Tobias Dünow hob die erinnerungskulturelle Bedeutung des historischen Ortes hervor: „Hunger, Kälte, Isolation, Folter: Was Häftlinge im ehemaligen Gefängnis des sowjetischen Geheimdienstes in der Potsdamer Leistikowstraße 1 erleiden mussten, lässt sich heute allenfalls erahnen. Und das auch nur, weil die Gedenkstätte mit den originalen Haftzellen, Karzern, zugemauerten Fenstern ein erschreckend authentischer Ort ist. Dort gedenken wir heute der Menschen, die die Tortur durchlebten, und jenen, die aufgrund grauenvoller Haftbedingungen ihr Leben ließen oder von Militärtribunalen im Schnellverfahren zum Tode verurteilt wurden. Die politische Gegenwart erinnert uns daran, welche Auswirkungen Gewalt und Despotie haben. Die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße trägt mit ihren Angeboten eindrücklich dazu bei, das Gedenken an die Opfer zu bewahren und Besucherinnen und Besuchern die Geschichte dieses Ortes nahezubringen. Mein Dank gilt dem Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein als Alteigentümer der Leistikowstraße 1, der das Fundament für den Erhalt des einstigen Untersuchungsgefängnisses als Gedenkstätte gelegt hat.“
Ernst-Friedrich Wirth berichtete den Gästen von den widrigen Bedingungen, denen er während seiner viermonatigen Untersuchungshaft im Jahr 1952 ausgesetzt war: „Es folgten endlose Verhöre, die grundsätzlich nachts zwischen 23 und 4 Uhr früh stattfanden. Ich war von denen anderen streng isoliert und verbrachte die meiste Zeit in Einzelhaft. Die Zelle durfte ich nur einmal täglich für zehn Minuten verlassen, um die Toilette aufzusuchen.”
Am 16. Juli 1952 verurteilte ein Sowjetisches Militärtribunal Ernst-Friedrich Wirth wegen Spionage, antisowjetischer Propaganda und antisowjetischer Gruppenbildung zum Tode durch Erschießen. Jedoch gab das Präsidium des Obersten Sowjet seinem Gnadengesuch statt und wandelte die Todesstrafe in 20 Jahre Haft um. Nach Lagerhaft und Zwangsarbeit in der Sowjetunion kehrte Ernst-Friedrich Wirth im Januar 1956 in die Bundesrepublik zurück.
Gedenkstättenleiterin Ines Reich betonte die Besonderheit der Biografie von Ernst-Friedrich Wirth, der nur überlebte, weil er in Moskau begnadigt wurde: „Bisher sind mehr als 1.700 Frauen und Männer namentlich als ehemalige Gefangene des sowjetischen Gefängnisses in der Leistikowstraße bekannt. Heute wissen wir, dass davon mehr als 120 Menschen ein Todesurteil erhielten. Diese Todesstrafen vollstreckte der Geheimdienst von 1945 bis 1947 an einem unbekannten Ort und ab 1950 in Moskau. Begnadigungen waren sehr selten. Herr Wirth gehört zu den Wenigen, die auf diese Weise überlebt haben.“
Weiterhin dankte Ines Reich Ernst-Friedrich Wirth für sein Engagement: „Die Überlebenden haben viel getan, um die öffentliche Aufmerksamkeit gegenüber dem Schicksal ihrer hingerichteten Kameraden zu wecken und das Gedenken an sie aufrecht zu erhalten. An dieser Stelle möchte ich Herrn Wirth noch einmal ausdrücklich für die jahrelange Zusammenarbeit und Unterstützung danken.“
Hintergrund: Die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstraße begeht ihren jährlichen Gedenktag am 15. August. Das Datum markiert die Inbetriebnahme des ehemaligen Pfarrhauses durch die sowjetische Militärspionageabwehr im Jahr 1945. Der Geheimdienst hielt an diesem Ort bis 1991 vor allem sowjetische Staatsbürgerinnen und -bürger, im ersten Nachkriegsjahrzehnt jedoch auch viele Deutsche unter unmenschlichen Bedingungen gefangen. Der 15. August markiert außerdem das Datum der Rückgabe des Gebäudes an den Alteigentümer, den Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein, im Jahr 1994 und den damit verbundenen Beginn bürgerschaftlichen Engagements zum Erhalt des ehemaligen Untersuchungsgefängnisses als Gedenkstätte. Heute ist die Gedenk- und Begegnungsstätte Teil der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten.
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