Städte müssen bei Mobilitätswende mehr entscheiden können

Die Thinktanks Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität schlagen eine kurzfristige Reform des Straßenverkehrsrechts vor. Städte und Gemeinden sollen die Mobilität vor Ort leichter nach Zielen wie Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz gestalten können. Das aktuelle Straßenverkehrsrecht sei zu sehr auf den Pkw-Verkehr ausgerichtet und lasse es nicht zu, dass Kommunen andere Prioritäten setzen. In Zukunft solle es etwa leichter möglich sein, den Verkehr zu beruhigen, Parkraum zu bewirtschaften oder Radfahrstreifen einzurichten. Der Vorschlag basiert auf einem Rechtsgutachten, das im Auftrag der beiden Organisationen von der Kanzlei Becker Büttner Held erstellt wurde.

„Ein neues Straßenverkehrsrecht kann ein Schlüssel für attraktivere Städte sein“, sagt Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende. „Viele Kommunen haben sich längst vom Leitbild der autogerechten Stadt verabschiedet. Sie wollen Tempo 30 und Nullemissionszonen, mehr Aufenthaltsqualität für Menschen und flexiblere Mobilitätsangebote. Doch die Rechtslage setzt ihnen enge Grenzen. Unser Gutachten zeigt, dass sich das einfach ändern lässt. Eine entschlossene Bundesregierung könnte die Reform rasch auf den Weg bringen.“

Rainer Baake, Direktor der Stiftung Klimaneutralität: „Klimaneutralität geht nur mit einer Mobilitätswende weg vom individuellen Pkw hin zu Rad, Fuß und ÖPNV. Die Flüssigkeit des Autoverkehrs kann nicht das Maß aller Dinge sein. Das Straßenverkehrsrecht muss in Einklang gebracht werden mit den übergeordneten Zielen des Klima- und Umweltschutzes. Dabei sind die Kommunen zentrale Akteure vor Ort. Dafür brauchen sie unbedingt mehr Handlungsspielraum.“

Autofixierung verhindert Maßnahmen für mehr Sicherheit und Klimaschutz

Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität plädieren im Einzelnen dafür, den Zweck des Straßenverkehrsrechts zu erweitern. Ausdrückliches Ziel des Rechts solle in Zukunft sein, die Sicherheit und Gesundheit von Menschen zu bewahren, das Klima und die Umwelt zu schützen sowie eine nachhaltige Stadt- und Verkehrsplanung zu ermöglichen. Dafür müssten das Straßenverkehrsgesetz, die Straßenverkehrsordnung (StVO) und die nachgeordneten Verwaltungsvorschriften angepasst werden.

Zu ändern sei insbesondere Paragraf 45 der StVO, so die Analyse der beiden Organisationen, denn dieser schränkt die kommunalen Verkehrsbehörden in ihrem Handlungsspielraum unnötig ein. Eine Umgestaltung des Straßenraums ist demnach nur erlaubt, wenn eine konkrete Gefährdung nachgewiesen werden kann. Das mache selbst kleinste Neuordnungen für Kommunen sehr aufwendig und rechtlich angreifbar. Grundsätzliche und großräumig wirksame Entscheidungen, die sich am Wohl von Mensch und Umwelt orientieren, seien praktisch unmöglich.

Der Reformvorschlag sieht auch vor, Tempo 30 innerorts zur Regel zu erheben. Geringere Geschwindigkeiten, so die Begründung, würden nicht nur den Ausstoß von Emissionen senken, sondern vor allem für mehr Sicherheit und Ruhe im öffentlichen Raum sorgen. Schließlich sollten Kommunen Sondernutzungserlaubnisse für das Abstellen von Sharing-Fahrzeugen im öffentlichen Raum erteilen können, weil geteilte Verkehrsmittel ein wichtiges Instrument sind, um den Anteil des privaten Pkw im Verkehr zu reduzieren. Gleichzeitig müsse klar geregelt werden, wo etwa elektrische Tretroller abgestellt werden dürfen und wo nicht.

Über eine solche kurzfristige Reform hinaus halten beide Organisationen es für notwendig, das Straßenverkehrsrecht grundsätzlich zu reformieren. Da dies jedoch länger dauern würde, sei es zunächst sinnvoll, die kurzfristig möglichen Änderungen umzusetzen.

Kommunale Initiative für angemessene Geschwindigkeiten

Dass Kommunen großes Interesse daran haben, angemessene Geschwindigkeiten selbst festzulegen, zeigt eine neue Initiative von den für Mobilität und Verkehr zuständigen Beigeordneten aus den Städten Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm. Die Initiative bekennt sich zur Mobilitätswende und fordert den Bund auf, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Kommunen Tempo 30 als Höchstgeschwindigkeit innerorts anordnen können, wo sie es für notwendig halten. Die Initiative wurde am 6. Juli bei einer Online-Veranstaltung von Agora Verkehrswende und dem Deutschen Städtetag gestartet.

Regelungsvorschlag und Rechtsgutachten

Der Vorschlag von Agora Verkehrswende und Stiftung Klimaneutralität mit dem Titel „Mobilitätswende vor Ort. Vorschlag für eine kurzfristige Reform zur Stärkung kommunaler Handlungsmöglichkeiten im Straßenverkehrsrecht“ sowie das Rechtsgutachten der Kanzlei Becker Büttner Held „Sofortprogramm Mobilitätswende. Stärkung kommunaler Handlungsmöglichkeiten im Straßenverkehrsrecht“ stehen unter www.stiftung-klima.de und www.agora-verkehrswende.de kostenlos zum Download zur Verfügung.

Eine Erklärung der kommunalen Initiative für lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten ist online verfügbar unter https://www.agora-verkehrswende.de/veranstaltungen/lebenswerte-staedte-durch-angemessene-geschwindigkeiten/.

Über die Stiftung Klimaneutralität

Die Stiftung Klimaneutralität entwickelt in enger Kooperation mit anderen Denkfabriken sektorübergreifende Strategien für ein klimaneutrales Deutschland. Auf der Basis von guter Forschung will die Stiftung informieren und beraten – jenseits von Einzelinteressen.

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Agora Verkehrswende ist eine gemeinsame Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation. Ziel des Thinktanks ist es, wissenschaftlich fundierte und politisch umsetzbare Wege zu einem klimaneutralen Verkehrssystem aufzuzeigen.

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