Neue Umfrage der Anna-Lindh-Stiftung zu interkulturellen Trends: Einwanderung als Hauptmerkmal der Europa-Mittelmeer-Region ist ein Mythos

Die neue euro-mediterrane Umfrage der Anna-Lindh-Stiftung zu interkulturellen Trends zeigt, dass die Mittelmeerregion in der allgemeinen Wahrnehmung stark von Gastfreundschaft und Lebensart geprägt ist. Die Länder am südlichen und östlichen Ufer des Mittelmeers (SEM) sehen die Migrationsproblematik jedoch anders als die europäischen Länder. Mehr als die Hälfte (60 %) der Befragten in den SEM-Ländern sehen den Mittelmeerraum stark von Migrationsfragen geprägt, verglichen mit etwa vier von zehn Befragten in Europa. Nur ein Drittel (34 %) der deutschen Befragten charakterisiert die Region in dieser Weise. Die Umfrage hat untersucht, was die Menschen als kritische Aspekte des Lebens in der Region ansehen und welche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede sie zwischen sich selbst und Menschen aus anderen Ländern und Kulturen sehen.

Zu den wichtigsten Ergebnissen der Studie gehört, dass eine überwältigende Mehrheit der Teilnehmer auf beiden Seiten des Mittelmeers der Meinung ist, dass Jugendprogramme den Zusammenhalt am wirksamsten fördern: Nämlich 64 Prozent in den europäischen Ländern und 62 Prozent der Befragten in den Ländern des südlichen und östlichen Mittelmeerraums. Viele sind der Meinung, dass Schulen eine wichtige Rolle dabei spielen, Schüler über kulturelle Vielfalt zu unterrichten und verschiedene Kulturen zusammenzubringen. Schulen sollten Orte sein, an denen Kinder lernen, in Vielfalt zu leben, und lokale Behörden und zivilgesellschaftliche Initiativen sollten zur Förderung des interkulturellen Dialogs ermutigt werden. In Marokko, Irland und Deutschland halten die meisten Befragten diese Maßnahmen entweder für „sehr wirksam" oder für „teilweise wirksam“ (insgesamt zwischen 93 % und 96 %). Zwei Fünftel (38 %) der Menschen in den europäischen Ländern sind der Meinung, dass kulturelle und künstlerische Initiativen „sehr wirksame“ Maßnahmen zur Konfliktprävention und -bewältigung sind.

Josep Ferré, Executive Director der Anna-Lindh-Stiftung: „Die faktengestützten Informationen und Analysen können eine Grundlage für neue Denkansätze und Richtlinien für konkrete und politische Maßnahmen zur Förderung des interkulturellen Dialogs, des Zusammenhalts kulturell vielfältiger Gesellschaften, der Förderung des gegenseitigen Verständnisses und der regionalen Zusammenarbeit in der gesamten Europa-Mittelmeer-Region sein.“

„Eine große Mehrheit der SEM-Befragten und der Europäer ist der Ansicht, dass die Face-to-Face-Barrieren bei interkulturellen Interaktionen durch die Nutzung digitaler Tools abgebaut werden“, ergänzt Eleonora Insalaco, Head of Operations und Leiterin für interkulturelle Forschung bei der Anna-Lindh-Stiftung. „In dieser Hinsicht wäre es sinnvoll, die effektivsten digitalen Plattformen für die interkulturelle Interaktion näher zu betrachten.“

Zu den wichtigsten Ergebnissen für Deutschland gehören:

  • Die Befragten in Deutschland geben am häufigsten an, dass kulturelle Spannungen oder Konflikte im Laufe der Geschichte (73 %) oder die Religion (64 %) Hindernisse für interkulturelle Begegnungen darstellen.
  • Im Vergleich zu früheren Umfragen zu interkulturellen Trends ist der Anteil der Befragten, die Vielfalt als Bedrohung für die Stabilität der Gesellschaft sehen, in einigen Ländern zurückgegangen – so auch in Deutschland von 43 Prozent im Jahr 2012 auf 6 Prozent im Jahr 2020.
  • Der Aussage „Kulturelle und religiöse Vielfalt ist wichtig für den Wohlstand Ihrer Gesellschaft“ stimmt eine Mehrheit (50 % oder mehr) in allen Ländern außer Jordanien (46 %), Deutschland (43 %) und der Tschechischen Republik (20 %) „voll und ganz“ zu. In Deutschland und Jordanien ist die Zustimmung zu dieser Aussage im Vergleich zu früheren Befragungen gesunken. Insgesamt stehen die befragten Länder Vielfalt offen gegenüber, sind tolerant gegenüber anderen Kulturen und sehen den Wert einer multikulturellen Gesellschaft.
  • In Deutschland, Schweden und Griechenland sehen Menschen, die in ländlichen Regionen leben, die kulturelle und religiöse Vielfalt eher als eine Bedrohung für die Stabilität der Gesellschaft an als Menschen in städtischen Gebieten. In Deutschland stimmten 25 Prozent der Befragten in ländlichen Gebieten dieser Aussage voll und ganz oder teilweise zu, verglichen mit nur 16 Prozent in Großstädten.

Zu den wichtigsten Ergebnissen der Umfrage gehören:

  • Kulturelle Vielfalt ist etwas, das in der gesamten Region anerkannt und geschätzt wird. Eine große Mehrheit gab an, religiöse Vielfalt zu begrüßen und sich für andere Kulturen zu interessieren. Allerdings sind viele der Befragten der Meinung, dass mehr getan werden muss, um Stereotypen und Hindernisse, die das Zusammenleben erschweren, zu beseitigen. Die SEM-Länder stimmen „voll und ganz“ zu, dass kulturelle und religiöse Vielfalt für den Wohlstand ihrer Gesellschaft wichtig sind (59 % im Vergleich zu 45 % in Europa).
  • In der gesamten Region herrscht Einigkeit darüber, dass Kunst eine wichtige Rolle bei der Annäherung zwischen Ländern und Kulturen spielt und dass kulturelle und künstlerische Projekte dazu beitragen können, die Trennung zwischen den Kulturen zu verringern. Filme gelten dabei als wichtige Quelle für kulturübergreifende Informationen.
  • Während beide Ländergruppen allgemein positive Ansichten über die Region haben, neigen die Befragten aus dem südlichen Mittelmeerraum eher zu negativen Assoziationen. Ein Drittel der Befragten aus dem südlichen Mittelmeerraum bezeichnet den Mittelmeerraum als Quelle von Konflikten (33 %) und als resistent gegen Veränderungen (32 %), verglichen mit nur 20 Prozent bzw. 14 Prozent der europäischen Befragten.
  • Die meisten SEM-Befragten (70 %) sind der Meinung, dass die Verstärkung der interkulturellen Zusammenarbeit Vorteile im Hinblick auf eine größere ökologische Nachhaltigkeit bringen kann, während nur 41 % der Europäer solche Vorteile sehen.

Über die Studie

  • Die Anna-Lindh-Stiftung hat Ipsos mit ihrer dritten Meinungsumfrage zu interkulturellen Trends in der Europa-Mittelmeer-Region beauftragt.
  • Mehr als 13.000 Menschen in 13 Ländern wurden von Ipsos-Mori in der ersten Jahreshälfte 2020 für diese Studie zu ihren Erwartungen, Bedenken und Werten befragt. Zu den untersuchten Ländern gehören acht europäische Länder (Schweden, Deutschland, Griechenland, Zypern, Rumänien, Kroatien, Irland und die Tschechische Republik) und fünf Länder des südlichen und östlichen Mittelmeerraums (Algerien, Jordanien, Libanon, Mauretanien und Marokko).
  • Die Zielbevölkerung besteht aus allen Personen ab 15 Jahren (in Tschechien und Schweden ab 16 Jahren), die in den erfassten Ländern leben. In allen Ländern lag der angestrebte Stichprobenumfang bei 1.000 vollständig ausgefüllten Interviews. Die Feldarbeit fand in allen Ländern außer Mauretanien zwischen dem 9. März 2020 und dem 16. Juni 2020 statt, wobei die Erhebung aufgrund der COVID-19-Pandemie nach der Hälfte der Zeit unterbrochen wurde. Die Erhebungen in Mauretanien fanden zwischen dem 28. August 2020 und dem 09. Oktober 2020 statt.
  • Der Intercultural Trends Report der Anna-Lindh-Stiftung ist die vierte Welle einer 2010 gestarteten Reihe, die einen Einblick in die Dynamik der Region über mehrere Jahre hinweg gibt. Die Umfrage ist nur ein Element in einem von der Stiftung organisierten Programm von Aktivitäten, die darauf abzielen, den interkulturellen Dialog zu messen, Maßnahmen zur Umsetzung in die Praxis abzuleiten und politische Entscheidungsträger zu unterstützen.
  • Weitere Informationen und den vollständigen Bericht der Anna-Lindh-Stiftung über interkulturelle Trends in der Europa-Mittelmeer-Region finden Sie unter: annalindhfoundation.org/what-we-do/intercultural-trends-report
Über Anna-Lindh-Stiftung

Die 2005 gegründete Anna-Lindh-Stiftung ist eine internationale Organisation, die von den Ländern der Europa-Mittelmeer-Partnerschaft und der Europäischen Union im Rahmen des Barcelona-Prozesses als zentrale Einrichtung für den interkulturellen Dialog zwischen den Völkern der Region gegründet wurde. Sie stellt einen Zusammenschluss von Netzwerken zivilgesellschaftlicher Organisationen dar, die sich der Förderung des interkulturellen Dialogs und der Achtung der Vielfalt in der Region verschrieben haben. Die Stiftung fördert den interkulturellen Austausch und das gegenseitige Verständnis durch gemeinsame Projekte zwischen den Bevölkerungsgruppen der Euro-Med-Region.

Mit ihren Aktionen und Denkanstößen möchte die Anna-Lindh-Stiftung einen Beitrag zur Entwicklung einer interkulturellen Strategie für die Europa-Mittelmeer-Region leisten, Empfehlungen für Entscheidungsträger und Institutionen aussprechen und sich für gemeinsame Werte einsetzen.

Ziel der Stiftung ist es, Brücken der Verständigung im Mittelmeerraum zu bauen. Sie hat in den meisten sozialen und kulturellen Bereichen Pionierarbeit geleistet und sich an Initiativen beteiligt. Dazu gehören die Organisation von Seminaren zum Kompetenzerwerb und zur Ausbildung, der kulturelle und künstlerische Austausch, Übersetzungen und gemeinsame akademische Forschung, Auszeichnungen, Seminare und öffentliche Debatten. Die Stiftung arbeitet mit einer Vielzahl von Institutionen zusammen. Mehrere langfristige Projekte werden in Zusammenarbeit mit der UNESCO, der Arabischen Liga, dem Europarat, der Allianz der Zivilisationen der Vereinten Nationen, ALECSO, ISESCO, EMUNI und den regionalen Netzwerken in der Euro-Med-Region durchgeführt.

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