Krisenstimmung: Haben wir ein deutsches oder europäisches Problem?“ – der aktuelle Neuwirth Finance Zinskommentar

Nicht erst seit der Krise bei Volkswagen (VW) wird in der Medienlandschaft über den Niedergang der deutschen Wirtschaft gesprochen. Inzwischen herrscht geradezu Untergangstimmung, was sich auch am Rückgang des ifo-Geschäftsklimaindex ablesen lässt.
Doch sind diese Ängste berechtigt? Steht es um die deutsche Wirtschaft im europäischen Vergleich wirklich so schlecht? Und was bedeutet dies für die Zinsen? Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars mehr über den tatsächlichen Zustand der deutschen Wirtschaft im europäischen Vergleich.

Krisenstimmung: Haben wir ein deutsches oder europäisches Problem?

Bei ausschließlicher Betrachtung des Wirtschaftswachstums steht es tatsächlich nicht gut um die deutsche Wirtschaft, denn diese stagnierte zuletzt, während die Europäische Union (EU) im Durchschnitt 0,8 Prozent gewachsen ist (Vgl. Abbildung 1). Es fällt aber auch auf, dass auch andere wirtschaftsstarke Länder wie Finnland, Österreich, die Niederlande oder Schweden mit negativem oder geringem Wachstum zu kämpfen haben. Was aber besonders ins Auge sticht, ist, dass ein starkes Wirtschaftswachstum nicht gleich Vollbeschäftigung bedeutet. Spaniens Wirtschaft wächst zwar knapp um 2,9 Prozent, verzeichnet jedoch eine Arbeitslosenquote von 11 Prozent. Deutschland hingegen hat mit 3,4 Prozent eine der geringsten Arbeitslosenquoten in ganz Europa. Von dem Wachstum profitieren also nicht immer alle gleich. Genauso ist geringes Wachstum nicht zwangsläufig oder unmittelbar ein Todesurteil für den Arbeitsmarkt. Sozialwirtschaftliche Mechanismen sorgen in Deutschland dafür, dass zumindest ein Großteil der Arbeitsplätze noch erhalten bleibt. Dennoch stellt sich durchaus die Frage, wie lange sich Deutschland dies noch „leisten“ kann. Der Machtkampf zwischen der Führungsriege und dem Betriebsrat von VW machen dies sichtbar.

Während ein negatives Wirtschaftswachstum für den Großteil der Länder Europas kein Problem ist, zeichnet der Verlauf der Industrieproduktion ein anderes Bild. Diese schrumpfte nämlich um 3,2 Prozent innerhalb der gesamten EU (Vgl. Abbildung 2). In Deutschland beläuft sich derselbe Wert auf gar 3,8 Prozent. Der Rückgang der Industrieproduktion ist demnach viel mehr ein europäisches als ein rein deutsches Problem. Europa scheint immer mehr Anschluss und Wettbewerbsfähigkeit an China und die USA zu verlieren.

Was die Inflation betrifft, befindet sich Deutschland im Mittelfeld. Zuletzt betrug die jährliche Teuerungsrate 2,6 Prozent, was dem Durchschnitt der Eurozone entspricht und 20 Basispunkte unter dem EU-Durchschnitt liegt (Vgl. Abbildung 3). Die Preise in Deutschland entwickeln sich also ähnlich zu dem Rest von Europa. Berücksichtigt man jedoch das vergleichsweise geringe Wachstum in Deutschland, könnten die Preise durchaus moderater steigen als sie es derzeit tun.

Bei Betrachtung des Wirtschaftswachstums, der Arbeitslosenquote, der Industrieproduktion und der Inflation lässt sich tatsächlich mit Recht sagen, dass sich Deutschland derzeit im hinteren Viertel befindet. Es fällt aber auch auf, dass nicht nur Deutschland als große Industrienation zu kämpfen hat, sondern auch andere Schwergewichte wie die Niederlande oder Österreich. Da die EU und die Eurozone im Durchschnitt weniger als ein Prozent wachsen und die Industrieproduktion in beiden Wirtschaftsräumen sinkt, ergibt sich vor allem das Bild, dass Europa als solches zu kämpfen hat. Insbesondere wenn der Vergleich zu China und den USA gezogen wird. Deutschland ist für eine Vielzahl von Ländern in Europa der wichtigste Handelspartner und größter Absatzmarkt, weshalb der deutsche Konsum essenziell für die gesamte europäische Wirtschaft ist. An Deutschland hängt also nicht nur die europäische Wirtschaft, sondern auch die Geldpolitik. Deutschland könnte somit größter Treiber der Zinswende sein.

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