„Wenn man sich heute die Situation in der Pflege anschaut, dann erinnert sie mich an das Familienbild der 50iger Jahre. Bei aller Vernachlässigung von Details zeigt sich darin ein Spiegel unserer Gesundheitsversorgung. Der Vater als Haushaltungsvorstand – in dem Fall der Mediziner – sagt an, was richtig ist in Sachen Gesundheit. Die Mutter, also die Pflege, kümmert sich um die Kinder, hat vermeintlich diffuse Aufgaben, aber sorgt dafür, dass der Laden läuft. Und sie muss ihren Mann fragen, ob sie arbeiten gehen und ein eigenes Konto eröffnen darf, sprich, sie wird in jedem Schritt gesteuert und darf nicht eigenständig agieren. Und die Kinder, also die Patienten, sie haben auch kaum Mitspracherecht“, so Dr. Bernadette Klapper, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe.
Aus Sicht der Gesellschaft wird die Arbeit von Pflegenden zu wenig wertgeschätzt, es fehlt vor allem die notwendige Akzeptanz innerhalb der Kliniken und Heime. Oft sind die Arbeitsbedingungen schwierig, immer häufiger fallen Überstunden an und Dienstpläne ändern sich kurzfristig, und dies alles bei niedrigem Gehalt. Hinzu kommt, dass die Kranken- und Altenpflege durch körperlich und psychisch belastende Arbeit geprägt ist. Beschäftigte in der Altenpflege (33,2 AU Tage je Beschäftigte) und Krankenpflege (25,7 AU-Tage je Beschäftigte) weisen deutlich höhere Fehlzeiten auf als der Durchschnitt aller Beschäftigten (18,2 AU-Tage je Beschäftigten). Diese Differenz ist in den letzten beiden Corona-Pandemiejahren sogar noch größer geworden (Fehlzeiten in 2019: 22,7 AU-Tage je Beschäftigten bei den Gesundheits- und Krankenpflegekräften, 29,0 AU-Tage je Beschäftigten bei den Altenpflegekräften, bzw. 18,4 AU-Tage je Beschäftigten bei allen Beschäftigtengruppen). Vor allem weisen Pflegekräfte überdurchschnittlich viele Fehltage aufgrund von Muskel-Skelett-Erkrankungen (Altenpflege 9,5 AU Tage; Krankenpfleger 6,5 AU-Tage je Beschäftigte) und psychischen Störungen (Altenpflege 7,3 AU-Tage; Krankenpfleger 5,5 AU-Tage) auf.
„Der große Block ist die körperlich schwere Arbeit, die zu Problemen wie Rückenbeschwerden führen kann. Dann haben wir unregelmäßige Arbeitszeiten, Nacht- und Schichtarbeit. Das kann eben von den Störungen des biologischen Rhythmus über Konzentrations- und Schlafstörungen bis hin zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. Kritisch für die Beschäftigungssituation und auch den Pflegekräftemangel ist, dass viele Pflegekräfte sagen – das sind ungefähr zwei Drittel –, so, wie sie jetzt arbeiten müssen, können sie nicht bis zum normalen Renteneintrittsalter arbeiten. Das heißt, wir haben hier ein Potenzial für Frühberentung. Und das ist kritisch in der Zeit, wo man eh Personalmangel hat“, erklärt Prof. Dr. Holger Pfaff, Direktor des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft der Universität zu Köln.
Ergebnisse der BKK Beschäftigtenumfrage 2022 – Im Fokus der Pflegeberufe
Unzufriedenheit und ein erhöhter Krankenstand breiten sich aus. Ein Teufelskreis, denn wenn immer häufiger die Kolleginnen und Kollegen ausfallen, nimmt die Arbeitsverdichtung des Einzelnen zu. In einer repräsentativen Umfrage von 6.000 Beschäftigten im Rahmen des BKK Gesundheitsreports 2022 gaben mehr als 40 Prozent der Altenpflegekräfte (44,2 Prozent) genauso wie die Gesundheits- und Krankenpflegekräfte (40,4 Prozent) an, dass sie sich aktuell den Anforderungen ihrer Arbeit nur teilweise oder gar nicht gewachsen sehen. Dieser Anteil ist fast doppelt so hoch wie bei den sonstigen Berufen mit 24,6 Prozent.
Da ist es wenig verwunderlich, dass beispielsweise jeder vierte Beschäftigte in der Gesundheits- und Krankenpflege darüber nachdenkt in den nächsten zwei Jahren den Arbeitgeber zu wechseln. Mehr als jeder Fünfte denkt sogar darüber nach seinen Berufen ganz aufzugeben.
Ein weiteres Problem ist: Bei jeder dritten Altenpflegekraft (34,8 Prozent) und deutlich über einen Viertel (29,8 Prozent) aller Gesundheits- und Krankenpflegekräfte ist es fraglich, ob sie überhaupt bis zur Rente ihren Beruf ausüben bzw. generell arbeiten können.
Ursächlich dafür ist nach Aussagen der Befragten weniger der Pflegeberuf an sich, sondern vor allem die Gestaltung der Arbeitsbedingungen, die den Pflegenden heute zu schaffen machen. Die überwiegende Mehrheit aller Befragten sagt zwar, dass ihre Aufgaben eine anspruchsvolle Tätigkeit und ein zukunftssicherer Beruf sind (70,5 – 90,7 Prozent). Andererseits ist die Mehrheit der Meinung, dass sowohl die Bezahlung in der Pflege (66,1 Prozent) nicht angemessen ist, sondern auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie (51,5 Prozent) in diesem Berufsfeld nicht oder nur schlecht gegeben ist.
Insgesamt liefern sowohl die Befragungsergebnisse als auch Beschäftigungsstatistiken des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) keinen Beleg, die für das Phänomen „Pflexit“, einem Massenexodus der Pflegekräfte aus dem Gesundheitssystem, sprechen. Ein Berufswechsel findet in der Pflege in etwa genauso häufig wie in anderen Berufen statt. Allerdings würde auch ein großer Teil (43,5 Prozent) unter den Befragten den Pflegeberuf als Ausbildungsberuf nicht weiterempfehlen und ist zudem der Meinung, dass der Pflegeberuf keine hohe gesellschaftliche Anerkennung genießt (43,7 Prozent).
Mehr Verantwortung durch bessere Ausbildung in der Pflege
Eine wesentliche Maßnahme, die Verhältnisse in der Pflege zu verbessern, sei das Berufsbild von professionell Pflegenden aufzuwerten, fordert Dr. Bernadette Klapper:
„Grundsätzlich sind eine gute Bildung und gute Qualifizierung auf allen Ebenen erforderlich. Endlich haben wir eine generalistische Ausbildung. Wichtig ist, die Kinderkrankheiten in der Umsetzung zu beheben und konsequent zu nutzen, was uns das Pflegeberufegesetz ermöglicht, nämlich auch den Berufszugang über primär qualifizierende Hochschulstudiengänge, sprich den Bachelor in Pflege, als Grundlage für Spezialisierungen auf Masterebene verstärkt anzubieten und zu sichern.“
Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbands, geht noch einen Schritt weiter. Er sieht ein grundsätzliches Umdenken bei der Alten- und Krankenpflege von Nöten. Seine Forderung: Weniger stationäre Aufenthalte hin zu mehr ambulanter Pflege:
„Wir müssen zum einen feststellen, dass der größte ambulante Pflegedienst die Familie ist! Aber auch da ändern sich Strukturen. Wir haben heute in den Ballungsgebieten mehr als 50 Prozent Ein-Personen-Haushalte. Pflege im Familienverbund wird da schwieriger. Deshalb muss das System viel durchlässiger werden. Die heutigen Pflegegrade müssen viel flexibler nach dem individuellen Bedarf gestaltet sein. Denn die Hilfsbereitschaft in der Familie, in der Nachbarschaft, im Haus, ist viel größer als wir glauben“, sagt Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes.
Eines steht fest: Durch den demografischen Wandel wird der Bedarf an Pflegeleistungen in den nächsten Jahren deutlich steigen. Längst ist die Pflege älterer und kranker Menschen nicht bloß ein gesundheitspolitischer, sondern ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag.
„Ich sehe sogar große Möglichkeiten etwas zu reformieren! Wenn wir uns mit anderen Ländern vergleichen, dann haben wir weder zu wenig Ärzte noch zu wenig Pflegekräfte auf der Ebene Land. Aber wir verteilen diese personellen Ressourcen falsch. Wir haben zu viele Krankenhäuser, wir machen zu viel stationär, was auch ambulant erledigt werden könnte. Wenn man diese Strukturen bereinigen würde, dann wäre, glaube ich, ausreichend Arbeit und ausreichend gute Arbeit für alle vorhanden“, so Franz Knieps.
Weitere Informationen und Materialen zum BKK Gesundheitsreport 2022
Weitere Analysen und Kennzahlen zur Arbeitsunfähigkeit, zur ambulanten und stationären Versorgung sowie zu den Arzneimittelverordnungen und zur BKK-Umfrage sind im neuen BKK Gesundheitsreport 2022 zu finden.
Zusätzliche digitale Informationen und Materialen zum BKK Gesundheitsreport 2022 finden Sie auf der Internetseite des BKK Dachverbandes unter folgenden Links:
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