Ukrainekrieg bestimmt Landesversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Stuttgart

Seit 1952 gibt es die Landesgruppe Baden-Württemberg der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Längst hat sie sich einen festen Platz in der Mitte der Gesellschaft erarbeitet und bereichert seit Jahrzehnten das kulturelle, soziale und politische Leben Baden-Württembergs. "Die Sudetendeutsche Landsmannschaft ist ein fester Bestandteil Baden-Württembergs, auch im siebzigsten Jahr ihres Bestehens" stellt Landesobmann Klaus Hoffmann daher fest.

Vertriebene und Flüchtlinge gestern und heute

Die diesjährige Landesversammlung im Haus der Heimat des Landes Baden-Württemberg in Stuttgart stand ganz unter dem Eindruck des am 24. Februar begonnen Krieges gegen die Ukraine. Den Delegierten konnte man ansehen, dass die Kriegsauswirkungen Erinnerungen an das selbst erlebte Schicksal wachriefen. Dies umso mehr nach den Ausführungen Siegfried Lorek, der aus dem alltäglichen Leben eines Staatssekretärs für Migrationsfragen berichtete. Er gewährte einen zum Teil sehr persönlichen Einblick in die Aufgaben des Ministeriums in diesen herausfordernden Zeiten. Er lobte das ehrenamtliche Engagement in ganz Baden-Württemberg bei der Unterbringung und Versorgung der Flüchtenden und Vertriebenen. Er verhehlte aber nicht die Schwierigkeiten, die sich aus der wenig geordneten Einreise und den vielen anderen offenen Fragen ergeben. Die sudetendeutschen Delegierten erinnerten daran, wie sie selbst Aufnahme fanden im zerstörten Nachkriegsdeutschland und darüber, dass sie sich damals eine schnelle Rückkehr in die Heimat gewünscht hätten. Landesobmann Hoffmann brachte in Erinnerung, dass dieser Krieg jetzt wieder eine Begründung im Nationalismus sucht und verwies auf die Zeit vor 1938 und den Folgejahren im Sudetenland. Siegfried Lorek dankte für die vor wenigen Tagen einstimmig von der Sudetendeutschen Bundesversammlung verabschiedete Entschließung zur Ukraine und das an den Tag gelegte Engagement der Sudetendeutschen. Den Ausführungen des Staatssekretärs schloss sich eine Diskussion an, bei der man merkte, dass Menschen mit ähnlichem Schicksal im Saal saßen. So rief denn auch Landesobmann Hoffmann den Delegierten die Worte des Ehrenlandesobmann Dr. Werner Nowak " Das Leiden ist gleich, nur in anderer Zeit." ins Gedächtnis.

Deutsche Minderheit in der Tschechischen Republik wächst wieder

Anschließend blickte er mit den Delegierten auf die aktuelle Situation in der Tschechischen Republik, im Bund und im Land. Nach den Wahlen in der Tschechischen Republik gilt es abzuwarten, was sich dort entwickeln werde. Immer mehr junge Menschen interessieren sich für die Geschichte ihrer Heimat und fragen nach den Geschehnissen vor sieben Jahrzehnten. Erfreulich sei die Entwicklung zu nennen, wenn man auf die Zahl derjenigen schaut, die sich zur deutschen Nationalität bekennen. So sei bei der aktuellen Volkszählung die Zahl merklich angestiegen. Aus dem Bund hatte er zu verkünden, dass der Bundesbeauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, Dr. Bernd Fabritius abberufen und das Amt einer jüngeren Deutschen aus Russland mit SPD-Parteibuch übertragen werden soll. Danach berichtete er über die Gespräche mit dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im baden-württembergischen Landtag Manuel Hagel MdL und der Vorsitzenden der SPD Saskia Esken MdB. Mit beiden fand ein vertrauensvoller Austausch über die Geschichte der Sudetendeutschen, das geschehene Unrecht und die aktuelle Arbeit der Landsmannschaft und den sudetendeutschen Vereinigungen statt.

Danach bestimmten Regularien den weiteren Verlauf der Landesversammlung, die in bewährter Weise wieder von Jürgen Ginzel geleitet wurde.

Mit einem Hinweis auf die kommenden Veranstaltungen 70 Jahre BdV, Sudetendeutscher Tag in Hof, Landeskulturtagung im September verabschiedete der Landesobmann mit einem Dank an alle, die sich um die Gestaltung der Landesversammlung kümmerten, die Delegierten.

Über Sudetendeutsche Landsmannschaft Landesgruppe e. V

Sudetendeutsche Landsmannschaft Landesverband Baden-Württemberg e.V.

Wir vertreten die im Land Baden-Württemberg wohnenden Sudetendeutschen.

Die Nachfahren jener Deutschen, die vor mehr als 800 Jahren in den sogenannten "Böhmischen Ländern", nämlich in Böhmen, Mähren und dem südlichen Teil Schlesiens (diese Länder bilden heute die "Tschechische Republik") ansässig geworden sind, wurden in diesem Jahrhundert unter dem Sammelnamen "Sudetendeutsche" bekannt.

1945/46 wurden 3,2 Millionen von den insgesamt 3,5 Millionen Sudetendeutschen aus ihrer Heimat vertrieben, ihr Eigentum wurde entschädigungslos konfisziert. Konfiskation und Vertreibung waren begleitet von blutigen Exzessen. Grundlage dieser gegen Menschen- und Völkerrecht verstoßenden "ethnischen Säuberung" bildeten Dekrete, die vom damaligen tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Beneš erlassen worden waren und die heute noch gültig sind.

Rund 600 000 dieser vertriebenen Sudetendeutschen kamen nach Baden-Württemberg, wo sie sich eine neue Existenz aufbauten und in das wirtschaftliche, gesellschaftliche, kulturelle und politische Leben eingegliedert wurden. Sie fanden sich in zahlreichen Vereinigungen zusammen, deren Grundlage ganz verschiedenartig war: Herkunftsgebiete, politische oder kulturelle Interessen, Freizeitgestaltung, berufliche Gemeinsamkeiten und manches mehr.

Jeder 15. Einwohner Baden-Württembergs ist Sudetendeutscher. Heute gibt es in Europa und Übersee insgesamt rund 3,8 Millionen Sudetendeutsche. Rund 600 000 von ihnen kamen im Zuge der Vertreibung aus ihrer Heimat nach dem 2.Weltkrieg nach Baden-Württemberg. Gemeinsam mit der einheimischen Bevölkerung trugen sie in der Nachkriegszeit zum Wiederaufbau des Landes bei. Durch ihre Stimmabgabe bei der Volksabstimmung 1952 waren sie wesentlich am Zustandekommen des "Südweststaates" beteiligt. Die für Baden-Württemberg kennzeichnende Ausgewogenheit zwischen großen Weltfirmen, Mittel- und Kleinbetrieben hat die wirtschaftliche Eingliederung der Sudetendeutschen und die Gründung neuer Werke und Fabriken durch sudetendeutsche Unternehmer in besonderem Maße erleichtert. Stellvertretend dafür seien genannt die Autofirma Porsche in Stuttgart, die Wiesenthal-Glashütte in Schwäbisch Gmünd, die Aluminium-Hütte Grohmann in Bisingen,die Maschinenfabrik Panhans in Sigmaringen, die Papierwerke Zechel in Reilingen,das Pharmawerk Merckle in Blaubeuren, dazu zahlreiche weitere mittlere und kleinere Betriebe.

27 Städte und Gemeinden Baden-Württembergs übernahmen Patenschaften über sudetendeutsche Kreise, Gemeinden und Landschaften. Insgesamt 24 kulturelle sudetendeutsche Einrichtungen – wissenschaftliche Gesellschaften, Archive, Büchereien, Sammlungen, Heimatstuben – wurden durch eigene Kraft der Sudetendeutschen und mit Hilfe öffentlicher Stellen in Baden-Württemberg aufgebaut.

Aus dem kulturellen Leben des Landes sind manche Namen von Sudetendeutschen nicht mehr wegzudenken, wie z. B. der Bildhauer Prof. Otto H. Hajek, die Tänzerin Birgit Keil, die Komponisten Karl-Michael Komma und Widmar Hader, der weltbekannte Posaunist Armin Rosin, die Dirigenten Wolfgang G. Hofmann und Emmerich Smola, die Malerin Traude Teodorescu-Klein oder der Dichter und Schriftsteller Josef Mühlberger – um nur einige wenige stellvertretend zu nennen.

Das Sudetenland im Vergleich zur Fläche einzelner deutscher Bundesländer

Bayern 70550 km2 Baden-Württemberg 35750 km2 Sudetenland 26500 km2 Hessen 21100 km2 Schleswig-Holstein 15700 km2 Saarland 2600 km2

Die kulturelle Verflechtung der Sudetendeutschen mit den übrigen deutschen Ländern und Landschaften ist seit Jahrhunderten eng und vielgestaltig.

Beispiele sind: Der schwäbische Baumeister Peter Parler aus Schwäbisch Gmünd, der im 14. Jahrhundert u. a. den Veitsdom in Prag erbaute, oder der aus dem Egerland kommende Barockbaumeister Balthasar Neumann, der nicht nur die Würzburger Residenz, sondern z. B. auch berühmte Treppenhäuser in Brühl und Bruchsal schuf. Auch andere Namen, herausgegriffen aus einer großen Zahl, beweisen den lebendigen Anteil, den die Deutschen aus den böhmischen Ländern am geistigen Leben des gesamten deutschen Volkes hatten und haben: Der Komponist Johann Wenzel Stamitz aus Deutsch-Brod beispielsweise, der später in Mannheim wirkte, Vinzenz Prießnitz und Johann Schroth, die großen Naturheiler, der Brünner Abt Gregor Mendel, dessen Vererbungslehre zur Grundlage moderner Genetik wurde, die Friedensnobelpreis-Trägerin Bertha von Suttner, die Dichter Rainer Maria Rilke, Adalbert Stifter, Marie von Ebner-Eschenbach, die Maler Alfred Kubin oder Ferdinand Staeger, aber auch die Bamberger Symphoniker, die nach der Vertreibung aus den "Prager Deutschen Philharmonikern" hervorgegangen waren, oder auch der Schriftsteller Otfried Preußler aus Reichenberg, dessen "Räuber Hotzenplotz" und "Kleine Hexe" heute Millionen Kinder und Erwachsene erfreuen.

Die Organisationen der Sudetendeutschen spiegeln in ihrer Vielfalt und Vielschichtigkeit das Leben und die Interessen der Angehörigen dieser Volksgruppe wider. Im politischen, kulturellen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, beruflichen, sozialen und gesellschaftlichen Bereich gibt es sudetendeutsche Zusammenschlüsse, aber auch auf Generationsebene und im Bereich der Freizeitgestaltung.

In Baden-Württemberg gibt es heute 27 größere sudetendeutsche Vereinigungen, von denen viele noch Untergliederungen auf Orts- und Kreisebene haben.

Mehrere sudetendeutsche Zeitschriften werden in Baden-Württemberg herausgegeben, ebenso haben verschiedene sudetendeutsche Stiftungen, Institute und Gesellschaften ihren Sitz in diesem Lande.

Die Sudetendeutschen im Vergleich zur Einwohnerzahl verschiedener Staaten

Norwegen 4,1 Mio Sudetendeutsche 3,8 Mio Irland 3,3 Mio Albanien 2,7 Mio Luxemburg 0,36 Mio Island 0,23 Mio

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