Das börsennotierte Unternehmen Gamestop, eine Einzelhandelskette für Videospiele, ist mit seinem Geschäftsmodell durch den wachsenden Online-Handel und konkurrierende digitale Angebote in Bedrängnis geraten. Die Corona-Pandemie hat den Trend zur Digitalisierung noch einmal verstärkt und den Druck auf Gamestop dadurch weiter erhöht. Hedgefonds haben dies zum Anlass genommen, auf fallende Kurse zu setzen und eine Preiskorrektur durch sogenannte Leerverkäufe herbeiführen zu wollen.
Was sind Leerverkäufe?
Leerverkäufe sind regulierte Finanzgeschäfte, bei denen der Leerverkäufer Aktien von Dritten gegen eine (Leih-)Gebühr erhält und sich zugleich verpflichtet, dieselbe Anzahl an Aktien nach einem bestimmten Zeitraum wieder zurückzugeben. In der Zwischenzeit verkauft der Leerverkäufer die erhaltenen Aktien und erhöht das Angebot am Markt. Auf einem funktionierenden Markt sinkt der Preis angebotener Aktien, sobald das Angebot die Nachfrage übersteigt. Den sinkenden Preis können weitere Anleger zum Anlass nehmen, ihre Anlage in diese Aktie zu überprüfen und ebenfalls zu veräußern, was weitere Kursrückgänge zur Folge hätte. Ziel des Leerverkäufers ist es, sich zu einem dann niedrigeren Preis mit den vorher verkauften Aktien einzudecken, um seine Lieferverpflichtung zu erfüllen. Der Gewinn des Leerverkäufers liegt in der Differenz zwischen dem Verkaufs- und Einkaufspreis der Aktien abzüglich Transaktionskosten und gegebenenfalls Steuern.
Auf dem sozialen Netzwerk Reddit tauschen sich Nutzer unter dem Subreddit „wallstreetbets“ über den Aktien- und Optionshandel aus. Da Leerverkaufspositionen in den meisten Staaten veröffentlicht werden müssen, haben sie die Leerverkäufe verschiedener Hedgefonds im Fall „Gamestop“ registriert und zum Anlass genommen, über ein mögliches Short-Squeeze-Szenario zu diskutieren. Die Reddit-Kleinanleger verständigten sich darauf, dieses Szenario zu nutzen, indem sie zu Tausenden die frei verfügbaren Aktien von Gamestop kauften und so die Nachfrage erhöhten. Tatsächlich ist der Kurs der Gamestop-Aktie dadurch zeitweilig um ein Vielfaches in die Höhe getrieben worden, ehe er später wieder drastisch eingebrochen ist.
Was ist ein Short-Squeeze?
Unter einem Short-Squeeze versteht man ein Finanzmarkt-Szenario, bei dem die Nachfrage das Angebot (bestimmter Aktien) deutlich übersteigt und somit zu einem drastischen Anstieg des Preises führt. Zu einem solchen Szenario kann es kommen, wenn Leerverkäufer sich mit sehr vielen Aktien eindecken müssen, um ihre Rückgabeverpflichtung einzuhalten, und zugleich das Angebot an verfügbaren Aktien sehr gering ist. Dann kann sich der Preis einer Aktie in kürzester Zeit vervielfachen. In einem Short-Squeeze steigt der Preis der Aktie noch stärker, wenn sich die Leerverkäufer frühzeitig mit diesen Aktien eindecken und so die Nachfrage noch weiter erhöhen, um Verluste zu begrenzen. Solche Käufe tätigen Leerverkäufer, wenn – anders als von ihnen erwartet – der Kurs der Aktie, die sie leerverkauft haben, nicht sinkt, sondern steigt (in diesem Fall wegen der Nachfrage durch die „Reddit-Anleger“).
Wie konnte es überhaupt zu dieser konzertierten Aktion von Kleinanlegern kommen? Online-Trading-Plattformen (beispielsweise Robinhood) erleichtern Anlegern den Zugang zum Markt, indem sie den Aktien- und Optionshandel auf dem Smartphone ermöglichen. Der Zugang ist möglichst einfach und teilweise sehr spielerisch gestaltet (Gamification). Hinzu kommt, dass die Transaktionskosten für Anleger auf Online-Trading-Plattformen vergleichsweise niedrig ausfallen, in den USA können Anleger teilweise ohne Entgelte Finanzinstrumente handeln.
Was ist Gamification?
Gamification beschreibt die Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge. Gamification wird oft mit dem Ziel angewendet, das Verhalten der Anwender zu verändern und die Motivation zu steigern, sich mit spielfremden Inhalten auseinanderzusetzen. Im Zusammenhang mit Online-Trading Plattformen setzt die spielerische Handhabung Anreize für Anleger, vermehrt über diese zu handeln.
Über die Beweggründe der Reddit-Anleger wird derzeit viel spekuliert. Einige interpretieren das konzertierte Vorgehen als „Aufstand der Kleinanleger“ und als versuchten Schlag gegen die Wallstreet, erkennen darin zum Teil gar die Absicht, Reichtum umverteilen zu wollen. Andere schauen eher auf die Resultate und konstatieren, dass die Unwissenheit vieler Anleger, die der Reddit-Herde folgten, von einigen wenigen Anlegern, die die Bewegung initiiert hatten, ausgenutzt wurde.
Das Ergebnis: Einzelne Hedgefonds, die Gamestop-Aktien leerverkauften, haben hohe Verluste eingefahren. Jene Hedgefonds hingegen, die auf eine Erholung setzten, sowie die wenigen Anleger, die frühzeitig die Aktien kauften und zum richtigen Zeitpunkt verkauften, haben große Gewinne erzielt. Viele kleinere Anleger klagen auf wallstreetbets über ihre empfindlichen Verluste.
Die Preisentwicklung am Kapitalmarkt kurz erklärt:
Die Verarbeitung von Informationen spielt für die Preisentwicklung an den Kapitalmärkten eine bedeutende Rolle. Durch eine unterschiedliche Informationslage und eine anderweitige Gewichtung der vorhandenen Informationen können die Preisvorstellungen unter Marktteilnehmern differieren. Erkennen Marktteilnehmer eine Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Marktpreis und dem von ihnen als fair und realistisch angesehenen Preis, können sie durch ihr Handeln am Markt zu einer Annäherung an den von ihnen als angemessen eingestuften Preis beitragen. Ist beispielsweise der Wert einer Aktie aus Sicht eines Marktteilnehmers unterbewertet, so kann er sich dazu entscheiden, diese Aktie zu kaufen. Hierdurch steigt die Nachfrage nach der Aktie; der Preis der Aktie steigt – jedenfalls dann, wenn er eine ausreichend große Zahl an Aktien kauft oder andere Marktteilnehmer ebenfalls kaufen. Den Preis von überbewerteten Aktien können hingegen nur diejenigen Marktteilnehmer korrigieren, die über die Aktien verfügen. Deswegen ist der Leerverkauf ein Instrument der Preiskorrektur für diejenigen Marktteilnehmer, die derzeit keine Aktien haben.Vier Dinge, die Anleger berücksichtigen sollten:
1. Anleger sollten sich den Unterschied zwischen Investitionen und Spekulationen vor Augen führen.
Eine Investition zeichnet sich dadurch aus, dass die finanziellen Mittel meist längerfristig und mit dem Ziel angelegt werden, Erträge zu erwirtschaften. Diese Erträge können in Form regelmäßiger Zahlungen (z.B. Dividenden, Annuitätszahlungen etc.) erzielt werden oder aus Preisdifferenzen resultieren, wenn die Anlagewerte schließlich doch veräußert werden. Die Entscheidung zur Investition sollte erfolgen, nachdem alle für die Preisfindung relevanten Informationen berücksichtigt wurden. Ein Ansatz dabei kann sein, die langfristige Rentabilität eines Unternehmens und seine Fähigkeit, in einem schwierigen wirtschaftlichen Umfeld wettbewerbsfähig zu sein, im Auge zu behalten.
Spekulationen sind hingegen meist kurzfristiger Natur und zielen entsprechend darauf ab, von kurzfristigen Preisunterschieden zu profitieren. Da kurzfristige Trends selbst für professionelle Anleger nur sehr schwer vorhersehbar sind, ist von Spekulationen für Privatanleger abzuraten.
2. Die Teilnahme an „Finanzmarkt-Flashmobs“ birgt große finanzielle Risiken.
Auf wallstreetbets klagen derzeit viele Anleger über herbe Verluste aus ihrem Engagement in Gamestop-Aktien, auch weil sie zu spät ein- und wieder ausgestiegen sind und so einen Großteil ihres eingesetzten Geldes verloren haben. Wichtig deswegen: Anleger sollten sich durch hohe Gewinne einiger Weniger nicht blenden lassen!
Hinzu kam: Einige Trading-Plattformen hatten den Handel bestimmter Werte, u.a. von Gamestop, zeitweilig ausgesetzt. Auch sind aufgrund der hohen Zugriffszahlen vermehrt technische Störungen aufgetreten – mit dem Ergebnis, dass Nutzer solcher Online-Trading-Plattformen in entscheidenden Augenblicken (zum Höchststand der Aktie) nicht handeln konnten.
3. Die Teilnahme an „Verabredungen“ birgt auch große rechtliche Risiken.
Einigen sich Anleger auf eine einheitliche Handlungsweise am Finanzmarkt ohne Rücksicht auf den Preisfindungsmechanismus, kann dies rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Derzeit wird von den Aufsichtsbehörden geprüft, ob im Fall „Gamestop“ eine verbotene Marktmanipulation vorliegen könnte.
4. Anleger sollten sich der Anreize zu häufigerem Handeln bei der Nutzung von Online-Trading-Plattformen bewusst werden.
Auch wenn Online-Trading-Apps das Tätigen von Finanzgeschäften erleichtern, so sollten Anleger weiterhin verantwortungsbewusst mit ihrem Geld umgehen. Problematisch ist, dass solche Apps zum spielerischen Handeln anregen und so dazu verleiten, über das angemessene Maß hinaus zu spekulieren. Solche Spekulationen können leicht Verluste für die Anleger nach sich ziehen. Anleger sollten sich diesen Effekt bewusst machen und sich gegen eine solche (ungewollte) Verhaltensbeeinflussung wappnen.
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