„Dieses Riesenland mit seinen 29 Bundesstaaten und 7 Unionsterritorien ist schon heute ein Land mit großem regionalen Wohlstandsgefälle“, erläutert Jose Ordonez, der die Studie im Rahmen seiner Doktorarbeit am MCC geleitet hat und aktuell am Joint Research Centre der EU-Kommission in Sevilla arbeitet. „Wir rechnen für die einzelnen geografischen Einheiten das Szenario einer ambitionierten Klimawende durch und betrachten den kombinierten Effekt auf Einkommensverteilung, Beschäftigung und industrielle Wettbewerbsfähigkeit. Daraus ergibt sich eine für die Zentralregierung wichtige Erkenntnis: Ohne Ausgleichsmaßnahmen droht sich die Kluft zwischen armen und wohlhabenden Regionen merklich zu verschärfen.“
Für seine Szenario-Studie nutzt das Forschungsteam ein Input-Output-Modell, das gefüttert mit empirischen Daten die unmittelbaren Verteilungseffekte von politischen Maßnahmen abbildet. Unterstellt wird dabei ein umfangreicher Kraftakt pro Klimaschutz: ein kompletter Kohleausstieg, der massive Ausbau der Stromerzeugung aus Sonne und Wind, außerdem ein nationaler CO2-Preis von 40 Dollar je Tonne für private Haushalte und Unternehmen sowie die Abschaffung von Energiesubventionen. Unter dem Strich steht schließlich, auf einer qualitativen Skala von „sehr problematisch“ bis „sehr vorteilhaft“, der Gesamteffekt dieses Pakets auf die einzelnen Regionen.
Es zeigt sich, dass sich die negativen Effekte stark auf ohnehin ärmere und intensiv im Kohlebergbau engagierte Bundesstaaten im Osten Indiens konzentrieren, allen voran Jharkhand, Westbengalen, Odisha und Bihar. Dort würden Arbeitsplätze verloren gehen, die Belastung ärmerer Haushalte würden steigen und energieintensive Industrien unter Druck geraten. Hingegen wären im Westen Indiens die vergleichsweise reichen Bundesstaaten Mizoram, Delhi, Manipur und Nagaland die größten Gewinner einer entschlossenen Klimawende. Dass sich negativ betroffene private Haushalten und Unternehmen an Maßnahmen anpassen und sich dadurch wieder besserstellen können, wird in dem Rechenmodell nicht berücksichtigt. Doch das Forschungsteam verweist unter anderem darauf, dass für die Durchsetzbarkeit von energie- und klimapolitischen Maßnahmen erfahrungsgemäß die kurzfristigen Effekte ausschlaggebend sind.
„Aus der Perspektive der politischen Ökonomie liefert unsere Arbeit einen wichtigen Ansatzpunkt für die weitere Entwicklung der Klimawende in Indien“, betont Jan Steckel, Leiter der MCC-Arbeitsgruppe Klimaschutz und Entwicklung und einer der Co-Autoren. „Diese Studie hilft zu verstehen, wie Verlierer und Gewinner von Klimapolitik in Indien verteilt sind. Eine starke regionale Konzentration von kurzfristigen Verlierern kann im politischen Prozess der Umsetzung von Klimaschutz zu großen Problemen führen – das zeigte sich ja zum Beispiel schon beim Ringen um den Kohleausstieg in Deutschland.“
Das Forschungsteam betont, dass die Klimawende durch Sozial- und Industriepolitik flankiert werden müsste, damit sie im Machtkampf der Interessengruppen durchsetzbar wird und regionale Widerstände überwunden werden. Dies geht etwa über die Verwendung von CO2-Preis-Einnahmen, über Standortentscheidungen für fossilfreie Energieerzeugung oder über Kompensationszahlungen beim Kohleausstieg. Die Ergebnisse der Untersuchung können auch Orientierung bieten für eine denkbare „Just Energy Transition Partnership“ Indiens mit westlichen Industrieländern nach dem Vorbild Südafrikas, Indonesiens und Vietnams, also Kohleausstieg im Gegenzug zu Finanzhilfen.
Quellenhinweis zur zitierten Studie:
Ordonez, J., Jakob, M., Steckel, J., Ward, H., 2023, India’s just energy transition: Political economy challenges across states and regions, Energy Policy
https://authors.elsevier.com/c/1hAZt14YGgpcBL
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