Kapazitätsgrenze erreicht: Tafeln in Niedersachsen kämpfen mit hoher Nachfrage nach Lebensmitteln und weniger Spenden
Die Ergebnisse der Interviews von Tafelvorständen und Gruppendiskussionen mit Ehrenamtlichen sind eindeutig, meint Prof. Dr. Melanie Speck, Professorin für Sozioökonomie in Haushalt und Betrieb: „Durch die aktuellen Krisen, wie den Krieg in der Ukraine und gestiegene Lebensmittelpreise, nutzen immer mehr Kundinnen und Kunden die Tafeln. Die Nachfrage nach mehr Lebensmitteln kann kaum bewältigt werden. Ehrenamtliche Tafel-Mitarbeitende kommen an ihre Kapazitätsgrenzen.“ Zugleich gehe die Anzahl an Lebensmittelspenden aus dem Einzelhandel zurück. Der Ansatz des Projektes ist deshalb nun zu schauen, worüber weitere Lebensmittel bezogen werden können. Uwe Lampe, Vorsitzender der Niedersächsischen Tafeln und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat, unterstreicht die Wichtigkeit der empirischen Daten: „Von den Ergebnissen profitieren nicht nur die niedersächsischen Tafeln, sondern alle Tafeln bundesweit. Wir
erhoffen uns von der Veröffentlichung der Ergebnisse mehr Wertschätzung aus Politik und Gesellschaft für die ehrenamtliche Arbeit in dieser herausfordernden Situation. Außerdem ist es für uns sehr hilfreich zu schauen, woher wir weitere Lebensmittel beziehen können und wie wir uns besser vernetzen können.“
Obst, Gemüse und Milchprodukte bereits im Produktionsprozess retten und verteilen
Hier setzt das zweiten Arbeitspaket an: Ursachen für Lebensmittelverschwendung finden und Lösungsansätze aufzeigen, wie diese Produkte gerettet werden könnten. Dazu beleuchtet das Forschungsteam den Prozess von der Produktion über den Handel bis hin zum Haushalt. Prof. Dr. Sabine Bornkessel, Professorin für Lebensmittelverarbeitung und Verpflegung, erläutert: „Wir fokussieren uns auf Obst, Gemüse sowie Milch und Milchprodukte und sehen beispielsweise durch eine erste Datenerhebung große Potenziale bei der Primärproduktion und der Logistik. Zum Teil stecken Lebensmittel in der Logistik fest und können so nachträglich nicht in den regulären Handel aufgenommen werden, sie werden bei der Produktion falsch etikettiert oder es fallen Reste an, die es nicht in den Handel schaffen, aber für den Verzehr geeignet sind. Hier möchten wir Netzwerke bilden, um beispielsweise durch Verteilzentren diese Produkte an Tafel-Kundinnen und -kunden weiterzugeben.“ Dafür werden nun Betriebsabläufe und rechtliche Hürden analysiert und Lösungswege aufgezeigt.
Eine weitere Möglichkeit speziell mehr Obst in Niedersachsen zu retten ist das vom Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen (ZEHN) initiierte Ernteprojekt „Gelbes Band“. Hier kann Obst von gekennzeichneten Bäumen auf Streuobstwiesen oder städtischen Grünflächen geerntet und zuhause verarbeitet werden. „Im dritten Projekt-Baustein wollen wir herausfinden, wer dieses Angebot nutzt, wieviel geerntet wird und wie das Obst genutzt wird. Dient es als Alternative zum wöchentlichen Obsteinkauf oder nur als Ergänzung für einen Apfelkuchen?“, so Prof. Dr. Dorothee Straka, Professorin für Ernährungskommunikation. Die wichtigste Phase dieses Teilprojekts, die direkte Befragungen von Nutzerinnen und Nutzern, wird im Herbst 2023 starten.
Partizipative Beteiligung des Beirats für praxistaugliche Lösungen
Bei der Beiratssitzung des Forschungsprojekts wurden nicht nur die ersten Erkenntnisse geteilt und die nächsten Schritte innerhalb des Projekts aufgezeigt. Straka betont: „Uns ist der partizipative Ansatz des Projekts sehr wichtig, um Lösungen aufzuzeigen, die in der Praxis wirklich umsetzbar sind. Die Mitglieder des Beirats können das Forschungsprojekt weiter mitgestalten. Außerdem zeigt sich bereits jetzt, wie wertvoll dieses Netzwerk für alle Beteiligten ist.“ Das Forschungsprojekt läuft noch bis Ende 2023. Das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz fördert die Hochschule mit rund 665.000 Euro.
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