
„Myrrhe ist wertvoller als Weihrauch“
Das → Interview mit dem Kirchenhistoriker Dr. theol. Ulf Lückel, Leibniz Universität Hannover liefert weitere interessante und überraschende Einblicke in die ver-schiedenen Rollen der Myrrhe im Leben Jesu
„Myrrhe – bewährt bei Darmerkrankungen“
Schnell und kompakt informiert der medizinische → Myrrhe-Informationsfilm für Journalisten mit Dr. med. Rainer Stange, Charité – Universitätsmedizin Berlin.
„Medizinhistorie der mystischen Myrrhe“
Einen umfangreicher Beitrag zum Einsatz der „mystischen Myrrhe“ in den ver-schiedenen Epochen der Menschheit können Sie → hier lesen.
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