Vielfalt in Familienunternehmen

Diversity Management: Zukunft oder Zeitgeist-Thema?

Es begann im Jahr 2006, dem Jahr der Erlassung des „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes“, das die Wirtschaft verpflichtet, niemanden aufgrund der sexuellen Identität oder des Geschlechts zu benachteiligen als auch dem Jahr der Gründung der Charta der Vielfalt, die sich selbstverpflichtend für ein vorurteilsfreies und wertschätzendes Arbeitsumfeld für alle einsetzt und damit einen Stein ins Rollen brachte, der seither mit mehr oder minder hohem Tempo vor sich hin-kullert. Unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft und Nationalität, von Geschlecht und geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion, Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft wollte und will man hier Arbeitnehmer:innen begegnen und propagiert die Anerkennung und Förderung vielfältiger Potenziale als Basis wirtschaftlichen Erfolgs.

Seitdem ist viel geschehen: Die Gesellschaft hat sich weiter verändert, Globalisierung und demographischer Wandel sind fortgeschritten. Während die Baby-Boomer in Rente gehen, findet sich das Bildungssystem zeitgleich in die Knie gezwungen. Die Digitalisierung hat, vor allem nach 2 Jahren der Pandemie, unaufhaltsam Einzug gehalten, es herrscht nicht nur Krieg in Europa, sondern auch Inflation. Lieferengpässe prangen ebenso auf den Schlagzeilen wie der Fach- und Führungskräftemangel, der sich über alle Branchen hinweg bemerkbar macht. 4.900 unterzeichnende Organisationen verzeichnet die Charta der Vielfalt mittlerweile. Viele Familienunternehmen sind darunter zu finden.

Ist dies als Reaktion auf das Zeitgeschehen zu deuten? Am Deutschen Diversity-Tag 2023 mahnt Ferda Ataman, Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, gegenüber dem Handelsblatt[1], Deutschland hinke in der Diversität der Arbeitswelt international noch hinterher und verweist auf die Dringlichkeit ihrer Förderung in der internationalen Zusammenarbeit. Auch die Nachhaltigkeitsdirektive (Corporate Sustainability Responsibility Directive) der Europäischen Union, die im Januar dieses Jahres in Kraft trat, zwingt zum Handeln, verpflichtet sie doch große Unternehmen, bis zum Sommer 2024 Berichte zu Themen wie dem Umgang mit ökologischen, sozialen und führungsrelevanten Themen, darunter auch Vielfalt, zu veröffentlichen. Doch kann Diversitäts- und Inklusions- Management wirklich weiterhelfen? Haben Unternehmen ernsthafte Bemühungen unternommen, sie mit konkreten Maßnahmen anzugehen? Wir werfen einen Blick auf ausgewählte Familienunternehmen:

„Gefährlich männlich“: Raus aus der Schablone!

Laut einer, bereits im Jahr 2008 von Bertelsmann veröffentlichten Studie[2] gibt es einen direkten Zusammenhang von Diversität und Zukunftsfähigkeit. Das hat gleich mehrere Gründe: Vor allem den, dass die für lange Zeit beliebteste Bewerbergruppe „deutsch, männlich und im mittleren Alter“ zunehmend abnimmt. Das allein macht es schon notwendig, den Blick auch auf alle anderen Bewerber:innen-Gruppen zu richten. Dabei ist Geschlechterparität nur ein kleiner Anfang. Eine von Allbright im Jahr 2022 veröffentlichte Studie[3], die 100 der größten deutschen Familienunternehmen in den Fokus nahm, kam zu dem Schluss, dass Familienunternehmen, die in Familienhand sind, hier weiterhin aufzuholen haben. Im Rahmen eines Gesprächs mit der Süddeutschen Zeitung[4] im Mai desselben Jahres, begründet Wiebke Ankersen, Mitautorin der Studie wie auch Geschäftsführerin der Stiftung, diesen mangelnden Fortschritt unter anderem in weiterhin zum Einsatz kommenden, jedoch überholten Rekrutierungs-Schablonen. Diese bewirkten, dass Führungspersonen weiterhin bevorzugt Menschen einstellen, die ihnen ähneln. Das bestätigt aber andererseits auch die Tatsache, dass es bei den Familienunternehmen, in denen Frauen aus den Familien mitbestimmen, wiederum häufiger Frauen in Führungspositionen gibt. Das ist gut, insofern es diese Unternehmen beispielsweise in ihrer Außenwirkung zum attraktiven Arbeitgeber für Frauen macht, wie Ankersen klarstellt. Dabei nimmt der Frauenanteil über die Instanzen der Kontrollgremien, Aufsichtsräte und Vorstände bis hin zur operativen Geschäftsführung allerdings wieder ab.

Förderung von Chancengleichheit.

Bei Freudenberg, einem globalen Technologieunternehmen und ebenfalls einem Unterzeichner der Charta der Vielfalt, steht man für das Motto: „Diversifizierung ist unser Erfolgsmodell, Vielfalt unser Plus.“ Marion Prager, Vice President Global Talent Management, betont: „Wenn Menschen aus verschiedenen Kontexten aufeinandertreffen und gemeinsam eine Lösung erarbeiten, dann können sie voneinander lernen und sich gegenseitig ergänzen. Und dann entsteht echte Innovation.“  Eine globale Diversity & Inclusion Community des Unternehmens konzentriert ihre Aktivitäten auf folgende 6 Kerndimensionen: Geschlecht, Alter, sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft, religiöse Weltanschauung und Behinderung. Engagierte Freiwillige auf der ganzen Welt gehören dieser Gemeinschaft an und definieren Rahmenbedingungen sowie geeignete Instrumente, um Vielfalt und Inklusion bei Freudenberg nachhaltig zu verankern. Das Unternehmen, das in 60 Ländern tätig ist, verzeichnet 32 % an weiblichen Fach- und Führungskräften und betont dies weiterhin zu fördern, sowohl bereits beim Einstellungsprozess als auch eine frühe Identifikation und Förderung von weiblichen Talenten. Women@Freudenberg heißen die regelmäßigen Events und eine daraus hervorgegangene Community, die Frauen weltweit vernetzt und eine Plattform für Austausch und, gemeinsames Lernen schafft. Im Rahmen des diesjährigen Pride Month wurde eine Initiative gestartet, um die Mitarbeiter:innen dafür zu sensibilisieren, warum das Thema wichtig für Einzelne aber auch für Freudenberg als Ganzes ist. Darüber hinaus wurde eine LBGTQ+ Netzwerkgruppe ins Leben gerufen, um auch hier den Austausch von Mitarbeiter:innen der LBGTQ+ Community sowie deren Allies zu fördern.

Als Member der National Society of Black Engineers, einer der größten von Student:innen geführten Organisationen der USA, setzt sich Freudenberg seit 2022 für Racial-Diversity in den USA, genauer, für die Förderung von Fachkräften und Ingenieur:innen mit afroamerikanisch-kulturellem Hintergrund ein und hat darüber hinaus ein Stipendium für afroamerikanische Ingenieursstudentinnen ins Leben gerufen. Das Projekt „Balance“ verfolgt die Verbesserung der lokalen Nachwuchsförderung und Nachfolgeplanung in Asien und Nordamerika, das seit 2016 bestehende Spendenprojekt „Ausbildung für Geflüchtete“ ermöglichte 59 Geflüchteten ein Praktikum, wovon 36 eine weitere Ausbildung erhielten. Im Jahr 2022 nahmen insgesamt 500 Führungskräfte des Unternehmens an Entwicklungsprogrammen teil und 123 Personen traten eine Ausbildung in Deutschland an.  Als Erfolg aller Bemühungen um Diversität und Inklusion verbucht das Unternehmen außerdem die Tatsache, dass gegenwärtig 23 % Gender-Diversity in Führungspositionen herrscht, eine von vier Personen der Unternehmensleitung weiblich ist, sowie sich Menschen aus insgesamt 146 Nationen im Unternehmen vereinen.

Diversity is Key!

Soziale Verantwortung steht auch bei WOLFF & MÜLLER, einem in dritter Generation geführtem Bauunternehmen und weiteren Unterzeichner der Charta der Vielfalt, im absoluten Fokus. Wirtschaftliche Unternehmensführung und verantwortliches Handeln gibt es hier nur im Zweiklang. Die Branche weiß schon lange den Wert interkultureller Zusammenarbeit als Bedingung für Wachstum und Fortbestand zu schätzen. Baustellen können als ihr Schauplatz, ihr Beschleuniger und ihre Erfolgsgeschichte betrachtet werden. Die Branche selbst ist deswegen besonders als Fürsprecher für Toleranz und Vielfalt geeignet: „Unsere Branche weiß aus Erfahrung, dass diese Werte nicht nur ein Grundpfeiler unserer Demokratie, sondern auch des wirtschaftlichen Erfolges sind“, betont Dr. Albert Dürr, Geschäftsführender Gesellschafter, in einer öffentlichen Stellungnahme. „Bauen ist Teamwork. Auf Baustellen arbeiten die unterschiedlichsten Gewerke, aber auch Kulturen, Hand in Hand.“ Die mehr als 2.100 Mitarbeiter:innen gehören 48 Nationen an. Viele der in Deutschland geborenen Mitarbeiter:innen haben Migrationshintergrund, wie, so betont Dürr, jeder vierte Einwohner Deutschlands. In erster Linie fühle er sich deswegen dem eigenen Team verpflichtet, jederzeit gegen Hass und Vorurteile einzustehen. Entsprechend hat das Unternehmen verschiedene Initiativen gestartet, um Vielfalt und Chancengleichheit zu fördern:

Sprachkurse und interkulturelle Schulungen stärken das gegenseitige Verständnis von Mitarbeiter:innen mit unterschiedlich kulturellem Hintergrund. „Frauen in der Bau- und Immobilienbranche““ ist der Titel einer Initiative, die vor allem Gender Diversity bestärken soll. Networking-Events, Seminare, Workshops und Schulungen sollen Frauen in der männerdominierten Branche nicht nur stärken, sondern ihnen auch ganz gezielt Karriereperspektiven aufzeigen. Das Unternehmen unterstützt den Christopher Street Day und veranstaltet alle zwei Jahre unter dem Motto: „Unsere Vielfalt. Unsere Stärke“ eine Diversity-Woche, die ein für Führungskräfte verpflichtendes Seminar beinhaltet, das die Wertschätzung kultureller Vielfalt und individueller Fähigkeiten weiter in alle verschiedenen Bereiche des Unternehmens transportiert. Ein internes Mentoring-Programm schlägt die Brücke zwischen Generationen, die im gegenseitigen Austausch voneinander lernen und das Unternehmen in die Lage versetzen, aus einem generationsübergreifenden Erfahrungsschatz zu schöpfen. Ein Vorteil, der als Voraussetzung für eine gemeinsame Entwicklung tragfähiger Innovationen nicht unterschätzt werden sollte. Ein besonderes, weiteres Augenmerk gilt auch hier der Gruppe von Flüchtlingen, für die Programme entwickelt wurden, die sie beim Einstieg und der Qualifikation für die hiesige Arbeitswelt unterstützen sowie natürlich generellen Entwicklungsprojekten zur Rekrutierung und Eingliederung von ausländischen Fachkräften, mit denen dem Fach- und Führungskräftemangel begegnet werden kann: „Wir machen damit öffentlich sichtbar, wie viel Wert wir auf eine wertschätzende und vorurteilsfreie Zusammenarbeit legen. Wir schätzen unsere Mitarbeiter:inenn, Kund:innen und Baupartner:inne nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Unterschiedlichkeit. Die verschiedenen Denkweisen, Perspektiven und Erfahrungen machen uns auch wirtschaftlich erfolgreicher“, so Dr. Dürr.

Vielfalt als Aufgabe.

Die Hansgrohe Group, ein international tätiges Unternehmen, anerkennt Vielfalt und Inklusion als unerlässliche Elemente für ihren Erfolg. Mit rund 5.600 Mitarbeitenden weltweit, die aus unterschiedlichen Generationen und Kulturen stammen und vielfältige Hintergründe mitbringen, setzt der Hersteller von Premiumprodukten für Bad und Küche auf die Kraft der Diversität in seinen Teams. Die Überzeugung, dass ein vielfältiges Team den Erfolg und die Stärke von Hansgrohe ausmachen, ist tief in der Unternehmenskultur verankert. Die Hansgrohe Group unterzeichnete 2021 die Charta der Vielfalt und setzte damit ein klares Signal für ihr Engagement in Fragen der Vielfalt und Inklusion.

Der Anbieter von Design- und Premiumprodukten für Bad und Küche geht noch einen Schritt weiter: Er legt großen Wert darauf, dass sich jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter unabhängig von Alter, ethnischer Herkunft, Nationalität, geschlechtlicher Identität, körperlichen und geistigen Fähigkeiten, Religion und Weltanschauung, sexueller Orientierung und sozialer Herkunft angenommen fühlt und authentisch sein kann. Dieser Ansatz zeigt das Engagement des Unternehmens, gleiche Chancen für alle zu gewährleisten.

Mit dem Ziel, den Austausch über Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion innerhalb der Belegschaft zu fördern, Strukturen und Prozesse zu verändern sowie Wissen auf- und auszubauen beschäftigt Hansgrohe ein Team aus Fachexpert:innen. Mithilfe verschiedener Projektteams und Netzwerke, die sich mit unterschiedlichen Schwerpunkten beschäftigen, treiben sie Vielfalt und Inklusion noch stärker im Unternehmen voran. In diesem Zusammenhang sagt der CEO von Hansgrohe, Hans Jürgen Kalmbach: „Diversity & Inclusion sind für mich ein Herzensthema und ich bin mir bewusst: Veränderungen nehmen ihren Anfang stets bei einem selbst. Das eigene Denken und Handeln zu reflektieren, ist unverzichtbar. Zuhören, empathisch sein, dazulernen – so kann viel bewegt und verbessert werden. Darin möchte ich Vorbild sein.” Diese Worte des Vorsitzenden des Vorstands unterstreichen das überzeugte Engagement von Hansgrohe für Vielfalt und Inklusion.

Damit erfüllt Herr Kalmbach eine Grundvoraussetzung für das Gelingen von Diversity-Management, das, so betont es auch Hans Jablowski, Präsident der Internationalen Gesellschaft für Diversity-Management, „der DNA eines Unternehmens eingeschrieben werden muss.“[5] Dies ist kein geringerer Versuch, als auf eine gesellschaftliche Haltung Einfluss zu nehmen. Hoffnungsvoll stimmt an dieser Stelle ein kürzlich getätigtes Statement der unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung, Frau Ferda Ataman, die auf einer Pressekonferenz im April 2023 Bezug auf eine neue Bertelsmann-Studie nahm, laut derer 77 % der Deutschen das Thema Gleichbehandlung wichtig nehmen und es damit aus einer Nische in den Bereich des öffentlichen Interesses heben.[6]

Bleibt zu erwähnen, dass auch flexible Arbeitszeitmodelle, die sowohl bei Hansgrohe aber auch bei unzähligen weiteren Familienunternehmen mittlerweile eine Selbstverständlichkeit sind, zur Gewährleistung von Chancengleichheit beitragen. Wie ein Artikel der Wirtschaftswoche[7] aus dem August 2022 darstellt, zahlt dies wiederum positiv in die Diversität von Unternehmen ein. Können Personen aus der Ferne eingestellt werden, so vergrößert dies den Bewerber:innen-Pool immens und weitet ihn nicht nur hinsichtlich weiterer ethnischer Gruppen, sondern mitunter auch auf Kandidat:innen aus, die sich auf diesem Wege leichter an ein Unternehmen binden wollen und lassen. Laut einer im Artikel erwähnten Studie von McKinsey & Company aus dem November 2021 gehören dazu beispielsweise auch Menschen mit Behinderung oder non-binäre Personen, die zu jeweils 11 und 14 % ortsunabhängige Arbeitsplätze bevorzugen.

WOLFF & MÜLLER baut auf Vielfalt – und rückt dieses Thema als Ausrichter des „Karrieretag Familienunternehmen“ ebenfalls in den Fokus. Vielfältig sind auch die Aufgaben und Karrierechancen, die der Vorreiter für digitales und nachhaltiges Bauen anbietet. Der „Karrieretag Familienunternehmen“ ist die europaweit erste und einzige Recruiting- und Kontaktmesse speziell für Karrieren in Familienunternehmen und bei „Hidden Champions“. Angesprochen werden Absolventen, Young Professionals und Professionals aller Fachrichtungen, insbesondere Ingenieure, Informatiker und Wirtschaftswissenschaftler (m/w/d). Weitere Informationen unter: www.karrieretag-familienunternehmen.de

[1] „Wie wichtig Diversität für die Wirtschaft ist“, Teresa Stiens, 23.05.2023, Handelsblatt
[2] „Diversity Management durch die Hintertür. Über das Potenzial von kultureller Vielfalt im Mittelstand“
[3] Stillstand. Familienunternehmen holen keine Frauen in die Führung. Allbright, Mai 2022
[4]Familienunternehmen. Gefährlich männlich“, Elisabeth Dostert, 19. Mai 2022, Sueddeutsche Zeitung
[5] vgl. „Diversity Management durch die Hintertür. Über das Potenzial von kultureller Vielfalt im Mittelstand“, Seite 14
[6] vgl. “Mehr Deutsche finden Gleichbehandlung wichtig“, 25.4.23, Welt.de
[7] „Diversität dank Homeoffice. Remote Work fördert die Diversität“, Kristin Rau, 2.08.2022, Wirtschaftswoche

Über Der Entrepreneurs Club

„Karriere im Familienunternehmen“ als Initiative des Entrepreneurs Clubs hat sich zum Ziel gesetzt, Fach- und Führungskräfte über das Karriereumfeld in der Unternehmensklasse der Familienunternehmen aufzuklären. Die Ergebnisse langjähriger wissenschaftlicher Forschung und Praxiserfahrung in der Zusammenarbeit mit großen Familienunternehmen sind Basis eines crossmedialen übergeordneten Marketingkonzepts unter der Dachmarke „Karriere bei Deutschlands führenden Familienunternehmen“.

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