Spiel mit dem Feuer oder Chronik eines angekündigten Todes

Gottlieb Biedermann hat Angst. Nacht für Nacht brennt es in der Stadt. Niemand weiß warum. Wird sein Haus das nächste sein, das in Flammen aufgeht? Feige ignoriert Biedermann alle Anzeichen, die auf sein unvermeidliches Ende hindeuten, paktiert stattdessen lieber mit den Brandstiftern, um sich seiner Schuld und seinen Dämonen nicht stellen zu müssen. 1957/1958 schrieb Max Frisch sein Lehrstück ohne Lehre »Biedermann und die Brandstifter«, eine Parabel von faszinierender Zeitlosigkeit und Allgemeingültigkeit.  Ob nun blind aus Feigheit, Trägheit, Dummheit oder tatenlos aus falsch verstandener Toleranz und Höflichkeit – die Biedermänner spielen durch Abducken und Wegschauen eine ebenso fatale Rolle in den Tragödien der Geschichte wie die gesellschaftlichen Brandstifter. Gerade weil das Ende der Geschichte absehbar ist, kann sich die irrwitzige Parabel so virtuos und tragikomisch entfalten. »Biedermann und Brandstifter« wurde noch nie im Haus am Berliner Platz gezeigt. Am 9. April 2022 hat Max Frischs Schauspiel in Inszenierung von Tobias Wellemeyer im Großen Haus des Theaters Heilbronn Premiere.

Zum Inhalt
Nicht mal eine Zigarette könne man sich anzünden, ohne an die Feuersbrünste zu denken, die seine Heimatstadt heimsuchen, schimpft Gottlieb Biedermann beim gemütlichen Zeitunglesen im trauten Heim. Der wohlhabende Haarwasserfabrikant, dessen Reichtum auf betrügerischen Versprechen über die angeblich haarwuchsfördernde Kraft seiner Tinkturen beruht, kennt kein Vertun: Aufhängen sollte man diese Brandstifter, verkündet Biedermann ein ums andere Mal. Schwarz auf weiß kann er lesen, dass die Zündler immer die gleiche Masche benutzen. Sie nisten sich als harmlose Hausierer auf dem Dachboden unbescholtener Bürger ein, und schon steht am nächsten Tag das Haus in Flammen.
Da klingelts an der Tür und Josef Schmitz, ein arbeitsloser Ringer, möchte ihn sprechen. Ehe sich der Hausherr versieht, ist Schmitz in seinem Haus und bittet um Essen und ein Obdach. Denn Biedermann, das merke man sofort, so sagt er, sei ein guter Mensch.  Biedermann lässt sich einlullen, obwohl er zugibt, dass ihm unbehaglich sei, denn man vermute hinter jedem Hausierer gleich einen Brandstifter. Doch gerade jetzt fallen Schmitz‘ geschickte Appelle an Biedermanns Nächstenliebe auf fruchtbaren Boden, hat der Fabrikant doch einen seiner engsten Mitarbeiter und Mitwisser um seine Machenschaften mit dem wirkungslosen Haarwasser entlassen  ̶  obwohl der eine kranke Frau und drei Kinder hat – und ihn damit in die persönliche Katastrophe gestürzt. Aber er ist kein Unmensch, versichert er Schmitz. Und schon hat der Hausierer seinen Schlafplatz unterm Dach sicher.
Ohne groß zu fragen, bringt auch noch seinen Freund Eisenring auf dem Dachboden der Biedermannschen Villa unter.
Am nächsten Morgen muss Biedermann feststellen, dass seine beiden Gäste Benzinfässer, Zündschnüre und alle möglichen Brandutensilien auf dem Dachboden horten. Irgendwann kann er ihre Absichten nicht mehr übersehen. »Ein Streichholz genügt und das ganze Haus steht in Flammen«, erkennt er. Doch statt ihnen Einhalt zu gebieten oder sich zu wehren, versucht er sich anzubiedern und lädt sie zum Essen ein, weil er glaubt, so vor ihren Machenschaften sicher zu sein. Ein folgenschwerer Irrtum. Schließlich überreicht Biedermann selbst den beiden Hausierern die Streichhölzer, um die sie ihn bitten.

Biedermanns innere Dämonen
Max Frisch war lebenszeitlich enttäuscht von der simplen Interpretation seines Stückes als gesellschaftspolitische Parabel von der Inkulturation des Diktatorischen in das Haus der Demokratie. Er reagierte häufig allergisch auf die Frage, ob mit den Brandstiftern eventuell die Nazis oder die Kommunisten gemeint sein könnten. Er sprach hingegen immer wieder von Biedermanns inneren Dämonen und vom psychotischen Erleben seiner eigenen Schuld. »Frisch selbst beschreibt den in seinem Stück aufgespannten sozialen Raum gleichsam als eine Art inneren Raum, als einen zumindest deutlich auch von Biedermanns Innerem her mitgeprägten Raum«, erklärt Regisseur Tobias Wellemeyer und verdeutlicht damit seinen Interpretationsansatz dieses modernen Klassikers. Auch die religiösen Motive vom Jüngsten Gericht, dem Abendmahl, den sieben Werken der Barmherzigkeit, die Biedermann -die tödliche Gefahr vor Augen – noch vollbringen will, um sich von Schuld reinzuwaschen, sind der Leitfaden für seine Inszenierung.

Gegenentwurf zu Brechts Lehrstücken
Entgegen der politischen Idee Brechts von einem Lehrstück mit Lehre entwirft Max Frisch in »Biedermann und die Brandstifter« ein Lehrstück ohne Lehre. »Eine solches Lehrstück funktioniert wie ein nach seinem Inneren hin immer dichter werdendes Labyrinth: je tiefer man in seine Geheimnisse vordringt, desto beunruhigender und undurchsichtiger werden sie«, sagt Tobias Wellemeyer und ergänzt: »Wären da nicht Max Frischs surrealistische Intelligenz und sein großer Sinn für Humor, uns würde schaudern beim Röntgenblick in den Maschinenraum seiner fatalistischen Dramaturgie. Max Frisch – so könnte man es vereinfacht beschreiben – klärt uns auf über die Aussichtslosigkeit gewisser Situationen – aber er schickt uns nicht – wie Brecht – mit einer frischen Idee nach Hause.«
»Biedermann und die Brandstifter« sei im Grunde nichts anderes als die Chronik eines angekündigten Todes, der Vollzug eines tief in Biedermann selbst verankerten Verhängnisses. Er wird getötet, obwohl er eigentlich versucht, alles richtig zu machen.

Heimsuchung der Erfolgreichen durch die Ausgeschlossenen
Der Bühnenraum von Tanja Hofmann ist inspiriert von den gespenstischen Fotoinszenierungen des amerikanischen Fotokünstlers Gregory Crewdson. Auch hier werden die Bewohner der bürgerlich geordneten und liebevoll behüteten Vorstädte in rätselhafte Endzeit-Szenarien verwickelt. Diese Räume versinnbildlichen die Angst und die Schuldgefühle der bürgerlichen Mitte. Sie erzählen von einem unbestimmtem Chaos und von der Rückkehr der im Konkurrenzkampf Zurückgebliebenen, von der Heimsuchung der Erfolgreichen durch die Ausgeschlossenen, der von ihnen Erniedrigten und Beleidigten.

Tobias Wellemeyer (Regie) wurde 1961 in Dresden geboren. Er studierte Theaterwissenschaft in Leipzig und gab sein Regiedebüt 1989 am Staatsschauspiel Dresden, wo er bis 2001 Hausregisseur war. 2001 wurde er Intendant der Freien Kammerspiele Magdeburg, seit 2004 stand er dem Theaters Magdeburg als Generalintendant vor. Hier inszenierte er u. a. die deutschsprachige Erstaufführung von Jon Fosses »Die Nacht singt ihre Lieder«, Franz Grillparzers »Die Jüdin von Toledo« und Dea Lohers »Das letzte Feuer«. 2009 erhielt Tobias Wellemeyer den Preis des Deutschen Kritikerverbandes in der Sparte Theater. Von 2009 bis 2018 war er Intendant des Hans Otto Theaters in Potsdam, wo er u. a. Ibsens »Die Wildente«, Schnitzlers »Das weite Land« und »Unterleuten« nach dem Roman von Juli Zeh auf die Bühne brachte. Tobias Wellemeyer ist Mitglied der deutschen Akademie der Darstellenden Künste. Seit 2018 arbeitet er als freischaffender Regisseur, u. a. am Deutschen Nationaltheater Weimar, am Neuen Theater Halle, am Theater Koblenz und am Landestheater Bregenz. Zuletzt inszenierte Tobias Wellemeyer am Theater Heilbronn Shakespeares »Viel Lärm um nichts«.

Tanja Hofmann (Bühne) wurde in Bamberg geboren. Sie schloss 1997 ihr Studium zur Bühnen- und Kostümbildnerin an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz ab. Bereits während des Studiums assistierte sie bei den Bayreuther Festspielen. Nach dem Studium folgten Assistenzen am Berliner Ensemble und an der Bayerischen Staatsoper in München. Seit 2013 ist sie als freiberufliche Bühnen- und Kostümbildnerin tätig. Für Regisseur Andreas Kriegenburg entwarf sie die Kostüme für Puccinis »Tosca« an der Oper Frankfurt, Schostakowitschs »Lady Macbeth« bei den Salzburger Festspielen sowie für Mozarts »Don Giovanni« an die Semperoper Dresden. Weitere Arbeiten führten sie bisher u. a. an die Staatsoper Berlin, die Opéra National de Paris, das Staatstheater Nürnberg sowie das Theater Bamberg. Eine regelmäßige Zusammenarbeit verbindet sie zudem mit dem Regisseur Tobias Wellemeyer, für den sie u. a. die Kostüme für Shakespeares »Der Sturm«, Lessings »Nathan der Weise« sowie Tschechows »Drei Schwestern« am Hans Otto Theater Potsdam entwarf. Nach Shakespeares »Viel Lärm um nichts« ist »Biedermann und die Brandstifter«  Tanja Hofmanns zweite Arbeit am Theater Heilbronn.

Ines Burisch (Kostüm) wurde 1974 in Berlin geboren und studierte von 1998 bis 2004 Kostümbild an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg. Schon während des Studiums entwarf sie Kostümbilder für Film und Fernsehen sowie Werbung und Theater. Es folgten einige Kostümbildassistenzen u. a. an der Semperoper Dresden, an der Oper Bonn und an den Kammerspielen Hamburg. Seitdem arbeitet sie als freie Kostümbildnerin u.a. am Schauspiel Köln, am Staatstheater Karlsruhe, am Düsseldorfer Schauspielhaus, am Hans Otto Theater Potsdam, am Schauspiel Essen sowie am Maxim Gorki Theater Berlin. Max Frischs »Biedermann und die Brandstifter« ist Iris Burisch erste Arbeit am Theater Heilbronn.

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