Dazu erklärt Mari Weiß, Sprecherin des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung (NRV): „Der derzeitige Zustand der deutschen Justiz entspricht nicht mehr der europäischen Institutions- und Fortentwicklungsgarantie für die Rechtsstaatlichkeit. Das sehen übrigens auch 2/3 aller Justizangehörigen so.“
Simon Pschorr, Sprecher der Fachgruppe Strafrecht der NRV: „Abhilfe schafft nur eine stärkere Binnendemokratisierung der Justiz bei Auswahl und Aufstieg sowie eine Parlamentarisierung der Justiz und eine Abschaffung der Dritten Gewalt als „nachgeordnete Behörde" der Exekutive. Dies muss nach dem europäischen Vorbild der Gewaltenteilung auch die Staatsanwaltschaft einschließen."
Insbesondere die Stellung der Staatsanwaltschaft wird den Anforderungen an einen krisenfesten Rechtsstaat nicht gerecht. Zu diesem Ergebnis kam jüngst eine Tagung von VDJ und NRV anlässlich des 20. Jahrestages der Verabschiedung des Dresdner Plädoyers für eine unabhängige Staatsanwaltschaft. Die Möglichkeit der Justizminister, durch Weisung auf konkrete Ermittlungen Einfluss nehmen zu können, entspricht nicht den Anforderungen an eine Trennung der Staatsgewalten, wie sie das Grundgesetz vorsieht.
Allerdings beschränkt sich die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Umfang und die Richtung von Ermittlungen nicht auf direkte Weisungen. Deshalb muss gerade in politisch krisenhaften Zeiten alles daran gesetzt werden, die Staatsanwaltschaft von den Zufälligkeiten zu lösen, die mit der bestehenden hierarchischen Struktur einhergehen. Eine Staatsanwaltschaft, die davon abhängig ist, welchen Schwerpunkt der Kriminalitätsbekämpfung die Politik setzt, läuft Gefahr, ihre begrenzten Ressourcen an der ermittlungsintensiven Kriminalität vorbei zu organisieren.
Ruben Franzen, Sprecher der NRV in Sachsen, fordert: „Wie in den Gerichten, so muss auch in den Staatsanwaltschaften die Verteilung der Geschäfte in eigener Verantwortlichkeit, das heißt durch ein demokratisch gewähltes Präsidium erfolgen. Nur so lässt sich verhindern, dass die Strafverfolgung als Instrument der Politik missbraucht werden kann."
Die Justizminister*innen erklären zwar regelmäßig, nur sie könnten am Kabinettstisch für eine angemessene Sach- und Personalausstattung der Justiz sorgen. Dieses gebetsmühlenartig gegen die Unabhängigkeit der Justiz vorgebrachte Argument wirkt aber angesichts der Machtlosigkeit, mit der die Justizminister*innen gegenwärtig die immensen Kosten der Digitalisierung auf die Beschäftigten der Justiz abwälzen, wie ein Hohn. Die Steuerung beschränkter Mittel stellt die wichtigste Weiche dafür, ob es eine effektive Verfolgung gerade der Straftaten gibt, die weniger offensichtlich, aber für den Rechtsstaat mindestens genauso gefährdend sind wie jene, auf die sich die öffentliche Aufmerksamkeit jeweils gerade konzentriert.
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