Die Forderungen nach einer finanziellen Anerkennung für pflegende Angehörige klingen gut. Die Tücke liegt im Detail:
• "Pflegende/r Angehörige/r" ist kein definierter, kein rechtssicher verankerter Begriff.
• Es gibt keine rechtlich verankerte Tätigkeitsbeschreibung.
• Angehörigenpflege ist laut BGB §1618a und §1353 eine unentgeltlich zu erbringende, zivilgesellschaftliche, moralische Verpflichtung.
• Das Subsidiaritätsprinzip, das der Ehrenamtlichkeit von Angehörigenpflege zu Grunde liegt, wird bislang in der Finanzierungsdiskussion weder erwähnt noch hinterfragt.
Angehörigenpflege wird gerne mit der gesetzlich verankerten Sorge von Eltern für ihre Kinder gleichgesetzt.
Elterngeld wird als Blaupause für ein "Familienpflegegeld" verwendet. Angehörigenpflege und Kinderbetreuung sind aber nicht vergleichbar. Die Zeit, in der Eltern sich um ihre Kinder ohne gesundheitliche Einschränkungen kümmern ist in der Regel gut absehbar.
Die Dauer einer Pflegesituation ist nicht vorherzusehen und kann nicht auf maximal 3 Jahre eingegrenzt werden:
Eltern von kranken oder behinderten Kinder umsorgen und pflegen diese nicht selten ein Leben lang.
Im Erwachsenenalter kann durch Unfall oder Erkrankung ein jahre- bis jahrzehntelanger Pflegebedarf entstehen. Die Begleitung eines körperlich lange leistungsfähigen Menschen mit Demenz kann sich über viele Jahre erstrecken. Angestellte, selbständige und nicht berufstätige pflegende Angehörige haben, obwohl sie zu 84% die ambulante, häusliche Pflege sicherstellen, keinen rechtlich fundierten Anspruch auf einen finanziellen Leistungsausgleich.
Laut AOK Pflegereport von 2016 entspricht die unentgeltlich geleistete Angehörigenpflege einer jährlichen Wertschöpfung von 37 Milliarden Euro. Pflegende Angehörige an dieser Wertschöpfung teilhaben zu lassen, sollte selbstverständlich sein!
Wir erwarten von der Politik, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Angehörigenpflege reformiert werden:
• Es muss eine rechtliche Grundlage für Angehörigenpflege geschaffen werden. Dazu gehören die rechtssichere Definition und rechtliche Verankerung des Begriffs “pflegende Angehörige” sowie eine ebenso rechtlich verankerte Tätigkeitsbeschreibung.
• Nicht nur über eine Lohnersatzleistung muss nachgedacht werden, sondern vor allem über einen generellen, angemessenen finanziellen Leistungsausgleich für die Angehörigenpflege als einer wesentliche Care-Leistung in der und für die Gesellschaft.
• Eine an zeitgemäßen Bedarfen orientierte Neustrukturierung unseres in 12 Sozialgesetzbüchern starr versäulten Pflegesystems ist überfällig.
• Durch eine strukturelle Reform der Pflegeversicherung muss ein rechtssicherer Rahmen für die informelle Pflege geschaffen werden.
• Die Erfahrungskompetenz von pflegenden Angehörigen muss in Reformüberlegungen massgeblich mit einbezogen werden.
• Wir regen an, flächendeckend in allen Kommunen Pflegebeiräte analog zu Eltern- oder Seniorenbeiräten zu etablieren, um neben der professionellen auch die informelle Expertise in Beratungen mit einbringen zu können.
• Pflegeinteressen sollten auf Bundes- und Länderebene in jeweils nur einem Ministerium zusammengeführt werden.
Die Zukunft der Angehörigenpflege erscheint unter anderem auf Grund eines vorhersehbaren Mangels an "Angehörigen" als nicht mehr gesichert. Viele Menschen haben niemanden, der sich privat um sie kümmern könnte. Dieser Punkt ist für die angestrebte Ambulantisierung im Gesundheits- und Pflegewesen von Bedeutung. Wer soll zu Hause 7/24/365 ambulant pflegen und versorgen, wenn niemand da ist? Die Weichen für eine Zukunft der Angehörigenpflege in Deutschlande müssen dringend parteiübergreifend und an Alltags-Realitäten (!) orientiert in einer strukturellen Pflegereform neu gestellt werden: Das bestehende System ist nicht zukunftssicher!
WIR! Stiftung pflegender Angehöriger
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