Offener Brief an den Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach zum Thema Angehörigenpflege

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Sehr geehrter Herr Bundesminister,
sehr geehrter Herr Prof. Lauterbach,

als Gründerin und Vorsitzende der "Wir! Stiftung pflegender Angehöriger" und als jahrelang pflegende Angehörige bin ich tief besorgt, was die vorgesehene Verabschiedung des Pflegeunterstützungs- und entlastungsgesetzes durch den deutschen Bundestag in dieser Woche angeht.

Details des Gesetzentwurfes wurden in Anhörungen und Stellungnahmen im Vorfeld erörtert und aus verschiedenen Blickwinkeln und Interessenlagen heraus kommentiert. Mehrheitlich stehen dabei ökonomische Erwägungen im Mittelpunkt. An Bedarfen orientierte Kriterien der Zivilgesellschaft kommen auf Grund nicht vorhandener bzw. nicht mit einbezogener Interessenvertretungen nicht zum Zug. Das ist fatal, tragen doch die Bürgerinnen und Bürger als Finanziers und informell Pflegende sowohl die Kosten als auch den größten Leistungsanteil der Pflege in Deutschland.
Sie erbringen ihren Teil der Pflege- und Sorgeleistungen unentgeltlich rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr.

Laut Destatis 2021 stellt die Zivilgesellschaft jeden Alters zu 84 % die Pflege- und Sorgeleistungen für Pflegebedürftige jeden Alters ganzheitlich sicher. In dem Gesetzentwurf des PUEG werden "pflegende Angehörige" nur am Rande unter einigen wenigen finanziellen Aspekten berücksichtigt. Dieses Vorgehen wird weder der Bedeutung der Leistung noch den Bedarfen pflegender Angehöriger gerecht und schon gar nicht den im Koalitionsvertrag formulierten Absichten.

Eine grundlegende Reform des Pflegesystems in Deutschland ist überfällig. Per Definition wird unter "Pflege" professionelle Pflege verstanden. Das wird angesichts der angeführten zivilgesellschaftlichen Leistung der Realität nicht gerecht.

Der Begriff "pflegende/r Angehörige/r" bzw. der Tätigkeitsbereich der "informellen Pflege" muss rechtssicher definiert und gesetzlich verankert werden.

Die Zivilgesellschaft muss angesichts des hohen finanziellen und privaten Pflege-Einsatzes ein Mitsprache- und Kontrollrecht über die Verwendung ihrer Gelder und bei der Ausgestaltung eines bedarfsgerechten Pflegesystems erhalten. Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf muss an Realitäten unter Einbeziehung der Expertise von pflegenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bedarfsorientiert ausgestaltet werden.

Wer pflegt, muss einen angemessenen steuerfinanzierten finanziellen Leistungsausgleich erhalten. Altersarmut auf Grund von Pflegetätigkeit kann und darf keine Option sein.

Angehörigenpflege muss für alle Altergruppen bedarfsorientiert geregelt werden. Es macht einen Unterschied, in welchem Alter eine Krankheit oder Behinderung auftritt.

Es muss künftig auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass es keine Angehörigen gibt die pflegen können oder wollen, zudem diese oft weit entfernt wohnen.

Letztendlich bedarf es einer rechtlichen Klärung, ob die Zivilgesellschaft pflegen muss oder freiwillig pflegen kann.

Zu den vorstehenden Fragen gibt der Gesetzentwurf, den Sie am Freitag dem Parlament zur Abstimmung vorlegen, keine Antworten!
Ich bitte Sie, die gestellten Fragen ernst zu nehmen und hoffe, dass sie in der Debatte bzw. in Zukunft berücksichtigt werden.

Das Thema "Pflege" ist meiner Ansicht nach ein Thema von nationaler Zukunfts-Bedeutung und würde die Einrichtung einer Enquete Kommission rechtfertigen. Denn wenn die Angehörigenpflege zusammenbricht, dann bricht die gesamte Pflege in Deutschland zusammen.

Mit freundlichen Grüßen,

gez.
Brigitte Bührlen

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