„Für die Verhandlungen zum globalen Kohleausstieg ist es wichtig zu wissen, was bei den Kraftwerken realistischerweise noch an Zuwachs droht“, erklärt Jan Steckel, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung und Co-Autor der Studie. „Planungen und sogar laufende Bauprojekte können auf Eis gelegt werden, wenn sich zum Beispiel das Finanzierungsumfeld, nationale Energie-Strategien oder auch die Kosten erneuerbarer Energien ändern. Wir beleuchten die Ausgangslage und damit auch das Ambitionsniveau der bisherigen und künftigen Kohle-Vereinbarungen, der sogenannten JETPs.“ Unter dem Titel „Just Energy Transition Partnerships“, Partnerschaften für eine gerechte Energiewende, verhandeln Länder im globalen Süden seit 2021 mit reichen Industrieländern über Hilfen beim Ausstieg aus dieser besonders klimaschädlichen Form der Stromerzeugung. Für Südafrika, Indonesien und Vietnam gibt es bereits erste Deals in Milliardenhöhe.
Die jetzt vorliegende Analyse stützt sich auf eine wissenschaftliche Umfrage unter internationalen Fachleuten – eine etablierte und vor allem im Energie-Bereich häufig genutzte Forschungsmethode bei Themen, zu denen aussagekräftige Statistiken noch nicht verfügbar sind. In einem systematischen Suchverfahren identifizierte das Forschungsteam 29 besonders versierte Fachleute aus zehn Ländern, auf die 90 Prozent der in Bau befindlichen oder offiziell geplanten neuen Kohlekraftwerke entfallen: Bangladesch, China, Indien, Indonesien, Laos, die Mongolei, Pakistan, die Türkei, Vietnam und Zimbabwe. Die Abfrage der jeweiligen Expertise für das eigene Land und zum Teil auch für andere Länder erfolgte im Herbst 2021, vor Abschluss der ersten JETP-Abkommen.
Aus den Antworten wird deutlich, dass die mit Vietnam und Indonesien ausgehandelte Verringerung künftiger Kohle-Investitionen nur mehr oder weniger dem entspricht, was in der Fachwelt ohnehin erwartet worden war. Je nach Land ist die voraussichtliche Umsetzung der einmal verkündeten Kohle-Planungen sehr unterschiedlich – am meisten wird der Vorausschau zufolge in Bangladesch und in der Mongolei gecancelt, am wenigsten in China. Das Forschungsteam fragte auch nach den Ursachen für Planänderungen: Wichtig ist hier neben technischen und betriebswirtschaftlichen Aspekten auch die politische Ökonomie der Kohle, also Rücksichtnahme auf regionale Arbeitsplätze, Steuerzahlungen oder persönliche Einflussnahme der Kohleindustrie (das MCC hat dazu letztes Jahr eine umfangreiche Forschungsarbeit vorgelegt).
Unterm Strich gehen die Fachleute davon aus, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten in den zehn betrachteten Ländern noch rund 215 Gigawatt an neuer Kohlekraftwerkskapazität installiert werden. Die Studie untersucht auch, was das fürs Klima bedeuten würde. „In drei Vierteln der wissenschaftlichen Klimapolitik-Szenarien mit nur 1,5 Grad Erderhitzung ist die Kohlenutzung weltweit bis zum Jahr 2050 runter auf null“, gibt Lorenzo Montrone zu bedenken, Leitautor der Studie und bis vor kurzem Doktorand am MCC. „Unsere Studie zeigt, wie wichtig die internationale Unterstützung ist, aus der Kohle auszusteigen und Alternativen auszubauen. Eine Möglichkeit, mit den neu gebauten Anlagen umzugehen, wäre die Begrenzung ihrer Laufzeit auf 15 Jahre. Wenn das gelingt, ist das 1,5-Grad-Ziel durchaus weiterhin in Reichweite.“
Quellenhinweis zur zitierten Studie:
Montrone, L., Steckel, J., Nemet, G., 2023, Investment in new coal-fired power plants after the COVID-19 pandemic: Experts expect 170-270 GW of new coal, Environmental Research Letters
https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/accdf0/meta
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