- Helge Scheunemann, Head of Research Germany, Jones Lang LaSalle (JLL)
- Johannes Seidl, Leiter Portfoliomanagement and Financing Real Estate, Wealthcap
- Gerald Krebs, Finanzvorstand, Immobiliengruppe Rhein-Neckar
„Bitte erleuchten Sie uns“, bat Glatte sogleich Scheunemann, um eine Einführung in die aktuellen Daten und Fakten. Und was das Publikum von seiner knapp halbstündigen Präsentation zu erwarten hatte, ließ bereits das Titelbild erahnen: aufziehender Sturm; am Horizont nur schmales, fahles Sonnenlicht. Scheunemann machte sofort klar, wie er die Lage für die Branche sah: „Es gibt nicht viel Positives. Das Zinsumfeld ist sehr herausfordernd.“ Obendrein befinde sich die Welt im Krisenmodus: Konjunktur, Klimakrise, Konflikte, Krieg, Kapazitätsengpässe, „Korona“, Kosten. Jedes der sieben „K“ allein hätte schon zur Krise gereicht. „Aber nun kommt alles zusammen, und es ist auch alles miteinander verknüpft.“
Inflation macht Menschen am meisten Angst
Gleichwohl verdeutlichte Scheunemann, dass die Situation sehr komplex sei, „gerade auch für uns Researcher“. „Die Unsicherheit ist groß“, unterstrich er. Bezogen auf die harten Umfeldfaktoren, sagte Scheunemann: „Die Inflation hat mit zehn Prozent den höchsten Wert seit Jahrzehnten. Und deshalb schlägt die Inflation auch alles, was die Menschen derzeit umtreibt.“ Wie entwickelt sich nun die Inflation weiter? Sind wir schon am Höhepunkt angekommen? Eine schwierige Frage, gerade auch für ihn als Researcher. Schließlich würden jeden Monat die Inflationsprognosen erhöht, die Dauer der großen Welle nach hinten verschoben. In jedem Fall werde es „noch länger dauern, bis wir wieder auf einen normalen Inflationspfad einschlagen können“, so sein vorsichtiger und abwägender Ausblick. Damit meinte er „weit bis ins Jahr 2023“. Dann gebe es einen Rückgang, auch wegen statistischer Basiseffekte.
Zudem seien manche Preissignale widersprüchlich: Der Gaspreis habe bereits wieder nachgelassen. Gleiches gelte für Weizen oder die für die Immobilienbranche wichtigen Materialien Holz und Stahl. Ebenso habe sich der Kupferpreis – ein traditioneller Frühindikator – deutlich reduziert. Dem stehen allerdings gestiegene Erzeugerpreise von 48 Prozent im September gegenüber. Die Frage sei, inwiefern sie an die Verbraucher weitergegeben werden. Daneben sei der Preisrückgang bei vielen Produkten gerade als Zeichen für eine rezessive Phase und geringe Nachfrage zu sehen. In puncto Rezession seien die „Aussichten für Deutschland negativ“. Darauf deuten viele Indikatoren hin. Dies werde auch durch die EZB befeuert, deren Inflationsbekämpfung durch das Anziehen der Zinsschraube vereinfacht nach dem Motto laufe: „Lieber Rezession als Inflation.“
Was bedeutet die Zinswende nun für die Immobilienbranche? In erster Linie steigende Kosten. Zusammen mit den ohnehin explodierten Materialpreisen und der Mangelwirtschaft belaste dies die Bauwirtschaft. Folge: Es werden viele Aufträge storniert. Zudem fehle es der Zielgruppe an Geld. Potenzielle Käufer verfügen nun über weniger Kaufkraft – was sich direkt auf dem Immobilienmarkt bemerkbar mache. Insgesamt gebe es auch ein „limitiertes Transaktionsgeschehen.“ Die Zeit bis zum Abschluss einer Transaktion habe sich verdoppelt. „Prozesse werden auch abgebrochen“, berichtete Scheunemann. Und dies liege neben den Bau- auch an den Finanzierungskosten: Beim Zins herrschen eine „enorme Volatilität und tägliche Veränderungen.“ Trotzdem sei das Transaktionsvolumen mit 17 Milliarden Euro im dritten Quartal besser als im Zweiten gewesen, also „ganz gut“. Fürs gesamte Jahr rechne man mit 70 Milliarden Euro. „Angesichts der Lage ebenfalls ordentlich“, aber weit hinter den 111 Milliarden Euro von 2021 und unter dem Zehnjahresdurchschnitt von 72 Milliarden Euro.
Projektentwicklung stockt
Die Entwicklung künftiger Projekte stocke daher nun. Denn „für Fremdkapital sind die Kosten unerschwinglich im Vergleich zu den Renditen“, unterstrich Scheunemann. Fremdfinanzierung falle fast ganz aus. Nur wer auskömmlich Eigenkapital habe, gehe noch Projekte an; wenn überhaupt, dann nur mit ganz geringer Fremdkapitalquote. Was die Mieteinnahmen anbelangt, können angesichts der gestiegenen Kosten Indexklauseln ein „Werttreiber für Immobilien sein“. Index- oder Staffelmieten finden sich in 90 bis 95 Prozent der Gewerbemietverträge, wobei es für die Indexierung über 100 verschiedene Arten gebe, meist aber jene, bei der der amtliche Preisindex eins zu eins verwendet werde.
Daneben verzeichnet der Markt zunehmende Leerstände – aber zugleich auch steigende Mieten. Dies zeige, dass sich der Markt stark ausdifferenziere: „Die Nutzer gehen auf Top-Lagen und gute Immobilien. Im Wettbewerb um die besten Talente wird investiert, um ‚das Büro‘ attraktiv zu halten“, beleuchtete Scheunemann abschließend eine positive Seite des aktuellen Marktgeschehens. Gleichzeitig gebe es – vermeintlich widersprüchlich – bei den B-Lagen höhere Renditen. Aber nur, weil die Kaufpreise gefallen sind.
Mehr Mieteinnahmen – dafür aber höhere Kosten
Folgend befragte Moderator Glatte Seidl nach den Auswirkungen der Indexmiete. Seidl bestätigte, dass dies die Inflationsrate durch die Indizierung zu höheren Einnahmen bei den Fonds führe: „Es kann sogar bei einigen Fonds mehr ausgeschüttet werden als prognostiziert.“ Da sei ein gewisser Inflationsschutz vorhanden. Dabei dürfe man aber die Zinsen und generellen Mehrkosten nicht ausblenden, die dem als Belastung gegenüberstehen.
Aus der Anlegerperspektive könne er berichten, dass die Anfrage noch da sei. „Aber deutlich selektiver. Es wird mehr abgewartet.“ Die Investmentperspektive ist dagegen weniger rosig: „Die Zinsen sind gestiegen. Bei Käufern mit Fremdkapitaleinsatz sieht die Kalkulation sofort anders aus. Wir müssen den Bleistift spitzen.“ Denn die Renditeerwartungen der Anleger seien nicht gesunken. Immer ein Konkurrenzprodukt und Maßstab hier: US-Staatsanleihen. „Wir sind daher aktuell in der Findungsphase, der Markt nivelliert sich“, so Seidls Zwischenfazit. Zudem können die Zinsen auch weiter steigen. Am Markt herrsche eine große Unsicherheit. „Kurzfristig wird die Zahl der Transaktionen voraussichtlich nicht wieder steigen.“
Wealthcap gehe es dabei gut, man sei zu 96 Prozent vermietet. Die Realisierung von Mietsteigerungspotenzialen erfordert Investitionen. Auch er bestätigte, dass die Nachfrage nach qualitativ hochwertigen Flächen ungebrochen sei, insbesondere in Verbindung mit ESG-Konformität. Allerdings werden durchaus die Flächen reduziert. „Qualität gewinnt am Ende“, betont er.
Flaute auch bei Wohnimmobilien
Krebs berichtet zum Wohnsegment, dass auch hier das Angebot stark zurückgehe, ebenso die Nachfrage nach Grundstücken.“ „Alles ist sehr verhalten, jeder wartet ab.“ Dabei bestehe vor allem bei den unteren Preissegmenten ein enormer Zuwanderungsdruck. Hier droht durch die Zinswende ein Dominoeffekt: „Einstige Kaufwillige sitzen weiter in Mietwohnungen“, ergänzte Scheunemann.
Bei Gewerbe- und Büroimmobilien werde besonders die Geschwindigkeit des Zinsanstiegs „als schlimm“ angesehen: „Gerade das Tempo bei der Zinserhöhung hat viele überrascht. Seidl: „Und durch die Höhe der Zinsen gibt es keinen positiven Leverage-Effekt mehr. Wer jetzt noch ausreichend Eigenkapital hat und einsetzt, hat daher eine gute Verhandlungsposition. Hierzu gehören etwa Versicherungen und vereinzelt auch offene Immobilienfonds.
Co-Moderatorin Martina Williams, Head of Work Dynamic DACH/CEE bei JLL, fragte, wie es angesichts dieses Marktumfelds um das Thema ESG stehe. Seidl dazu: „ESG wird jetzt sogar noch wichtiger. Denn es wird noch stärker auf die Nebenkosten geachtet.“ Wer das anbieten könne, habe einen klaren Vorteil – abgesehen vom ökologischen Gedanken. „Aber“, betonte er: „Es kostet richtig Geld, um die Investitionen zu stemmen. Und mit Einmalinvestitionen ist es nicht getan. Die Anforderungen werden weiter zunehmen.“ Für Bestandhalter werde dies ein wichtiger Bestandteil. Wealthcap mache auf diesem Gebiet in jedem Fall konsequent weiter. Auch aus Sicht von Krebs und der Wohnungswirtschaft fordere ESG enorme Liquidität: „Viele warten hier noch auf passende Fördertöpfe.“
2023: Tal der Tränen
Daraufhin läutete Moderator Glatte die Schlussrunde ein – wie immer mit dem Blick in die Zukunft: „Ist das eine schnelle, harte Abwärtsfahrt oder ein Zyklus, der uns noch länger beschäftigen wird?“ Wealthcap-Manager Seidl: „Wir haben eine deutlich komplexere Situation als bei der Bankenkrise. Die Zinsen werden vermutlich weiter steigen. Niemand weiß, wann eine Erholung eintreten wird.“ Krebs stieß ins selbe Horn: „Eine schnellere Besserung wird es nicht geben. Corona war schon ein Drama, aber da gab es eine rasche Erholung. Es wird wohl zwei, drei Jahre brauchen, um wieder in normales Fahrwasser zu gelangen.“ Researcher Scheunemann abschließend: „Das kommende Jahr müssen wir durchstehen. In einem Jahr kann man womöglich wieder optimistischer werden. Aber 2023 wird ein kompliziertes Jahr, zumal die Geopolitik kaum einzuschätzen ist.“
Der nächste Mastertalk #25 findet am 29. November statt. Weitere Informationen unter www.mastertalk.net.
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