- „Brick and Mortar“ – Wie digital kann die Immobilienwirtschaft überhaupt werden?
- „Lost in Transition“ – Wie viel Veränderung kann die Immobilienbranche auf einmal vertragen?
- „My home is my Castle” – Wo arbeiten wir in Zukunft?
Zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen hatte Mastertalk-Initiator Prof. Dr. Thomas Glatte, Professor für Immobilienwirtschaft an der Hochschule Fresenius und als CNG-Vorstandsmitglied für Aus- & Weiterbildung zuständig, Gäste und Co-Moderatoren der vergangenen zwei Jahre eingeladen:
- Aygül Özkan, Geschäftsführerin, ZIA German Property Federation
- Prof. Dr. Markus Thomzik, Westfälische Hochschule, Professor für FM, Digitalisierung und Facility Management (InnoFM Podcast)
- Martina Williams, Head of Work Dynamic DACH/CEE, JLL (Mastertalk RE)
- Sven Wingerter, Geschäftsführer, Eurocres Consulting GmbH (Mastertalk RE)
- Peter Prischl, Geschäftsführer, Afondo (Mastertalk RE) Urgestein der FM-Beratung im DACH-Raum
- Pia Glatte-Bast, Kommunikationstrainerin, pgb Traning (Mastertalk RE)
- Moderation: Andy Dietrich, Geschäftsführer, Strategiekollegen (Haus-Meister Podcast)
Zunächst griff Moderator Dietrich den Anlass des heutigen Mastertalks in seiner ersten Frage auf: „Wie digital kann die Immobilienwirtschaft überhaupt werden?“ Aygül Özkan machte deutlich: „Die Branche muss digital werden. Sie kann nicht, sie muss!“ Vor allem bei den Geschäftsmodellen und Abläufen kann „Digitalisierung Schnelligkeit reinbringen.“ Tempo also in der grundsätzlichen Einführung digitaler Prozesse: „Wir müssen uns nicht mehr über das Ob unterhalten, sondern nur über die Schnelligkeit.“ Besonders beim Klimaschutz und dem Gebäudemanagement könne es rasch gehen. Doch um Daten effizient zu erheben, auszuwerten und strukturieren zu können, brauche es Standards. Hier sei wiederum die EU gefragt und die Gesamtheit der Branche, mit der man gemeinsam Lösungen finden müsse. „Besonders die etablierten Unternehmen müssen wir hier überzeugen“, betonte sie.
Prof. Markus Thomzik antwortet zum Thema: „Der Kern der Immobilienbranche – das Bauen ‚Stein auf Stein‘ – lässt sich nicht digitalisieren.“ Doch gleichzeitig gäbe es unglaublich viele Dienstleistungen, wo sich dies machen ließe: Vertrieb, 3D-Druck, Gebäudemanagement und Prozesse. Von Dietrich auf den Kostendruck im Gebäudemanagement angesprochen und ob diese Entwicklung den Bereich nicht innovativer als andere gemacht habe, sagte Thomzik: „Nein, da muss ich Dich enttäuschen. Der dynamische Rand ist sehr klein. Das Gros in Deutschland besteht eher aus Besitzstandswahrern. Die fühlen sich recht wohl.“
Peter Prischl stieß ins selbe Horn: „Das ganze Digitalisierungsgerede ist leider noch ein solches. Die Immobilienwirtschaft hinkt 30 Jahre hinterher im Vergleich zu innovationsgeleiteten Branchen.“ Er hingegen würde mit Digitalisierung da anfangen, „wo Ziegel- und Mörtel entwickelt werden.“ An der Quelle sei die einzige Chance, zu vertretbaren Kosten Daten zu erheben. Anderswo werde das nicht passieren: „Das geht nur im Vorbeigehen, an der Quelle, beim Entwickeln, wo dann auch das digitale Modell mitentwickelt wird.“ In anderen Branchen sei das selbstverständlich, nicht aber bei Immobilien.
Auch Martina Williams sah noch großen Nachholbedarf: „Es muss sich vieles ändern, damit die Daten durchgehend funktionieren und alles vernetzt ist.“ Wichtig sei, die Daten zu teilen. Aber: „Einfach wird es nicht“, unterstrich sie. Vor allem in Hinblick auf die Wettbewerbssituation. Hier würde sie sich wünschen, die Branche bewege sich „im strukturierten Ansatz.“ Glatte fasste den Programmpunkt zusammen: „Datenverfügbarkeit ist alles. Wir bei BASF tun uns selbst schwer, besonders bei Bestandsimmobilien. Durch die zunehmende Regulatorik, werden wir – also die gesamte Branche – nun aber dazu gezwungen.“
Die Silberrücken haben verstanden
Folgend nahm Moderator Dietrich das zweite Themenfeld ins Visier: „Wie viel Veränderung kann die Immobilienbranche auf einmal vertragen?“ Eine Entwicklung der besonders dynamischen Art brachten hier Corona und das Homeoffice mit sich. Die Beantwortung überließ er der, so seine Worte, „Gallionsfigur des New Work und der neuen Arbeitswelten“ – Sven Wingerter von Eurocres: „Der letzte Silberrücken hat nun verstanden, dass mobiles Arbeiten richtig funktioniert, und eben nicht nur in der Theorie“, berichtete er. Dabei müsse der eigentliche Nutzer das Tempo der Entwicklung vorgeben, da sich fester Arbeitsort und Arbeitszeit voneinander gelöst haben.“ Für die Produkte „Immobilien“ und „Büro“ habe dies natürlich Konsequenzen, machte Wingerter deutlich: „Wir haben dies einmal durchgerechnet. Selbst vor Corona wurde eine Büroimmobilie nur zu maximal 35 Prozent genutzt. Nun ist noch das Thema mobile Arbeit hinzugekommen.“ Neubau müsse daher hintenan angestellt werden. „Der Fokus liegt dann auf dem Bestand“, meinte er. Dort wiederum müsse es eine Transformation geben.
Pia Glatte-Bast näherte sich dem Thema „Veränderungen“ aus psychologischer Sicht: „Das versetzt uns in einen Spannungszustand.“ Es entstehe eine kognitive Dissonanz, woraus sich zwei gegensätzliche Reaktionen ergeben können: „Entweder Widerstände oder ´ich finde einen Sinn darin´ und nutze es als Motor“, sagte sie. Digitale Transformation läuft reaktiv ab, ohne dass der Fokus auf dem Nutzen liege. Daher: „Die Menschen brauchen einen Sinn!“
Thomzik stimmte zu: „Nur ein kleiner Teil geht Risiken ein. Doch in der Immobilienwirtschaft komme noch hinzu, dass kein Handlungsdruck herrsche.“ Der Erfolg sei zu groß. „Der Mensch ist einziger Ermöglicher, aber auch ‚fleischgewordene Innovationsbarriere‘“, sagte er. Auch hier sah Glatte wieder die Regulatorik als Treiber: „Sie ist zwar generell einschränkend, wirkt momentan aber als Motor.“ Das führe auch dazu, dass Banken für manche Projekte gar keine Kredite mehr vergeben.
Einen weiteren Faktor für Veränderungen machte Williams im „War for talent“ aus: „In den nächsten Jahren wird die Immobilienbranche 28 Prozent der Mitarbeiter verlieren. Wir müssen daher effizienter gemeinsam voranschreiten.“ Druck von außen helfe, aber auch fehlende Arbeitskräfte sorgen für Bewegung. Özkan erinnerte daran, dass sich in punkto Digitalisierung und Veränderungen auch bei der öffentlichen Hand mehr tun müsse, etwa bei Bauanträgen und Baugenehmigungen.
Wo arbeiten wir?
„Wo aber werden wir morgen arbeiten?“, läutete Dietrich die dritte Themenrunde ein. Nach Meinung von Glatte-Bast wird „die Freiheit, zu wählen, die Zukunft sein. Zwei Drittel der Angestellten wollen von woanders als dem festen Büro aus arbeiten.“ Und warum ist das so? „Das Streben nach Autonomie wird im Homeoffice befördert“, erklärte sie. Gleichzeitig aber stresst es uns, weil Beruf und Privates auf diese Weise verschwimmen. „In jedem Fall möchte keiner mehr vom guten Homeoffice ins schlechte Firmenbüro wechseln. Daher muss die Immobilienbranche ein tolles Büro anbieten – und es den Mitarbeitern überlassen, wo sie arbeiten wollen.“
Dietrich sah hierbei die generelle Forderung nach einem Recht auf Heimarbeit auch als „Elitendiskussion“ an: „Nicht jeder kann im Café oder von unterwegs aus tätig sein. Dem pflichtete Prischl bei und nannte einige Berufsgruppen: „Aufseherin im Knast oder Streetworker im sozialen Brennpunkt.“
Dass es noch mehr Möglichkeiten als das Paar „Büro/Zuhause“ – und entsprechende Motive dafür – gibt, darauf machte Gregory von Abendroth aufmerksam, Co-Gründer und Geschäftsführer von 1000 Satellites, einem Betreiber von Coworking-Centern: „Wir fragen unsere Kunden immer: ‚Wo arbeitet Ihr am liebsten und warum? Daheim, bei uns oder im Büro?‘ Die Antwort: ‚Bei Euch, wegen der Atmosphäre.‘“ Denn eine Immobilie liefere nicht nur eine Hülle, sondern bringe Menschen zusammen. „Daher haben wir bei uns auch einen Community-Manager.“ Diesen Gedanken unterstützten gleich zwei Mitstreiterinnen. Glatte-Bast: „Wir sind nun einmal soziale Wesen. Für einen Single im Homeoffice kommt da vieles zu kurz.“ Der Weg ins Coworkingcenter könne da die Lösung sein – genauso wie das firmeneigene Fitnessstudio, das viele internationale Konzerne zuerst wieder aufgemacht haben, um ihre Mitarbeiter zurück ins Büro zu holen, wie Williams berichtete.
Darauf Thomzik: „Es gibt viele Argumente für Heimarbeit und fürs Büro, zumal es auch auf die Art der Tätigkeit ankommt.“ Gegenwärtig sehe man dynamische, ja sogar hektische Bewegungen. Apple beispielsweise rudere mit seinem deutlichen Ruf nach einem „Zurück ins Büro“ wegen des Widerstands der Mitarbeiter wieder zurück. Prischl erinnerte daran, dass ein Fitnessstudio glücklich machen könne. Doch dürfen wir „happy nicht mit produktiv gleichsetzen. Ein Gym bedeutet nicht automatisch Effizienz.“
Multilokales Arbeiten ist die Antwort
Moderator Dietrich stellte Arbeitsweltenspezialist Wingerter die abschließende Frage: „Müssten Büros nicht stark an Attraktivität gewinnen, damit man dort wieder hingeht? Wie kann man Mitarbeiter locken?“ Hierzu sagte Wingerter augenzwinkernd: „Man muss nicht locken. ´Gewaltfreies´ Steuern muss im Vordergrund stehen.“ Für ihn ist das multilokale Arbeiten die Antwort. Und hiermit meint er „wirklich alle Arbeitsorte.“ Neben den bereits erwähnten heimischen und Firmenbüros sowie dem Coworkingcenter sieht er hier auch Satellitenbüros und mobile Arbeit generell als Teil der Lösung.
Dafür müsse man die Voraussetzungen schaffen, etwa in den Bereichen Kommunikation und Datensicherheit: „Die Welt ändert sich, das Büro steht im Wettbewerb und muss sich entwickeln.“ Daher, so sein Aufruf an FM-Manager, Investoren und Betreiber von Büroimmobilien: „Wer denkt, es geht so weiter, wird Schiffbruch erleiden. Ein Büro braucht die Funktion eines Lagerfeuers, so wird es sinnstiftend“ – und spielte damit auf das inzwischen branchenweit bekannt gewordene Lagerfeuer-Bild an, das er im ersten Mastertalk vor zwei Jahren kurz nach dem Corona-Ausbruch geprägt hatte.
Glattes Fazit des Jubiläums-Talks: „Unser Mastertalk hat sich in den zwei Jahren hervorragend etabliert – und ist auch ein Lagerfeuer.“
Der nächste Mastertalk findet am 5. Juli zum Thema „Sustainable Leadership in der Immobilienwirtschaft“ statt. Weitere Informationen zur Mastertalk-Serie unter www.mastertalk.net. Zudem steht der vergangene Mastertalk als Podcast von Markus Thomzik als InnoFM Podcast #79 zur Verfügung.
Hintergrundinformationen zur Hochschule Fresenius Heidelberg:
Die Hochschule Fresenius Heidelberg ist eine durch das Land Baden-Württemberg staatlich anerkannte Hochschule, ihre Studiengänge sind von der Foundation for International Business Administration Accreditation (FIBAA) bzw. der Stiftung Akkreditierungsrat akkreditiert. Sie gehört zum Verbund der Hochschule Fresenius mit über 14.000 Studierenden an ihren Standorten in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Heidelberg, Idstein, Köln, München und Wiesbaden sowie dem Studienzentrum in New York. Weitere Informationen finden Sie auf der Website: www.hs-fresenius.de
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