Heftig überrascht wird ein Dieb in dem Kriminalroman „Das grüne Gespenst“ von Heiner Rank.
Und noch ein Gespenst. Gleich drei Kriminalgeschichten aus dem alten Russland präsentiert Übersetzerin Aljonna Möckel in dem von ihr herausgegeben und übersetzten Band „Das Gespenst in der Ingenieurburg. Drei mörderische Geschichten aus dem Zarenreich“.
Auf ein erholsames Wochenende hatte sich der bekannte Kriminalschriftsteller Harold Wright in dem Kriminalroman „Prequel in Scharlachrot“ von Tim Burgmer gefreut. Doch dann …
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und da hat die Literatur schon immer ein gewichtiges Wort mitzureden und heute erst recht. Die heute vorgestellt Biographie erinnert nicht zuletzt mit den Schrecken eines Krieges, an die man sich nach einer gewissen Dauer scheinbar sogar gewöhnen kann, die aber dennoch unmenschlich sind und bleiben und daher energisch und mit allen Mittel zu verhindern sind. Zugleich präsentiert das Buch eine ziemlich ungewöhnliche Lebensgeschichte.
Erstmals 2015 veröffentlichte Wolfgang Rodewald im Verlag Die Furt „Loses Maul – Karierte Zeiten. Vom Hilfsarbeiter zum Staatsanwalt und zurück“: Wolfgang Rodewald wurde 1930 in Frankfurt (Oder) geboren. Im Rückblick schreibt er von drei Sozialisationen, die er erlebt hat, und seinem preußischen Grundcharakter. Von den vielen Tätigkeiten, die er im Laufe seines Lebens ausgeübt hat, waren manche abenteuerlich, und einige fast unglaublich. Als Staatsanwalt war er anfangs erfolgreich. Aber seine Karriere als Kreisstaatsanwalt brach nach einer politischen Aktivität, die ins Auge ging, jäh ab. Danach arbeitete er 25 Jahre lang als Wirtschaftsjurist in Schwedt, seiner Wahlheimat. Im wiedervereinigten Deutschland war er weitere fünf Jahre bis zum Renteneintritt als Verwaltungsjurist tätig. Wolfgang Rodewald ist seit 62 Jahren glücklich verheiratet und lebt nach wie vor in Schwedt an der Oder. Hier ein Rückblick in die frühe Jugend des Autors, die nicht zuletzt von den alltäglichen Schrecken des Krieges geprägt war. Und das nicht nur an der Front:
„Schlimme Lehrjahre
Die Lehrzeit bei meinem Vater ließ sich recht gut an. Meine Mutter hatte für mich, obwohl das letzte Kriegsjahr fast erreicht war, Malerbekleidung auftreiben können, und so fuhr ich am 1. April 1944 zusammen mit meinem Vater auf unseren Fahrrädern erwartungsvoll in die Gegend des „Langen Grundes“ zu meiner ersten Arbeitsstelle. Meinem Vater waren nur noch zwei Gesellen geblieben, ein sehr alter, Herbert Bernsee, und Werner Schulz, der wegen Lungentuberkulose vom Wehrdienst befreit war. Ich war der einzige Lehrling. Die Arbeitsstelle Langer Grund hatte ihre Ursache in dem einzigen Luftangriff, den Frankfurt (Oder) erlebt hatte. In einer Nacht des vorangegangenen Februars waren vier oder fünf einzelne Bombenflugzeuge quer über die Stadt hinweggeflogen und hatten ihre tödliche Last, Bombe um Bombe, abgeladen. Waren die Bahnanlagen das Ziel gewesen, so hatte es der Angriff gründlich verfehlt. Aber er hinterließ eine Spur der Zerstörung und forderte 58 Menschenleben.
Die ersten Bomben waren am Langen Grund eingeschlagen, gottlob zwar nur in die Gärten, aber mit Folgen an und in den umliegenden Häusern. Mein Vater hatte den Auftrag erhalten, die Wand- und Deckenrisse, nachdem Maurer sie verschlossen hatten, nun mit Farbe möglichst unsichtbar zu machen. Daran arbeitete Werner Schulz, ein hagerer sportlicher Mensch, undenkbar ohne sein Rennrad, seine Knickerbockerhosen, karierten Kniestrümpfen und Sportschuhe. Natürlich passte es ihm zuerst nicht, dass ihm der Sohn des Meisters beigegeben wurde, aber nachdem er meine Anstelligkeit und Arbeitsfreude kennengelernt und meine Verschwiegenheit erprobt hatte, wurden wir gute Partner.
Fliegeralarm gab es nun auch am Tage mehrmals in der Woche. Ich erinnere mich an einen Sonntagvormittag, als ich mit meiner Mutter in unserem mit Balken notdürftig abgestützten Keller saß. Mein Vater, der sich fast immer draußen aufhielt, kam herunter und sagte zu mir: „Komm mit, das musst du dir ansehen! Sie sind schon über unserem Haus weg. Es kann nichts mehr passieren.“ Wirklich, das musste man einmal gesehen haben. Drei starke Bomberströme, aus verschiedenen Richtungen kommend, zusammen vielleicht tausend viermotorige Flugzeuge, hatten sich über Frankfurt (Oder) vereinigt und flogen nun unter ohrenbetäubendem Dröhnen und den Himmel mit ihren Kondensstreifen fast ganz ausfüllend, nach Westen. Mein Vater legte seinen Arm auf meine Schulter. „Das trifft Fürstenwalde, Erkner oder Berlin. Gott sei den armen Menschen gnädig!“
Die Wochen und Monate bei Werner Schulz im Langen Grund vergingen wie im Fluge. Wenn auch die ständigen Reparaturen von einer gewissen Gleichförmigkeit waren, so gab es doch dabei sehr viel zu lernen. Ich lernte die Zubereitung und die Handhabung von Gipsmörtel ebenso wie das Mischen von Leim- und Ölfarben und das Befestigen gerissener Tapeten. Meist wurden die Küchen vollkommen neu gestrichen. Uralte Fettverfärbungen an der Decke über den Herden und Wasserflecken daneben im Schornsteinbereich mussten dabei gemeistert werden.
Bald stand der Winter vor der Tür. Von Osten her näherte sich mit unheimlicher Lautlosigkeit die Front. Längst kämpften sich die sowjetischen Truppen auf deutschem Gebiet gegen Berlin vor. Östlich der Oder sammelten sie sich zum letzten, vernichtenden Angriff. Im Januar 1945 wurde bekannt, dass Frankfurt zur Festung erklärt und die gesamte zivile Bevölkerung evakuiert werden sollte. Mein Vater, jetzt 57 Jahre alt und seit Stalingrad kränkelnd und nur noch ein Schatten seiner selbst, hatte die Einberufung zum Volkssturm erhalten. Er musste in Frankfurt bleiben. An einem Wochenende sägten und gruben wir unter der Veranda unseres Häuschens ein Versteck und verbargen dort, durch den Linoleumbelag gut getarnt, einige der wenigen Habseligkeiten unserer Familie: die Dokumentenkassette, die Schreibmaschine, den Teppich, Geschirr und Bestecke. An diesem Tage wanderten auch das Hitlerbild, die Nazifahne und meine HJ-Uniform in den Ofen.
Die Frankfurter Bevölkerung wurde in mehreren Schüben in Personenzügen evakuiert. Am Abend des 4. Februar 1945 hatten meine Mutter und ich uns auf dem Güterbahnhof einzufinden. Über uns orgelten pausenlos die Geschosse der über die Oder schießenden 10,5 cm-Geschütze durch das Dunkel, das vom Krachen durchdröhnt und von den Abschüssen wie von Blitzen erhellt wurde. Wir fanden Platz in einem der Züge. Wohin die Fahrt ging, konnte niemand sagen. An diesem Abend sah ich meinen Vater zum letzten Mal in meinem Leben. Ich werde sein von Tränen nasses eingefallenes Gesicht, als er, vom abgedunkelten Abteillicht fahl beleuchtet, noch einige Schritte neben dem anrollenden Zug herlief, nie vergessen.
Nach vielen Stunden meist ziemlich langsamer Fahrt hielt der Zug in Neuruppin. Alle wurden zum Aussteigen aufgefordert und zu einem großen Gaststättensaal geführt, in den man nach und nach Stroh und Decken brachte. Es schien, als sei die Stadtverwaltung von Neuruppin nicht darüber informiert gewesen, dass die Stadt fünfhundert Evakuierte aufzunehmen hatte. In dem Saal – auch andere Säle und Turnhallen waren zu Notunterkünften umgewandelt worden – mussten wir drei Tage und Nächte in einem immer größer werdenden unbeschreiblichen Chaos zubringen, bis die Stadtverwaltung die Zwangseinweisung in Privatquartiere organisiert hatte. Meine Mutter, schmutzig und heruntergekommen, wie ich sie nie vorher gesehen hatte, und ich (sicher selbst auch nicht besser aussehend) meldeten uns bei einem älteren beinamputierten Fräulein Hagenow, das uns mit unerwarteter, humorvoller Freundlichkeit in ihre kleine Wohnung aufnahm. Sie behielt ihre Freundlichkeit bis zu unserem Abschied bei, und meine Mutter besuchte sie später noch mehrmals als ihre dankbare jüngere Freundin.
Der Neuruppiner Malermeister Rochow war so freundlich, mir die Fortsetzung meiner Lehre zu ermöglichen. Er gab mich dem spanischen Fremdarbeiter Ernesto als Helfer bei, der Dachböden brandschutzhalber mit Kalkbrühe zu spritzen hatte. Eine sehr schmutzige Arbeit hatten wir da zu verrichten, aber wir vertrieben uns laut pfeifend die Zeit, wobei wir „La Paloma“ und „Granada“ bevorzugten.
Auf das Luftalarmheulen der Sirenen reagierten die Neuruppiner längst nicht mehr. Sie waren seit Jahren gewohnt, von den Berlin, Oranienburg oder Potsdam anfliegenden Bomberströmen unbehelligt überflogen zu werden. An einem sonnigen Apriltag beobachteten Ernesto und ich aus einem Dachfenster heraus wieder einmal die hoch heranfliegenden dröhnenden Bomberpulks, als uns ein niedriger fliegender Verband von etwa einhundert Flugzeugen auffiel. Dicht herangekommen, sahen wir plötzlich schwarze Punkte unter den Flugzeugen. „Bomba!“, schrie Ernesto, und von Todesangst gehetzt stürzten wir, schon von dem Tosen und Krachen der niedergehenden Bomben begleitet, die Treppen hinunter in den Keller.“ Und damit zu den ausführlicheren Sonderangeboten dieses Newsletters.
Erst vor wenigen Tagen veröffentlichte Arno Weger als Eigenproduktion der EDITION digital sowohl als gedruckte Ausgabe wie auch als E-Book seinen spannenden Krimimalroman „Eine Ansichtskarte aus Frankfurt“: Was mit einer Vermisstenanzeige in der ländlichen Idylle beginnt, das wird für Polizeikommandant Holzer und Hauptkommissar Krantz bald zu einer atemberaubenden Jagd durch ein verlorenes Paradies. Missbrauch, Mord und moralische Makel machen weder vor der scheinbar so friedlichen Dorfgesellschaft noch vor der Kirche halt und lassen den Polizeialltag für die ermittelnden Beamten zu einem lebensgefährlichen Abenteuer werden. Anfangs aber scheint nichts auf ein Verbrechen hinzudeuten. Zu Beginn des zweiten Kapitels erleben wir Klara, die beim Einkaufen unterwegs ist und ein nicht sehr angenehmes Gespräch führt:
„Das harte metallische Anschlagen der Glocke am Türblatt schreckte Klara aus den Gedanken, als sie das Kaufhaus der Familie Binder betrat. Es war einer jener wenigen Krämerläden, die sich erfolgreich gegen das Kaufhaussterben im ländlichen Bereich stemmten. Mit dem Direktverkauf von Lebensmitteln, die in der Umgebung hergestellt wurden, konnten sie sich gegen die Supermärkte und Lebensmittelketten behaupten. Auch der Tourismus hatte dazu beigetragen, das Geschäft für Spezialitäten aus der Region einigermaßen bekannt zu machen.
„Servus, Klara. Pünktlich wie jeden Monat. Wie geht’s so?“
„Ja, gut. Danke der Nachfrage.“
„Du, ich hab unlängst deine Franziska gesehen. Die hat sich aber entwickelt. Eine richtig junge Frau ist sie geworden. Da werden die Männer aber Schlange stehen.“
„Sie ist jetzt auch schon bald siebzehn. Da ist das normal.“
„Meine Anne hat da noch nichts im Sinn. Die interessiert sich noch nicht fürs andere Geschlecht. Da ist sie wirklich noch brav.“
„Das wird sie dir auf die Nase binden, wenn ihr ein Mannsbild gefällt. Ich jedenfalls habe meiner Großmutter nie etwas davon erzählt.“
„Das glaube ich nicht, Anne würde mir alles erzählen.“
„Wenn du dich da nicht irrst.“
„Du, hat der Martin noch einmal mit dir gesprochen?“
„Nein. Das ist auch nicht notwendig, da gibt es nichts mehr zu besprechen.“
„Du wirst schon wissen, was du tust.“
Maria wandte sich zur Ladenkasse, steckte den Schlüssel ins Schlüsselloch und drehte ihn nach rechts. Die Lade schnappte auf und gab den Blick auf sorgfältig einsortierte Banknoten frei. Sie hob die Kassenschublade, holte ein Bündel Banknoten heraus und reichte sie Klara, die sie sofort in ihrer Handtasche verstaute.
„Willst du nicht nachzählen? Nicht, dass du dich nachher beschweren kommst.“
„Habe ich das jemals gemacht?“
„Man weiß ja nie, was so alles passiert.“
„Ich vertraue dir, Maria. Wo muss ich unterschreiben?“
„Hier, damit alles seine Richtigkeit hat.“
Klara versuchte das unangenehme Gespräch so schnell wie möglich zu beenden. Sie wollte sich schon zum Verlassen des Geschäftes umdrehen, als sie Marias Hand auf ihrer Schulter daran hinderte.
„Was ist?“
„Möchtest du nicht doch noch mit meinem Mann darüber sprechen?“
„Das bringt nichts. Mein Angebot liegt auf dem Tisch. Wenn er es ablehnt, ist es seine Entscheidung.“
„Hoffentlich bereust du diesen Schritt nicht. Ohne uns hättest du den Start nie geschafft.“
„Dafür bin ich euch ja dankbar. Aber du brauchst mir jetzt kein schlechtes Gewissen einzureden. Ihr habt die letzten Jahre ordentlich mitverdient.“
„Wir würden mehr Werbung machen, damit sich der Käse noch besser verkauft.“
„Du verstehst das nicht, unser Kursleiter hat mir versichert, dass unser Produkt viel mehr Potenzial hat. Wir müssen unseren Auftritt verändern, ein neues Geschäftsmodell entwickeln.“
„Was sagt denn Heinrich zu deinen Hirngespinsten?“
„Warum fragst du?“
„Na, ich kenne doch den Heinrich. Am liebsten würde er bei den Schafen schlafen.“
„Untersteh dich, solche Unverschämtheiten in die Welt zu setzen. Der Heinrich glaubt auch daran. Wirst sehen, wir können unsere Erträge mindestens verdoppeln.“
„Das hat sicher auch dein Kursleiter prophezeit.“
„Was willst du damit sagen?“
„Nichts, passt schon. Brauchst du heute nichts?“
„Du, ich muss vorher noch was erledigen, ich komme später vielleicht noch einmal vorbei.“
„Und was soll ich dem Martin jetzt sagen?“
„Sagst ihm einen schönen Tag.“
Klara drehte sich um und verließ fluchtartig das Geschäft. Maria starrte ihr mit offenem Mund nach. Gefangen in ihren Gedanken verharrte sie mehrere Sekunden reglos, abgestützt an der offenen Ladenkasse. Erst das metallische Anschlagen der Glocke an der Eingangstür schreckte sie auf.“
Der Kriminalroman „Das grüne Gespenst“ von Heiner Rank erschien erstmals 1968 im Verlag Das Neue Berlin: Heym und Trankenbrodt gehen dicht an der Häuserfront entlang. Vorsichtig klinken sie an den Haustüren, aber alle sind abgeschlossen. Als sie die Querstraße erreicht haben, hören sie plötzlich Schritte. Sie pressen sich in einen Torweg. Es ist das metallische Tacken von hochhackigen Damenschuhen. Eine Frau kommt aus einer engen Gasse und geht schräg über die Fahrbahn. Die beiden Männer im Torweg bemerkt sie nicht. Etwa fünfzig Meter weiter macht sie vor einer Haustür halt. Ein Schlüsselbund klirrt. Dann ein gellender, langgezogener Schrei. Die Frau wird mit roher Gewalt auf den Fußweg geschleudert. Eine dunkle Gestalt rennt über die Straße. Heym und Trankenbrodt springen aus ihrem Versteck. Der Mann, ein schmächtiger Kerl in einem grünen Lodenmantel, wirbelt herum und saust in erstaunlichem Tempo auf die nächste Ecke zu. Hier aber zunächst einmal der nächtliche Anfang des Romans, der schon mal die Stimmung vorgibt:
„1. Kapitel
Es ist eine dunkle, unruhige Nacht. Der stürmische Westwind treibt tiefhängende Wolken vor sich her und zirpt mit den Telefondrähten. An den Straßenrändern schlängelt sich aus schmutzigen Schneehaufen in kleinen Rinnsalen das Schmelzwasser. Regenschauer peitschen das aufgewühlte Wasser der Dahme und prasseln auf die Straßen und die dicht gedrängt stehenden Häuser der Köpenicker Altstadt nieder.
Der Mann, der zielstrebig über die Lange Brücke auf die Schlossinsel zugeht, hat den Kragen hochgeschlagen und die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben. Eine heftige Sturmböe fährt ihm in den Rücken, doch über sein Gesicht, das unter einem altmodischen Hut verborgen ist, huscht ein zufriedenes Lächeln. Er wirft einen Blick über die Schulter, verlässt die Straße und überquert eine schmale Holzbrücke. Durch ein Tor aus verwittertem Sandstein betritt er den Schlosshof.
Eine Lampe an einem Bogenmast schwankt im Wind. Der Mann weicht ihrem Lichtschein aus und hält sich im Schatten, bis er die Terrasse erreicht, von der eine breite Treppe in den Park hinunterführt. Dann gleitet er an einer niedrigen Mauer entlang, sorgfältig darauf bedacht, auf dem Rasen zu bleiben und nicht in die lockere Erde der Staudenbeete zu treten. Vor ihm, unmittelbar am Wasser, liegt das Schloss.
Es ist ein mehrstöckiges Gebäude mit hohen Fenstern und einer weiß und rosa getünchten Fassade. Der Seitenflügel ist von einem hölzernen Baugerüst umsponnen. Der Mann tritt dicht an die Hauswand, schaut sich noch einmal prüfend um und geht auf eine Kellertür zu, vor der Kohlenberge lagern.
Nach wenigen Minuten hat er mit einem Nachschlüssel die Tür geöffnet und verschwindet im Kellergang. Über den Backsteinboden huscht das Licht einer abgeblendeten Taschenlampe. Der Mann bewegt sich rasch und ohne Zögern. Leise steigt er vom Souterrain hinauf ins erste Stockwerk. Die Stufen der Holztreppe knarren, doch das Geräusch geht im Stöhnen des Windes und im Klappern der Fenster unter.
Der Eindringling schleicht den Flur entlang. Vor einer geschnitzten Flügeltür bleibt er stehen, drückt die Klinke nieder und gelangt in ein großes Eckzimmer mit offenen Durchgängen zu den Nebenräumen. Im Schein der Taschenlampe zeichnen sich die Umrisse von Vitrinen, wuchtigen Renaissanceschränken und messingbeschlagenen Truhen ab. Das Parkett hat ein geometrisches Muster aus hellen und dunklen Hölzern. Der Lichtkegel verweilt auf den gläsernen Schaukästen. Edelsteinbesetzte Kelche, goldene Dosen mit bunter Emaille und kostbare Trinkgefäße funkeln hinter den Scheiben.
Der Mann befestigt die Taschenlampe an einem Knopf des Mantels, setzt seinen Beutel ab und nimmt einen Schraubenzieher heraus. Mit raschen Griffen beginnt er die verchromten Schrauben zu lösen, die das Glas am Rahmen der Vitrine festhalten. Dann hebt er vorsichtig die Scheibe heraus und lehnt sie gegen den Fuß des Schaukastens.
Seine Hand schiebt sich durch die Öffnung. Ein bauchiger Pokal aus getriebenem Gold wandert in den Beutel. Auch das weiße Schildchen mit der Aufschrift „Gildenbecher der Kupferschmiede Nürnberg, erste Hälfte des 16. Jahrhunderts“ verschwindet. Dem Pokal folgt ein Kristallkelch. Rings um das kurfürstliche Wappen hat ein unbekannter Künstler Jagdszenen in das Glas geschliffen. Dann kommt ein Humpen mit ziseliertem Zinndeckel und farbenprächtiger Bemalung an die Reihe.
Draußen tobt noch immer der Sturm. Er heult um die Hausecken und rüttelt an den Fenstern.
Der Dieb hat sich der nächsten Vitrine zugewandt. Ihre große Frontscheibe stellt er auf die Armlehnen eines gotischen Bischofsstuhls, während er geräuschlos und geschickt die wertvollsten Stücke aus dem Schaukasten holt.
Plötzlich ist ein unheimliches Scharren und Kratzen zu hören. Dann schlägt von außen ein schwerer Gegenstand an das Mauerwerk und poltert zur Erde. Der Dieb springt erschrocken einen Schritt zurück. Sein Ellenbogen stößt gegen die Scheibe auf dem Lehnstuhl. Mit lautem Knall, der wie ein Schuss durch die Räume dröhnt, fällt sie auf das Parkett und zerspringt.
Der Mann steht sekundenlang wie erstarrt. Durch seinen Kopf wirbeln die Gedanken. Was ist geschehen? Hat der Sturm eine Planke vom Baugerüst gefegt? Er zwingt sich zur Ruhe, öffnet die Tür und lauscht in das Treppenhaus.
In einem Zimmer des Souterrains geht Licht an. Ein gelber Streifen Helligkeit fällt in den Hof. Der Mann sieht es durch ein Flurfenster. „Verdammter Mist!“, murmelt er und huscht zurück in das große Eckzimmer, um seinen Beutel zu holen.
Als er wieder in den Flur tritt, dringt aus dem Souterrain das Geräusch tappender Schritte herauf, dann wird im Treppenhaus die Beleuchtung eingeschaltet. Ein alter Mann, wohlbeleibt und schon etwas gebeugt, erklimmt schwerfällig die Stufen. Er hustet, sein Atem geht keuchend, und mit der Rechten stützt er sich auf das hölzerne Geländer.
Der Dieb verschwindet in einer dunklen Nische am Treppenabsatz und beobachtet den Alten. Wenn der den Einbruch entdeckt und Alarm schlägt, ist alles umsonst gewesen, denkt er. Doch vielleicht begnügt sich der Nachtwächter mit einer flüchtigen Kontrolle und krabbelt wieder ins Bett. Der Mann zieht vorsorglich eine schwere Kombizange aus dem Beutel und umwickelt sie mit einem Lappen. Sein Gesicht verrät Unsicherheit, Besorgnis, Angst, aber er weiß keinen anderen Ausweg. An Flucht ist nicht zu denken. Mit der rechten Hand umkrampft er das Werkzeug.“
Ganz neu erschien soeben als Eigenproduktion von EDITION digital „Das Gespenst in der Ingenieurburg. Drei mörderische Geschichten aus dem Zarenreich. Herausgegeben, aus dem Russischen übersetzt und mit einem Vorwort versehen von Aljonna Möckel“: Die in diesem Büchlein vereinten drei Erzählungen entstanden in den letzten Jahrzehnten der Zarenzeit und wurden von der bekannten Übersetzerin Aljonna Möckel aus dem Russischen ins Deutsche übertragen. Da die Sammlungen, in denen sie einst erschienen sind, nur noch in irgendwelchen Antiquariaten schlummern, feiern die Texte eine kleine Auferstehung. Sie sind spannend, spritzig-abenteuerlich, böse, voller Fantasie und Überraschungen. Sie verdienen es, wiedergelesen zu werden.
Eine der drei Geschichten, „Der Gedanke“ von Leonid Andrejew, handelt von einem Mord, dessen minutiöse Planung und mitleidlose Ausführung der Täter, ein Arzt, selbst beschreibt. Es ist das Psychogramm eines eiskalten Mörders. Die anderen sind fesselnde Gespenstergeschichten voller Grusel und unerwarteter Einfälle. Alle drei Autoren treiben auf ihre Weise mit dem Entsetzen Scherz. Bei Alexej Tolstoi ist es der berüchtigte Graf Cagliostro, ein italienischer Abenteurer und Hochstapler, der im 18. Jahrhundert die europäischen Königshöfe unsicher machte und hier einen russischen Gutsherrn heimsucht. Er nutzt den Liebeswahn seines Opfers aus, der sich in ein Frauenbildnis vergangener Zeit verliebt hat, und setzt dämonische, zerstörerische Kräfte frei. Nikolai Leskow schließlich, der älteste der drei Autoren, geht im „Gespenst in der Ingenieurburg“ den Gerüchten um überirdische Vorgänge in einer zaristischen Kadettenanstalt nach. Petersburger Kadetten, noch halbe Kinder, spotten über die gespenstischen Erscheinungen in ihrer Burg und geraten selbst in den wilden Strudel des scheinbar Unerklärlichen.
Ein ungewöhnliches Buch, packend und herausfordernd, versehen mit einem Vorwort der Übersetzerin – und hier ist es, dieses aufschlussreiche Vorwort von Aljonna Möckel:
„Als ich vor mehr als einem halben Jahrhundert, damals Studentin der Slawistik / Romanistik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, meine Staatsexamensarbeit über den weltbekannten Schriftsteller Anton Tschechow schrieb, hatte ich noch keine Ahnung, dass ich später einmal Literatur aus dem Russischen ins Deutsche übertragen würde. Ich hatte ein Pädagogikstudium mit den oben genannten Fächern hinter mir und wollte Lehrerin werden. Im letzten Studienjahr wurde mir von meinem Professor dann aber eine Stelle als Wissenschaftliche Assistentin am Slawischen Institut angetragen, die ich – nach einem Jahr Schuldienst – auch antrat. Ich bereitete mich auf eine Hochschultätigkeit vor.
Mein besonderes Interesse galt der Literatur des 19. Jahrhunderts, auch wenn ich mich zunächst mit früher sowjetischer Lyrik zu befassen hatte, die allerdings gleichfalls sehr interessant war. Doch mein anscheinend vorgezeichneter Weg nahm eine jähe Wendung. Einerseits, weil der Mann, in den ich mich verliebte, gerade nach Berlin gezogen war und mich dorthin zurückholte (ich hatte seit meinem siebenten Lebensjahr in der Hauptstadt gelebt). Andererseits, weil wir bald darauf einen Sohn bekamen – ein besonderes Kind: Dan war gehörlos und hatte, wie sich etwas später herausstellte, zusätzlich eine geistige Behinderung. Da es für solche mehrfach behinderten Kinder keine Krippenplätze gab, musste ich meine kurz zuvor angetretene Stelle als Lektorin im Verlag Volk und Welt, bei dem auch mein Mann arbeitete, wieder aufgeben. Fortan gehörte mein ganzes Augenmerk und der größte Teil meiner Zeit unserem ungebärdigen, gegen sein Schicksal aufbegehrenden Sohn Dan.
Damit waren alle wissenschaftlichen Pläne und schon gar eine spätere Lehrtätigkeit in weite Ferne gerückt, sie mussten schließlich ganz fallen gelassen werden. Mein Mann (der spätere Schriftsteller Klaus Möckel) und ich haben die Probleme mit einem solchen Kind, die er zusammen mit mir trug, in mehreren Büchern ausführlich geschildert. Dessen ungeachtet, brauchte ich aber aus zwei Gründen eine Tätigkeit neben der Beschäftigung mit unserem Sohn. Einmal, um etwas Geld zum nicht eben üppigen gemeinsamen Haushalt beizutragen, vor allem jedoch, um einen Ausgleich zu haben. Ich wollte und durfte mich nicht von den Sorgen auffressen lassen. Zudem hing ich an meinem Beruf, an der Beschäftigung mit Sprache und Literatur.
Deshalb fasste ich den Entschluss, mich als Übersetzerin auszuprobieren – eine Tätigkeit, die ich auch zu Hause ausüben konnte. Die Voraussetzung hierfür: gute Kenntnisse sowohl in der Mutter- als auch in der jeweiligen Fremdsprache, glaubte ich zu besitzen. Ich war ja während der Emigration meiner Eltern in Moskau geboren, zweisprachig aufgewachsen und hatte die ersten Lebensjahre in verschiedenen Gegenden der UdSSR verbracht. So war unsere Familie zum Beispiel im Juni 1941 auch nach Leningrad geraten, entkam wenige Monate später der todbringenden Blockade durch die deutsche Wehrmacht mit knapper Not über den vereisten Ladogasee. (Siehe Erwin Johannes Bach: „Das Wunder von Leningrad“. EDITION digital Pekrul & Sohn GbR, Godern 2017)
Mein „Übersetzerdebüt” gab ich bei unserem damaligen „Stammverlag” Volk und Welt, der mir eine kurze SF-Erzählung anvertraute. Man darf nicht denken, dass mir die neue Tätigkeit leichtfiel. Einen literarischen Text von einer Sprache in die andere zu bringen, bedeutet künstlerische Arbeit; man muss sich in die Welt des Autors und seinen Schreibstil hineinversetzen, die speziellen Ausdrücke und Redewendungen wiedergeben können. Doch nach und nach gelang mir das immer besser, und es wurde ein Beruf daraus, der mir viel Freude bereitete. Es waren oft sehr schwierige Texte: ernste, lustige, realistische, fantastische, auch Kinderbücher oder Gedichte. Für mich bedeutete jeder neue Auftrag, den ich in Angriff nahm, ein Abenteuer, und zum Glück konnte ich mich im Laufe der Jahre über einen Mangel an solchen Abenteuern nicht beklagen.
Aus der Literatur des 19. Jahrhunderts, die ich noch immer sehr mochte, gab es nur wenig zu übersetzen, das meiste lag bereits in Deutsch vor. Umso mehr freut es mich, Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, hier drei spannende Erzählungen bekannter Autoren vorstellen zu dürfen. Die Autoren sind noch zur Klassik zu zählen, ihre Geschichten entstanden um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Doch es handelt sich dabei nicht in erster Linie um eine kritisch-realistische Darstellung der damaligen Verhältnisse, wie wir sie aus den großen Werken jener Zeit von Leo Tolstoi, Fjodor Dostojewski, Iwan Turgenjew, Anton Tschechow und vielen anderen kennen. Nikolai Leskow (1831 – 1895), Leonid Andrejew (1871 – 1919) und Alexej Tolstoi (1883 – 1945) – letzterer nicht zu verwechseln mit dem soeben erwähnten Leo Tolstoi – arbeiten in den vorliegenden Erzählungen vielmehr mit den Mitteln des Fantastischen und der Tiefenpsychologie, treiben gewissermaßen mit dem Entsetzen Scherz.
Zwei der Texte sind Gespenstergeschichten. Leskows Gespenst in der Ingenieurburg (1884) geht in den Hallen einer Petersburger Kadettenschule um und ängstigt die dortigen Zöglinge aufs Grausamste. Alexej Tolstois Graf Cagliostro (1921) ist ein berüchtigter Magier und Hochstapler, der real im 18. Jahrhundert die königlichen Höfe Europas unsicher machte. Bei Tolstoi nutzt er als unheimlicher Gast eines jungen russischen Adligen dessen wahnwitzige Liebe zu einem Frauenbildnis skrupellos für seine zerstörerische Geisterbeschwörung. In der dritten Erzählung, Der Gedanke (1902), geht es um einen kaltblütig ausgeführten Mord. Leonid Andrejew beschreibt minutiös den Plan des Icherzählers, eines Arztes, seinen Freund zu töten, die Art, wie er die Tat begehen will, und die Ausführung der Tat selbst. Dabei unternimmt dieser Arzt anfangs alles, einer Bestrafung durch Zwangsarbeit zu entgehen. Es ist das Psychogramm eines eiskalten Mörders, die Studie eines gefühllos ausgeführten Verbrechens aus gekränkter Eitelkeit und maßlosem Narzissmus, der alles um sich her verachtet. Die Erzählung spielt, wie die anderen beiden auch, noch in der Zarenzeit. Ich durfte die drei Erzählungen vor etwa vierzig Jahren, um 1980 herum, ins Deutsche bringen.
Nikolai Leskow, Leonid Andrejew und Alexej Tolstoi, der vielleicht bekannteste der drei Autoren, der auch die erschütternde Trilogie vom Leidensweg des russischen Volkes während der Großen Revolution schrieb, legen in diesen besonderen Geschichten Zeugnis ab von ihrem Einfallsreichtum, ihrer Sprachkunst und ihrem Vermögen, geistreich und fesselnd zu unterhalten. Dass sie in diesem Band bei EDITION digital Pekrul & Sohn noch einmal neu erscheinen, erfüllt mich mit Genugtuung.
Aljonna Möckel, Berlin 2021“
Ebenfalls ganz neu und als Eigenproduktion der EDITION digital erschien der Kriminalroman „Prequel in Scharlachrot“ von Tim Burgmer: Ein erholsames Wochenende im Hotel Westwood/Markham in den USA endet für den bekannten Kriminalschriftsteller Harold Wright in einem blutigen Desaster. Denn er muss plötzlich von der Straße aus ansehen, wie die bekannte Hollywoodschauspielerin Diana Roux ihre langjährige Konkurrentin Linda White im erleuchteten Zimmer hinter heruntergelassenen Rollos erschießt und anschließend sich selbst. Als die Polizei unter Leitung von Inspektor Redwood vom New Yorker LAPD das Zimmer betritt, wird schnell klar, dass sich die von draußen beobachtete Szene gar nicht so abgespielt haben kann. Ein Einschussloch in der Decke, ein gekipptes Fenster und ein gekonntes Schauspiel aus Licht und Schatten geben den Ermittlern einige Rätsel auf. Wird es ihnen rechtzeitig gelingen, den wahren Täter zu fassen, bevor dieser ein weiteres Mal zuschlägt? Aber zunächst einmal wollen auch wir die Bekanntschaft des bekannten Schriftstellers machen, der gerade an seinem Hotel ankommt und sich für ein auffälliges Auto interessiert – mit Folgen:
„2
Es dauerte nicht lange, da wies ihn das breite Informationsschild vom Hotel endlich von der Landstraße rechts ab auf einen gut gepflasterten Weg, der an beiden Seiten umzäunt, aber breit genug war, sodass er ohne Probleme mit seinem Wagen hindurchfahren konnte. Er hielt den Wagen gute fünf Minuten in der Mitte des Weges, bis er dann nach ein paar Metern vor sich endlich dass Westwood Hotel erkennen konnte. Es hatte seinen majestätischen Platz auf einem Hügel direkt über einer Schlucht, die sich ähnlich einem breiten Burggraben um das riesige und beeindruckende Hotelgebäude zog, und war zu allen Seiten hin von dichtem Wald umgeben.
Zum Westwood an sich führte in gerader Richtung eine Hängebrücke, die allerdings mit der Zeit auch schon ziemlich abgenutzt wirkte, sodass Harold für einen kurzen Augenblick am Überlegen war, ob dieser Weg tatsächlich der einzige war, um über den Graben zum Hotel zu gelangen. Aber leider, wie er erkannte, war es so und nicht anders. So blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als den gefährlichen Weg über die Hängebrücke zunehmen.
Er war sich im selben Augenblick sicher, dass wenn seine Verlegerin Merry Downing jetzt da wäre, sie wahrscheinlich fast direkt vor dem Hindernis kehrtgemacht hätte, den ganzen Weg wieder zurückgefahren wäre und sich irgendwo anders, außerhalb von Markham, ein Hotel gesucht hätte. Dasselbe galt wahrscheinlich für manchen Gast, der in diesem speziellen Waldhotel ausspannen wollte und davor diese Reifeprüfung zu bestehen hatte.
So legte er schließlich, ohne einen weiteren Gedanken an Gefahr zu verschwenden, den ersten Gang ein, ließ die Kupplung rasant kommen und gab gleichzeitig dazu mehr Gas als sonst, weil er hoffte, dadurch schneller über die Brücke zu kommen. So dauerte es nicht lange, bis er alsbald mit Vollgas vom ersten in den zweiten und anschließend, ähnlich einem guten Rennfahrer, in den dritten Gang überwechselte, und jetzt mit guten 50 km/h über die Brücke bretterte, wobei es ihm beinahe so vorkam, als befände er sich inmitten eines Actionfilmes, in dem er die Hauptrolle spielen würde. Fast im selben Augenblick allerdings, in dem er auf die Brücke gefahren und aus Angst, vielleicht doch noch abzustürzen, kurz den Atem angehalten hatte, war er auch schon drüber. Als er sich dessen bewusst war und die verfluchte Hängebrücke im Rückspiegel erkennen konnte, wie sie stetig von einer Seite zur anderen in einem unruhigen Takt hin und her schaukelte, trat er für einen kurzen Augenblick auf die Bremse, sodass der Wagen abrupt auf der Stelle zum Stehen kam, und dankte im Stillen dem lieben Gott dafür, dass er es heil hinüberschaffen durfte. Das Hotel lag jetzt über ihm auf einer mittelgroßen Anhöhe in seiner ganzen Pracht, und weiter vorn, erstreckte sich der Weg gut ausgeschildert zu den Besucherparkplätzen.
Es war mittlerweile Nachmittag geworden. Der warme Sommerwind nahm zu, und erfrischte ihn mit einer herrlichen warmen Brise, die Harold deutlich auf seiner bleichen Haut fühlen konnte, da er die ganze Fahrt über sein Fahrerfenster ein Stück weit heruntergekurbelt hatte. Nachdem er dann auf dem Parkplatz mit seinem Wagen angekommen war, parkte er ihn zwischen einem neongelben Porsche und einem dunkelroten, älteren VW Bulli, schaltete den Motor aus und lehnte sich für einen kurzen Augenblick nach hinten in seinem bequemen, schwarzen, sportlichen Fahrersitz zurück.
„Na, dass lief ja besser als gedacht, und pünktlich bin ich auch noch, dachte er zufrieden. Nun konnte er wirklich davon ausgehen, zwei ruhige Urlaubswochen in diesem Hotel, wie auch zuvor von ihm geplant, zu verbringen.
Schriftsteller, gerade die berühmtesten in seiner Branche, hatten immer auch mal etwas Zeit für sich. Immerhin waren sie von demselben typischen Menschenschlag wie auch andere und besaßen mit Sicherheit ebenfalls das unausgesprochene Bedürfnis, irgendwohin zu verreisen, um sich für ein paar volle Wochen zu entspannen. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf nahm er seine braune Reisetasche, stieg aus seinem Fahrzeug und ließ im selben Augenblick, in dem er die Türe zuschlug, neugierige Blicke über den knallgelben Porsche links von ihm wandern, der mit Sicherheit einer Frau gehörte. Was er allerdings die ganze Zeit über nicht wissen konnte, war die Tatsache, dass ihn ebenjene Frau von weiter vorne aus die ganze Zeit über geduldig und angespannt beobachtete. Sie gehörte nämlich zu der misstrauischen Sorte Mensch, die mehr für ihre Autos als für ihre Mitmenschen übrighatten.
„Hey, was machen Sie da Mister?“ rief sie aufgebracht aus, „treten Sie gefälligst sofort von meinem Wagen zurück, haben Sie nicht gehört?“
Bei diesen Worten sah Harold erschrocken auf und bemerkte urplötzlich eine junge Dame in einem dunkelroten, sommerlichen Abendkleid, mit hochgesteckten, braunen Haaren, einem bleichen, ebenmäßigen, spitzen Gesicht und klaren, blauen Augen. Sie kam geradewegs in einer aufbrausenden Haltung auf ihn zugestürmt, sodass Harold es im selben Augenblick bereute, den Wagen auch nur angesehen zu haben. Als sie ihn nach ein paar kurzen Metern zornig, wie ein lodernder Vulkan, erreicht hatte, maß sie ihn erst mal von oben bis unten, bevor sie etwas sagen wollte. Sein dunkelblaues Sakko, darunter ein schlichtes, schwarzes Hemd und passende helle Jeans, saßen ihm hervorragend. Das schwarze, kurze Haar modern zur Seite gestylt, und darunter ein gebräuntes Gesicht, feine Züge, haselnussbraune Augen und eine schwarzen Vollrandbrille auf der Nase, mit leichten, abgerundeten Gläsern.“
Und da dürfen wir gespannt sein, wie diese im ersten Moment für Harold nicht besonders freundliche Bekanntschaft mit der aufbrausenden Haltung weitergeht und was es mit dem angeblichen oder wirklichen Mord im Hotelzimmer tatsächlich auf sich hat. Aber auch die anderen Kriminalfälle sind allesamt die Lektüre wert – ebenso wie die ziemlich ungewöhnliche Biografie von Wolfgang Rodewald.
Und wenn wir auch zu Ostern wieder mal nicht verreisen dürfen, nehmen Sie sich einfach mal die Zeit für eines oder mehrere Angebote dieses diesmal ziemlich kriminellen Newsletters. Viel Vergnügen beim Lesen, Frohe Ostern und bleiben Sie auch unter den noch immer schwierigen Bedingungen weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst.
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