„Das Golfstrom-System funktioniert wie ein riesiges Förderband, das warmes Oberflächenwasser vom Äquator nach Norden transportiert und kaltes, salzarmes Tiefenwasser zurück in den Süden schickt. Es bewegt fast 20 Millionen Kubikmeter Wasser pro Sekunde, etwa das Hundertfache des Amazonasstroms“, erklärt Stefan Rahmstorf, Forscher am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK und Initiator der Studie, die in Nature Geoscience veröffentlicht wurde. Frühere Studien von Rahmstorf und KollegInnen zeigten eine Verlangsamung der Meeresströmung um etwa 15 Prozent seit Mitte des 20. Jahrhunderts und brachten dies mit der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung in Verbindung. Ein belastbares Bild über die langfristige Entwicklung fehlte jedoch bisher – das liefern die Forscher mit ihrer Übersichtsstudie, welche die Ergebnisse bisheriger Proxy-Daten-Studien vergleicht.
„Wir haben zum ersten Mal eine Reihe von früheren Studien kombiniert und festgestellt, dass sie ein konsistentes Bild der AMOC Entwicklung über die letzten 1600 Jahre liefern“, so Rahmstorf. „Die Studienergebnisse legen nahe, dass die AMOC Strömung bis zum späten 19. Jahrhundert relativ stabil war. Mit dem Ende der kleinen Eiszeit um 1850 begann die Meeresströmung schwächer zu werden, wobei seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein zweiter, noch drastischerer Rückgang folgte.“ Bereits im Sonderbericht über den Ozean des Weltklimarats (IPCC) von 2019 wurde mit mittlerem Vertrauensniveau zudem geschlussfolgert, ‘dass die atlantische meridionale Umwälzströmung im Vergleich zu 1850-1900 schwächer geworden ist.’ „Die neue Studie liefert weitere unabhängige Belege für diese Schlussfolgerung und stellt sie in einen längerfristigen paläoklimatischen Kontext“, so Rahmstorf weiter.
Von Temperatur zu Strömungsgeschwindigkeit: Die Kunst, Klimaveränderungen in der Vergangenheit zu rekonstruieren
Da langfristige direkte AMOC-Messungen erst seit 2004 durchgeführt werden, wendeten die Forscher einen indirekten Ansatz an. Sogenannte Proxydaten halfen ihnen dabei, mehr über die langfristige Entwicklung der AMOC herauszufinden. Diese Zeugen der Vergangenheit werden aus natürlichen Umweltarchiven gewonnen, wie zum Beispiel Baumringen, Eisbohrkernen, Ozeansedimenten und Korallen sowie aus historischen Daten, z.B. Schiffslogbüchern.
„Wir haben eine Kombination aus drei verschiedenen Datentypen verwendet, um Informationen über die Ozeanströmungen zu erhalten: die Temperaturänderungen im Atlantik, die Verteilung der Wassermassen und die Korngrößen der Tiefsee-Sedimente, wobei die einzelnen Archive von 100 bis ca. 1600 Jahre zurückreichen. Während einzelne Proxydaten bei der Darstellung der AMOC-Entwicklung unvollkommen sind, ergab die Kombination aller drei ein robustes Bild der Umwälzzirkulation“, erklärt Levke Caesar, Teil des Irish Climate Analysis and Research Units an der Maynooth University und Gastwissenschaftlerin am PIK.
Proxy-Datensätze sind im Allgemeinen mit Unsicherheiten behaftet. Diese berücksichtigte die Statistikerin Niamh Cahill von der Maynooth University in Irland bei ihren Tests der Robustheit der Ergebnisse. Sie fand heraus, dass in 9 der 11 betrachteten Datensätze die moderne AMOC-Schwächung statistisch signifikant ist: „Wenn wir annehmen, dass die mit den Proxy-Datensätzen gemessenen Prozesse Änderungen in der Strömung widerspiegeln, liefern sie ein konsistentes Bild – und das trotz der Tatsache, dass die Daten an unterschiedlichen Orten aufgenommen wurden und verschiedene Zeitskalen repräsentieren. Die Abschwächung der Strömung ist seit mehr als 1000 Jahren beispiellos”, so Cahill.
Warum schwächelt AMOC?
Eine Verlangsamung der Zirkulation wird von Klimamodellen seit langem als Reaktion auf die durch Treibhausgase verursachte globale Erwärmung vorhergesagt – und einer Reihe von Studien zufolge ist dies wahrscheinlich der Grund für die beobachtete Abschwächung. Die atlantische Umwälzung wird durch die von Wissenschaftlern bezeichnete Tiefenkonvektion angetrieben, verursacht durch die Dichteunterschiede im Ozean: Warmes und salzhaltiges Oberflächenwasser bewegt sich von Süden nach Norden, wobei es abkühlt und dadurch dichter wird. Wenn es schwer genug ist, sinkt das Wasser in tiefere Ozeanschichten ab und fließt zurück in den Süden. Die globale Erwärmung stört diesen Mechanismus: Durch vermehrte Niederschläge und das verstärkte Abschmelzen des grönländischen Eisschildes wird dem nördlichen Atlantik Süßwasser zugeführt. Dadurch sinkt dort der Salzgehalt und damit die Dichte des Wassers, was das Absinken hemmt und so die Strömung der AMOC Zirkulation schwächt.
Die Abschwächung wird auch mit einer einzigartigen deutlichen Abkühlung des nördlichen Atlantiks in den letzten hundert Jahren in Verbindung gebracht. Diese sogenannte „Kälteblase" wurde von Klimamodellen als Folge einer sich abschwächenden AMOC vorhergesagt, welche weniger Wärme in diese Region transportiert.
Die Folgen der AMOC-Abschwächung könnten für die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks vielfältig sein, wie Levke Caesar erklärt: „Die nordwärts fließende Oberflächenströmung der AMOC führt zu einer Ablenkung von Wassermassen nach rechts, weg von der US-Ostküste. Dies ist auf die Erdrotation zurückzuführen, die bewegte Objekte wie Strömungen auf der Nordhalbkugel nach rechts und auf der Südhalbkugel nach links ablenkt. Wenn sich die Strömung verlangsamt, schwächt sich dieser Effekt ab und es kann sich mehr Wasser an der US-Ostküste aufstauen. Das kann zu einem verstärkten Meeresspiegelanstieg führen.“ In Europa könnte eine Verlangsamung der AMOC zu mehr extremen Wetterereignissen führen, z.B. durch eine Veränderung der Zugbahn sowie mögliche Verstärkung von Winterstürmen über dem Atlantik. Andere Studien nennen extreme Hitzewellen oder eine Abnahme der Sommerniederschläge als mögliche Folgen. Wie genau sich weitere Konsequenzen gestalten, ist Gegenstand der aktuellen Forschung; die Wissenschaftler wollen auch im Detail klären, welche Teile der AMOC sich wie und aus welchen Gründen verändert haben.
„Wenn wir die globale Erwärmung auch künftig vorantreiben, wird sich das Golfstrom-System weiter abschwächen – um 34 bis 45 Prozent bis 2100, gemäß der neuesten Generation von Klimamodellen“, folgert Rahmstorf. „Das könnte uns gefährlich nahe an den Kipppunkt bringen, an dem die Strömung instabil wird.“
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