– Hoher Nichtwähler-Anteil trotz Günther
– Günther gewinnt CDU-Abwanderer wieder zurück
– Mehr Stimmen als bei der Bundestagswahl erhielt außer der CDU nur der SSW
– Nur einer von zehn Wahlberechtigten wählte die SPD
– Dramatische Veränderungen im Wählermarkt auch in Schleswig-Holstein
– Vom Unmut vieler Wähler profitiert nicht die AfD
– Der „Günther-Bonus“ kommt nicht der Merz-CDU zugute
Hoher Nichtwähler-Anteil trotz Günther
Wie meist bei der Berichterstattung über den Wahlausgang am Abend einer Wahl wurde auch bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein die „Partei der Nichtwähler“ wieder ausgeblendet. Dabei haben 40,1 Prozent der Wahlberechtigten nicht bzw. ungültig gewählt und ihre Stimme nicht einer der kandidierenden Parteien gegeben. Die Zahl der Nichtwähler war somit viermal größer als die Zahl der SPD-Wähler (9,6 % aller Wahlberechtigten) und überstieg auch die Stimmen des Wahlsiegers CDU (26,0 % der Wahlberechtigten) um das eineinhalbfache. Ähnlich hoch war die Zahl der Nichtwähler in Schleswig-Holstein – außer bei Europa- und Kommunalwahlen – nur noch bei der Landtagswahl 2012. Dieser hohe Anteil ist ein Indikator dafür, dass, trotz des Wahlsieges der CDU, im Land großer Unmut über das Agieren einer Reihe politischer Akteure vorhanden ist.
Günther gewinnt CDU-Abwanderer wieder zurück
Vom Unmut vieler Wahlberechtigter nicht betroffen ist allerdings Daniel Günther; denn im Vergleich zur Bundestagwahl vor etwas mehr als einem halben Jahr erhielt die Schleswig-Holstein-CDU mit ihm bei der Landtagswahl fast 214.000 Stimmen mehr. Sie steigerte ihren Anteil – bezogen auf alle Wahlberechtigten – von 17,1 Prozent im September letzten Jahres um 52 Prozent auf 26,0 Prozent im Mai. Damit mobilisierte die CDU mit Daniel Günther ähnlich viele Stimmen wie die CDU mit Angela Merkel bei den Bundestagwahlen 2017 und 2013. Günther gelang es offenbar, bei der Bundestagswahl aus Frust über den Kanzlerkandidaten der Union zu den Grünen und zur FDP abgewanderte frühere CDU-Wähler wieder zur Stimmabgabe für die CDU zu bewegen. Entsprechend groß waren die Stimmenrückgänge im Vergleich zur Bundestagwahl im letzten September bei der FDP und den Grünen. Die FDP erhielt bei der Landtagswahl über 131.000 Stimmen weniger als bei der Bundestagwahl. Ihr Anteil (bezogen auf alle Wahlberechtigten) sank von 9,7 auf 3,8 Prozent (ein Rückgang um fast 61 %). Und auch die Grünen erhielten bei dieser Landtagswahl fast 69.000 Stimmen weniger als bei der letzten Bundestagswahl. Von allen Wahlberechtigten wählten im Mai nur noch 11,0 und nicht mehr 14,2 Prozent wie noch im September die grüne Partei (ein Wählerschwund von fast 23 %). Im Vergleich zur Europawahl 2019 war der Wählerschwund der Grünen noch größer: Sie erhielten 2022 fast 138.000 Stimmen weniger als 2019; ein Wählerschwund von über 36 Prozent. Die Grünen haben somit nicht – wie am Wahlabend verkündet – ihr bisher bestes Ergebnis in Schleswig-Holstein erzielt, sondern haben deutlich weniger Stimmen erhalten als bei den beiden letzten Wahlen 2019 und 2021.
Mehr Stimmen als bei der Bundestagswahl erhielt außer der CDU nur der SSW
Außer der CDU gab es am Sonntag in Schleswig-Holstein nur eine Partei, die bei der Landtagswahl mehr Stimmen erhielt als bei der Bundestagswahl im letzten Jahr: Der SSW, der seinen Anteil um mehr als 23.000 Stimmen von 2,4 auf 3,4 Prozent der Wahlberechtigten um fast 42 Prozent steigern konnte. Alle anderen Parteien erhielten am Sonntag wie die FDP und die Grünen weniger Stimmen als bei der Bundestagswahl im Herbst: Der Wähleranteil der Linke schrumpfte um 64, der der AfD und der der sonstigen kleinen Parteien um jeweils rund 51 und der der SPD um fast 56 Prozent.
Nur einer von zehn Wahlberechtigten wählte die SPD
Die SPD mit ihrem Kanzlerkandidaten Olaf Scholz profitierte bei der Bundestagswahl auch in Schleswig-Holstein von der Schwäche des Kanzlerkandidaten der Union und den Fehlern der Kanzlerkandidatin der Grünen und erhielt über 494.000 Stimmen. Doch bei der Landtagswahl am Sonntag gaben ihr nur noch knapp 222.000 Wähler ihre Stimme (ein Rückgang um 272.000 Stimmen). Damit haben von 100 Wahlberechtigten nur noch 10 die Schleswig-Holstein-SPD gewählt – so wenig wie noch nie bei einer Landtags- oder Bundestagswahl.
Dramatische Veränderungen im Wählermarkt auch in Schleswig-Holstein
Der Wahlerfolg von Daniel Günther mit einem Anteil von weit über 40 Prozent der abgegeben gültigen Stimmen überdeckt allerdings, dass auch in Schleswig-Holstein die beiden einstigen Volksparteien drastische Vertrauens- und Bedeutungsverluste hinnehmen mussten. So wurde die CDU bis in die 1980-er Jahre von über 40 Prozent der Wahlberechtigten (und nicht nur der Wähler) gewählt. Und nach der „Barschel-Affäre“ 1988 lag auch das Wählerpotential der SPD bei über 40 Prozent der Wahlberechtigten, 1998 mit einem Kanzlerkandidaten Schröder nur knapp unter dieser Marke. Alle sonstigen Parteien wurden nur von einem Zehntel gewählt und auch der Anteil der Nichtwähler war gering. Doch seit der Bundestagwahl 2009 war der Stimmenanteil der anderen Parteien und der Anteil der Nichtwähler meist größer als der Stimmenanteil von CDU oder SPD. Doch während die CDU dank Daniel Günther zumindest das ihr 1998 verbliebene Wählerniveau wieder erreichen konnte, ist das SPD-Wählerpotential im Vergleich zu 1998 um fast drei Viertel geschrumpft.
Vom Unmut vieler Wähler profitiert nicht die AfD
Nach dem Einzug der AfD in den Bundestag 2017 wurde häufig unterstellt, dass das rechtsradikale Wählerpotential deutlich angestiegen sei und laufend größer wird. Doch das ist – wie sich auch am Beispiel von Schleswig-Holstein zeigt – zumindest in den alten Bundesländern nicht der Fall. Der Anteil der AfD war im Übrigen auch 2017 nicht wesentlich höher als der Anteil der NPD 1967 oder der der DVU und der Republikaner 1992. Der starke Verlust der AfD bei dieser Landtagwahl dürfte sicherlich mit der besonderen Zerstrittenheit der Partei in Schleswig-Holstein zu tun haben. Doch auch bei keiner anderen Wahl seit 2017 – ob Landtags-, Bundestags-, Europa- oder Kommunalwahl – hat die AfD wie in Schleswig-Holstein auch in allen anderen Ländern wieder den Anteil von 2017 erreicht. Der Unmut vieler Wähler über die Art und Weise wie manche politische Akteure Politik betreiben, kommt somit nicht der AfD zugute, sondern drückt sich in steigenden Nichtwählerzahlen aus.
Der „Günther-Bonus“ kommt nicht der Merz-CDU zugute
Das Ergebnis der CDU in Schleswig-Holstein ist ausschließlich Daniel Günther zu verdanken und hat wenig mit dem neuen CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz zu tun. Dieser „Günther-Bonus“ überträgt sich entsprechend auch nicht auf die Bundes-CDU: Wäre am Sonntag der Bundestag gewählt worden, hätte die CDU – das ergibt sich aus einer Sonderauswertung des RTL/ntv-Trendbarometers für Schleswig-Holstein – ein um 18 Prozentpunkte schlechteres Ergebnis erzielt. Die SPD hingegen würde bei einer Bundestagswahl wie auch die FDP und die Grünen ein besseres Ergebnis erhalten als bei der Landtagswahl. Auch diese Landtagswahl ist somit ein Beleg dafür, dass die Wähler sehr genau zwischen den einzelnen Politikebenen unterscheiden.
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