Nach Zugunglück bei Garmisch-Partenkirchen

Schon 2019 warnten mehrere anlagenverantwortliche Bahnmitarbeiter das Management der Deutsche Bahn vor Risiken im Streckennetz. Das geht aus einem siebenseitigen Brandbrief hervor, der dem ARD-Politikmagazin "Report Mainz" vorliegt. Darin sahen diese Mitarbeiter dringenden Handlungsbedarf. Jeder Anlagenverantwortliche trage die alleinige Verantwortung für bis zu 400 Streckenkilometer Gleis und Weichen, doch es fehle an Geld und Personal, um notwendige Instandsetzungen durchführen zu können.

Zusammenhang mit Zugunglück in Burgrain bei Garmisch-Partenkirchen?
Der Brandbrief der anlageverantwortlichen Mitarbeiter ist höchst aktuell. Denn nach "Report Mainz"-Recherchen verdichten sich die Hinweise, dass beim Zugunglück in Burgrain, bei dem fünf Menschen starben, fehlerhafte Gleise für den Unfall verantwortlich sein könnten. So liegt "Report Mainz" auch ein WhatsApp-Chat unter Lokführern vor, der auf einen mangelhaften Zustand der Bahnstrecke München-Mittenwald hindeutet. Dort heißt es: "Wir wissen alle in welchem Zustand diese Strecke ist. … Ab Tutzing ist alles im Arsch".

Schienendefekt als Ursache?
Auch Markus Hecht, Professor für Eisenbahntechnik von der Technischen Universität Berlin, vermutet einen Schienendefekt als Unfallursache: "Das ist ziemlich sicher, dass die Ursache am Gleis liegt, weil die vorlaufenden Fahrzeuge noch auf dem Gleis standen und die nachlaufenden auch und nur die Wagen dazwischen, sind entgleist. Da kann nur das Gleis die Ursache sein", so Hecht gegenüber dem ARD-Politikmagazin. Eine interne Drucksache des Verkehrsausschusses des Bundestages, die dem ARD-Politikmagazin vorliegt, war bereits in der vergangenen Woche bekannt geworden. Darin heißt es: "Es ist deshalb davon auszugehen, dass die durch die Zugfahrt auf den Oberbau einwirkenden Kräfte – insbesondere durch auch zum Teil vorgeschädigte Betonschwellen – nicht mehr aufgenommen werden konnten. In der Folge kam es vermutlich zu einer unzulässigen Spurerweiterung und dem Verlust der Spurführung."

Brandbrief der Anlagenverantwortlichen
Der Initiator des Brandbriefes sagt heute gegenüber "Report Mainz": "Wir Anlagenverantwortliche sind Bittsteller geworden. Wir mussten um jeden Pfennig Geld betteln. Das hat uns damals dann auch dazu bewogen, diesen Brief zu schreiben." Um die anfallenden Inspektionen fristgerecht durchführen zu können, blieben "vermehrt Instandsetzungsarbeiten infolge fehlender operativer Meister liegen", heißt es in dem Brandbrief weiter. Dass es nicht mehr Personal geben soll, habe von vorneherein festgestanden. Erkranke ein Anlageverantwortlicher länger als zwei Wochen oder beantrage einen längeren Erholungsurlaub, könnten "mit der derzeitigen Vertreterregelung die anfallenden Arbeiten nicht ordnungsgemäß abgearbeitet werden." Deshalb kommen die Anlageverantwortlichen zum Ergebnis, "dass unter den derzeitigen Voraussetzungen und Bedingungen die Anlageverantwortung nicht mehr zumutbar" sei.

Deutsche Bahn verweist auf laufende Ermittlungen
Die Bahn will sich zur Unfallursache derzeit nicht äußern und verweist auf die laufenden Ermittlungen. Zu internen Schreiben, wie dem Brandbrief der anlageverantwortlichen Mitarbeiter, äußere man sich nicht öffentlich. Darüber hinaus sei in den vergangenen Jahren die Anzahl der Mitarbeitenden gestiegen. "Auch die finanziellen Mittel" seien "in den letzten Jahren kontinuierlich angewachsen".

Bahn-Experte: System der Verantwortung muss geändert werden
Wegen des Unfalls ermittelt die zuständige Staatsanwaltschaft auch gegen den Anlagenverantwortlichen der Deutschen Bahn für diese Strecke. Der Bahn-Experte Prof. Markus Hecht sieht die Verantwortung aber auch bei der Deutsche Bahn insgesamt. Gegenüber "Report Mainz" sagte er: "Da muss sich etwas ändern. Ich habe normalerweise meine Sorgfaltspflicht. Und wenn trotzdem was passiert, dann liegt es am System. Und diese Überlegung, die gibt es bisher nicht bei der Eisenbahn, sondern wenn was passiert, dann wird der Einzelne angegriffen. Und das kann nicht sein."

Anlageverantwortliche fühlen sich allein gelassen
Drei Jahre, nachdem er den Brandbrief an den Bahn-Vorstand schickte, sagte der Initiator des Schreibens, im Interview mit "Report Mainz": "Ich war enttäuscht. Ich hatte mir von diesem Brief mehr erwartet. Ich hatte wirklich erwartet, dass sich hier mal ein Gremium zusammensetzt und diese Probleme, die hier geschildert werden, in Angriff nimmt." Am Ende habe der Brief seine Laufbahn bei der Bahn beendet. Vor eineinhalb Jahren sei er freigestellt worden. Der verkehrspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Matthias Gastel, will diese Form der Unternehmenskultur schnell ändern: "Ich werde demnächst in den Aufsichtsrat der Deutschen Bahn Netz AG, also einer der Infrastruktur-Sparten, einziehen. Und da wird auch eine meiner Aufgaben sein, die Frage zu stellen, wie das Management Hinweise von Mitarbeitenden von der Basis aufgreift, um dieses dann konstruktiv umzusetzen. Ich bin dankbar über alle konstruktiven Hinweise von denen, die ganz unten an der Basis arbeiten und sehr, sehr hau tnah jeden Tag erleben, wo die Probleme sind." Das Vorgehen, dass man Schuldige auf möglichst tiefer Ebene sehr hart bestrafe und damit die Öffentlichkeit zu befriedigen suche, sei nicht mehr zeitgemäß, sagte Prof. Markus Hecht im Interview mit "Report Mainz". "Ich muss das System insgesamt hinterfragen, wie es zu diesen Fehlern, Fehlhaltungen kommen kann."

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