Eva & Franco Mattes / Human-in-the-loop

Jeder Internet-User hat bewusst oder unbewusst an der Verbreitung von Ideologien teil. Wie, demonstriert die Einzelausstellung Human-in-the-loop des Künstlerduos Eva & Franco Mattes im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden. Damit vertritt der Kunstverein erneut die hessische Landeshauptstadt als Partnerprojekt der RAY Fotografieprojekte Frankfurt/RheinMain, die herausragende Positionen zeitgenössischer Fotografie vereinen.

Die Installationen von Eva & Franco Mattes beschäftigen sich mit den Auswirkungen von Technologien auf unser alltägliches Leben. Dabei untersuchen sie die Funktion und Verbreitung von Fotografien, die wir tagtäglich in Sozialen Netzwerken preisgeben und von denen wir im Gegenzug im Internet fast schon überschwemmt werden, wobei was wir zu sehen bekommen und was sich somit auf unsere Weltanschauung auswirkt, von unsichtbaren Mechanismen gesteuert ist. Auf der Grundlage, dass das Internet kein freier, utopischer Ort, sondern ein mehr und mehr zentralisiertes, korporatisiertes und überwachtes System darstellt, macht das Künstlerduo die dahinterliegende Infrastruktur und die diese bedienenden Menschen sichtbar. So sensibilisieren sie mit einer guten Portion schwarzen Humor unsere Wahrnehmung bezüglich dieser Dynamik. Ausgangspunkt der Arbeiten ist ein intensiver, persönlicher Austausch mit den Menschen, die für große Internetunternehmen arbeiten. Aus diesen individuellen Resonanzen lassen sich letztlich politische sowie ethische Fragestellungen hinsichtlich des Umgangs mit medialen Bildern ableiten. Durch die heute nicht mehr eindeutige Trennung in privat und öffentlich werden die Internetnutzer*innen nicht nur zu Empfänger*innen, sondern auch zu Sender*innen von Daten mit einer unermesslichen Reichweite und verbreiten so Normen- und Ideensysteme bis hin zur Stärkung von Ideologien. Die erste Einzelausstellung des Künstlerduos in Deutschland vereint Neuproduktionen mit Arbeiten aus den letzten fünf Jahren.

Über die Künstler:innen /

Eva & Franco Mattes (beide *1976 in Italien, leben und arbeiten in New York) arbeiten seit 1995 gemeinsam. Nach Einzelausstellungen in Italien, Spanien, Großbritannien, Slowenien, den Niederlanden, Indien, Kanada, den USA und der Schweiz sowie Beteiligung an Gruppenausstellungen weltweit ist Human-in-the-loop im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden die erste Einzelausstellung des Künstlerduos in Deutschland. Sie haben bereits an den Rencontres d’Arles (2018), der Yokohama Triennale (2017), der 20. Biennale of Sydney (2016), der Manifesta 4 (2002) und der 49. Biennale di Venezia (2002) teilgenommen. Werke befinden sich u. a. in den ständigen Sammlungen des SFMOMA in San Francisco, dem Whitney Museum of American Art, New York, sowie dem X Museum in Peking.

Über die Arbeiten /

Können Daten wirklich gelöscht werden? Von unseren Festplatten? Aus dem Internet? Aus unseren Erinnerungen? Die Installation What Has Been Seen (2017) basiert auf dem Katzen-Meme What Has Been Seen Cannot Be Unseen, einem Internet-Axiom, das sich auf ein geistiges Bild bezieht, das man nicht mehr aus dem Gedächtnis tilgen kann, nachdem man ein erschreckendes oder verstörendes Video oder Foto gesehen hat. Sogenannte LOLcat-Memes – mit kurzen Sprüchen und Botschaften versehene, humoristische Katzenbilder – hingegen könnten harmloser und unterhaltsamer kaum aussehen und wenig verbreitet sich im Internet so rasant wie der beliebte Katzen-Content, der schnell ins kollektive Gedächtnis übergeht.

Eine häufig gestellte Frage in Online-Suchmaschinen ist, ob man Daten auf Festplatten mit einer Mikrowelle vernichten könne. Sie wird oft als ein moderner Mythos angesehen, da bisher kein wissenschaftlicher Konsens für diese Fragestellung erreicht werden konnte. Und so bringen Eva & Franco Mattes in ihrer Installation diese unterschiedlich erscheinende Internet-phänomene zusammen, die sich mit der Frage auseinandersetzen, ob Informationen unwiederbringlich gelöscht werden können – sei es von unseren Festplatten oder aus unseren Erinnerungen.

Unsere privaten Fotos zirkulieren heute ständig – auf Social-Media-Plattformen, in Messengerdiensten und Clouds. Dafür bedarf es einer enormen technischen Infrastruktur, die für uns meist genauso unsichtbar bleibt, wie die Spuren, die wir tagtäglich im Web hinterlassen. Die Installation Personal Photographs, September 2015 (2021) führt die sich für uns gegenstandslos anfühlende, sich nicht sichtbar manifestierende, digitale Verbindung mit dem Rest der Welt vor Augen: Ein raumspannendes Netzwerk aus Kabeltrassen mit ineinander verwobenen Kabeln windet sich als Sinnbild für Datentransfer und -steuerung durch den Ausstellungsraum. Im Innern der Kabel bewegen sich zwischen mehreren Mikrocomputern, und verborgen vor unserem Blick, alle privaten Fotografien, die Eva & Franco Mattes im September 2015 aufgenommen haben. Die Fotografien bleiben im Datenstrom verborgen und sind doch immer da, so wie die vielen Millionen Bilder im Netz und auf privaten Geräten, die, einmal erstellt, oft ungesehen bleiben. Die überwiegende Mehrheit an Fotografien existiert heutzutage nicht mehr in gedruckter Form, sondern als allgegenwärtige Dateien, die ununterbrochen transferiert werden. In diesem Sinne ist die Installation eine Darstellung der zeitgenössischen Fotografie in ihrer gebräuchlichsten Form.

My Little Big Data (2019) eröffnet eine dystopisch anmutende, aber bereits existente Welt der Überwachung. In der Videoinstallation vermischen sich popkulturelle Science-Fiction-Referenzen mit der Vorstellung aktueller Methoden zum Online-Datenprofiling und private Aufnahmen mit abstrakten Graphen, die trotz ihres alarmierenden Inhalts von großer visueller und voyeuristischer Anziehungskraft sind. Der DIY-Datenanalyst Vladan Joler, dem Eva & Franco Mattes ihren gesamten E-Mail-Verkehr aus 13 Jahren sowie ihren Browserverlauf mehrerer Monate zur Auswertung überlassen haben, rekonstruiert aus ihren Daten und Metadaten ihr digitales Porträt. Der 24-minütige Videoessay zeigt die enorme Fülle an gesammelten Informationen, die oft intime Einblicke in das Privatleben der beiden ermöglichen. Tagtäglich werden riesige Mengen solcher Daten allein durch unsere Handlungen im Internet erhoben und von Social-Media-Plattformen, Smartphone-Anwendungen, Regierungs- und Verwaltungsbehörden oder Bankinstituten überprüft, organisiert und letztlich verkauft. Einmal zurück-gespeist in den Kreislauf, können mit diesen Daten unsere Meinungen oder unser (Kauf-)Verhalten beeinflusst werden. Vor der Videoprojektion befindet sich ein Büroteppich, der sich aus einzelnen Teppichfliesen in zwölf verschiedenen Grautönen zusammensetzt. In ihm manifestiert sich ein Graph des Videos, der anhand grauer Quadrate die Intensität der E-Mail-Kommunikation des Künstlerduos analysiert.

Täglich wird im Internet eine unüberschaubare Bilderflut hochgeladen und geteilt. Darunter befinden sich viele anstößige, gewaltverherrlichende oder pornografische Inhalte. Welche Bilder wir in den Sozialen Medien oder auf den Plattformen großer Internetfirmen angezeigt bekommen, hängt dabei oft von strengen, wenngleich geheimen, Unternehmensrichtlinien ab. Sogenannte Content-Moderatoren müssen im Auftrag von großen Internetplattformen über die Angemessenheit der geteilten Bilder entscheiden. Meist wissen die Moderatoren dabei nicht, für welche Firma sie arbeiten. Die Serie Abuse Standards Violations (2016 – 2021) zeigt Unternehmensregelwerke mit Schulungsbeispielen, die Eva & Franco Mattes zugespielt wurden. Diese Richtlinien bilden eine Art Isolierschicht um die in sich abgeschlossenen Social-Media-Welten, indem sie als Filter fungieren, die nur ausgewählte Inhalte zulassen. So müssen Bilder von den Moderatoren in Kategorien wie CLEAN und OK TO SHOW oder als INAPPROPRIATE eingeordnet werden. „Sichere“ Inhalte können „schöne Kunst“ oder „Promi-Klatsch“ sein, als „ungeeignet“ werden Bilder herausgefiltert, die „Gewalt“, „Politik“ oder „kontroverse soziale Themen“ abbilden. Die Arbeit gibt einen Einblick in die für Internet-User unsichtbare Welt der moralischen Kriterien von Internet-Giganten, die bestimmen, was auf ihren Plattformen erlaubt und was verboten ist.

Im Jahr 2000 wurde auf einer populären Website eine DIY-Anleitung für sogenannte Bonsai-Katzen angeboten. Die Tiere sollten mehrere Monate in engen Glasbehältern gehalten werden, bis sie die Form der Behältnisse annähmen. Tierschützer protestierten, Petitionen wurden eingereicht und sogar das FBI ermittelte. Obwohl die Website schnell als Scherz von Studierenden enttarnt wurde, die die Fotos der Katzen im Glas gefaked hatten, kursieren gleichsam die Bilder und die Beschwerdemails noch heute im Netz. Sogenannter Cat Content, der sich im Internet unglaublich schnell verbreitet, hat dabei bereits früh gezeigt, wie Informationen im Netz viral gehen können. Er ist das süße und unschuldige Gen, das in viele unterschiedliche Formen mutiert ist – einschließlich der jüngsten Nutzung von auf den ersten Blick unschuldig scheinenden Memes der Rechtsextremen zu Propagandazwecken. Immer wieder tauchen Geschichten auf, die sich ungefiltert im Internet verbreiten, so unwahrscheinlich sie auch scheinen mögen. Als Urban Legends oder sogenannte Fake News, werden sie massenweise ungeprüft geteilt und im Stille-Post-Prinzip weiterentwickelt und können so private, soziale oder politische Anschauungen und Meinungen stark beeinflussen. Eva & Franco Mattes nehmen solche Internetphänomene auf, transferieren sie, wie hier mit der Installation Bonsai Kitten (2021), in die gegenständliche Welt des Ausstellungsraums, wo sie aber direkt wieder Futter für Fotografien bieten, die Teil des virtuellen Datennetzes werden.

Während sich im ersten Stock des Kunstvereins die persönlichen Fotografien von Eva & Franco Mattes unsichtbar im Raum bewegen, ist Nostalgia (2021) eine ortspezifische Neuproduktion und Weiterentwicklung von Personal Photographs, die einen Resonanzraum zwischen Eva & Franco Mattes‘ und der zeitgleich stattfindenden Ausstellung von David Horvitz, Follow Fluxus-Stipendiat 2020 und, zufälligerweise, ein langjähriger Freund des Künstler-duos, schafft. Direkt unterhalb der sich im Obergeschoss befindenden Ausstellungsräume von David Horvitz installiert, zirkulieren seine privaten Fotos aus einem Monat in gelben Kabeltrassen kontinuierlich durch die kreisförmige Skulptur. Dabei bleiben die Fotografien im doppelten Sinne ungesehen: Vor Ort bleiben sie im Innern der Kabel vor dem Blick der Betrachter:innen verborgen und auf David Horvitz‘ privaten Smartphone und aus seiner Cloud wurden sie durch den Künstler selbst gelöscht. Sie existieren nur noch in dieser Skulptur.

Im Frühjahr 2020 veröffentlichten Eva & Franco Mattes einen Online-Aufruf auf der Suche nach einer Person, die ihr privates Smartphone mitsamt aller Fotos und Videos an das Künstlerduo verkaufen würde. Sie fanden die junge Britin Hannah, deren Handy sie für 1.000 Dollar kauften und über dessen Inhalte sie frei verfügen dürfen. Entstanden ist ein unzensiertes, wertfreies und intimes Porträt. Für das Video Hannah Uncut (2021) wurden alle 1276 Fotos, Screenshots und Videos aus acht Monaten zu einer 52-minütigen Slideshow zusammengefügt. Die unterschiedliche Dauer jedes Bildes ist dem Tempo nachempfunden, mit dem wir durch die Bildergalerien unserer Smartphones swipen. In chronologischer Reihenfolge zeigen die Aufnahmen Hannahs Privatleben und Interessen und sind gleichzeitig ein Spiegel der digitalen Entwicklungen und Trends des letzten Jahrzehnts. Mit popkulturellen Anleihen beim Film und mit dem nur aus einem Titel bestehenden Soundtrack, Cosmic Dancer von T. Rex, wirkt das Video wie das 52-minütige Intro einer zeitgemäßen Coming-of-Age-Streaming-Serie. Der Einblick in Hannahs Leben macht Betrachter:innen unweigerlich zu Voyeur:innen und regt zu einer Reflexion über das öffentliche digitale Leben, das wir heutzutage führen, an und spiegelt geschickt die Nutzungsbedingungen von Social-Media-Plattformen wider, in denen die Nutzer:innen jegliche Haftung für den Inhalt der geposteten Bilder übernehmen, aber alle Rechte an den Aufnahmen abgeben.

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