Seit Jahren mehren sich die Hinweise, dass die repetitive transkranielle Magnetstimulation (rTMS) über die Behandlung anderer psychiatrischer Leiden hinaus auch bei der Behandlung von Suchterkrankungen eine Rolle spielen könnte. Allerdings hatten die bisherigen Studien zumeist nur eine kleine Anzahl von PatientInnen eingeschlossen. An der nun in der Fachzeitschrift „World Psychiatry“ veröffentlichten Studie waren dagegen 262 PatientInnen beteiligt, die an 12 US-amerikanischen und 2 israelischen Zentren rekrutiert wurden. Hierbei wurde eine spezielle Form der rTMS, einer sogenannte deep TMS, eingesetzt, mit einer weniger fokal wirkenden Stimulationsspule (eine sog. H4 Spule). „Das randomisierte und placebokontrollierte Design dieser Studie erfüllt die höchsten Standards und macht die Ergebnisse gegenüber früheren Untersuchungen belastbarer“, so die Einschätzung von Prof. Dr. Frank Padberg von der Psychiatrischen Uniklinik München, der das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte German Center for Brain Stimulation (GCBS) koordiniert.
Magnetstimulation mit psychotherapeutischen Kurzinterventionen
Alle PatientInnen in der aktuellen Studie hatten mindestens einen erfolglosen Versuch hinter sich, mit dem Rauchen aufzuhören. Bei zwei Dritteln der Teilnehmenden waren drei oder mehr Anläufe gescheitert. „Eine weitere Besonderheit der Studie ist, dass zusätzlich zu dieser speziellen Form der rTMS auch verhaltenstherapeutische Kurzinterventionen eingesetzt wurden“, erklärt Prof. Padberg. Unmittelbar vor der Behandlung wurden fünf Minuten lang suchtspezifische Symptome provoziert: Die StudienteilnehmerInnen sollten sich die Auslöser ihres Suchtverlangens vorstellen und wurden mit einer Audiodatei und Bildern zum Rauchen konfrontiert. Danach erfolgte die Hirnstimulation (in jeder Sitzung 60 Einheiten von je drei Sekunden Dauer mit jeweils 30 Pulsen) mittels einer Magnetspule, die über den Regionen des lateralen präfrontalen Kortex und der Inselrinde platziert wurde. Jeder oder jede zweite Teilnehmende wurde dabei aber nur zum Schein stimuliert – diese Placebogruppe diente zum Vergleich. Nach der Stimulation wurde ein Motivationsgespräch als zweiminütige Kurzintervention geführt.
Sechs Wochen Behandlung mit 18 Sitzungen
In den ersten 3 Wochen erfolgte die Behandlung werktäglich, in den folgenden 3 Wochen einmal wöchentlich. Nach 18 Wochen hatten es in der Gruppe der mit rTMS Behandelten laut Fragebogen 19,4 % geschafft, mindestens 4 Wochen durchgehend nicht zu rauchen, was die ForscherInnen mittels Urinproben auf Nikotinabbauprodukte kontrollierten. In der Vergleichsgruppe lag der Anteil bei lediglich 8,7 %. Nach den ersten 6 Wochen hatten sich sogar 28,0 % der mit rTMS Behandelten von den Zigaretten befreien können, in der Placebogruppe waren es nur 11,7 %. Durchschnittlich rauchten die PatientInnen der Verumgruppe weniger Zigaretten und hatten ein vermindertes Verlangen danach (sog. Craving).
Zulassung in den USA bereits erteilt
„Die Studie etabliert ein sicheres Behandlungsprotokoll zur Raucherentwöhnung durch die Stimulation relevanter Hirnregionen“, schreiben die AutorInnen. Es sei die erste große, multizentrische, randomisierte, kontrollierte Studie zur Hirnstimulation in der Suchtmedizin. Für die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) waren die Daten hinlänglich überzeugend, um diese rTMS-Methode erstmals als Hilfe bei der Raucherentwöhnung Erwachsener zuzulassen. „Da es sich um einen ganz speziellen rTMS-Ansatz handelt, ist das Verfahren hierzulande noch nicht einfach verfügbar. Zur genauen Beurteilung des Stellenwertes bedarf es – trotz der klaren Ergebnisse dieser Studie – weiterer Forschung“, so Prof. Padberg.
Referenzen
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