Carola Lentz, Präsidentin des Goethe-Instituts, hob anlässlich der Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger*innen hervor: „In vielen Teilen der Welt stehen Kulturschaffende und zivilgesellschaftliche Akteurinnen und Akteure massiv unter Druck. Das zeigt zur Zeit auf besonders erschütternde Weise der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der viele Ukrainerinnen und Ukrainer zur Flucht zwingt. Die Goethe-Institute in aller Welt stehen ein für Menschenrechte, Meinungsfreiheit, kulturelle Vielfalt und Verständigung. Mit der Goethe-Medaille ehren wir Persönlichkeiten, die sich für die Freiheit der Kunst und den grenzüberschreitenden kulturellen und intellektuellen Austausch einsetzen. Mohamed Abla zeigt in seinen Arbeiten die Vielfalt ägyptischer Kultur und macht diese durch seine engen Verbindungen nach Europa einem internationalen Publikum zugänglich. Tali Nates Arbeit in Johannesburg setzt sich auf neue Weise mit Geschichte und Gegenwart von Völkermorden auseinander und schaut mit wissenschaftlicher Präzision auf die Wurzeln des Holocaust und von Genoziden wie in Ruanda 1994. Und die Künstlerinnen des Sandbox Collective Nimi Ravindran und Shiva Pathak rütteln mit ihrer Arbeit auf, die feministische Perspektiven künstlerisch sichtbar macht.“
Die Begründung der Preisvergabe
Mohamed Abla versteht sich als Mittler zwischen Ägypten und Europa. Er ist überzeugt, dass Künstler*innen eine soziale Verantwortung tragen und ihr Leben nicht von ihrem Werk getrennt werden kann. Seit Jahrzehnten engagiert er sich insbesondere in der ägyptischen Kulturszene für Verständigung und Diversität und setzt sich für Meinungsfreiheit ein. Als Multimedia-Künstler ist sein zentrales Motiv, die ägyptische Gesellschaft in all ihren Facetten einem nationalen und internationalen Publikum näher zu bringen. Ob realistische Abbildungen zeitgenössischer, sozialer und politischer Themen oder abstrakte Darstellungen Ägyptens und seiner Bevölkerung: das Œuvre Mohamed Ablas gibt nicht nur einen umfassenden Einblick in die Wurzeln des Künstlers und der Gesellschaft seines Landes, sondern auch in das reiche ägyptische Erbe. Abla hat über die Jahre eine einzigartige künstlerische Sprache entwickelt, die ihm dabei hilft, seine Meinung über seine Werke zu äußern.
Tali Nates gründete mit dem Johannesburg Holocaust & Genocide Centre einen zentralen Ort der Erinnerung in Südafrika. Das Zentrum arbeitet die Geschichte von Völkermorden anhand von Fallstudien über den Holocaust sowie den Genozid in Ruanda 1994 auf. Dabei stellt Tali Nates Erinnerungen an den Holocaust denen an den Genozid in Ruanda gegenüber, ohne die spezifische Natur der Verbrechen zu relativieren. Sie schaut auf die Wurzeln der beiden Ereignisse und fragt, was wir daraus im Blick auf aktuelle Kriege und Menschenrechtsfragen lernen können. In sorgfältig kuratierten Ausstellungen und in klaren öffentlichen Positionierungen macht Tali Nates deutlich, dass sich rassistisch motivierte Verbrechen und Genozide wiederholen können und darum Erinnerung, Aufklärung und Bildung wichtige Mittel sind, diese zu verhindern.
Sandbox Collective hat sich in seiner künstlerischen Arbeit immer wieder kritisch mit Konzepten von Identität, Inklusivität, Diversität und auch des Zugangs zu den Künsten auseinandergesetzt. Mit dem jährlichen Festival Gender Bender schafft das Sandbox Collective gemeinsam mit dem Goethe-Institut Bangalore freie Räume für Kunst, Aktivismus, Debatte und Dialog. Durch ihre Arbeit im Sandbox Collective und in ihrem persönlichen Leben beziehen Nimi Ravindran und Shiva Pathak kontinuierlich Stellung gegen nationalistische, religiöse und fundamentalistische Politik in Kunstkreisen und darüber hinaus. Als Künstlerinnen und kulturelle Impulsgeberinnen führen sie ihren Widerstand gegen Zensur und Hasspolitik fort und setzen sich für eine freie, mitfühlende und gleiche Gesellschaft ein.
Über die Preisträger*innen
Mohamed Abla wurde 1953 in Belqas im ägyptischen Nildelta geboren. Nach dem Studium der Bildenden Kunst in Alexandria zog es ihn nach Europa, wo er Bildhauerei und Druckgrafik in Wien und Zürich studierte und schließlich im niedersächsischen Walsrode eine zweite Heimat fand. Seine erste Einzelausstellung fand 1979 in der Galerie Hohmann in Walsrode statt, gefolgt von Ausstellungen u.a. 1989 in der Galerie Ewat in Leeuwarden (Niederlande), 1991 in der Art Hall in Örebro (Schweden) sowie in der Ägyptischen Akademie in Rom. 1994 gewann er den ersten Preis der Kuwait-Biennale und 1997 den Grand Prix der Alexandria-Biennale in Ägypten. Darauf folgten weitere internationale Ausstellungen, unter anderem auf der Biennale von Havanna, im British Museum in London und im Kunstmuseum Bonn. Er unterrichtete an verschiedenen internationalen Institutionen, was ihn 2007 dazu führte, das Fayoum Art Center zu gründen. Heute ist es ein etablierter Ort, in dem junge Künstler*innen aus aller Welt zusammen leben und arbeiten. 2009 folgte die Eröffnung des ersten Karikatur-Museums im Nahen Osten und Nordafrika. Nach der Revolution von 2011 wurde Mohamed Abla in das 50er Komitee gewählt, dass die neue Verfassung schrieb.
Tali Nates wurde 1961 in Israel geboren als Kind von Holocaust-Überlebenden, die von Oskar Schindler gerettet wurden. An der Hebräischen Universität in Jerusalem studierte sie Geschichte. Seit 1985 lebt sie in Südafrika, wo sie ihr Studium an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg fortsetzte. 2008 gründete sie das Johannesburg Holocaust & Genocide Centre. In dessen Mittelpunkt steht die Erforschung der Geschichte des Völkermords im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt auf dem Holocaust und dem Völkermord von 1994 in Ruanda. Als Zentrum für Erinnerung, Bildung, Dialog und Unterricht konzentriert es sich auf Menschenrechtsthemen wie Vorurteile, Rassismus, „Othering“, Antisemitismus, Homophobie und Fremdenfeindlichkeit. Zu diesen Themen lehrt Tali Nates weltweit und referierte u. a. bei den Vereinten Nationen in New York (2016). Laut Mail & Guardian gehört sie zu den „top 100 newsworthy and noteworthy women in South Africa“. 2016 erhielt sie den KIA Community Service Award.
Sandbox Collective wurde 2013 von Nimi Ravindran und Shiva Pathak gegründet. Beide sind nicht nur in der indischen Kulturszene aktiv, sondern arbeiten weltweit mit Künstler*innen und Kunstorganisationen zusammen. Sie sind Teil mehrerer transnationaler Plattformen für den Austausch von künstlerischen Arbeiten. Mit dem Goethe-Institut Bangalore arbeiten sie beim Festival Gender Bender zusammen, das aktuelle künstlerische Positionen zu Gender, Sexualität und Gerechtigkeit vorstellt. Nimi Ravindran, geboren 1971, ist Autorin und Theatermacherin und ehemalige stellvertretende Chefredakteurin von India Today, dem bekanntesten Nachrichtenmagazin des Landes. In der Gründungsphase des Ranga Shankara in Bangalore, eines der bekanntesten Theater Indiens, war sie Teil des Kernteams. Sie ist Gründungsmitglied des Company Theatre Workspace in der Nähe von Mumbai, einem Laboratorium für experimentelle, künstlerische Arbeit und Dialog, sowie Festivaldirektorin des Kamshet Arts Festival, das zweimal im Jahr stattfindet. Shiva Pathak, geboren 1980, ist Schauspielerin, Produzentin und Kulturmanagerin in Bangalore. Während ihrer mehr als 15-jährigen beruflichen Tätigkeit hat sie mit führenden Kunstorganisationen Indiens – Attakkalari Centre for Movement Arts, Ranga Shankara und India Foundation for the Arts – zusammengearbeitet, bevor sie 2013 Sandbox Collective gründete. Sie ist Direktorin des Bhasha Centre for Performing Arts, das daran arbeitet, Netzwerke von Kunstfachleuten, Bewerbern und Kunstliebhabern aufzubauen. Außerdem ist sie Treuhänderin von Toto Funds the Arts, einer Organisation, die sich für die Pflege und Förderung junger Talente in Indien einsetzt, sowie Art Think South Asia Fellow.
Das Rahmenprogramm zur Goethe-Medaille in Weimar entsteht in Zusammenarbeit mit dem Kunstfest Weimar, der Galerie EIGENHEIM und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Über die Goethe-Medaille
Die Goethe-Medaille wurde 1954 vom Vorstand des Goethe-Instituts gestiftet und 1975 von der Bundesrepublik Deutschland als offizielles Ehrenzeichen anerkannt. Die Goethe-Medaille ist der wichtigste Preis der auswärtigen Kulturpolitik. Die Kandidat*innen werden von den Goethe-Instituten in aller Welt in enger Abstimmung mit den deutschen Auslandsvertretungen nominiert. Aus diesen Vorschlägen entwickelt die Kommission zur Verleihung der Goethe-Medaille, die sich aus Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur zusammensetzt, eine Auswahl, die das Präsidium des Goethe-Instituts bestätigt. Die Verleihung der Goethe-Medaille macht dem Publikum in Deutschland weltweit relevante kulturelle Themen und Akteur*innen bekannt und unterstützt die Internationalisierung der deutschen Kulturlandschaft. Die Verleihung findet am 28. August, dem Geburtstag Goethes statt. Seit der ersten Verleihung 1955 wurden insgesamt 371 Persönlichkeiten aus 70 Ländern geehrt, darunter Dogan Akhanlı, Juri Andruchowytsch, Daniel Barenboim, David Cornwell alias John le Carré, Princess Marilyn Douala Manga Bell Sofia Gubaidulina, Ágnes Heller, Neil MacGregor, Petros Markaris, Ariane Mnouchkine, Shirin Neshat, Irina Scherbakowa, Jorge Semprún, Yoko Tawada, Zukiswa Wanner, Robert Wilson und Helen Wolff.
Die Kommission zur Verleihung der Goethe-Medaille
Franziska Augstein (Journalistin), Christina von Braun (Vertreterin des Präsidiums und Vorsitzende der Kommission bis 23.11.2021, Kulturwissenschaftlerin), Meret Forster (Redaktionsleiterin Musik, BR-Klassik), Olga Grjasnowa (Schriftstellerin), Matthias Lilienthal (Dramaturg und Intendant), Moritz Müller-Wirth (Journalist, Die Zeit), Cristina Nord (Berlinale Forum, Sektionsleiterin Berlin), Thomas Oberender (Vertreter des Präsidiums und Vorsitzender der Kommission seit 24.11.2021, Autor und Dramaturg), Insa Wilke (Literaturkritikerin); in Vertretung des Auswärtigen Amtes: Ralf Beste (Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation); in Vertretung des Goethe-Instituts: Carola Lentz (Präsidentin des Goethe-Instituts) und Johannes Ebert (Generalsekretär des Goethe-Instituts).
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