Am Wegrand darf es wild aussehen

Mit kleinen Maßnahmen eine große Wirkung erzeugen – dies ist der Hintergedanke einer gemeinsamen Initiative des Vogelsbergkreises und drei Projektpartner-Kommunen, die in diesem Jahr erstmalig von der Unteren Naturschutzbehörde begleitet wurde. Im Fokus stehen dabei die Randstreifen von kommunalen Feld- und Radwegen. „Die Randstreifen spielen zur Vernetzung von Biotopen und als Lebensraum und Nahrungsquelle eine wichtige Rolle für die Artenvielfalt, vor allem für Insekten und Vögel“, erklärt Landschaftsökologin Astrid Rauner von der Unteren Naturschutzbehörde des Kreises. „Werden die Wegränder erst spät gemäht, zum Beispiel erst im Frühherbst, oder nur alle zwei Jahre, finden dort Raupen, Insekten und am Ende auch Vögel das ganze Jahr über Habitat und Futter“, so Astrid Rauner. Besonders wichtig ist, absterbende Stauden, von Disteln etwa, über Winter stehen zu lassen. „Ihre Blüten sind wichtige Insektenfutterpflanzen, ihre Samen sind Futter für Vögel und ihre hohlen Stängel dienen Insekten als Winterunterschlupf.“

Dafür darf es an den Wegrändern gerne etwas wilder aussehen. Wo – wenn nicht hier? Die Wegrandstreifen sind Bereiche, die heute nur noch gepflegt werden, damit Wege nicht überwuchert werden und weil sie eben da sind. „Eh – Da“-Flächen werden solche Bereiche genannt, Grünflächen, die keinerlei landwirtschaftliche Bedeutung haben.

Neben Aspekten des Naturschutzes konzentrieren sich die Bauhöfe der Gemeinden bei der Pflege der Randstreifen natürlich auf Anforderungen der Verkehrssicherheit oder die Belange der Anrainer. „Für all diese Anforderungen gibt es viel Spielraum, denn nicht jeder Saum hat das Potential zur blütenreichen Biotopvernetzung. Viele Wegränder sind heute vergrast, schmal und nehmen für die Natur nur eine untergeordnete Rolle ein“, erklärt die Landschaftsökologin.

Bernd Vogel, ehrenamtlicher Naturschützer aus Wartenberg, weiß auch warum: Die Wegsäume spielten in der Vergangenheit tatsächlich noch eine Rolle zur landwirtschaftlichen Futtergewinnung. Wanderschäfer trieben ihre Tiere über die Wegränder und ließen diese dort weiden, sodass magere, blütenreiche Säume – ähnlich der wertvollen Magerrasen – entstanden. Diese Form traditioneller Nutzung lässt sich heutzutage kaum mehr umsetzen. Der Aufwuchs der Wegsäume kann nicht mehr verwertet werden. Zum Einsatz kommen im Regelfall Mulchgeräte, die den zerkleinerten Aufwuchs auf der Fläche liegen lassen. Doch auch mit dieser Pflegetechnik kann ein artenreicher Wegrand gepflegt werden.

In Wartenberg ist die ökologische Bedeutung der Wegränder schon seit mehreren Jahren Thema. Unter Federführung des Bauhofleiters Marco Stein befahren die Bauhofmitarbeiter gemeinsam mit Bernd Vogel die Wartenberger Gemarkungen regelmäßig einmal im Jahr und prüfen, welche Wegsäume schon Mitte Juni und welche erst im Herbst gemäht werden sollten. In diesem Jahr nahm auch Bürgermeister Olaf Dahlmann an der Bereisung teil.

Für Marco Schröder, Bauhofleiter in Schotten, ist eine Anpassung der Mulchtermine der Wegränder eine Win-Win-Situation: Schotten setzt auf einen Pflege-Mulchgang alle zwei Jahre statt jährlich. Davon profitieren auch seltene und geschützte Arten wie zum Beispiel der seltene Schmetterling Dunkler Wiesenknopf-Ameisenbläuling. Nur eine einzige Pflanzenart, der Große Wiesenknopf, ist für den Schmetterling zur Eiablage geeignet – und das auch nur zu einem bestimmten Zeitpunkt. Der Große Wiesenknopf wächst in vielen feuchteren Wegrand- und Grabenbereichen. Wird er erst spät oder in einem Jahr gar nicht abgemäht, kann sich der Schmetterling dort ungestört vermehren.

Schröder freut sich, dass er auf diese Weise nicht nur der Natur einen Dienst erweisen kann, sondern gleichzeitig die umfangreichen Pflegearbeiten des Schottener Bauhofs erleichtert werden – letztlich muss jedes Jahr deutlich weniger Wegrandfläche gemulcht werden.

Der Schwalmtaler Bürgermeister Timo Georg sieht das Thema noch differenzierter: Zusammen mit den Mitarbeitern der Gemeinde hat er sogar einen eigenen Pflegeplan mit Empfehlungen für bestimmte Typen von Wegsäumen entwickelt. Davon profitieren neben Insekten auch selten gewordene Vögel wie der Neuntöter, der in Schwalmtal noch gefunden werden kann. Der Pflegeplan soll nicht nur vom Bauhof umgesetzt werden, sondern auch interessierten Einwohnern von Schwalmtal zugänglich gemacht werden. Allen Maßnahmen gemein ist ihre Einfachheit: Eine einfache Terminverschiebung beim Mähtermin kann bereits großen Nutzen für die Natur bringen. Weniger Pflege ist hier oft sogar mehr. Nur ganz einstellen sollte man sie nicht. Würde ein Wegsaum dauerhaft nicht gepflegt, würde er mit Gehölzen zuwachsen.

Die Untere Naturschutzbehörde des Vogelsbergkreises wird die Pflege und Entwicklung der Wegsäume auch in den Folgejahren begleiten und steht interessierten Kommunen beratend zur Seite. Im Rahmen des Insektenschutzprojektes wurde 2021 den drei teilnehmenden Projektpartner-Kommunen zusätzlich Material zur Öffentlichkeitsarbeit, gefördert aus Mitteln des Landes Hessen zur Umsetzung der Biodiversitätsstrategie durch das Regierungspräsidium Gießen, zur Verfügung gestellt.

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