In „Hoffnung am Irrawaddy. Burma im Aufbruch“ schildert die Autorin die Geschichte des burmesischen Unabhängigkeitskampfes in der Zeit von 1930 bis 1948.
„Hochzeit in der Engelsburg. Frauen aus der italienischen Geschichte“ – ein altes, ein sehr altes Buch regt Sigrid Grabner an, sich mit dem Rolle von Frauen in den Zeitläufen zu befassen. Mit eindrucksvollen Ergebnissen.
„Flammen über Luzón. Über die philippinische Revolution von 1896“ handelt von jener Zeit, als die Spanier mit dem Schwert in der einen und der Bibel in der anderen Hand das philippinische Volk kolonialisierten und so brutal unterdrückten, dass sich die Filipinos schließlich machtvoll zur Wehr setzten.
Und damit sind wir wieder beim aktuellen Beitrag der Rubrik Fridays for Future angelangt. Jede Woche wird an dieser Stelle jeweils ein Buch vorgestellt, das im weitesten Sinne mit den Themen Klima, Umwelt und Frieden zu tun hat – also mit den ganz großen Themen der Erde und dieser Zeit. Und manchmal sind es einfach historische Parallelen, die zum Vergleichen und zum Nachdenken herausfordern. Heute geht es um die grundsätzliche Frage von Anpassung und Widerstand: Wie viel darf man sich eigentlich gefallen lassen? Wo stehen wir zwischen Konvention und Revolution? Und das gilt übrigens sowohl für Männer als auch für Frauen, wobei es die weibliche Hälfte der Menschheit in den meisten Zeiten der Weltgeschichte meist noch schwerer hatte als die männliche – ungerecht, aber leider eine Tatsache und ein Grund mehr, zumindest heute für gleiche Rechte für alle Menschen zu kämpfen:
Erstmals 1992 veröffentlichte Sigrid Grabner im Ullstein-Verlag Frankfurt/Main – Berlin „Die Rebellin. Königin Christine von Schweden“. Das E-Book ist eine ungekürzte Ausgabe der gebundenen Erstausgabe „Christine. Rebellin auf Schwedens Thron“: Das ist ein großer historischer Roman über eine faszinierende Königin. Christine von Schweden, Tochter Gustav Adolfs, hat ihren Biografen stets Rätsel aufgegeben, wurde von Zeitgenossen wie Nachgeborenen gleichermaßen bewundert und verkannt. Aus der Perspektive von David Eriksson, dem königlichen Sekretär und Vertrauten, erzählt Sigrid Grabner die fesselnde Lebensgeschichte dieser widersprüchlichen Frau, die Goethe „gleich geheimnisvoll für Weise wie für Toren“ nannte.
War Königin Christine von Schweden eine pflichtvergessene Monarchin und krankhafte Egozentrikerin, die „größte Hure aller Zeiten“ oder eine unabhängige Frau, die sich mutig über erstarrte Konventionen hinwegsetzte? Die Tochter Gustav Adolfs, des protestantischen Helden des Dreißigjährigen Krieges, trat zum Katholizismus über. Sie verspottete die Sklaverei der Ehe und liebte einen Kardinal bis zur Selbstverleugnung. Der glühenden Frömmigkeit des Barock ebenso hingegeben wie seiner Sinnlichkeit, galt ihr doch die Vernunft stets als höchste Tugend. David Eriksson, Sekretär und Vertrauter der Königin, beschreibt sein Leben an Christines Seite aus der Erkenntnis heraus, dass ohne Liebe alles Wissen über einen Menschen Stückwerk bleibt. Und so hebt die Geschichte an:
„PROLOG
Der Kardinal ist tot. Vor dem Palazzo im Borgo drängen sich die Schaulustigen. Geschoben von der Menge, konnte ich nur einen kurzen Blick auf den Toten werfen. Sein Gesicht wirkte beinahe heiter. Der Tod muss als Freund zu ihm gekommen sein.
Mit dem heutigen Tag geht ein Zeitalter zu Ende. Mehr als ein Vierteljahrhundert waren die Königin und der Kardinal die geheimen Herrscher Roms. Vor sieben Wochen starb die Königin. Obwohl ihr Verlust den Kardinal schwer traf, hätte niemand vermutet, dass er ihr so schnell ins Schattenreich folgen würde.
Nach der Beisetzung der Königin hatte mich der Kardinal rufen lassen. Als ich das Arbeitskabinett betrat, stand er vor einem Gemälde, das die selige Königin darstellte. Er stützte sich schwer auf einen Stock, seine Hand zitterte. Da mein Gruß ohne Antwort blieb, wollte ich mich wieder zurückziehen.
„Wie lange kennen wir uns, David?“, fragte er, ohne die Augen von dem Bild zu wenden. Er fuhr sich mit einem Tuch über Mund und Stirn, die Perücke verrutschte, der noch kräftige Haaransatz wurde sichtbar.
Die Königin mochte Perücken nicht. In ihrer Gesellschaft hatte ich den Kardinal zuweilen ohne eines dieser Lockenungetüme angetroffen. Jetzt war sein braunes Haar weiß.
Der Kardinal atmete schwer, der Stock entglitt seiner Hand. Ich führte ihn zu einem Stuhl und wollte den Arzt rufen. Ärgerlich winkte er ab und wiederholte seine Frage.
„Im vergangenen Winter waren es dreiunddreißig Jahre, Eminenz.“
Der Kardinal schien über diese Antwort ebenso verwundert wie ich. „Was werden Sie jetzt tun?“
Ich wusste es nicht. Bisher hatte die Königin für mich gesorgt, denn die Päpstliche Universität zahlt ihren Professoren ein kärgliches Salär. Während ich noch nach den rechten Worten suchte, meine Lage zu schildern, fuhr der Kardinal fort: „Treten Sie in meine Dienste. Ich werde Sie nicht über Gebühr beanspruchen. Sie sind zwar etliche Jahre jünger als ich, doch auch schon in einem Alter, da man der Schonung bedarf. Der schriftliche Nachlass der Königin ist zu ordnen. Wer könnte das besser als Sie.“
Mehr als das Angebot überraschte mich der bittende Ton, in dem es vorgetragen wurde. Bei aller Verbindlichkeit war der Kardinal ein befehlsgewohnter Mann. Wir schätzten einander, aber achteten auf Abstand.
Ich nahm die Stellung mit Freuden an, enthob sie mich doch der Sorgen um das tägliche Brot und erlaubte mir, mich noch einige Zeit in den Räumen der Königin aufhalten zu können.
Zum Abschied übergab mir der Kardinal einen Brief der Königin. „Lesen Sie ihn, wenn Sie allein sind.“ Als ich das Knie beugte, zog er mich zu sich empor und umarmte mich.
Ich ritt zum Palazzo an der Lungara zurück, um im Garten ungestört den Brief der Königin lesen zu können. Lange zögerte ich, das Siegel zu erbrechen.
„Caro amico …“, lieber Freund. So hatte mich die Königin oft genannt. Der Brief war Mitte März datiert. In jenen Tagen genas Christine von ihrer schweren Krankheit. Jeden Vormittag saß ich eine Stunde an ihrem Lager. Wir unterhielten uns über vergangene Zeiten. Ich glaubte, dass sie bald wieder ihr gewohntes Leben aufnehmen würde. Nur einmal beschlichen mich dunkle Ahnungen, als sie sagte: „Wenn ich dich gekränkt habe, David, verzeih mir.“ Das war nicht ihre Art. Ich beteuerte, ich würde immer die Stunde preisen, da ich in ihre Dienste hatte treten dürfen. Sie drohte mir mit dem Finger, grundlos, denn sie wusste, dass ich Schmeicheleien verabscheute, lachte dann und entließ mich mit den Worten, für ihre Freunde sei sie nicht die Königin, sondern einfach: Christine.
„Caro amico, wenn Du diese Worte liest, weile ich nicht mehr unter den Lebenden. Mir bleiben nur noch wenige Tage, wie sehr der Anschein auch dagegen spricht … Du gehörst zu den Wenigen, die mir durch Jahrzehnte treu gedient haben. Vielleicht kennt mich nicht einmal der Kardinal so gut wie Du. Nirgendwo erkannte ich mich deutlicher als in Deinen dunklen jüdischen Augen. Sie waren ein Spiegel meiner Seele. Sie verbargen nicht Trauer, wenn ich litt, nicht Widerstand, wenn Du mir nicht zustimmen konntest, nicht Freude, wenn ich glücklich war. Dass Du mir niemals geschmeichelt hast wie so viele andere, sondern bis zum Schmerz aufrichtig gewesen bist, war mir in all den Jahren ein Geschenk.
Weder Titel noch Reichtümer, womit ich so viele Unwürdige versah, hast Du in meinem Dienst erworben. Ich habe nicht gewagt, Deinen Stolz durch Almosen zu beleidigen. So bist Du immer ein freier Mann geblieben und mir ein wahrhafter Freund geworden. Damit Du es bleiben kannst, setze ich Dir eine Rente aus, von der Du bis ans Lebensende, das noch weit entfernt sein möge, sorgenfrei leben kannst. Der Kardinal als mein Haupterbe wird alles Notwendige veranlassen. Bist Du doch einer der Wenigen, die vor seinen gestrengen Augen stets Gnade gefunden haben. Gott schütze dich. Christina Alexandra.“
Ich alter Mann saß auf der Bank und weinte wie ein Kind. Später lief ich durch die Stadt, um meiner Herr zu werden. Ich folgte dem Strom der Pilger über die Engelsbrücke und fand mich vor dem Grab der Königin in Sankt Peter wieder. Wie lange ich dort blieb, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass mich irgendwann das verzweifelte Gefühl überkam, nirgendwo Christine ferner zu sein als an ihrem Grab.
Was gäbe ich darum, wenn die Königin entsprechend ihrem Wunsch im Pantheon bestattet worden wäre – unter der großen Kuppelöffnung, durch die Tag und Nacht der römische Himmel eintritt, in dem Mauerrund zwischen edlen korinthischen Säulen. Jenes Bauwerk, das die Römer einst zur Ehre aller Götter erbauten, wäre die angemessene Ruhestätte für die Königin gewesen. Aber der Papst hat anders entschieden. Einer Monarchin, die der Ketzerei abgeschworen und um des rechten Glaubens willen auf einen Thron verzichtet habe, so ließ er wissen, gebühre ein Platz in der Nähe des Petrusgrabes. Dass Christine niemals eine demütige Tochter der Kirche gewesen ist und sie den Nachfolgern Petri, vor allem dem jetzigen elften Innozenz, so oft die Stirn geboten hat, ist vergessen. Die Tote kündet nur noch vom Triumph des katholischen Glaubens.“ Und damit zu den ausführlicheren Vorstellungen der anderen vier Sonderangebote dieses Newsletters:
Erstmals 1980 erschien im Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik Berlin „Was geschah auf der Zeven Provincien? Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge“ von Sigrid Grabner: Februar 1933. Unablässig kreisen die Flugzeuge über der „Zeven Provincien“ „Sie werden es nicht wagen“, flüstert Halim neben mir, „sie würden ja auch ihre Offiziere treffen.“ Ich bemerke, dass er am ganzen Leibe zittert.
Mir selbst schlägt das Herz bis zum Halse, ich frage: „Vielleicht sollten wir doch aufgeben?“ Halim misst mich mit einem verächtlichen Blick, löst sich wortlos von der Reling und läuft zur Brücke zurück. In diesem Augenblick klinkt das vordere Flugzeug direkt über der Brücke eine Bombe aus.
Ich sehe sie fallen, eine Ewigkeit lang. Ich will Halim hinterherlaufen, ihn zurückreißen, aber ich stehe wie angewurzelt da. Eine gewaltige Druckwelle schleudert mich mehrere Meter weit über das Deck.
Benommen rapple ich mich auf und taumle nach vorn.
Ein fürchterlicher Anblick bietet sich mir.
Erstmalig in der Geschichte der internationalen Arbeiterbewegung verbündeten sich Angehörige einer unterdrückenden Nation mit Arbeitern einer unterdrückten Nation. Gemeinsam wandten sie ihre Gewehre gegen den gemeinsamen Feind – die holländischen Pfeffersäcke.
Erst zwölf Jahre später, im August 1945, verkündeten Kanonenrohre das Ende der kolonialen Unterdrückung. Nachrichtenagenturen trugen die Botschaft über den Erdball: „Wir, das indonesische Volk, erklären hiermit die Unabhängigkeit Indonesiens.“ Nicht alle, die 1933 am Aufstand auf der „Zeven Provincien“ teilgenommen hatten, konnten diesen historischen Augenblick miterleben. Hier der Anfang dieses spannenden Buches, dem einige Gedichtzeilen von Hasso Grabner, dem Schriftsteller, KZ-Überlebenden und Ehemann von Sigrid Grabner, vorangestellt sind:
„Mit uns marschiert die Kraft aus
tausend Klassenschlachten,
mit uns marschiert der beste
Teil auf dieser Welt,
zittern die Feinde, die uns
früher nur verlachten,
wir wissen, was stark macht
und zusammenhält.
Hasso Grabner
- Kapitel
Samandjaja öffnete die Augen. Von der Veranda drangen Stimmen und das Klappern von Geschirr ins Zimmer. Eine helle Männerstimme rief: „Macht doch nicht solch einen Lärm, der Bapak schläft.“ – Samandjaja lächelte. Er fühlte sich heute Morgen viel besser. Das Fieber schien geschwunden, die Malariaanfälle der letzten Tage würden sich nicht wiederholen. Mit raschen Griffen rollte der junge Mann die Bastmatte zusammen, stellte sie in eine Ecke und stieß die Tür auf.
Farid sah ihm erstaunt entgegen. „Wie geht es, Bapak?“
„Gut, mein Junge.“ Samandjaja lachte fröhlich. „Ein wunderschöner Morgen ist das. Also, Schluss mit der Faulenzerei!“
Er frühstückte hastig, während Farid die letzten Neuigkeiten aus Surabaja berichtete. Samandjajas Gesicht verfinsterte sich. Plünderungen, Kämpfe mit den Japanern, Gerüchte, dass die Engländer bald landen würden …
Im August 1945 hatten die Japaner kapituliert. Inzwischen waren zweieinhalb Monate vergangen, aber die Japaner saßen nach wie vor in Indonesien. Wie es hieß, auf Anweisung von Admiral Mountbatten, dem Oberbefehlshaber der Alliierten im Südwestpazifik. Zu den Alliierten gehörten auch die Holländer. Die Ausrufung der indonesischen Republik am 17. August 1945 hatte sie in Angst und Schrecken versetzt. Sie bangten um ihr Kolonialreich, das sie im Frühjahr 1942 den Japanern nahezu kampflos überlassen hatten. Jetzt wollten sie es unter allen Umständen zurückgewinnen, mit Hilfe der Engländer. Der Fuchs Mountbatten, der vorläufig all seine Truppen brauchte, hatte ein Geschäft mit dem ehemaligen Gegner Japan gemacht. Er sollte in Indonesien die Stellung für die Alliierten halten, bis sie selbst in Indonesien landen konnten. Aber die Praxis entsprach nicht immer den Überlegungen am grünen Tisch. Manche japanischen Kommandeure wollten Indonesien eher unabhängig sehen, als es den Engländern und danach wieder den Holländern überlassen. Ihre Soldaten, demoralisiert von der schmählichen Kapitulation, pausenlos bedrängt von den indonesischen Widerstandskämpfern, träumten nur noch davon, endlich nach Hause zu kommen.
Armes Indonesien, dachte Samandjaja, seit dreihundert Jahren sind ausländische Mächte darüber hergefallen wie die Geier über ein verendendes Tier. Portugiesen, Holländer, Engländer und Japaner haben miteinander gewetteifert, das Land auszuplündern. Das Maß ist nun voll …
„Gestern hat es im Chinesenviertel gebrannt. Die Chinesen kamen wie die Ratten aus ihren Schlupflöchern. Viele Tote soll es gegeben haben.“
Samandjaja blickte erstaunt auf. Der triumphierende Ton in Farids Stimme gefiel ihm nicht. Chinesenpogrome waren nicht neu. Schon immer hatte das Volk seine Wut über die Fremdherrschaft an den geschäftstüchtigen, aber wehrlosen Chinesen ausgelassen. Die Holländer sahen das nicht ungern. Aber was sollte das jetzt? Wem nützte jetzt das Gemetzel? Samandjaja wusste, wer hinter diesen Pogromen stand: verantwortungslose Moslemführer, die von einem Darul Islam, einem islamischen Staat Indonesien, träumten. Den Darul-Islam-Anhängern ging es nicht in erster Linie um die Religion, sondern um die Macht der feudalen Grundbesitzer in der Republik Indonesien. Deshalb begannen sie den Krieg im Krieg. Dschihad nannten sie das, Kampf gegen die Ungläubigen. Ungläubig waren für sie alle, die ihre Macht hätten bedrohen können: Kommunisten, Chinesen, Europäer. Moslembanden durchstreiften in großer Zahl das Land, hetzten die Bevölkerung zu Plünderungen und Pogromen auf und setzten damit die Existenz der jungen Republik aufs Spiel, die eben keine islamische war, sondern in ihrer Verfassung Kirche und Staat voneinander trennte. Die Kräfte der regulären indonesischen Armee und der organisierten Guerillaverbände reichten nicht aus, Ordnung in das Chaos zu bringen.“
Ebenfalls erstmals 1980 erschien im Verlag Neues Leben Berlin „Hoffnung am Irrawaddy. Burma im Aufbruch“ von Sigrid Grabner: Die Autorin schildert in dem spannenden Buch die Geschichte des burmesischen Unabhängigkeitskampfes in der Zeit von 1930 bis 1948. Junge Männer um Aung San organisieren den Volksaufstand gegen die Briten, dann gegen die Japaner und schließlich erneut gegen die Briten, bis das Land 1948 endlich die Unabhängigkeit erlangt. Sehr spannend und aktionsreich und zugleich erschütternd ist gleich der Beginn dieses Buches:
„Das Attentat
Am Morgen des 19. Juli 1947 rasten zwei Militärfahrzeuge durch die Straßen Ranguns, dem Zentrum entgegen. In Sichtweite des Regierungsgebäudes in der Dalhousie Street hielten sie an. Junge Männer in den dschungelgrünen Uniformen der burmesischen Armee, bewaffnet mit Maschinenpistolen, sprangen auf die Straße. Vorübereilende Passanten beachteten sie kaum. Der Krieg war in der Erinnerung der Menschen noch zu lebendig, als dass sie bewaffnete Soldaten als etwas Außergewöhnliches angesehen hätten.
Die Soldaten verschwanden in dem großen grauen Gebäude. Ihre Stiefeltritte hallten durch die langen Korridore. Der wachhabende Soldat vor dem Eingang zum Konferenzzimmer blickte den vier jungen Männern neugierig entgegen. Sicher kamen sie mit einem Sonderauftrag vom Armeehauptquartier. Ehe er noch fragen konnte, wurde er brutal zur Seite gestoßen. Die Männer rissen die Tür zum Konferenzzimmer auf, einer schrie: „Alle sitzen bleiben! Keiner rührt sich von der Stelle!“
Im Konferenzzimmer tagten die Minister der Provisorischen Regierung Burmas. Unter ihnen der zweiunddreißigjährige Regierungschef Aung San. Sie alle schauten die Eindringlinge entgeistert an. Aung San sprang auf, um etwas zu sagen. In diesem Augenblick eröffneten die Männer das Feuer. Die Schießerei dauerte etwa eine halbe Minute. Dann liefen die Attentäter mit schnellen Schritten die Haupttreppe hinunter. Sie sprangen in einen wartenden Jeep vor dem Eingang. Der Fahrer gab Gas. Die Bremsen kreischten, als das Fahrzeug aus dem Tor raste und in die Sparks Street einbog.
Der Sekretär Aung Sans hatte die Schüsse im Nebenraum gehört und sich auf den Boden geworfen. Er hielt sie für Detonationen von Handgranaten. Nach einer Minute, als alles still war, schaute er nach, was geschehen war. Lähmendes Entsetzen überkam ihn und alle anderen, die jetzt in das Konferenzzimmer stürzten:
Aung San und sechs seiner Minister lagen in ihrem Blut am Boden.
Im Zentralen Krankenhaus von Rangun kniete Daw Khin Kyi neben der Leiche ihres Mannes Aung San. Stunden vergingen, und keine Träne trat in ihre Augen, während ein ganzes Land weinte. Sie sah den Toten an, als wollte sie sich seine Gesichtszüge für alle Zeiten unverlierbar einprägen. Aung San war ihr Leben gewesen. Sie hatte ihn gekannt, wie ihn keiner je gekannt hatte. Sie war die Mutter seiner Kinder, die Vertraute seiner Träume. Von jetzt an musste sie für ihn mitleben. Das brauchte Kraft.
Daw Khin Kyi wusste, dass sie sich in ihrem Schmerz nicht verlieren durfte. Der Tod Aung Sans überstieg ihr persönliches Leid, er konnte zu einer nationalen Katastrophe führen und das Vermächtnis des Toten gefährden. Wie Daw Khin Kyi dachten viele Burmesen in jenen Stunden.
Wer war dieser junge Aung San, dessen Leben sich durch einen Mordanschlag jäh vollendete? Seine Geschichte, die zugleich die Geschichte des burmesischen Unabhängigkeitskampfes ist, begann in dem Städtchen Natmauk in Mittelburma. Hier wurde Aung San am 13. Februar 1915 geboren. Nach unseren Begriffen ähnelte Natmauk Anfang dieses Jahrhunderts mehr einem großen Dorf als einer Stadt. Einstöckige, manchmal auch zweistöckige Häuser aus Teakholz, mit Schilf gedeckt, lagen inmitten grüner Reisfelder. Am Horizont steigen Berge in den Himmel, und bei klarer Sicht kann man in der Ferne den breiten Kegel des heiligen Berges Popa sehen. An den Hängen dieses Berges sammelte im elften Jahrhundert der erste Einiger Burmas, König Anawrahta, sein siegreiches Heer, mit dem er die Dynastie von Pagan begründete. Viele Sagen von Königen, Göttern und Geistern ranken sich um den Popa. Schon früh beschäftigten sie die Fantasie der Kinder von Natmauk.
Am Morgen, ehe noch das bunte Treiben auf dem Basar begann, schob sich aus den Klöstern die lange Reihe der buddhistischen Mönche. In ihren safranfarbenen Gewändern, in der einen Hand den altertümlichen Schirm aus rotem Ölpapier zum Schutz vor Regen und Sonne, in der anderen den Almosennapf aus schwarzlackiertem Bambus, sammelten sie schweigend die Gaben der Gläubigen ein: etwas Reis, Huhn oder Fisch. Mit diesen Geschenken erwarben sich die Spender religiöse Verdienste, und deshalb gaben sie gern und reichlich. Die Mönche genossen hohes Ansehen im Volke. An religiösen Festtagen begaben sich die Einwohner von Natmauk mit Geschenken, der eine mit einer Schlafmatte, der andere mit einem Paar Sandalen oder einem Korb Früchten, zu den Klöstern. Vor dem Eingang streiften sie ihre Schuhe ab, schritten ehrfürchtig ins Betzimmer, legten ihre Gaben ab und setzten sich in einigem Abstand um den Klostervorsteher nieder. Schweigend lauschten sie den Worten des heiligen Mannes über Buddha und seine Lehre, um dann gestärkt und vom Lichte des Glaubens erhellt davonzugehen und sich irdischen Vergnügungen hinzugeben. Keine wichtigen Dinge geschahen in Natmauk, ohne dass die Alten den Rat eines Klostervorstehers einholten. Seit altersher verehrten die Gläubigen Buddha, dharma (die Lehre Buddhas) und sangha (die Gemeinschaft der Jünger). Die Mönche lebten nach dem Gelübde der Armut. Ihr safrangelbes Gewand zeigte an, dass sie dieser Welt entsagt hatten, um auf dem vorgeschriebenen Pfad des Glaubens zu wandeln.“
Erstmals 1988 veröffentlichte Sigrid Grabner im Buchverlag Der Morgen Berlin „Hochzeit in der Engelsburg. Frauen aus der italienischen Geschichte“: Bei Studien in italienischen Archiven, Klöstern und Bibliotheken war Sigrid Grabner in Ferrara auf ein Buch aus dem Jahr 1497 über 183 „Ausgewählte und berühmte Frauen“ gestoßen, eine Anregung mehr, sich mit dem Thema Frauen in der Geschichte zu befassen. Das Mittelalter und die Renaissance sind reich an politisch handelnden, künstlerisch tätigen und gelehrten Frauen. Sie spielten eine weit größere Rolle, als ihnen männliche Historiografen zubilligten. War die römische Senatorin Marozia, die ein erneuertes italienisches Königtum anstrebte, wirklich ein „verworfenes Weib“, wie Bischof Liutprand behauptete? Die Markgräfin Matilde von Tuscien nur eine berechnende papistische Fürstin, wie in Geschichtsbüchern steht – wenn sie überhaupt von ihr Notiz nehmen? Caterina Sforza, Cesare Borgias Kontrahentin, ein blutgieriges Mannweib?
Die Autorin entschied sich für acht Frauen. Es sind Geschichten um jeweils eine Situation aus ihrem Leben, in denen sie sich über die Schranken ihrer Umwelt und ihrer eigenen Gewohnheiten hinwegsetzen. Sie begehren auf, kämpfen, werden schuldig, wachsen über sich hinaus. Das zarte Mädchen aus Siena ermutigt nicht nur einen Papst, sondern auch die Nachwelt zu furchtlosem Handeln. Noch in der Todesstunde überwindet die Dichterin Vittoria Colonna ihre Schwäche und führt Michelangelo aus seiner Verzweiflung zu neuer Schaffensfreude. Die Gelehrte Olympia Morata, die auf der Flucht vor der Inquisition in Deutschland Zuflucht findet, ahnt hinter Enttäuschungen und Niederlagen eine neue Zeit mit einer freieren Lebensauffassung, die nicht mehr überschattet wird von den politischen Auseinandersetzungen zwischen Päpsten und weltlichen Herrschern, den widerstreitenden Machtinteressen der Adelsfamilien, von Intoleranz und Ketzerverfolgungen.
Die Frauen in Sigrid Grabners einfühlsamen Erzählungen versuchen sich gegen die herkömmlichen Institutionen der Macht durchzusetzen, sie gewinnen dabei zunehmend an Eigenständigkeit, Charakter und in vielen Fällen an Größe. Ihre Aktionen künden von dem Mut ihres Geschlechts, von Willensstärke und geistiger Konsequenz. Ihre Kühnheit gebärdet sich nicht heldisch, sie erwächst aus tiefer Not – dem Konflikt zwischen Anspruch und Wirklichkeit. So sprechen sie noch heute zu uns, werden zu interessanten, die Geschichte mit prägenden Gestalten. Hier eine davon, die uns auch zu Hintergründen des berühmten Gangs nach Canossa führt:
„Matilde von Tuscien (1046–1115)
Matilde stammte aus der Ehe des mächtigen Langobardenfürsten Bonifatius mit Beatrix von Oberlothringen und war durch ihre Mutter mit dem deutschen Kaiserhaus verwandt. Nach dem Tode des Bonifatius heiratete Beatrix Herzog Gottfried den Bärtigen. Dieser machte Kaiser Heinrich III. die Oberhoheit in Italien streitig. Der Kaiser nahm Beatrix und Matilde gefangen und führte sie als Geiseln nach Deutschland. 1056 starb Heinrich III., er hinterließ die Herrschaft über das Reich seinem erst sechsjährigen Sohn Heinrich IV., Beatrix und Matilde kehrten nach Italien zurück. Um das Erbe des Bonifatius seiner Familie zu erhalten, verheiratete Gottfried die junge Matilde mit seinem Sohn aus erster Ehe, Gottfried dem Buckligen, einem Gefolgsmann Heinrichs IV. Für kurze Zeit lebte Matilde wieder in Deutschland. Ihre Ehe war unglücklich und wurde durch die Flucht Matildes nach Italien gelöst. Nach dem Tod ihres Mannes, der Mutter und des Stiefvaters herrschte Matilde ab 1075 allein über weite Gebiete Italiens vom Po bis zum Liris.
Zu jener Zeit regierte in Rom Papst Gregor VII. (1073 bis 1085). Er nutzte die schwache Stellung Heinrichs IV., um Kirche und Papst vom Reich unabhängig zu machen. Nicht länger sollten Könige und Kaiser Bischöfe einsetzen und die Papstwahl beeinflussen dürfen. Scharf wandte sich Gregor gegen Ämterverkauf und Priesterehen. Der junge Heinrich forderte Gregor auf, von seinem Amt zurückzutreten. Auf einem Konzil in Worms erklärten die deutschen Bischöfe am 24. Januar 1076 den Papst für abgesetzt. Gregor antwortete darauf im Februar 1076 mit dem Bann gegen Heinrich.
Die deutschen Fürsten, von Heinrich im Interesse der Zentralgewalt in ihren Rechten beschnitten, sahen die Stunde der Rache gekommen. Sie versagten dem König den Gehorsam. Sollte der Bann gegen ihn nicht binnen Jahresfrist aufgehoben werden, wollten sie einen neuen König wählen. Zugleich luden sie Papst Gregor für den 2. Februar 1077 zu einem Reichstag nach Augsburg ein, das oberste Richteramt im Streit zwischen dem König und den Fürsten auszuüben.
Der von allen Seiten bedrängte König entschloss sich zu einem unerwarteten Schritt. Begleitet von seiner Gemahlin Berta von Turin und dem dreijährigen Sohn Konrad, zog er im Januar 1077 dem Papst entgegen. Durch Selbstdemütigung, aber ohne politische Zugeständnisse wollte er die Lösung des Banns erreichen.
Gregor, bereits auf dem Weg nach Augsburg, suchte Zuflucht bei der Markgräfin Matilde auf der Burg Canossa. Hier erreichte die Auseinandersetzung zwischen Papsttum und Reich, die in der Folge die Einheit des christlichen Europa sprengen sollte, ihren ersten Höhepunkt.
CANOSSA
Nicht der Wissende, sondern der Handelnde ist glücklich.
Seneca
Matilde stand am Fenster und schaute hinüber zur Burg Rossena, an der vorbei der Weg aus dem Val d’Enza hinauf nach Canossa führte. Von dorther musste Heinrich kommen. Tiefblau wölbte sich der Winterhimmel über die braunen Hügel bis zu den fernen schneebedeckten Gipfeln des Apennin. Seit Tagen wehte ein kalter Nordwind, drang durch alle Ritzen des Mauerwerks. Die Holzkohlenfeuer in den Becken wärmten kaum.
Bis gestern hatte Matilde gehofft, Heinrich gäbe sein Vorhaben auf. Da ritt ein Abgesandter des Königs durch den dreifachen Mauerring von Canossa und meldete die Ankunft seines Herrn für den folgenden Tag. Gregor hatte nur die Augenbrauen gehoben und den Mann ohne Antwort entlassen. Während der Morgenmesse war er sehr bleich gewesen, doch seine Worte hallten so kraftvoll im Gewölbe der Kapelle wider, dass Matilde einen leichten körperlichen Schmerz empfand. Sie liebte Gregors Stimme, in der sich seine Seele offenbarte: stark und empfindsam zugleich. Aber heute Morgen hatte in ihr ein metallischer Ton geklungen, der sie beunruhigte.
Was würde Gregor tun?
Einen falschen Mönch hatte Heinrich ihn genannt. Ein Jahr war seither vergangen. Nun bat der König um Verzeihung, nicht, weil er ehrlich bereute, sondern weil er um seine Krone fürchtete.
Matilde erinnerte sich an Heinrich, wie er an der Hand seiner Mutter, der frommen Kaiserin Agnes, am Totenbett Heinrichs III. gestanden hatte, schüchtern, doch schon in der Pose des Herrschers – ein Kind, das nichts begriff. In ihrer Vorstellung war er noch immer dieses Kind. Was sie von ihm hörte, ließ ihn unüberlegt und unreif erscheinen. Ihm fehlte der Ernst seines Vaters. Matilde dachte ungern an Kaiser Heinrich und seine Familie.
Es hatte ihr und der Mutter während der Haft in der Kaiserpfalz Bodfeldt an nichts gefehlt, doch die Düsternis und Wildheit der Harzlandschaft lagen bis heute wie ein Alp auf ihr. Die Menschen dort lachten wenig und tranken viel. Der Tod des strengen Kaisers war wie eine Erlösung gewesen, der Ritt nach Italien wie ein Aufbruch ins Gelobte Land. Nur wenige Jahre später hatte sie als Gemahlin Gottfrieds wieder nach Norden reisen müssen. Sie verabscheute den Mann, hasste das Land. Als ihr kleiner Sohn starb, wurde die Sehnsucht nach der Heimat in ihr übermächtig – nach den lichtübergossenen Ebenen, den blauen Bergen, den reichen Städten, der klingenden Sprache. Sie floh nach Mantua, wo die Mutter sie freudig und ohne Vorwürfe in die Arme schloss.
Und nun kam Heinrich. Die Schatten der Vergangenheit schienen sie einzuholen. Matilde hüllte sich fester in ihren Umhang.
Die Markgräfin stand im zweiunddreißigsten Lebensjahr. Die Ehe mit Gottfried und die kurze Mutterschaft hatten sie nicht erblühen lassen. Sie wirkte zart wie ein junges Mädchen. Die blassen Lippen, voll noch und schön geschwungen, verrieten die Pein vieler Nächte, da körperliches Verlangen mit dem Stolz auf ihre Unabhängigkeit rang. Der hochmütige beherrschte Blick ließ die Leidenschaften, von denen die Markgräfin gequält wurde, nicht ahnen. Nach dem Tode ihrer Mutter wagte nur noch einer, Matilde lange und prüfend in die Augen zu sehen – Papst Gregor.
Matilde wandte sich nicht um, als man ihr meldete, König Heinrich nähere sich der Burg. Schon längst hatte sie die Gruppe von Reitern erblickt. Aber sie konnte, sie wollte noch immer nicht glauben, dass ein deutscher König, der eben noch dem Papst sein „Steige herunter!“ entgegengeschleudert hatte, nun im Büßergewand heranzog. Was ist das für ein Herrscher, dachte sie, der so unüberlegt spricht und so würdelos handelt! Sie empfand keine Genugtuung über den Bußgang Heinrichs, nur Scham. Gab es etwas auf dieser Welt, das solche Selbstüberhebung und, wenn sie auf Widerstand stieß, solch eine Selbsterniedrigung rechtfertigte?“
Erstmals bereits 1976 veröffentlichte Sigrid Grabner im Verlag Neues Leben Berlin „Flammen über Luzón. Über die philippinische Revolution von 1896“: Sigrid Grabner berichtet in ihrem Buch von jener Zeit, als die Spanier mit dem Schwert in der einen und der Bibel in der anderen Hand das philippinische Volk kolonialisierten und so brutal unterdrückten, dass sich die Filipinos schließlich machtvoll zur Wehr setzten. Es war die Zeit der ersten bürgerlich-demokratischen Revolution auf den Philippinen. „Flammen über Luzón“ bringt uns jene Menschen näher, die ihr Leben der Befreiung ihres Landes gewidmet haben. Das Buch erzählt von Heldenmut und Vaterlandsliebe, aber auch von Verrat und menschlicher Schwäche, von Verzweiflung und großer Sehnsucht.
Als 1898 die USA auf den Philippinen das koloniale Erbe Spaniens antraten, veränderte sich für das philippinische Volk nichts, nichts veränderte sich. Die USA brachten den Philippinen weder die ersehnte politische Unabhängigkeit noch wirtschaftlichen Fortschritt. Sie konservierten die halbfeudalen Produktions- und Abhängigkeitsverhältnisse und entwickelten lediglich begrenzt die Wirtschaftszweige, an denen der amerikanische Markt interessiert war. Neben dem Vertiefen der politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit setzte eine starke Amerikanisierung des gesellschaftlichen Lebens der Philippinen ein. Die sich herausbildende Kompradorenbourgeoisie wurde zusammen mit den halbfeudalen Großgrundbesitzern die wichtigste politische Stütze der neuen Kolonialmacht.
Aber ebenso wenig wie die Spanier vermochten es die Amerikaner, den Wunsch des Volkes nach nationaler Befreiung zu unterdrücken. Bis zum Erringen der Unabhängigkeit war es allerdings noch ein weiter Weg, ein Weg voller Opfer. Über Anliegen und Hintergründe dieses nationalen Befreiungskampfes informiert eingangs ein langes Geleitwort von Dr. Bernd Sander, das hier trotz seines Umfanges vollständig zitiert werden soll:
Geleitwort
Vor vielen tausend Jahren, so erzählt man sich in den Bergen von Luzón die Entstehungsgeschichte der Philippinen, hatten Himmel und Meer einen Streit. Das Meer brodelte und schäumte und warf voll ohnmächtiger Wut weiße Gischt hinauf zu den Wolken. Darüber geriet der Himmel mehr und mehr in Zorn und schleuderte große und kleine Felsen herab, damit sich die wütenden Wellen daran brächen. So sollen die 7107 Inseln des philippinischen Archipels entstanden sein. Eine andere Sage meint, dass einst eine Göttin von großem Kummer erfasst wurde. Ihre Tränen fielen in das Meer, erstarrten und bildeten Inseln von einzigartiger Schönheit.
Heute leben auf den Philippinen fast 45 Millionen Menschen. Die Filipinos wurden einst von den Spaniern und später von den Amerikanern unterdrückt. Sigrid Grabner berichtet in ihrem Buch von jener Zeit, als die Spanier mit dem Schwert in der einen und der Bibel in der anderen Hand das philippinische Volk kolonialisierten und so brutal unterdrückten, dass sich die Filipinos schließlich machtvoll zur Wehr setzten. Es war die Zeit der ersten bürgerlich-demokratischen Revolution auf den Philippinen. „Flammen über Luzón“ bringt uns jene Menschen näher, die ihr Leben der Befreiung ihres Landes gewidmet haben. Das Buch erzählt von Heldenmut und Vaterlandsliebe, aber auch von Verrat und menschlicher Schwäche, von Verzweiflung und großer Sehnsucht.
Als 1898 der USA-Imperialismus auf den Philippinen das koloniale Erbe Spaniens antrat, veränderte sich nichts für das philippinische Volk. Die USA brachten den Philippinen weder die ersehnte politische Unabhängigkeit noch wirtschaftlichen Fortschritt. Sie konservierten die halbfeudalen Produktions- und Abhängigkeitsverhältnisse und entwickelten lediglich begrenzt die Wirtschaftszweige, an denen der amerikanische Markt interessiert war. Neben der Vertiefung der politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeit setzte eine starke Amerikanisierung des gesellschaftlichen Lebens der Philippinen ein. Die sich herausbildende Kompradorenbourgeoisie wurde zusammen mit den halbfeudalen Großgrundbesitzern die wichtigste politische Stütze der neuen Kolonialmacht.
Aber ebenso wenig wie die Spanier vermochten es die Amerikaner, den Wunsch des Volkes nach nationaler Befreiung zu unterdrücken. Bis zur Erringung der Unabhängigkeit war es noch ein weiter Weg, ein Weg voller Opfer.
Am 7. November 1930 wurde die „Kommunistische Partei der Philippinischen Inseln“ (KPdPhI) gegründet. Sie knüpfte an die revolutionäre Tradition der bürgerlich-demokratischen Revolution an und begann den massenpolitischen Kampf um nationale Befreiung zu organisieren. Am 24. März 1934 musste schließlich der amerikanische Präsident F. D. Roosevelt den Philippinen eine formelle innere Teilautonomie gewähren, die jedoch in keiner Weise die Herrschaft der USA antastete, sondern lediglich auf eine Übergangsetappe bis zur Unabhängigkeit orientierte. Die Kommunistische Partei schätzte bereits zu jener Zeit richtig ein, dass der USA-Imperialismus gezwungen werden muss, seine Versprechen einzuhalten.
Am 29. und 30. Oktober 1938 vereinigten sich auf marxistisch-leninistischer Grundlage die „Kommunistische Partei der Philippinischen Inseln“ mit der „Sozialistischen Partei“ zur „Kommunistischen Partei der Philippinen“ (KPdPh). In dieser Zeit zeigten sich bereits immer unverhüllter die Expansionsabsichten der japanischen Militaristen. Die Kommunistische Partei erkannte diese Gefahr und begann 1941, Partisaneneinheiten aufzustellen.
Am 7. Dezember 1941 überfielen die Japaner Pearl Harbor, den Hauptstützpunkt der US-Pazifikflotte, und bombardierten noch am gleichen Tag philippinisches Territorium.
Drei Tage später landeten die ersten japanischen Truppen auf Luzón. Während sich die Besitzenden den Japanern beugten und auch das Kleinbürgertum beträchtliche Illusionen über eine „japanische Befreiung“ von den Amerikanern hegte, nahm das philippinische Volk den Kampf gegen die japanischen Invasoren auf. Grausam wüteten die Japaner unter der Bevölkerung, doch sie konnten den Kampf des Volkes nach echter Freiheit nicht unterdrücken. Neben dem Aufbau einer Einheitsfront (am 6. Februar 1942 wurde die Nationale Antijapanische Einheitsfront gegründet) verstärkte die Partei die Reihen der Partisaneneinheiten. Diese wurden schließlich zur „Antijapanischen Volksarmee“, der „Hukbong Bayan Laban Sa Hapon“ (Hukbalahap) zusammengefasst. Die japanischen Aggressoren mussten bald zur Kenntnis nehmen, dass sie einer schlagkräftigen und gut organisierten Partisanenarmee gegenüberstanden. Trotz massiven militärischen Einsatzes der Japaner befreiten die „Huks“ große Gebiete und gründeten dort demokratische Selbstverwaltungsorgane. Die unter Führung der Kommunistischen Partei stehenden „Huks“ genossen unter der Bevölkerung hohes Ansehen.
Die Amerikaner, die am 20. Oktober 1944 Truppen auf den Philippinen landeten, nutzten die Kraft und den Einfluss der „Huks“ aus, um den Widerstand der Japaner zu brechen. Als im Juni 1945 der Kampf auf Luzón, im Juli auf den anderen Inseln endete und am 2. September 1945 die bedingungslose Kapitulation Japans unterzeichnet wurde, hatten die „Huks“ daran einen entscheidenden Anteil. Mit großer Besorgnis verfolgte nunmehr Washington den wachsenden Einfluss der Partisanen.
Kaum waren die Philippinen von den japanischen Militaristen befreit, da geriet das Land erneut in die Umklammerung der USA. Es dauerte gar nicht lange, und die amerikanischen Monopole hatten wieder ihre uneingeschränkte Herrschaft errichtet. Im Juni 1945 wurde die „Demokratische Allianz“, der die KPdPh, die Hukbalahap, der „Nationale Bauernbund“, das Komitee der Arbeiterorganisation und verschiedene andere demokratische Organisationen angehörten, gegründet. Die „Demokratische Allianz“ wurde zum Zentrum jener Kräfte, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit forderten. Die USA, die nunmehr nicht länger die Forderung nach Unabhängigkeit ignorieren konnten, begannen ihren Einfluss langfristig auch für die Zukunft abzusichern. Die Philippinen mussten ihre Verfassung von 1935 ändern und darin einen Passus aufnehmen, der den Amerikanern gleiche Rechte wie den Filipinos bei der Ausbeutung der nationalen Ressourcen zusicherte. Diese „Parity Rights“, die 1955 durch das sogenannte Laurel-Langley-Abkommen unwesentlich modifiziert wurden, ermöglichten es den Amerikanern, Schlüsselpositionen in der philippinischen Wirtschaft zu besetzen. Nur unter diesen Bedingungen hatte Washington zugestimmt, den Philippinen die Unabhängigkeit zu gewähren.
Als am 4. Juli 1946 in Manila die amerikanische Flagge eingeholt wurde und die dreifarbene Fahne der Philippinen mit der goldenen Sonne und den drei Sternen, unter der bereits die Helden von 1896 ihr Blut vergossen hatten, als Symbol der staatlichen Unabhängigkeit am Mast emporstieg, hatten die demokratischen Kräfte einen wichtigen Erfolg errungen. Doch noch am gleichen Tag musste die philippinische Regierung den „Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika mit den Philippinen zum Handel und zu anderen Fragen“ unterzeichnen, der die berüchtigten „Parity Rights“ beinhaltete und die philippinische Wirtschaft eng an die Marktbedürfnisse der USA band. Wenige Monate später, am 14. März 1947, wurde dann ein Abkommen über Militärstützpunkte abgeschlossen, das den USA das Recht gab, für 99 Jahre 23 Gebiete der Philippinen als Militärbasen zu nutzen.
Während sich die Kompradorenbourgeoisie mit diesen neokolonialistischen Verträgen abfand, setzten die demokratischen Kräfte ihren Kampf um echte Unabhängigkeit fort. Unterstützt von den USA, begann die philippinische Reaktion mit Flugzeugen, Artillerie und Panzern einen grausamen Feldzug gegen jene Filipinos, die einst unter Einsatz ihres Lebens das Land von den japanischen Invasoren mit befreit hatten. Tausende der besten Filipinos wurden ermordet, die demokratischen Organisationen verboten, und die Kommunistische Partei musste sich erneut in die Illegalität zurückziehen. Außenpolitisch wurden die Philippinen zum engsten Verbündeten des USA-Imperialismus in Asien. Sie wurden Mitglied des aggressiven SEATO-Bündnisses, nahmen an dem Krieg gegen das koreanische Volk und später auch gegen das vietnamesische Volk teil.
Ende der fünfziger und besonders in den sechziger Jahren erstarkte die demokratische Volksbewegung auf den Philippinen. Es war eine Arbeiterklasse herangewachsen, die zusammen mit den anderen ausgebeuteten Klassen und Schichten immer nachdrücklicher soziale und politische Veränderungen forderte. Auch innerhalb der Bourgeoisie hatte sich das Kräfteverhältnis verschoben. Die junge Industriebourgeoisie drängte danach, einen größeren Anteil am nationalen Reichtum zu erhalten, und wandte sich besonders gegen die Übermacht und die Sonderprivilegien der Amerikaner. Anfang der Siebzigerjahre wurden die Philippinen von einer Welle sozialer Erschütterungen erfasst. Erzreaktionäre und ultralinke Kräfte nutzten diese Situation aus und schufen eine Lage, in der Terrorakte und Bombenanschläge an der Tagesordnung waren. Der philippinische Präsident verhängte deshalb im September 1972 den Ausnahmezustand über das Land und begann gleichzeitig gegen den heftigen Widerstand der Großgrundbesitzer Reformen, u. a. eine Bodenreform, einzuleiten. Auch in der Außenpolitik dieses südostasiatischen Staates zeichneten sich wesentliche Veränderungen ab. Manila folgte nicht mehr bedingungslos dem Diktat Washingtons, sondern war bestrebt, sich den Realitäten anzupassen. Die philippinische Regierung erneuerte trotz Drängens der USA das 1974 abgelaufene diskriminierende Handelsabkommen mit den Sonderprivilegien für die Amerikaner nicht. Sie setzte sich stattdessen für die Auflösung des SEATO-Militärpaktes ein und forderte von den USA Verhandlungen über die amerikanischen Basen auf philippinischem Territorium, deren Pachtzeit 1966 auf 25 Jahre begrenzt worden war. Schrittweise wurden die Beziehungen zu den einst brüskierten sozialistischen Staaten entwickelt und mit der Mehrheit von ihnen, so auch mit der DDR, diplomatische Beziehungen aufgenommen. Wenngleich diese Entwicklung noch von vielen Widersprüchen behaftet ist, so schätzen die herrschenden Kreise auf den Philippinen heute das internationale Kräfteverhältnis realer ein.
Die Kommunistische Partei, die seit ihrer Gründung im Jahre 1930 fast ununterbrochen in der Illegalität kämpfen musste, erhielt im Oktober 1974 durch ein Dekret des philippinischen Präsidenten die Möglichkeit, in Zukunft legal zu arbeiten. Unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes ist zwar gegenwärtig die legale Arbeit der Kommunistischen Partei wie auch die aller anderen Parteien sehr begrenzt, dennoch war es ein wichtiges Ereignis in der Geschichte des Landes, das den demokratischen Kräften neue Möglichkeiten eröffnet, die positiven innen- und außenpolitischen Veränderungen zu vertiefen.
Mit diesem Buch erhält vor allem die Jugend in der DDR erstmalig eine lebendige und spannende Lektüre über eine entscheidende Phase in der Geschichte des philippinischen Volkes. Sigrid Grabner gebührt Anerkennung dafür.
Berlin, im März 1976
Dr. Bernd Sander“
Bleibt an dieser Stelle nur noch zu hoffen, dass die vorgestellten Bücher von Sigrid Grabner für zwei Themen Interesse geweckt haben – für den Unabhängigkeitskampf in Asien und für den (doppelten) Unabhängigkeitskampf der Frauen. Wie sagte doch ein berühmter Philosoph, der langsam wiederentdeckt wird, zu diesem Thema in einem Brief an seinen Freund, den Arzt Ludwig Kugelmann, ebenso treffend wie pointiert: „Der gesellschaftliche Fortschritt lässt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts (die Häßlichen eingeschlossen).“ Viel Vergnügen beim Lesen, kommen Sie gut durch den Rest des Monats und gut hinein in den Juni, bleiben auch Sie weiter vor allem schön gesund und munter und bis demnächst.
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