Die Auswertung
In einem Forschungsprojekt im Auftrag des Stadtmuseums Dresden wertete der Autor umfassend verfügbares Archivmaterial aus, um ein Gesamtbild der Menschenschauen im Zoologischen Garten Dresden zu gewinnen. Die historische Überlieferung erwies sich als dürftig: Von der früheren Aktiengesellschaft des Dresdner Zoos sind keine Unterlagen erhalten geblieben, die Auskunft über die im Zoo veranstalteten Menschenschauen geben können – mit Ausnahme der jährlichen Geschäftsberichte, die zumindest eine knappe Auflistung der Schauen enthalten. Von zentraler Bedeutung war daher eine Auswertung der zeitgenössischen Presse, insbesondere der Dresdner Nachrichten und der Dresdner Neuesten Nachrichten.
Der folgende Überblick fasst Ergebnisse zusammen, die auf verschiedene Beiträge des Sammelbandes zurückgehen, insbesondere auf die beiden Beiträge zum Zoo (Seiten 74-89).
Zahlen
Für die Zeit zwischen 1878 und 1934 konnten 76 Menschenschauen dokumentiert werden, darunter 65 „Völkerschauen“. Es dominieren also Schaustellungen von Menschen, die eine fremde und exotische Kultur repräsentieren sollten, wozu auch Cowboy- und Wildwest-Shows gehörten. Die Hochphase der Zurschaustellungen im Dresdner Zoo war die Zeit des Deutschen Kaiserreichs bis zu Beginn des Ersten Weltkriegs: Durchschnittlich zwei Menschenschauen wurden pro Jahr im Zoo präsentiert, meist über einen Zeitraum von etwa zwei Wochen.
Die Publikumszahlen lassen sich nicht ermitteln, sicher ist aber, dass die Menschenschauen im Zoo viele hunderttausende Besuche zählten. Allein zu einem „billigen Sonntag“ 1889 kamen anlässlich der „Ost-Afrikanischen Karawane“ 27 000 Menschen in den Zoo, was bis dahin als Rekordzahl galt.
Eine statistische Auswertung ergibt, dass der Dresdner Zoo bei 34 von 76 Menschenschauen Personen aus afrikanischen und arabischen Ländern (überwiegend europäische Kolonien) zeigte (45 Prozent der Gesamtzahl der Menschenschauen):
Das Geschäftsmodell der Menschenschauen
Der Dresdner Zoo bzw. dessen Direktoren Albin und Adolph Schoepf sowie Gustav Brandes organisierten keine eigenen Menschenschauen. Damit unterschieden sie sich etwa von dem Leipziger Zoodirektor Ernst Pinkert, der selber außerhalb Europas Schaugruppen rekrutieren ließ und auf Tournee schickte. Der Zoo engagierte stattdessen Gruppen, die über Monate – manchmal Jahre – auf Tournee gingen und in verschiedenen Städten auftraten. Ziel war es, mithilfe der Zurschaustellungen Besuchermassen in den Zoo zu locken, um über die Eintrittspreise höhere Einnahmen zu erzielen. Für den Besuch der Menschenschauen im Zoo wurde im Regelfall kein eigener Eintritt erhoben.
Zwischen Zwang, Ausbeutung und Selbstverpflichtung
Die brutale Praxis der Zwangsverschleppung von Menschen zum Zweck ihrer Zurschaustellung war im ausgehenden 19. Jahrhundert weitgehend zu einem Ende gekommen. Die zur Schau gestellten Menschen standen in einem Vertragsverhältnis mit dem Schau-Unternehmer (Impresario), der wiederum einen Vertrag mit dem Zoo abgeschlossen hatte. Doch auch wenn Verträge geschlossen wurden und die Teilnehmenden eine Bezahlung erhielten: In vielen Fällen konnten sie nicht ermessen, was es bedeutete, monatelang unterwegs zu sein und fern der Heimat ausgestellt zu werden (Beispiel: Pichocho, S. 90). Häufig kam es zu Ausbeutung und Gewalt, auch fehlte es an Gesundheitsschutz, was für Völkerschau-Teilnehmende den Tod bedeuten konnte. Allerdings gab es auch Fälle, in denen sich Teilnehmende wiederholt verpflichten ließen und selber Völkerschau-Unternehmer wurden.
Das Schauprogramm
Die „Völkerschauen“, die monate-, manchmal jahrelang auf Tournee geschickt wurden, entwickelten sich zu einem eigenen Genre. Während anfangs eine kleine Gruppe Menschen als Vertreter:innen einer bestimmten Kultur lediglich zur Schau gestellt wurde, wobei etwa Jagdszenen inszeniert wurden, entstanden daraus rasch aufwändige Show-Programme mit Kulissen und unterschiedlichen Programmnummern: Die Darsteller:innen boten – den Klischees einer bestimmten Kultur entsprechend – etwa Tänze, Tierdressuren, Überfallszenen oder Hochzeitsfeiern dar. In vielen Fällen konnten die Zoo-Besucher:innen jenseits des Programms inszenierte „Dörfer“ mit Handwerkern bestaunen und dabei auch Spezialitäten und Souvenirs erwerben.
Neben „Völkern“ stellte der Dresdner Zoo auch „Körpersensationen“ aus. Wiederholt trat etwa eine „Colibri-Truppe“ mit kleinwüchsigen Menschen im Zoo auf. Einzelne Schauen wurden als Kombination aus populärer „Freak-Show“ und wissenschaftlicher Besonderheit präsentiert: Eine von Hypertrichose betroffene Person wurde als „Affenmädchen Krao“ angekündigt, sie sollte eine frühere evolutionäre Entwicklungsstufe des Menschen verkörpern (S. 162). Eine Gruppe von Sara-Kaba, deren Frauen sogenannte „Lippenteller“ trugen, wurden 1931 in sensationsheischender Weise als „aussterbende“ Kultur und „recht seltene Sehenswürdigkeit“ vermarktet.
Schauplätze und Unterbringung der Darsteller:innen
Der erste Schaustellungsplatz mit Tribüne (auch „Völkerwiese“ genannt) befand sich hinter dem noch heute in veränderter Form bestehenden Elefantenhaus in unmittelbarer Nachbarschaft des großen Platzes am Zoo-Restaurant. Der Platz war von einem Holzzaun umgeben, der eine Barriere für das Publikum darstellte. 1910 wurde ein neuer Schaustellungsplatz mit Tribüne in Betrieb genommen, der auch für Tierdressuren genutzt wurde. Er lag zwischen Raubvogelkäfigen, Bärenzwinger und Affenhaus (ungefähr im Bereich des neuen Orang-Utan-Hauses).
Die angereisten Teilnehmer:innen wurden seit 1883 meist in einem langgestreckten Holzbau untergebracht, der als „Hotel zum wilden Mann“ bezeichnet wurde. Der Bau diente zugleich als Stallgebäude für die mitgeführten Tiere.
Die Verbindung zu Hagenbeck und Jacobsen
Der Dresdner Zoo hatte schon früh enge Verbindungen zu dem Hamburger Unternehmer Carl Hagenbeck. Adolph Schoepf hatte bei Hagenbeck gearbeitet und an Völkerschauen mitgewirkt, ehe er Nachfolger seines Vaters als Dresdner Zoodirektor wurde. Zu dem Impresario Johan Adrian Jacobsen pflegte Schoepf über viele Jahre eine Freundschaft. 1893 holte er ihn in den Dresdner Zoo, wo Jacobsen zwölf Jahre lang das Gesellschaftshaus betrieb – gemeinsam mit seiner in Dresden geborenen Ehefrau, Alma Hedwig Jacobsen, geb. Klopfer.
Zusammenfassung
Der Zoologische Garten war im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert der wichtigste Ort von Menschenschauen in Dresden. Zugleich war der Dresdner Zoo in dieser Zeit ein zentraler Punkt in einem europaweiten Netzwerk von Veranstaltungsorten von Menschenschauen. Der Dresdner Zoo hatte sich mithilfe seiner engen Beziehungen zu Hagenbeck bereits früh am globalen Geschäft mit Menschenschauen beteiligt.
Bei den Zurschaustellungen „exotischer Völker“ stand die Inszenierung von Andersartigkeit im Vordergrund, nicht der kulturelle Austausch. Direkte Begegnungen zwischen Teilnehmenden und Zoobesucher:innen waren nicht vorgesehen. Die Völkerschauen bedienten mit ihrer Zurschaustellung von außereuropäischen Menschen als „gezähmte Wilde“ koloniale Vorstellungen einer weißen Überlegenheit. Die oftmals rassistischen Inszenierungspraktiken der Menschenschauen wirkten auch nach deren Ende nach, wie das Beispiel einer 1951 im Dresdner Zoo gezeigten „Tierfangexpedition“ zeigt. Heutige Vorstellungen des „Anderen“ und „Fremden“ gehen unter anderem auf die in Menschenschauen transportierten Bilder zurück.
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