Machtspiel um Liebe und Kontrolle in Zeiten allgemeiner Verunsicherung

 

Premiere am 15. Juni 2024, 20 Uhr, BOXX
Nach dem Ende
von Dennis Kelly
Deutsch von Thomas Rach

Regie: Luisa Köpper
Ausstattung: Toto
Dramaturgie: Dr. Mirjam Meuser

Mit: Romy Klötzel (Louise); Sven-Marcel Voss (Mark)

Mit »Nach dem Ende« von Dennis Kelly hat am 15. Juni um 20 Uhr ein Schauspiel für explizit erwachsenes Publikum Premiere in der BOXX. Ein Psychothriller, der sich um verschmähte Liebe und Machtspiele vor dem Hintergrund einer allgemein unsicheren Weltlage dreht: Ein Mann bringt eine bewusstlose Frau in den Bunker auf seinem Grundstück und behauptet, sie vor einer atomaren Katastrophe gerettet zu haben. Mehr und mehr zweifelt die Frau aber an den Behauptungen des Mannes, erst recht, als er für seine Rettungstat Gefälligkeiten einfordert …

Luisa Köpper führt hier zum ersten Mal Regie. Sie hat sich dieses brisante Kammerspiel für ihren Einstand als Regisseurin ausgesucht, nachdem sie einige Jahre als Regieassistentin und Abendspielleiterin am Theater Heilbronn gearbeitet hat. Ausstatter Toto nutzt die große Nähe zwischen Bühne und Publikum in der BOXX, um die Zuschauer aus der Komfortzone des unbeteiligten Beobachters herauszulocken.  

Zum Inhalt des Stückes
Als Louise am Morgen zu sich kommt, findet sie sich in einem Bunker wieder: Pritschenbetten, Tisch, Stuhl und jede Menge Konserven. Der Bunker gehört Mark. Er habe sie gerettet und in den Bunker getragen, sagt er. Gerettet? Wovor? Louise kann sich an nichts erinnern. Mark beschreibt ihr eine Explosion mit atomarem Sprengstoff, die Tote und Verletzte gefordert habe. Aber er habe sie durch die Gefahrenzone getragen und in den Bunker gebracht, den er für den Ernstfall eingerichtet hat. Als er das Grundstück kaufte haben sich deshalb alle über ihn lustig gemacht. Ausführlich schildert er seine heldenmütige Rettungstat. Merkwürdig nur, dass das Radio im Bunker gar nichts über den Anschlag berichtet, meint Louise.

Mark findet eine plausible Erklärung. Ganz sicher müssten sie mehrere Tage, wenn nicht Wochen in dem Schutzraum verbringen, bis die Luft wieder rein sei von der atomaren Verseuchung. Er hat vorgesorgt mit Konserven: Chili, Chili und nochmal Chili.

Louise sollte eigentlich in wenigen Tagen ihren neuen Job beginnen. Das wird ja wohl nun nichts mehr. Hatte Mark etwa befürchtet, dass sie in ihr neues Leben aufgebrochen wäre, ohne sich von ihm zu verabschieden? Blöd, dass sie sich nicht an den Abend erinnern kann. Komisch ist auch, dass Mark angesichts dieses Ereignisses darüber reden will, welche Beziehung sie zueinander haben. Sie kennen sich lediglich, sind nicht einmal Freunde. Offenbar hat Mark immer um Louises Aufmerksamkeit gebuhlt, fühlte sich aber nie richtig von ihr beachtet. Sie habe nur Augen für andere gehabt, beschwert er sich. Mark erwartet, dass Louise ihre Dankbarkeit durch körperliche Nähe und Entgegenkommen zeigt. Dass sie sich nicht darauf einlassen will, macht ihn zunehmend wütend, und er fängt an, mit perfiden Mitteln seinen Willen durchzusetzen.

Ritter oder Psychopath?

Was ist draußen wirklich geschehen? Was für ein Mensch ist der von allen unterschätzte Mark? Versteckt sich hinter diesem unsicheren Mann ein edler Ritter oder ein Psychopath? Was macht diese bedrohliche Situation mit der sonst so lockeren Louise, die ahnt, dass sie irgendwie auf das Machtspiel eingehen muss, um nicht unterzugehen. Kann es ihr gelingen, die Verhältnisse umzukehren?

»Nach dem Ende« von Dennis Kelly führt das Publikum gehörig aufs Glatteis und ist spannend wie ein Krimi. Einmal gewonnene Erkenntnisse werden sofort wieder in Frage gestellt. Das 2005 in London uraufgeführte und 2007 im Deutschen Theater Berlin erstmals in Deutschland gezeigte Stück blickt tief in die Psyche der beiden Protagonisten, die sich in einem undurchschaubaren Spiel um Liebe, Macht und Gewalt befinden, bei dem es keinen Gewinner geben kann.  

Metapher auf Entstehung von Machtstrukturen
Entstanden ist das Stück in der Hochzeit des »War on Terror« nach dem 11. September 2001. Dennis Kelly arbeitete sich an der Tatsache ab, dass mit den vereinfachten Erklärungen über monströse Täter (Terroristen) und bemitleidenswerte Opfer kein Ausweg aus dem Kreislauf der Gewalt gefunden werden könne, wenn nicht auch nach den Ursachen des Terrorismus geforscht würde.

In »Nach dem Ende« setzt er sich mit der Entstehung von Machtstrukturen und Manipulation im intimsten Rahmen auseinander. Er versteht das Stück als Metapher für die Entstehung von Unterdrückungsverhältnissen auch im großen gesellschaftlichen Rahmen und will mit dem Verzicht auf eine schlichte Schwarz-Weiß-Zeichnung seiner Protagonisten das Publikum auf subtile Art  dazu bewegen, Konfliktparteien nicht einfach nur in Gut und Böse einzuteilen, sondern tiefer zu schauen.    

»Nach dem Ende« ist das dritte Stück des preisgekrönten britischen Autors Dennis Kelly, der auch mit dem Libretto für das Musical »Matilda« nach Roald Dahl (2010) und Sitcoms und Thrillern für das britische Fernsehen große Erfolge feiert. Für ihn selbst war das Theater in seiner Kindheit und Jugend die Offenbarung, so beschreibt er es in seiner Rede zur Eröffnung des Stückemarktes zum Berliner Theatertreffen 2012: »Das Theater hat meinen Geist freigesetzt, es hat mir neue Denkweisen gezeigt und die Freude am Denken vermittelt, und dass ich überhaupt eine höhere Bildung bekommen habe, verdanke ich dem Theater.«

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