Was bremst Deutschland bei der Energiewende aus?
Aus meiner Sicht muss ein ausreichend starker Impuls aus dem CO2-Preis kommen. Ein Anfang wäre, dass es einen CO2-Preis für alles gibt. Im Moment gibt es nur für den Stromsektor und energieintensive Unternehmen einen Marktpreis. In den Sektoren Industrie, Verkehr und Gebäude arbeitet die Regierung mit einem festgelegten, über die nächsten Jahre steigenden Preis. Gleichzeitig gibt es Sektor-Einsparziele, die mit diesen Festpreisen nicht erreicht werden. Hier wird ordnungsrechtlich nachgesteuert. Das macht es unübersichtlich und führt zu Verzerrungen. Warum sollte es unterschiedlich teures CO2 geben? Egal, ob das CO2 aus der Heizung, aus dem Auto, aus der Stromerzeugung kommt: Es muss einen Preis geben, und der muss konsequent so ausgestaltet werden, dass damit die Einsparziele erreicht werden. Damit würden überall und für jeden Impulse gesetzt, den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Damit würde Strom und Heizung teurer – ist das politisch durchsetzbar?
Über die CO2-Abgaben würde der Staat ja auch Einnahmen haben und damit besteht die Möglichkeit, diese Einnahmen zielführend einzusetzen. Aus meiner Sicht sollten Töpfe gebildet werden: für sozialen Ausgleich, für Transformationsprozesse in der Wirtschaft und für nachhaltige Infrastrukturinvestitionen. Der Topf für sozialen Ausgleich könnte z. B. jedem in Deutschland registrierten Menschen einen gleichen Betrag überweisen. Wenn eine kleinere Wohnung mit mehreren Personen einen geringen Mehraufwand für CO2-Abgaben hat und gleichzeitig Einnahmen aus der Umlage, steht dieser Haushalt sogar besser dar. Ein großes Haus mit hohem Energieverbrauch und wenigen Bewohnern wird in der Summe mehr ausgeben als einnehmen. In beiden Fällen besteht aber der Anreiz, Energie zu sparen und den CO2-Ausstoß zu reduzieren.
Höhere CO2-Abgaben sind natürlich für Unternehmen, die einen hohen Energieverbrauch haben und die auf dem globalen Markt bestehen möchten, schwierig. Wie bekommen wir die an Board?
Über den Level-Playing-Field-Gedanken. Wir müssen uns anschauen: Wo und gegen wen kämpfen denn diese Unternehmen an? Sie haben zwei Gruppen von Wettbewerbern. Da sind zum einen die traditionellen Wettbewerber. Hier gibt es Heimspiele und Auswärtsspiele. Bei Heimspielen in Deutschland bzw. Europa stehen die Unternehmen nicht nur im Wettbewerb zu anderen Europäern, sondern auch zu Wettbewerbern aus Ländern ohne oder mit nur geringen CO2-Abgaben, zum Beispiel dem indischen Stahlproduzenten.
Kostenfreien CO2-Ausstoß vergleiche ich gerne mit unerwünschtem Doping. Um hier faire Bedingungen zu schaffen, muss der indische Stahlproduzent für das Doping bei der Produktion seiner Produkte, die er nach Europa einführen möchte, eine CO2-Doping-Abgabe zahlen. Dieser Prozess wird CBAM (Carbon Border Adjustment Mechanism) genannt und ist in der EU in der Vorbereitung. Dabei gilt es natürlich auch, darauf zu achten, dass nicht-europäische Anbieter nicht mithilfe von Resource Shuffling eine saubere Produktion vortäuschen. Das Unternehmen muss insgesamt sauber agieren.
Ein Doping für Auswärtsspiele – also kostenfreier CO2-Ausstoß – ist natürlich auch dort nicht erwünscht. Die CO2-frei erzeugte Ware, die aus Europa in die Welt verkauft wird, soll dennoch auch dort wettbewerbsfähig bleiben. Beim Export müsste es also eine Rückerstattung oder etwas ähnliches geben, um ein level playing field herzustellen. Hier muss Europa mit einer Sprache sprechen und internationale Handelsregeln an die neue Realität der Klimaüberhitzung und den Kampf dagegen anpassen.
Und welcher ist der zweite Konkurrent?
Substitutionsprodukte. Wenn ein Werkstoff mit hohem CO2-Ausstoß und somit hohen Kosten künftig durch einen anderen Werkstoff mit niedrigeren Kosten ersetzt werden kann, ist das durchaus erwünscht. Der CO2-Preis gibt Impulse, umweltfreundliche Materialien werden wirtschaftlicher. Es muss attraktiver sein, beispielsweise auf Solarenergie als auf Kohle zu setzen. Es muss sich lohnen, die eigenen Produkte so zu gestalten, dass sie wenig CO2 in der Herstellung produzieren. Die volkswirtschaftlichen Folgekosten zu ignorieren, geht einfach nicht mehr.
Welche drei Punkte sollte die neue Bundesregierung als erstes angehen?
Mit Blick auf die Solarwirtschaft ist das erste die EEG-Umlage. Die EEG-Umlage auf Eigenverbrauch muss entfallen. Das gilt nicht nur auf dem eigenen Dach, sondern überall. Wenn ich auf meinem Grund saubere Solarenergie erwirtschafte, darf dieses verantwortliche Handeln nicht bestraft werden. Wenn ich den Strom ins Netz einspeise, muss ich für die Netznutzung zahlen, das ist richtig. Denn ich nutze das Netz ja. Aber der eigenverbrauchte Strom muss von der EEG-Umlage befreit sein. Die Befreiung sollte übrigens nicht nur für Eigenstrom gelten, sondern generell für verbrauchsnah erzeugten Strom, also wenn z. B. die Kurt Meier PV GmbH an die Kurt Meier Schreinerei GmbH im Gebäude darunter den Strom liefert.
Der zweite wichtige Punkt ist, dass die Ausbauziele des Bundes deutlich angehoben werden müssen – mindestens auf 20 GW/a. Gleichzeitig muss die Vergütungssatzdegression angepasst werden. Was meine ich damit? Die aktuelle Regelung ist so: Es gibt ein Zubauziel, dass bis vor Kurzem bei 2,5 GW lag. Je stärker dieses Ziel überschritten wird, umso stärker sinkt die Vergütung ab.
Jetzt wurde diese Grenze bereits angehoben und es werden rund 5 GW/a zugebaut, mit der Folge, dass der Vergütungssatz aktuell schon sehr stark abnimmt. Der Zielwert und damit der Referenzwert für die Degression muss also auf 20 GW angepasst werden. Um auf die richtige Grundgeschwindigkeit zu kommen, müssen wir jetzt die Vergütung einmalig in einem merkbaren Schritt anpassen und dann gemäß der etablierten Prozesse den atmenden Deckel arbeiten lassen.
Die dritte wichtige Aufgabe ist es, die Flächenkulisse zu öffnen und die Genehmigungsprozesse zu beschleunigen. Wenn wir die Transformation, die wir nötig haben, schaffen wollen, müssen wir das große Ziel den kleineren Befindlichkeiten überordnen. Um den dringend benötigten Ausbau in der wenigen Zeit, die wir haben, zu schaffen, könnten wir zum Beispiel diese Prozesse umdrehen. Momentan sagt der Bund: die Länder können Flächen gezielt freigeben. Das ist eine Opt-in-Variante. Das kennen einige vielleicht von den Datenschutzdiskussionen bei Webseiten. Um jetzt eine Fläche freizugeben, müssen die Gemeinden gehört werden. Es kommt zu lange währenden Prozessen.
Besser wäre eine Opt-out-Variante in der viele Flächenkategorien per se in ganz Deutschland für den Solarausbau freigegeben sind und dann den Ländern die Freiheit gelassen wird, diese Flächenkulisse aktiv einzuschränken. In diesem Fall müssen die Länder selbst argumentieren, warum bestimmte Teile ihrer Landesfläche nicht nutzbar sein sollen, wovon selten Gebrauch gemacht würde.
Welche Rolle spielt die Globalisierung dabei?
Dadurch, dass wir die Globalisierung ungebremst zugelassen haben – und ich bin auf keinen Fall gegen Globalisierung –, haben sich über 90 Prozent der Weltproduktion von Solarzellen und Modulen nach China verlagert. Das macht die Branche sehr anfällig für Störungen, und gerade jetzt merken wir das deutlich in reduzierten und verzögerten Lieferungen und schmerzhaften Preissteigerungen. In diesem strategischen Bereich der künftig weltweit wichtigsten Stromerzeugungstechnologie ist die Politik gut beraten, Wege zu finden, die Produktion wieder nach Europa zu holen.
Wir müssen einen Weg finden, den Bedingungen und der Willkür in China nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Die europäische Wertschöpfungskette muss wiederbelebt, die vorhandenen Kompetenzen gestärkt werden. Ich rede jetzt nicht von kontinuierlichen Förderszenarien. Es geht um eine intelligente Industriepolitik, damit unsere Industrie auf dem Weltmarkt nachhaltig agieren kann.
Können wir in Deutschland klimaneutral werden?
Auf jeden Fall. Der aktuelle Strombedarf für ganz Deutschland in Kilowattstunden könnte gedeckt werden, wenn wir rund 1,5 Prozent der Landfläche mit Photovoltaik versehen. Das kann auf Dächern, mit regulären Freilandanlagen, mit intelligenter Agri-PV und so weiter passieren. Wenn wir den Blick weiten und auch die Primärenergie ersetzen wollen – in der Stahlindustrie, in der chemischen Industrie usw. – bräuchten wir für die rund 2.000 TW/h zirka 5 Prozent unserer Landfläche. Das wäre ein Solar-only Ansatz und bräuchte noch Leitungen und Speicher. Aber es wird ja nicht NUR Solar eingesetzt. Deutschland kann sich also in Kilowattstunden komplett selbst versorgen. Mit allen Industrieprozessen.
Auch wenn ich ein Strom-Fan bin, ist es für Niedertemperaturanwendungen in Haushalten, im Gewerbe und in der Fernwärme häufig sehr sinnvoll Solarthermie zu nutzen. Natürlich können wir auch die bewusste Entscheidung treffen, synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff zu importieren. Warum nicht.
Haben wir die Speicher dafür?
Nein, noch nicht. Ich halte es für sinnvoll, dass wir die Verbindungen zu unseren Nachbarländern stark ausbauen. Auf diesem Weg kann Strom flexibel gehandelt werden. Und wir müssen weiter daran arbeiten, Speicher in unterschiedlichster Form aufzubauen. Wir haben offensichtliche Speicher – Batterien, Elektromobilität –, wir haben die Pumpspeicherwerke, die aber keine unendliche Kapazität haben. Wasserstoff als Speicher wird eine große Rolle spielen müssen. Dazu kommen die kleinen Speicher im privaten Bereich und in der Industrie, die natürlich auch nicht ignoriert werden dürfen. Es gibt Solarthermiespeicher für daheim und Kühlhäuser, die bei günstiger Energie noch kälter gefahren werden können, so dass sie bei teurer Energie die Kühlaggregate ausschalten können. Speicher sollten aber noch viel weitergedacht werden. So können Hersteller, die energieintensive Produkte haben, die nicht durchgängig produziert werden, die Zeitpunkte der Produktion vor dem Hintergrund der Wetter- oder der Strompreisprognose sinnvoller wählen.
Es gibt da viele Möglichkeiten, die wir als Gesamtbild zusammenbringen müssen. Dafür müssen wir den Blick entwickeln und lernen, wie man diese Wege sinnvoll einbindet.
Interview: Mariana Friedrich
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