Gaspreisdeckel zur Entlastung von Privathaushalten kostet je nach Modell zwischen gut 15 und knapp 37 Milliarden Euro

Ein Gaspreisdeckel für den Grundverbrauch der deutschen Privathaushalte kostet den Staat je nach Ausgestaltung zwischen 15,6 Milliarden Euro und 36,5 Milliarden Euro für das Jahr 2023. Am günstigsten wäre ein Gaspreisdeckel, bei dem ein subventionierter Grundverbrauch abhängig von der Zahl der Personen im Haushalt gewährt wird. Bei diesem Modell würde die Entlastung faktisch relativ stark fokussiert auf Haushalte mit kleinen Wohnungen und/oder niedrigem Gasverbrauch im Verhältnis zur Personenzahl und entsprechend niedrigeren Heizkosten. Ab einer mittleren Wohnungsfläche pro Person fiele der Anteil an der aktuell drastischen Gaspreissteigerung, den die staatliche Subventionierung abfängt, entsprechend geringer aus. Knapp doppelt so teuer wäre ein Gaspreisdeckel, der als Referenz den Vorjahresverbrauch (beispielsweise 80 Prozent davon) benutzt. In diesem Modell wäre die Entlastungswirkung dann aber absolut und entsprechend auch für Haushalte mit mittleren und größeren Wohnungsflächen und damit hohem Gasverbrauch pro Person deutlich größer (detaillierte Zahlen unten). Das ergibt eine neue Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.*

Mit Blick auf die fiskalischen Kosten wäre eine Finanzierung über eine kurzfristig höhere Staatsverschuldung ökonomisch am sinnvollsten. Eine einfache Möglichkeit wäre aus Sicht des IMK gewesen, für 2023 noch einmal die Schuldenbremse über die Notlagenklausel auszusetzen, es gibt aber auch verschiedene Möglichkeiten ohne Aussetzung. So könnten die notwendigen finanziellen Mittel auch über den Klima- und Transformationsfonds oder über ein spezielles Konto bei den Gasversorgern und Netzbetreibern organisiert werden, das der Staat kreditfinanziert füllt. Eine Finanzierung über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF), die die Bundesregierung angekündigt hat, funktioniert nach dem gleichen Prinzip. Um die Ausgaben für die Entlastungen längerfristig gegen zu finanzieren, empfiehlt das IMK eine Gaspreisabgabe, die fällig würde, sobald der Gaspreis wieder auf einem deutlich niedrigeren Niveau ist.

"Die Bundesregierung hat sich mit ihren Beschlüssen von gestern erstmals klar zu einer Gaspreisbremse beziehungsweise einem Gaspreisdeckel bekannt und einen tragfähigen Weg für die Finanzierung aufgezeigt. Das ist gut, denn Strompreis- und Gaspreisbremsen haben das Potenzial, drohende massive Mehrbelastungen für Privathaushalte und Unternehmen wirksam abzumildern und zudem die Inflationsrate spürbar zu senken", sagt Prof. Dr. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des IMK. "Wie stark die Entlastungswirkung eines Gaspreisdeckels wirklich wird, und was das konkret kostet, hängt von den Details der Ausgestaltung ab. Je nachdem, welche Gasmengen bei welchem Preis gedeckelt werden, kann es große Unterschiede geben, wie unsere Studie für mehrere Varianten aufzeigt."

Knapp die Hälfte der deutschen Privathaushalte heizt und/oder kocht mit Gas. Ihre absehbare Zusatzbelastung ist in Folge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine und der Lieferunterbrechungen weitaus höher als die von Haushalten, die andere Energieträger beziehen: Die Future-Preise auf den Energiemärkten deuten laut IMK darauf hin, dass sich die Gas-Heizkosten bis Ende 2023 gegenüber dem Niveau von 2019 fast verfünffachen dürften. Preisdeckel für den Grundverbrauch können diese enorme Zusatzbelastung dämpfen und gleichzeitig die gemessene Inflationsrate senken. Das kann dabei helfen, eine tiefe Rezession als Folge von drastischen Konsumeinschränkungen zu verhindern. In ihrer neuen Studie berechnen Dullien und die IMK-Forscher Dr. Tom Bauermann und Jan-Erik Thie nun Kosten und Entlastungswirkungen für drei aktuell diskutierte Konzepte von Gaspreisdeckeln, jeweils für 2023:

A. Ein Grundkontingent von 5.000 Kilowattstunden (kWh) pro Privathaushalt, das um 2.000 kWh pro weiterer Person im Haushalt aufgestockt wird. Dieses Modell entspricht weitgehend dem Konzept, das IMK-Direktor Dullien und Prof. Dr. Isabella Weber im Februar 2022 entwickelt haben.

B. Ein Grundkontingent von 80 Prozent des Verbrauchs, den der jeweilige Haushalt im Vorjahr hatte. Dieser Vorschlag wurde von anderen Fachleuten ins Gespräch gebracht, um den administrativen Aufwand zu vermeiden, die Zahl der in einem Haushalt lebenden Personen zu ermitteln.

C. Ein Grundkontingent von 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs, allerdings bis zu einem maximalen Bezug von 15.500 kWh im Jahr 2023. Diese Obergrenze soll verhindern, dass Haushalte mit hohen Einkommen, großer Wohnfläche und Zusatzeinrichtungen mit hohem Energieverbrauch wie etwa Schwimmbecken besonders profitieren.

Für jedes der drei Konzepte rechnen die Ökonomen des IMK mit zwei unterschiedlichen Preisen, zu denen das subventionierte Grundkontingent an die Gaskunden abgegeben wird, so dass insgesamt sechs Varianten kalkuliert werden (siehe auch die Tabelle in der pdf-Version dieser PM; Link unten). Im ersten Fall sind es 14 Cent pro Kilowattstunde, was in etwa dem aktuellen Durchschnittspreis für Endkunden entspricht. Im zweiten 10 Cent. Der Staat erstattet für das Grundkontingent den Energieversorgern die Differenz zum Marktpreis für Endverbraucher. Dieser dürfte nach der aktuellen IMK-Prognose im Jahresdurchschnitt 2023 bei 25,4 Cent/kWh liegen. Dementsprechend müsste die öffentliche Hand beim höheren Preis von 14 Cent 11,4 Cent pro Kilowattstunde Gasbezug im Grundkontingent ausgleichen, bei 10 Cent wären es 15,4 Cent.

Fiskalische Kosten im Jahr 2023

Auf Basis von statistischen Daten und Schätzungen zu Wohnflächen und Personenzahlen in Haushalten mit Erdgasbezug sowie durchschnittlichen Verbräuchen pro Quadratmeter ermitteln die Wissenschaftler einen erheblichen Korridor bei den Kosten eines Gaspreisdeckels für den Staat, je nachdem, welche Variante genutzt wird. Dabei gehen sie davon aus, dass sie die Ausgaben in jeder Variante etwas überschätzen, weil sich beispielsweise die Einsparungen, die Haushalte trotz subventioniertem Grundkontingent in den nächsten Monaten vornehmen werden, nicht seriös abschätzen können und daher von unveränderten Gasverbräuchen ausgehen.

Für die drei Modelle und jeweils zwei Preisvarianten (A1 bis C2) ergeben sich folgende Ergebnisse (siehe auch Abbildung 1 in der pdf-Version):

Am geringsten sind die Kosten für die Variante A mit einem festen (in KWh angesetzten) Grundkontingent pro Person. Wird der Preis im gedeckelten Bereich auf 14 Cent/KWh (Variante A1) festgesetzt, muss der Staat für 2023 15,6 Milliarden Euro aufwenden. Wird der Preis in diesem Bereich auf 10 Cent/KWh (A2) gedeckelt, so steigen die fiskalischen Kosten auf 21 Milliarden. Euro.

Ein an 80 Prozent vom Vorjahresverbrauch fest gemachtes Grundkontingent führt zu fast doppelt so hohen fiskalischen Kosten: 27 Milliarden Euro (bei 14 Cent/KWh, Variante B1) beziehungsweise 36,5 Milliarden Euro (bei 10 Cent/KWh, Variante B2).

Dazwischen liegen die notwendigen Ausgaben für Modell C, wenn man also die maximal geförderte Zahl an Kilowattstunden begrenzt. Dann ergeben sich fiskalische Kosten von 24,5 Milliarden Euro (14 Cent/KWh, Variante C1) beziehungsweise gut 33 Milliarden Euro (10 Cent/KWh, Variante C2).

Entlastungswirkung für die Haushalte

"Für die Haushalte in Deutschland bedeutet ein Gaspreisdeckel – unabhängig von seiner Ausgestaltung – teils erhebliche Entlastungen", betonen Bauermann, Dullien und Thie. Gewissermaßen spiegelbildlich zu den Kosten variieren allerdings auch die Entlastungswirkungen für einzelne Haushalte, machen die Berechnungen des IMK deutlich (siehe auch Abbildung 2):

So wird beispielsweise in Variante A1 bei einem Gaspreisdeckel von 14 ct/kWh ein 1-Personen-Haushalt durchschnittlich um 570 Euro pro Jahr entlastet. Läge der Preisdeckel bei 10 ct/kWh (Variante A2), würde die Entlastung auf knapp 770 Euro jährlich steigen. Noch deutlich höher ist die Wirkung beim für den Staat teureren Modell B: 1.010 Euro für einen 1-Personenhaushalt bei 14 ct/kWh (B1), 1.364 Euro bei 10 ct/kWh (B2).

Ein 3-Personen-Haushalt würde, ebenfalls abhängig von Modell und Abgabepreis zwischen 1.024 Euro (Variante A1) und 2.316 Euro (Variante B2) pro Jahr einsparen können.

Bei Haushalten mit fünf oder mehr Personen reicht die jährliche Entlastungswirkung von 1.472 Euro in Variante A1 bis 2.875 Euro in Variante B2.

Modell C sorgt für Entlastungen, die jeweils zwischen den Werten von A und B liegen.

Finanzierung: Es geht auch ohne Aussetzen der Schuldenbremse

Zwar dürfte Erdgas auch längerfristig mehr kosten als vor der russischen Invasion in der Ukraine. Doch bei den extremen aktuellen Preisausschlägen handele es sich aller Voraussicht nach um einen "vorübergehenden Schock", analysieren die IMK-Experten. Damit dessen volkswirtschaftliche Wirkung nicht aus dem Ruder läuft, wäre "eine ideale Reaktion der Wirtschaftspolitik", die privaten Haushalte durch den Gaspreisdeckel "heute kreditfinanziert zu entlasten und die Kredite in der Zukunft über höhere Abgaben oder Steuern der Haushalte zurückzuzahlen." Dafür sehen die Wissenschaftler mehrere Möglichkeiten.

Die nächstliegende Option wäre gewesen, für 2023 erneut die Notlagenklausel der Schuldenbremse im Grundgesetz zu nutzen und über eine erhöhte Nettokreditaufnahme die Kosten des Gaspreisdeckels direkt aus dem Bundeshaushalt zu decken. Für den Tilgungsplan würde sich anbieten, die Kosten des Gaspreisdeckels über eine zukünftige Abgabe auf Erdgas für die Privathaushalte zu finanzieren, die erhoben wird, sobald der Gaspreis wieder unter einen bestimmten, vorab definierten Preis fällt.

Als Alternative nennen die Experten, eine ähnliche Kombination aus Gaspreisdeckel für den Grundverbrauch heute und Refinanzierung in der Zukunft außerhalb des Bundeshaushaltes umzusetzen – und damit außerhalb des Geltungsbereichs der Schuldenbremse. So könnte der Gaspreisdeckel über den Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanziert werden. Hier würden die benötigten Mittel aus dem KTF beglichen und in der Zeit danach über eine Abgabe auf Erdgas wieder aufgefüllt. Um sicherzustellen, dass keine Transformationsausgaben unter der vorübergehenden Entnahme aus dem Fonds leiden müssen, wäre es laut IMK sinnvoll, dem KTF für solche Überbrückungen eine eigene Kreditermächtigung zu erteilen. Ein Problem mit einer solchen Nutzung des KTF könnte allerdings sein, dass vor dem Bundesverfassungsgericht ein Verfahren zur Auffüllung des KTF mit Haushaltsmitteln aus der Corona-bedingten Aktivierung der Notlagenklausel ansteht. Das bedeutet erhebliche rechtliche Unsicherheit. "Die von der Bundesregierung beschlossene Reaktivierung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds ist daher wohl eine einfachere Variante, die nach demselben Prinzip funktioniert", so IMK-Direktor Dullien.

Als weitere Option wäre es möglich, die Gaspreisstabilisierung auf die Ebene der Versorger und Netzbetreiber zu verlagern, schreiben die Forscher. Ähnlich dem EEG-Konto könnte ein Konto bei den Erdgasnetzbetreibern oder Versorgern eingerichtet werden, aus dem die Kosten des Gaspreisdeckels beglichen werden und das später mit einer Erdgasabgabe wieder aufgefüllt wird. Um die Liquidität für die aktuellen Auszahlungen zu gewährleisten, könnte der Bund diesem Konto einen Kredit geben, der wiederum über eine höhere Kreditaufnahme des Bundes finanziert wird. Eine solche Konstruktion wäre ebenfalls schuldenbremsenneutral, da der Kredit des Bundes an dieses Konto eine "finanzielle Transaktion" wäre, die nicht auf die Verschuldungsgrenze des Bundes angerechnet würde.

*Tom Bauermann, Sebastian Dullien, Jan-Erik Thie: Fiskalische Kosten und Finanzierungsoptionen für Varianten des Gaspreisdeckels. IMK Policy Brief Nr. 134, September 2022. Download: https://www.boeckler.de/…

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