Wettbewerbszentrale lässt Grundsatzfrage zur Reichweite der Plattformhaftung von Amazon gerichtlich klären

Die Wettbewerbszentrale will in einem aktuellen Grundsatzverfahren gegen den Plattformbetreiber Amazon Services Europe S.à.r.l. (nachfolgend: Amazon) u. a. gerichtlich klären lassen, wie weit die Haftung von Plattformbetreibern für Wettbewerbsverstöße von Händlern auf der Plattform reicht.

Wettbewerbern ist das Problem hinlänglich bekannt: Betreiber von Online-Plattformen, auf denen Händler ihre Produkte verkaufen können, haften grundsätzlich nicht für Rechtsverstöße dieser Händler. Sie haben aber nach dem bekannten Notice & Take Down-Verfahren bei Hinweisen auf Rechtsverstöße entsprechende Angebote zu entfernen. Das nehmen die Plattformen nach Erfahrung der Wettbewerbszentrale auch durchaus ernst.

Ein wettbewerbsverzerrendes Ärgernis ist aber, dass oftmals gleiche oder ähnlich gelagerte Rechtsverletzungen nach kurzer Zeit erneut auf den Verkaufsplattformen auftauchen. Hier können sich die Plattformen nicht auf eine nur eingeschränkte Haftung zurückziehen: Nachdem sie auf konkrete Verstöße hingewiesen worden sind, haben sie nicht nur entsprechende rechtverletzende Produkte/Angebote zu entfernen, sondern sie müssen nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich dafür Sorge tragen, dass sich derartige Verstöße nicht wiederholen (Notice & Stay Down).

Wie weit diese Erfolgsabwendungspflicht bei Wettbewerbsverstößen reicht, ist bisher gerichtlich noch nicht abschließend geklärt. Amazon ist der Auffassung, dass diese Verpflichtung „nur in Ausnahmefällen bei ganz besonders schutzwürdigen Interessen (Jugendschutz/Produktsicherheit)“ besteht und nicht gleichartige Verstöße umfasst, die zum Zeitpunkt des Hinweises bereits vorlagen.

Vor diesem Hintergrund hat die Wettbewerbszentrale einen  Fall vor das Landgericht Frankfurt am Main gebracht, in dem dieses nun auf Antrag der Wettbewerbszentrale Amazon untersagt hat, Dritten zu ermöglichen, auf seiner Verkaufsplattform die Begriffe „Sojamilch“, „Hafermilch“ und „Reismilch“ für vegane Milchersatzprodukte zu verwenden (LG Frankfurt am Main, Urteil vom 02.09.2022, Az. 3-12 O 42/21, nicht rechtskräftig).

Nach Hinweisen der Wettbewerbszentrale auf Rechtsverstöße gegen den absoluten EU-Bezeichnungsschutz für Milchprodukte im üblichen Notice & Take Down-Verfahren waren die gemeldeten Angebote zunächst von Amazon entfernt worden. Anschließend wurden aber weiterhin vegane Milchersatzprodukte mit denselben unzulässigen Bezeichnungen auf dem Marketplace angeboten. Diese weiteren Verstöße lagen auch zum Zeitpunkt des Hinweises bereits vor. Die Wettbewerbszentrale sprach daraufhin eine Abmahnung direkt gegen Amazon aus. Nachdem Amazon sich weigerte, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben, erhob die Wettbewerbszentrale Klage.

Das Gericht folgt der Auffassung der Wettbewerbszentrale. Es stellt in seiner Entscheidung klar, dass die Prüf- und Erfolgsabwendungspflicht des Marktplatzbetreibers nicht nur bei jugendgefährdenden, volksverhetzenden oder gewaltverherrlichenden Inhalten besteht, sondern auch bei Verstößen gegen formale Marktverhaltensregeln, wie hier dem EU-Bezeichnungsschutz für Milchprodukte. Es sei Amazon zuzumuten, Wörter wie „Sojamilch“, „Hafermilch“ und „Reismilch“ aus Angeboten Dritter herauszufiltern. Es genüge, die Angebote durch Filterprogramme laufen zu lassen, was keinen großen Aufwand bedeute. Nach Abwägung der jeweiligen Interessen treffe Amazon hier eine vollumfängliche Erfolgsabwendungspflicht.

„Die Haftung von Plattformbetreibern für Wettbewerbsverstöße Dritter ist für den Handel von enormer Bedeutung. Während stationäre und Online-Händler für jeden Rechtsverstoß unmittelbar haften und jedes einzelne Produkt vorher umfassend prüfen, haften Plattformbetreiber zunächst nicht unmittelbar. Wenn sie aber auf Verstöße hingewiesen werden, müssen sie nicht nur die gemeldeten Angebote entfernen. Sie müssen auch dafür sorgen, dass gleiche Rechtsverstöße nicht wieder auftreten. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht hinreichend nach und erwirtschaften sie weiterhin Verkaufsprovisionen für rechtsverletzende Produkte, verschaffen sie sich damit einen unlauteren Wettbewerbsvorteil zu Lasten der rechtstreuen Mitbewerber“, meint Dr. Tudor Vlah, zuständiger Referent bei der Wettbewerbszentrale.

Nachdem gegen die Entscheidung Berufung eingelegt wurde, wird nun das Oberlandesgericht Frankfurt über den Fall zu entscheiden haben.

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