Neuroblastome: Entscheidung über Bösartigkeit fällt schon in der Schwangerschaft

Neuroblastome, häufige Tumoren bei Kleinkindern und Säuglingen, entstehen unabhängig vom späteren klinischen Verlauf bereits im ersten Trimester der Schwangerschaft. Schon zu diesem Zeitpunkt entscheidet sich, ob sie sich später spontan zurückbilden oder aggressiv voranschreiten. Das hat ein Forscherteam vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und dem Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) jetzt herausgefunden. Anhand der Entstehungsgeschichte der Krebszellen lassen sich auch Prognosen zum Krankheitsverlauf treffen, zeigt die Studie anhand eines mathematischen Modells. Dies soll künftig helfen, die richtige Therapieentscheidung bei betroffenen Kindern zu treffen.

Das "Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg" (KiTZ) ist eine gemeinsame Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und der Universität Heidelberg (Uni HD).

Neuroblastome gehören zu den häufigsten Tumoren bei Kleinkindern und Säuglingen. Sie treten im Bereich der Nebennieren auf oder entlang der Wirbelsäule im Hals, Brustkorb oder Bauchbereich. Eine Besonderheit von Neuroblastomen ist ihr extrem unterschiedlicher Krankheitsverlauf: In einigen Fällen bildet sich der Tumor ohne jegliche Therapie komplett zurück. Bei etwa der Hälfte der Patienten kann jedoch auch eine hochintensive Therapie ein aggressives Wachstum nicht verhindern.

Es gibt derzeit jedoch kein international anerkanntes einheitliches Verfahren, um Hochrisikopatienten bereits bei der Erstdiagnose zuverlässig von denen mit einem günstigen Krankheitsverlauf zu unterscheiden.

"Bislang ging man davon aus, dass es sich dabei um ganz unterschiedliche Neuroblastom-Erkrankungen handelte", sagt Thomas Höfer vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ). Das Team um die Forschungsgruppenleiter Höfer und Frank Westermann vom Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) und DKFZ konnte jetzt erstmals zeigen, dass sowohl Neuroblastome von Hochrisikopatienten, als auch jene mit einem günstigen Krankheitsverlauf einen gemeinsamen zellulären Ursprung haben. Bereits in der Embryonalentwicklung während des ersten Drittels der Schwangerschaft beginnt die Zellteilung aus dem Ruder zu laufen und schon da werden die Weichen für einen günstigen oder aggressiven Verlauf bei Kindern gestellt, zeigt die vorliegende Studie.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entschlüsselten dafür das Tumorgenom von 100 Patientinnen und Patienten mit Neuroblastomen unterschiedlicher Stadien. Anschließend rekonstruierten sie anhand bestimmter Erbgutveränderungen die Entstehungsgeschichte der Tumoren. "Man geht davon aus, dass sich Erbgutveränderungen in unserem Genom zufällig und über die Zeit hinweg mit konstanter Geschwindigkeit wie Sand in einer Sanduhr anhäufen", erklärt die Erstautorin der Studie Verena Körber aus der Arbeitsgruppe für theoretische Systembiologie von Thomas Höfer am DKFZ. "Das wird auch als molekulare Uhr bezeichnet und ist messbar. Mit Hilfe eines speziell dafür entwickelten mathematischen Modells konnten wir daraus einen Stammbaum der Neuroblastom-Entstehung rekonstruieren", sagt Körber weiter.

Der Stammbaum zeigt, zu welchem Zeitpunkt die Krebszellen ganz unterschiedliche Entwicklungswege einschlagen und welche genetischen Ereignisse dafür entscheidend sind. Indem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Ergebnisse mit dem klinischen Verlauf korrelierten, ließen sich die Neuroblastome in zwei Kategorien einteilen: Solche, in denen genetische Veränderungen bereits früh zum Tumorwachstum führen. "Paradoxerweise sind das die Tumoren mit einem günstigen Verlauf, auch wenn sie zunächst schneller wachsen. Aber es finden keine drastischen genetischen Ereignisse mehr statt, die den Krebszellen das Rüstzeug geben, langfristig unsterblich zu werden", erläutert Frank Westermann, Experte für kindliche Neuroblastome am KiTZ und DKFZ. "Außerdem werden sie aufgrund ihres frühen schnellen Wachstums in der Regel auch früher bei den Kindern erkannt."

Bei der zweiten Kategorie handelt es sich um Neuroblastome, die erst später bösartig werden, dann aber aggressiv wachsen. Sie durchlaufen eine komplexere und langwierigere Evolution. Thomas Höfer sieht die Ursachen dafür darin, dass aufgrund der Zellumgebung oder interner genetischer Schäden die meisten dieser Neuroblastomzellen absterben: "Durch diesen Selektionsdruck entwickeln sie dann aber besonders aggressive Mechanismen, um dem Zelltod dauerhaft zu entgehen und unendlich teilungsaktiv zu bleiben. Bis es soweit ist, bleiben die Tumoren aber erst einmal klein und werden daher leider auch erst später diagnostiziert."

An mathematischen Modellen der Krebsevolution wird derzeit auch in der Erwachsenenonkologie geforscht, um den Krankheitsverlauf beispielsweise bei Leukämien vorhersagen zu können.

Bei Kindern mit Neuroblastomen könnten sie helfen, junge Hochrisikopatienten von Kindern zu unterscheiden, die gar keine Therapie benötigen, so hofft das Forscherteam. "Wir arbeiten derzeit daran, die Tumorevolution als zuverlässigen Biomarker bei Neuroblastomen zu etablieren", sagt Westermann. "Im Idealfall würde so eine Analyse nach der Probenentnahme dann nur etwa drei Wochen dauern, um eine individuelle Therapieempfehlung geben zu können."

Originalpublikation:
Körber, V. et al. Neuroblastoma arises in early fetal development and its evolutionary duration predicts outcome. In: Nature Genetics (Online Publikation March 27, 2023) DOI: 10.1038/s41588-023-01332-y

Das Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ)

Das "Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg" (KiTZ) ist eine kinderonkologische Einrichtung des Deutschen Krebsforschungszentrums, des Universitätsklinikums Heidelberg und der Universität Heidelberg. Wie das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg, das sich auf Erwachsenenonkologie konzentriert, orientiert sich das KiTZ in Art und Aufbau am US-amerikanischen Vorbild der so genannten "Comprehensive Cancer Centers" (CCC). Das KiTZ ist gleichzeitig Therapie- und Forschungszentrum für onkologische und hämatologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. Es verfolgt das Ziel, die Biologie kindlicher Krebs- und schwerer Bluterkrankungen wissenschaftlich zu ergründen und vielversprechende Forschungsansätze eng mit der Patientenversorgung zu verknüpfen – von der Diagnose über die Behandlung bis hin zur Nachsorge. Krebskranke Kinder, gerade auch diejenigen, für die keine etablierten Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen, bekommen im KiTZ einen individuellen Therapi!
eplan, den Experten verschiedener Disziplinen in Tumorkonferenzen gemeinsam erstellen. Viele junge Patienten können an klinischen Studien teilnehmen und erhalten damit Zugang zu neuen Therapieoptionen. Beim Übertragen von Forschungserkenntnissen aus dem Labor in die Klinik übernimmt das KiTZ damit Vorbildfunktion.

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg: Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang

Das Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für Patientinnen und Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 14.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit rund 2.500 Betten werden jährlich circa 86.000 Patientinnen und Patienten voll- und teilstationär und mehr als 1.100.000 Patientinnen und Patienten ambulant behandelt.
Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Deutschen Krebshilfe (DKH) hat das UKHD das erste Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg etabliert. Ziel ist die Versorgung auf höchstem Niveau als onkologisches Spitzenzentrum und der schnelle Transfer vielversprechender Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik. Zudem betreibt das UKHD gemeinsam mit dem DKFZ und der Universität Heidelberg das Hopp Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), ein deutschlandweit einzigartiges Therapie- und Forschungszentrum für onkologische und hämatologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.
Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit befinden sich an der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) rund 4.000 angehende Ärztinnen und Ärzte in Studium und Promotion. www.klinikum-heidelberg.de

Über Deutsches Krebsforschungszentrum

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Beim Krebsinformationsdienst (KID) des DKFZ erhalten Betroffene, interessierte Bürger und Fachkreise individuelle Antworten auf alle Fragen zum Thema Krebs.
Gemeinsam mit Partnern aus den Universitätskliniken betreibt das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) an den Standorten Heidelberg und Dresden, in Heidelberg außerdem das Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums an den NCT- und den DKTK-Standorten ist ein wichtiger Beitrag, um vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik zu übertragen und so die Chancen von Krebspatienten zu verbessern.
Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren.

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