Die Krise in Myanmar überschattet den indonesischen ASEAN-Vorsitz
Der außenpolitische Gestaltungsanspruch Indonesiens zu Beginn des ASEAN-Vorsitzes 2023 ist groß. Die erfolgreiche indonesische G20-Präsidentschaft im vergangenen Jahr hat dem Land enormen diplomatischen Rückenwind gegeben und hohe Erwartungen an den diesjährigen Vorsitz der südostasiatischen Staatengemeinschaft geweckt. Die indonesische Regierung will mit dem Motto „ASEAN Matters – Epicentrum of Growth“ die vor allem wirtschaftspolitische Agenda ihrer G20-Präsidentschaft auch auf regionaler Ebene weiterführen – allen Herausforderungen in der Region zum Trotz. Doch während niemand von der indonesischen G20-Präsidentschaft ernsthaft eine Führungsrolle bei der Lösung des Ukraine-Kriegs erwartete, ist der Bürgerkrieg in Folge des Militärputsches 2021 in Myanmar in erster Linie eine regionale Herausforderung, bei deren Lösung die ASEAN eine Schlüsselrolle spielt und Indonesien als diesjähriger Vorsitz und größtes Land in der Region eine besondere Verantwortung trägt.
Die Mitgliedsstaaten der ASEAN haben sich 2021 auf einen 5-Punkte Plan (5-Point Consensus (5PC)) zur Lösung der Krise in Myanmar verständigt. Dieser sieht u.a. ein sofortiges Ende der Gewalt und einen Dialog aller Konfliktparteien vor. Bis heute hat die burmesische Junta keinerlei Willen gezeigt, den 5PC zu erfüllen. Im Gegenteil zeigt das Handeln der Militärdiktatur deutlich, dass diese kein Interesse an einer friedlichen Lösung des Konflikts hat. In der Region selbst werden die Forderungen nach einem Aufkündigen des 5PCs und schärferen Sanktionen gegen die Junta (u.a. eine Aussetzung der ASEAN-Mitgliedschaft Myanmars) deshalb immer lauter. Dennoch haben die ASEAN-Mitgliedstaaten bei ihrem Gipfeltreffen im November 2022 in Kambodscha beschlossen, am 5PC festzuhalten. Unter dem indonesischen Vorsitz soll nun ein Zeitplan für dessen Umsetzung entworfen werden.
Was die ASEAN damit erreichen möchte, bleibt völlig unklar. Ein Einlenken der Junta ist nicht zu erwarten. Die Gewalt des burmesischen Militärs gegen die Opposition hat in den vergangenen Wochen sogar noch einmal deutlich zugenommen. Dabei wird sich der Erfolg des indonesischen ASEAN-Vorsitzes an Fortschritten bei der Lösung der Krise in Myanmar messen lassen müssen. Ein „Aussitzen“ würde zwar verhindern, dass mögliche harte Debatten und kontroverse Gipfeltreffen Indonesiens Vorsitz überschatten. Doch würde dies eine mögliche Lösung des Konflikts (sofern es überhaupt eine gibt) noch einmal deutlich erschweren. 2024 geht der ASEAN-Vorsitz an Laos, ein Land dessen außenpolitische und diplomatische Kapazitäten dafür kaum ausreichen werden. Der indonesische ASEAN-Vorsitz in diesem Jahr ist das vielleicht letzte Window of Opportunity für Fortschritte in der Myanmar-Krise im Rahmen einer regionalen Lösung. Die indonesische Regierung sollte dieses Fenster unbedingt nutzen.
Timor-Lestes Beitritt zur ASEAN – Erfolg und Herausforderung zugleich
Die Mitgliedsstaaten der ASEAN haben sich bei ihrem Gipfeltreffen im November „im Grundsatz“ auf eine Aufnahme Timor-Lestes als elftes Mitglied der Staatengemeinschaft geeinigt. Das Land hat nun einen offiziellen Beobachterstatus inne und darf an allen ASEAN Treffen teilnehmen. Unter dem indonesischen Vorsitz soll zudem eine Roadmap für den Weg Timor-Lestes zur Vollmitgliedschaft ausgearbeitet werden. Für die indonesische Regierung, die sich seit vielen Jahren bereits für einen Beitritt Timor-Lestes eingesetzt hatte, ist die Einigung ein großer diplomatischer Erfolg.
Dennoch ist der Beitritt des Landes nicht unumstritten. Timor-Leste hatte sich bereits 2011 um eine ASEAN-Mitgliedschaft beworben, war aber bisher am Widerstand einzelner Mitgliedsstaaten gescheitert. Insbesondere die mangelnde wirtschaftliche Entwicklung (Timor-Leste ist das ärmste Land der Region) wird als mögliches Hindernis für eine engere wirtschaftliche Integration der ASEAN gesehen. Zudem bereitet der zunehmende Einfluss Chinas in dem kleinen Land Sorgen. Und schließlich gibt es Zweifel daran, dass Timor-Leste überhaupt über die benötigten Kapazitäten verfügt, um eine Mitgliedschaft in der ASEAN zu stemmen – insb. mit Blick auf die Ausrichtung von Gipfeltreffen.
Ein schneller Beitritt Timor-Lestes ist vor diesem Hintergrund nicht zu erwarten. Die diplomatische Herausforderung für den indonesischen Vorsitz wird sein, eine Roadmap auszuhandeln, die sowohl die hohen Erwartungen Timor-Lestes als auch die Bedenken anderer ASEAN-Mitgliedsstaaten ausreichend berücksichtigt.
China, der Elefant im Raum
Der Elefant im Raum ist und bleibt für ASEAN aber der wachsende Einfluss Chinas in der Region. China ist auf dem Weg, der größte Handelspartner aller ASEAN-Mitgliedsstaaten zu werden. Und China setzt seine wachsende wirtschaftliche Macht in Südostasien auch zunehmend als politischen Hebel ein. Die Staaten der Region drohen dadurch zunehmend an außenpolitischer Unabhängigkeit zu verlieren. Kambodscha etwa wird bereits heute regelmäßig als Client State Chinas bezeichnet. Gleichzeitig tritt China im Südchinesischen Meer weiter aggressiv auf und schafft im Konflikt mit den südostasiatischen Anrainerstaaten durch den Ausbau seiner militärischen Infrastruktur auf den Spratly und Paracel Inselgruppen Fakten. Die Gegenwehr der betroffenen Staaten ist gering. Zum einen fehlen ihnen die militärischen Kapazitäten, um im Fall einer Eskalation China Paroli bieten zu können. Zum anderen wäre ein offener Konflikt mit China aufgrund der wirtschaftlichen Abhängigkeit potenziell sehr kostspielig.
Chinas Einfluss in Südostasien droht das für die ASEAN so wichtige Grundprinzip der ASEAN Zentralität zu unterminieren. Das Prinzip besagt, dass die ASEAN eine zentrale und proaktive Rolle bei der politischen und ökonomischen Gestaltung der gesamten Region spielen sollte. Doch mit Blick auf Chinas Auftreten im Südchinesischen Meer, einem der zentralen Themen in der Region, äußert sich die ASEAN in ihren offiziellen Erklärungen und diplomatischen Verlautbaren auffällig schmallippig. Seit Jahren schafft es die ASEAN aufgrund chinesischer politischer Einflussnahme nicht, sich in diesem Konflikt auf die Seite ihrer betroffenen Mitgliedsstaaten (insb. Vietnam und die Philippinen) zu stellen. Stattdessen hat China die territorialen Konflikte im Südchinesischen Meer erfolgreich bilateralisiert und kann so seine ökonomische und militärische Übermacht gegen die betroffenen Länder voll ausspielen.
Die EU muss eine stärkere Rolle in der Region spielen
Der zunehmende Einfluss Chinas in Südostasien wurde auch durch das mangelnde Engagement des Westens und insb. der USA in der Region begünstigt. Der Rückzug der USA unter Präsident Trump aus dem bereits unterzeichneten Trans-Pacific Partnership (TPP) Handelsabkommen im Januar 2017 bedeutete eine verpasste Chance, den ASEAN-Staaten eine starke wirtschafts- und handelspolitische Alternative zu China anzubieten und den chinesischen Einfluss zu begrenzen. Zwar hat Präsident Biden mit Blick auf Südostasien eine Kehrtwende vollzogen und sieht die ASEAN als wichtigen Partner im Rahmen der US-amerikanischen Indo-Pazifik Strategie. Doch zum einen gilt der von den USA initiierte Indo-Pacific Economic Framework (IPEF) in der Region nicht als ernstzunehmende Alternative zu TPP. Zum anderen konnte China durch seine Mitgliedschaft im von der ASEAN vorangetriebenen und im Januar 2022 in Kraft getretenen Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) Freihandelsabkommen, seine wirtschaftliche Bedeutung in Südostasien in der Zwischenzeit noch weiter ausbauen.
Klar ist: Der Versuch, China aus der Region heraus zu drängen oder die ASEAN (bzw. einzelne Mitgliedsstaaten) gegen China zu positionieren, wäre von Anfang an zum Scheitern verurteilt. China ist aufgrund seiner Größe, seiner wirtschaftlichen und politischen Stärke sowie seiner geografischen Nähe viel zu wichtig und zu einflussreich in Südostasien. Vielmehr brauchen die ASEAN-Staaten Alternativen, um ihre wirtschafts- und handelspolitischen Beziehungen weiter zu diversifizieren und eine einseitige wirtschaftliche und in der Konsequenz politische Abhängigkeit von China zu verhindern. Hierbei können Deutschland und die EU eine wichtige Rolle spielen. Gleichzeitig könnte Europa durch eine stärkere Hinwendung zur ASEAN seine eigene wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduzieren.
Die EU ist schon heute der drittgrößte Handelspartner der ASEAN nach China und den USA. Dennoch hat die EU in der Region bisher nur mit Vietnam und Singapur Freihandelsabkommen abgeschlossen. Der indonesische ASEAN-Vorsitz sollte in diesem Jahr deshalb auch als politische Möglichkeit genutzt werden, um die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indonesien endlich abzuschließen und so das handelspolitische Commitment der EU in der Region zu unterstreichen. Aber auch die Freihandelsverhandlungen mit Thailand, Malaysia und den Philippinen sollten zeitnah wiederaufgenommen werden. Dass sich die Staats- und Regierungschefs beim EU-ASEAN Gipfel im Dezember 2022 in Brüssel zum langfristigen Ziel eines EU-ASEAN Freihandelsabkommen bekannt haben, ist vor diesem Hintergrund eine positive Nachricht[ii].
Der Bedarf an ausländischen Investitionen in den ASEAN-Staaten ist enorm. China ist mit Hilfe seiner Belt and Road Initiative (BRI) auch hier inzwischen der wichtigste Akteur und schafft dadurch finanzielle, technologische und politische Abhängigkeiten. Die westlichen Investitionszusagen im Rahmen der Just Energy Transition Partnership (JETP) Vereinbarungen mit Indonesien (20 Mrd. USD) und Vietnam (15,5 Mrd. USD) im vergangenen Jahr sowie die im Zuge der Global Gateway Initiative der EU erwarteten Investitionen von 10 Mrd. EUR in der ASEAN Region[iii] sind deshalb wichtige Schritte. Darauf darf sich Europa aber nicht ausruhen. Gerade mit Blick auf die außergewöhnlich dynamischen Wachstumszahlen und den Rohstoffreichtum in der Region bieten die ASEAN-Staaten erhebliches Investitionspotenzial. Eine noch stärkere Förderung von Investitionen europäischer Unternehmen in der Region im Rahmen ihrer China+1 Strategien würde nicht nur die europäische und südostasiatische Abhängigkeit von China reduzieren, sondern diesen Unternehmen auch neue Wachstumsmärkte erschließen.
Indonesiens ASEAN-Vorsitz als Chance für die deutsch-indonesischen Beziehungen
Der ASEAN-Vorsitz Indonesiens ist eine gute Gelegenheit für Deutschland und die EU ihre Zusammenarbeit mit der ASEAN weiter zu vertiefen. Indonesien gilt aufgrund seiner Größe, seiner Wirtschaftskraft und seines politischen Gewichts als heimlicher Anführer der ASEAN und scheut auch nicht vor Auseinandersetzungen mit China zurück[iv]. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an den indonesischen Vorsitz in der Region. Europa kann und sollte Indonesien im Rahmen seines Vorsitzes politisch unterstützen. Das gilt insb. auch für Deutschland, das in Indonesien noch immer als führendes Land in der EU angesehen wird und mit dem seit Jahrzehnten enge bilaterale Beziehungen bestehen[v]. Die hochrangigen bilateralen politischen Kontakte und Besuchsreisen im Rahmen der deutschen G7- und der indonesischen G20-Präsidentschaft aus dem vergangenen Jahr sollten auch 2023 unbedingt weitergeführt werden. Im April 2023 ist Indonesien Gastland der HANNOVER MESSE und wird sich in Deutschland und Europa als aufstrebender und moderner Industriestandort präsentieren. Die Bundesregierung sollte diese Gelegenheit nutzen, um die wirtschaftspolitischen Beziehungen zwischen Deutschland und Indonesien noch weiter zu intensivieren.
[ii] https://asean.org/…, S. 6.
[iii] https://asean.org/…, S. 4.
[iv] Die indonesische Regierung hat im Januar 2023 gegen den Protest Chinas die Gasförderung im Tuna Gasfeld genehmigt. Das Gasfeld liegt in der indonesischen Ausschließlichen Wirtschaftszone nördlich der Natuna Inseln. Die Gewässer werden im Rahmen seiner Neun-Strich-Linie im Südchinesischen Meer auch von China beansprucht. Als Anfang des Jahres ein Schiff der chinesischen Küstenwache mehrere Wochen in den Gewässern kreuzte, schickte die indonesische Marine mehrere Patrouillenboote und Schiffe sowie ein Aufklärungsflugzeug zur Beobachtung (und Abschreckung). https://www.thejakartapost.com/…
[v] 2022 haben Deutschland und Indonesien das 70-jährige Bestehen ihrer bilateralen Beziehungen gefeiert.
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