Die Umstellung von Lastwagenflotten auf erneuerbare Energie ist ein Ziel vieler Flottenbetreiber weltweit. Das hat auch der global tätige Navigationssoftwarehersteller HERE erkannt; die Firma ist eine gemeinsame Tochterfirma der deutschen Automobilhersteller Audi, BMW und Daimler. Beteiligt sind ausserdem Intel, Bosch, Continental und der chinesische Tencent-Konzern. HERE liefert das Kartenmaterial für Logistikkonzerne weltweit, unter anderem auch für die Routenplanung der rund 800 Lastwagen der Migros-Genossenschaft.
Das nun von HERE übernommene Software-Tool basiert auf einer Zusammenarbeit zwischen Migros und Empa. Im Rahmen ihrer Dekarbonisierungsstrategie suchte die Migros wissenschaftliche Unterstützung zur Umstellung ihrer LKW-Flotte auf erneuerbare Energie. Gemeinsam entwickelten Migros und Empa daraufhin eine Software, die die Transformation der Migros-Fahrzeugflotte auf CO2-arme Antriebe unterstützt. Mit Hilfe der Software kann der Einsatz von Lastwagen mit alternativen Antrieben und erneuerbaren Treibstoffen wie Wasserstoff, Elektro, Biogas und Biodiesel hinsichtlich Leistung, Reichweite, Nutzlast und Kosten für individuelle Routen analysiert und gleichzeitig die real zu erwartenden CO2-Einsparungen im Vergleich zu Diesel-Lastwagen berechnet werden. Dank einer Anbindung an Ökobilanzdatenbanken lassen sich auch synthetische Treibstoffe integrieren.
Testphase bis 31. März 2022
Die ISO- und DIN-zertifizierte Software ist bei der Migros unter dem Namen «M Opex Tower» bereits seit einigen Monaten im Einsatz. Wie der HERE-Konzern auf der Technologiemesse CES in Las Vegas Anfang Januar mitteilte, wird sie unter dem Namen «CO2 Insights» ab sofort ins Softwareprogramm von HERE aufgenommen. Auf diese Weise wird Migros- und Empa-Knowhow für Logistik-Dienstleister aus aller Welt verfügbar. Bis zum 31. März 2022 kann die Software von allen HERE-Kunden kostenlos genutzt und evaluiert werden.
Begonnen hat die Geschichte aber eigentlich schon vor zehn Jahren. An einer wissenschaftlichen Konferenz der «Society of Automotive Engineers» (SAE) präsentierte Christian Bach, Leiter der Abteilung Fahrzeugantriebssysteme eine Studie der Empa zum Wirkungsgradverhalten von Fahrzeugen. Dabei zeigte er, dass sich der Energieverbrauch von Fahrzeugen für beliebige Fahrten mittels einer einfach anwendbaren mathematischen Funktion berechnen lässt. Der zugrundeliegende mathematische Ansatz ist als «Willans-Approximation» bekannt und wird bis heute weltweit in vielen Studien im Bereich von Energiewandlern eingesetzt. Benannt ist sie nach seinem Erfinder Peter Willans aus England, der im späten 19. Jahrhundert seine Beobachtungen an Dampfmaschinen in dieser Form dargestellt hat. Forschende der Empa hatten den Ansatz zur Auswertung von Fahrzeugverbrauchsdaten genutzt und damit gezeigt, dass dieser nicht nur für Verbrennungs- oder Elektromotoren, sondern auch auf Gesamtfahrzeuge anwendbar ist.
Von der Dampfmaschine zum Elektroauto
Seither setzte die Empa diesen Ansatz immer häufiger ein, etwa im EU-Projekt «eLCAr» für die Untersuchung der Ökobilanzen von Elektrofahrzeugen, in einer Doktorarbeit an der ETH Zürich für Analysen zum Gesamtfahrzeugpark der Schweiz und in einem Buchprojekt mit der deutschen Hochschule Coburg und dem Automobilhersteller Audi im Bereich der Bewertung der realen Klimabelastung und der Gesamtkosten von Fahrzeugen mit verschiedenen Antrieben. Im Rahmen der strategischen Zusammenarbeit von Migros und Empa im Bereich der Dekarbonisierung entstand dann die Idee, diesen Ansatz für eine Software-gestützte Flottentransformation der Migros-Lastwagen auf CO2-arme Antriebe einzusetzen.
«Die Transformation ganzer Flotten ist wesentlich komplexer, als die Erprobung einzelner Lastwagen mit alternativen Antrieben oder Treibstoffen», sagt Bach. Die Heterogenität der Transportaufgaben sei hoch und mit Mittelwertmodellen nicht ausreichend genau abbildbar, deshalb müsse man jede einzelne Fahrt individuell betrachten.
Zertifizierte Umweltwirkung
Bach lobt ausdrücklich die gute Zusammenarbeit mit dem Projektpartner: «Die Migros hat das Empa-Team an interne Besprechungen mit den Flottenverantwortlichen eingeladen, was für die Lösungsfindung enorm wichtig war und schliesslich zur gemeinsamen Entwicklung des Software-Tools geführt hat.» Mehrere Monate lang wurde die Software an der Migros-Lastwagenflotte getestet und es wurden Validierungsmessungen an Diesel-, Biogas- Elektro- und Wasserstofflastwagen durchgeführt. Schlussendlich konnte das Tool nach den Normen DIN EN 16258 und ISO 14040 sowie vom CO2-Kompensationsberater myclimate zertifiziert werden.
Die CO2-Reduktionsziele der Migros sind sehr ambitioniert. Gegenwärtig betreibt die Migros elf Wasserstoff-LKW, 78 Biodiesel- und Biogas-LKW und 13 Elektro-LKW. Bald sollen es noch mehr werden. «Wir wollen im Fahrzeugpark schnell weg von fossilen Treibstoffen«, sagt Rainer Deutschmann, Direktor für Sicherheit & Verkehr beim Migros-Genossenschaftsbund und treibende Kraft hinter der Digitalisierung der Warenströme und der Umstellung der Lastwagenflotte. «Das Tool erlaubt es uns, technologische Entwicklungen bei den Lastwagen zu antizipieren und die Fahrzeugbeschaffungsstrategie laufend anzupassen». Die Zusammenarbeit mit der Empa sei damit aber noch nicht abgeschlossen; das Software-Tool soll kontinuierlich weiterentwickelt werden.
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