Trotz Fortschritten in der Behandlung überleben bislang nur etwa 30 Prozent aller erwachsenen Erkrankten mit einer Akuten Myeloischen Leukämie (AML) einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren. Bei Patientinnen und Patienten, die für eine intensive Therapie geeignet sind, ist die Transplantation von Stammzellen eines gesunden Spenders häufig die Methode mit der größten Heilungschance. Weitere Verbesserungen der Therapie werden dringend benötigt.
Eine Studie an 16 deutschen Kliniken liefert nun eine wichtige Grundlage für die optimale Therapieentscheidung bei Erkrankten mit so genanntem mittlerem Risiko. Wichtigste Indikatoren für die Einstufung in drei Risikogruppen – günstige Prognose, mittleres Risiko, ungünstige Prognose – sind bestimmte genetische Merkmale der Krebszellen, die Rückschlüsse auf den weiteren Verlauf der Erkrankung zulassen. Nach einer initialen Chemotherapie und einer vorläufigen vollständigen Zurückdrängung der Erkrankung (Komplettremission) werden Erkrankte mit günstiger Prognose mit einer Chemotherapie weiterbehandelt, während Betroffene mit ungünstiger Prognose bei Vorhandensein eines geeigneten Spenders eine Stammzelltransplantation erhalten. Bei Patientinnen und Patienten mit mittlerem Risiko herrschte bislang Uneinigkeit darüber, welche der beiden Behandlungsmethoden zu bevorzugen ist.
Die aktuelle Studie konnte nun zeigen, dass eine sofortige Transplantation fremder (allogener) Stammzellen bei der größten Gruppe der AML-Patientinnen und -Patienten mit mittlerem Risiko während der ersten Komplettremission zwar sehr effektiv ist, aber gegenüber einer fortgesetzten Chemotherapie und Transplantation im Bedarfsfall keinen Vorteil für das Gesamtüberleben bringt.
In die Studie eingeschlossen waren 143 erwachsene AML-Erkrankte zwischen 18 und 60 Jahren, bei denen ein passender Spender für eine Stammzelltransplantation verfügbar war und nach der ersten intensiven Chemotherapie eine Komplettremission der Erkrankung erzielt werden konnte. Nach dem Zufallsprinzip wurden die Betroffenen in zwei Gruppen eingeteilt: Gruppe eins erhielt eine Stammzelltransplantation, Gruppe zwei wurde mit einer Chemotherapie weiterbehandelt. Wenn Erkrankte der Gruppe zwei einen Rückfall erlitten, erfolgte auch bei ihnen eine Stammzelltransplantation.
Hohe Heilungschancen mit beiden Strategien
Insgesamt waren die Behandlungsergebnisse in beiden Studien-Armen sehr ermutigend; das Zwei-Jahres-Überleben lag bei 74 beziehungsweise 84 Prozent. Im Vergleich der beiden Gruppen zeigte die sofortige Stammzelltransplantation jedoch keinen statistisch signifikanten Vorteil. „Dies ist ein wichtiges Ergebnis, da für Patienten mit einem verfügbaren Spender nun zwei im Ergebnis vergleichbar gute Strategien zur Wahl stehen“, sagt Prof. Martin Bornhäuser, Direktor der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Dresden und Mitglied im geschäftsführenden Direktorium des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC). Beide Behandlungsoptionen sind mit spezifischen Vor- und Nachteilen verbunden: Während bei einer Stammzelltransplantation etwa die therapiebedingten Risiken größer sind, besteht bei fortgesetzter Chemotherapie ein höheres Rückfallrisiko. „Aufgrund der Ergebnisse kann es durchaus gerechtfertigt sein, dass die Patienten sich zunächst für die Weiterbehandlung mit einer Chemotherapie entscheiden und eine Stammzelltransplantation erst bei einem möglichen Wiederaufflammen der Krankheit durchgeführt wird. Erstmals war es möglich, dies in einer randomisierten, also besonders aussagekräftigen Studie zu überprüfen. Kaum ein AML-Patient ist bereit, die Entscheidung für oder gegen eine sofortige Transplantation einer zufälligen Zuordnung im Rahmen einer Studie zu überlassen. Wir sind allen Teilnehmenden sehr dankbar, dass sie diese wichtige Untersuchung ermöglicht haben“, erklärt Prof. Bornhäuser.
In der Studie erlitten 60 Prozent der Patientinnen und Patienten, die zunächst mit einer Chemotherapie weiterbehandelt wurden, in den ersten zwei Jahren nach Therapiebeginn einen Rückfall und wurden daran anschließend mit einer allogenen Stammzelltransplantation behandelt. „Wenn Betroffene große Angst vor einem Rückfall und weiteren Krankenhausaufenthalten haben, kann – nach einer intensiven gemeinsamen Abwägung durch die behandelnden Ärzte und den Patienten – eine Entscheidung für eine sofortige Stammzelltransplantation sinnvoll sein. Denn diese ist mit einem deutlich geringeren Rückfallrisiko verbunden. Dafür sind Betroffene dann unter Umständen bereit, ein höheres therapiebedingtes Risiko in Kauf zu nehmen“, sagt Prof. Matthias Stelljes, Leiter des Bereichs Knochenmarktransplantation am Universitätsklinikum Münster, sowie Co-Leiter der Studie und Letztautor der Publikation.
Hinsichtlich der Lebensqualität der Patientinnen und Patienten zeigte die Untersuchung für beide Behandlungswege – die mit vier bis sechs Wochen Krankenhausaufenthalt einhergehende Stammzelltransplantation wie die fortgesetzte Chemotherapie im Zeitraum von etwa einem halben Jahr – keinen relevanten Unterschied. „Unmittelbar während der Stammzelltransplantation war die empfundene Lebensqualität der Betroffenen etwas schlechter, ansonsten waren keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen feststellbar. Hier interessiert uns künftig vor allem auch das Ergebnis der Langzeitnachbeobachtung nach zehn Jahren“, sagt Prof. Stelljes.
Weltweit wichtige Grundlage für Therapieentscheidung – frühe Spendersuche wichtig
„In jedem Fall sollte bei einer Akuten Myeloischen Leukämie so früh wie möglich nach einem passenden Stammzell-Spender gesucht werden. Deutschland ist hierbei durch die großen Spenderregister hervorragend aufgestellt; nirgendwo sonst auf der Welt gelingt die Spendersuche so schnell. Das Vorhandensein eines geeigneten Spenders ist auch bei einer zunächst gewählten Chemotherapie die Versicherung für den Patienten, dass bei einem möglichen Rückfall schnell gehandelt werden kann“, erklärt Prof. Stelljes.
Neueste diagnostische Methoden ermöglichen es zudem, den Verlauf einer AML-Erkrankung immer genauer zu überwachen. Ziel künftiger Studien wird es daher auch sein, den optimalen Zeitpunkt für eine Transplantation möglichst patientenindividuell zu bestimmen. „Ideal wäre es, wenn wir bei einer zunächst fortgesetzten Chemotherapie künftig bereits bei einer deutlichen Verschlechterung wichtiger Krankheitsparameter und nicht erst bei einem für den Patienten gefährlichen Rückfall transplantieren könnten – in diese Richtung geht die aktuelle Entwicklung“, sagt Prof. Bornhäuser.
Veröffentlichung:
Bornhäuser M, Schliemann C, Schetelig J, et al. Allogeneic Hematopoietic Cell Transplantation vs Standard Consolidation Chemotherapy in Patients With Intermediate-Risk Acute Myeloid Leukemia: A Randomized Clinical Trial. JAMA Oncol. Published online February 09, 2023. doi:10.1001/jamaoncol.2022.7605
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Das DKFZ ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Das Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden bietet medizinische Betreuung auf höchstem Versorgungsniveau. Als Krankenhaus der Maximalversorgung deckt es das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. Das Universitätsklinikum vereint 26 Kliniken und Polikliniken, sechs Institute und 17 interdisziplinäre Zentren, die eng mit den klinischen und theoretischen Instituten der Medizinischen Fakultät zusammenarbeiten.
Mit 1.410 Betten und 201 Plätzen für die tagesklinische Behandlung von Patienten ist das Dresdner Uniklinikum das größte Krankenhaus der Stadt und zugleich das einzige Krankenhaus der Maximalversorgung in Ostsachsen. Rund 1.120 Ärzte decken das gesamte Spektrum der modernen Medizin ab. 2.250 Schwestern und Pfleger kümmern sich um das Wohl der Patienten. Wichtige Behandlungsschwerpunkte des Uniklinikums sind die Versorgung von Patienten, die an Krebs, an Stoffwechsel- und an neurodegenerativen Erkrankungen.
Deutschlands größter Krankenhausvergleich des Nachrichtenmagazins „Focus“ bescheinigt dem Universitätsklinikum Carl Gustav Dresden eine hervorragende Behandlungsqualität. Die Dresdner Hochschulmedizin belegt deshalb Platz fünf im deutschlandweiten Ranking.
Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus der Technischen Universität Dresden
Die Hochschulmedizin Dresden, bestehend aus der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus und dem gleichnamigen Universitätsklinikum, hat sich in der Forschung auf die Bereiche Onkologie, metabolische sowie neurologische und psychiatrische Erkrankungen spezialisiert. Bei diesen Schwerpunkten sind übergreifend die Themenkomplexe Degeneration und Regeneration, Imaging und Technologieentwicklung, Immunologie und Inflammation sowie Prävention und Versorgungsforschung von besonderem Interesse. Internationaler Austausch ist Voraussetzung für Spitzenforschung – die Hochschulmedizin Dresden lebt diesen Gedanken mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus 73 Nationen sowie zahlreichen Kooperationen mit Forschern und Teams in aller Welt.
Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR)
Das Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) forscht auf den Gebieten Energie, Gesundheit und Materie. Folgende Fragestellungen stehen hierbei im Fokus:
- Wie nutzt man Energie und Ressourcen effizient, sicher und nachhaltig?
- Wie können Krebserkrankungen besser visualisiert, charakterisiert und wirksam behandelt werden?
- Wie verhalten sich Materie und Materialien unter dem Einfluss hoher Felder und in kleinsten Dimensionen?
Zur Beantwortung dieser wissenschaftlichen Fragen betreibt das HZDR große Infrastrukturen, die auch von externen Messgästen genutzt werden: Ionenstrahlzentrum, Hochfeld-Magnetlabor Dresden und ELBE-Zentrum für Hochleistungs-Strahlenquellen.
Das HZDR ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, hat fünf Standorte (Dresden, Freiberg, Grenoble, Leipzig, Schenefeld bei Hamburg) und beschäftigt knapp 1.200 Mitarbeiter – davon etwa 500 Wissenschaftler inklusive 170 Doktoranden.
Das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen Dresden (NCT/UCC) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden, der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden und des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR).
Das NCT hat es sich zur Aufgabe gemacht, Forschung und Krankenversorgung so eng wie möglich zu verknüpfen. Damit können Krebspatienten an den NCT-Standorten auf dem jeweils neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse behandelt werden. Gleichzeitig erhalten die Wissenschaftler durch die Nähe von Labor und Klinik wichtige Impulse für ihre praxisnahe Forschung. Gemeinsamer Anspruch der NCT-Standorte ist es, das NCT zu einem internationalen Spitzenzentrum der patientennahen Krebsforschung zu entwickeln. Das Dresdner Zentrum baut auf den Strukturen des Universitäts KrebsCentrums Dresden (UCC) auf, das 2003 als eines der ersten Comprehensive Cancer Center (CCC) in Deutschland gegründet wurde. Seit 2007 wurde das Dresdner Zentrum von der Deutschen Krebshilfe e.V. (DKH) kontinuierlich als „Onkologisches Spitzenzentrum“ ausgezeichnet.
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