Peking-Vorschau von Biathlon-Olympiasiegerin Kati Wilhelm: „Es gibt nicht mehr vier oder fünf Deutsche, die aufs Podium laufen können“

Die dreifache Olympiasiegerin, Mitglied im Sporthilfe Alumni-Club, spricht im Sporthilfe-Interview über ihre "zweite Karriere" und erklärt, wieso deutsche Biathlet:innen bei den Olympischen Spielen in Peking nicht mehr automatisch auch Medaillenkandidat:innen sind

Für die dreifache Olympiasiegerin Kati Wilhelm zählen die deutschen Biathlet:innen bei den Olympischen Spiele in Peking nicht mehr automatisch zu Medaillenkandidat:innen. „Es wird von der Tagesform abhängen, wobei deutsche Staffeln immer mit um die Medaillen kämpfen können“, so die heutige TV-Expertin im Interview für das „go!d“-Magazin der Deutschen Sporthilfe. Im Vergleich zu Wilhelms aktiver Zeit sei keine breite Basis mehr mit vier oder fünf Athleten vorhanden, die alle aufs Podium laufen könnten. Zudem macht die 45-Jährige, die sich selbst mit Nachwuchs-Camps im Jugendbereich engagiert, inzwischen „eine andere Generation aus, bei der Trainer gefordert sind, die letzten Prozente herauszukitzeln“.

Als Biathletin gewann Kati Wilhelm sieben olympische Medaillen, davon drei goldene, wurde fünfmal Weltmeisterin und war im Weltcup über ein Jahrzehnt lang an der Spitze mit dabei. Von der Deutschen Sporthilfe wurde sie über 16 Jahre gefördert, nach ihrem Karriereende 2010 trat sie dem Sporthilfe Alumni-Club bei. Heute ist die zweifache Mutter der Öffentlichkeit vor allem als Biathlon-Expertin im Fernsehen bekannt.

Abdruck des Interviews honorarfrei. Quelle: go!d – Das Magazin der Deutschen Sporthilfe

Deutsche Sporthilfe: Was macht Kati Wilhelm, wenn sie nicht als TV-Expertin unterwegs ist?

Kati Wilhelm: Ich habe früher tatsächlich überlegt, was werden meine Kinder auf die Frage nach dem Beruf der Mama einmal antworten. Anfangs war ich für deren Freunde noch die Biathletin, nachdem ich ein Restaurant eröffnet hatte, wurde ich zu der, „die das Eis verkauft“. Das fand ich sehr lustig. Aber im Ernst, es gibt eigentlich keine treffende Bezeichnung. TV-Expertin trifft es ja auch nicht, da das doch zeitlich recht begrenzt ist. In diesem Winter sind es nur ein paar Einsätze…

… bei denen Du aber nach wie vor eine geschätzte Gesprächspartnerin bist. Welche Erwartungen hast Du an die olympische Saison aus deutscher Sicht?

Es wird sicherlich eine schwere Saison. Die Erwartungen liegen auf wenigen Schultern, bei den Frauen auf Franziska Preuß und Denise Herrmann, bei den Männern nach Arnd Peiffers Karriereende bei Benedikt Doll und Erik Lesser. In Peking wird es von der Tagesform abhängen, wobei deutsche Staffeln immer mit um die Medaillen kämpfen können.

Woran liegt es, dass die deutschen Biathlet:innen nach vielen erfolgsverwöhnten Jahren nicht mehr automatisch zu den Medaillenkandidat:innen gehören?

Der DSV hat bereits länger erkannt, dass uns der Übergang vom Juniorenbereich in den Weltcup nicht gelingt. Hier gegenzusteuern, neue Strukturen zu schaffen, das dauert, bis es von Erfolg gekrönt ist. In der öffentlichen Wahrnehmung haben Ausnahmetalente wie Magdalena Neuner und Laura Dahlmeier vielleicht auch überspielt, dass schon länger nicht mehr wie in meiner Zeit eine breite Basis mit vier oder fünf Athleten vorhanden war, die aufs Podium laufen konnten. Ich sehe zudem, dass es inzwischen eine andere Generation ist, bei der Trainer gefordert sind, die letzten Prozente herauszukitzeln. Man muss die Sportler finden und fördern, die die Mentalität mitbringen, die für den Leistungssport entscheidend ist.

Du selbst engagierst Dich für den Nachwuchs, richtest seit Jahren Nachwuchs-Camps aus. Beobachtest Du bereits dort diese veränderte Mentalität?

Wer zum „KatiCamp“ kommt, so ist zumindest mein Eindruck, ist sehr motiviert. Und sie sollen dort noch weitaus mehr Motivation bekommen. Denn eine Einladung ist zwar eine Belohnung der bisherigen Leistungen, aber tatsächlich auch erst der Anfang eines langen Weges. Aber ich sehe da durchaus Potential.

Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf den Biathlon-Nachwuchs?

Als Outdoor-Sportart sind wir, anders als Hallensportarten, bisher eigentlich ganz gut durchgekommen. Aber da es generell immer schwieriger wird, Kinder zum Sport zu bewegen, das sehe ich auch bei meinem Heimatverein, ist die Pandemie insgesamt natürlich bitter – für Kinder und Vereine.

Du hast vorhin bereits Dein Restaurant in Steinbach-Hallenberg in Thüringen angesprochen. Wie gut bist Du persönlich als Gastronomin durch die Pandemie gekommen?

Wir hatten lange geschlossen, und ich bin froh, dass meine zwei Festangestellten mir die Treue gehalten haben, sodass wir ab Juli wieder motiviert öffnen konnten. Seitdem ist die Nachfrage wieder sehr gut und jetzt schauen wir mal, wie wir durch den Winter kommen.

Zusätzlich engagierst Du Dich auch als Genuss-Botschafterin für Thüringen.

Ich bin jemand, der viel rum-, aber dann auch wieder nach Hause gekommen ist. Ich bin stolz auf meine Heimat und denke, wir sollten noch präsenter und auch selbstbewusster sein. Die Thüringer haben so viel mehr zu bieten als Bratwurst und Klöße. Ich möchte mit meinem Gesicht helfen, dies nach innen und außen zu vermitteln.

Es ist deutlich, dass Du hast den Ausstieg aus der Loipe gut gemeistert hast. Was würdest Du der aktuellen Generation raten, wie man sich auf das Leben nach der sportlichen Karriere vorbereitet?

Man sollte die Zeit nach der sportlichen Karriere nie aus den Augen verlieren – und direkt nach Karriereende in den Sporthilfe Alumni-Club eintreten (lacht). Im Ernst, ich finde gut, dass die Sporthilfe hier vielfältige Angebote macht. Ich glaube aber auch, dass es okay ist, eine gewisse Zeit alles dem Sport unterzuordnen und die Chance zu nutzen, unter nahezu professionellen Bedingungen auf ein großes Ziel hinzuarbeiten. Als ich meine ersten großen Ziele erreicht hatte, habe ich mich parallel zum Sport auch um mein Leben danach gekümmert und ein Fernstudium „Internationales Management“ angefangen. Prinzipiell empfinde ich nämlich Sport und Ausbildung als eine fruchtbare Symbiose, weil das eine ein guter Ausgleich für das andere ist und umgekehrt.

Das Interview ist erschienen in „go!d – Das Magazin der Deutschen Sporthilfe“. Darin finden Sie auch folgende Themen:

  • Bob-Champions Francesco Friedrich und Mariama Jamanka im Doppelinterview: „Monobob ist keine wirkliche Gleichberechtigung“
  • Schnee von gestern? Wie deutsche Spitzenathlet:innen mit Nachhaltigkeits- und Klimaschutzinitiativen zu einem Umdenken beitragen wollen
  • Freie Fahrt: Das deutsche Para-Ski-alpin-Team vor den Paralympics in Peking
  • Champions von morgen: Die Juniorsportler:innen des Jahres 2021 im Porträt
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