Vor der Wende: Kein Zugang zu Aktien und Anleihen
In der DDR war der Zugang zu Finanzmärkten praktisch nicht existent. Aktien und Anleihen gab es dort schlichtweg nicht. Das sozialistische Wirtschaftssystem war auf staatliche Kontrolle und Planwirtschaft ausgerichtet, Privateigentum an Produktionsmitteln oder Unternehmen war ausgeschlossen. Statt in Wertpapiere zu investieren, versuchten die Menschen ihr Geld auf andere Weise zu sichern und zu vermehren.
Die D-Mark galt als begehrtes Wertaufbewahrungsmittel, obwohl sie offiziell in der DDR nicht zirkulierte. Viele Menschen investierten in Sachgüter – Autos, Datschen (kleine Ferienhäuser) und Immobilien. Doch auch diese Güter waren oft Mangelware. Ein Beispiel ist der Trabant, das legendäre DDR-Auto. Auf einen Trabbi mussten DDR-Bürger oft 15 Jahre warten. Diese Knappheit führte dazu, dass sich Wartelistenplätze zu einer Art spekulativen Handelsware entwickelten. Wer kurz vor dem Kauf eines Trabbis stand, konnte seinen Platz auf der Warteliste verkaufen – oft für denselben Betrag, den das Auto selbst kostete.
Ähnlich verhielt es sich mit anderen knappen Waren, für die sich die Menschen in Warteschlangen einreihten. Die Idee, Kapital zu vermehren oder langfristig anzulegen, war also weniger durch Aktienmärkte geprägt, sondern durch den Handel mit knappen Konsumgütern.
35 Jahre später: Aktien immer noch wenig verbreitet im Osten
Auch heute noch sind Aktien im Osten Deutschlands weit weniger verbreitet als im Westen. Laut Umfragen besitzen nur wenige Haushalte in den östlichen Bundesländern Aktien oder Investmentfonds.
In Baden-Württemberg leben anteilig die meisten Aktienbesitzer:innen das Landes – im Jahr 2023 lag der Anteil der Aktienbesitzer:innen an der Gesamtbevölkerung des Bundeslandes ab 14 Jahren bei etwa 26,4 Prozent. Zum Vergleich: In Brandenburg besaßen nur etwa 7,4 Prozent der Bürger:innen Anteilsscheine von Unternehmen und bzw. oder Aktienfonds.
Der historische Mangel an Finanzbildung, kombiniert mit dem sozialistischen Erbe, hat dazu geführt, dass viele Menschen im Osten skeptisch gegenüber dem Aktienmarkt sind und ihn als risikobehaftet betrachten. Während im Westen Deutschland Aktienbesitz für viele zur langfristigen Altersvorsorge gehört, setzen viele Ostdeutsche nach wie vor auf Immobilien oder Sparbücher, die als sicherer gelten.
Warum ist das so?
Die Gründe dafür sind tief in der Geschichte verwurzelt. Die DDR bot keine finanzielle Bildung in Bezug auf Kapitalmärkte, und der Handel mit Aktien war schlichtweg nicht vorhanden. Nach der Wiedervereinigung mussten die Menschen sich zunächst an das neue Wirtschaftssystem gewöhnen, und viele fühlten sich mit traditionellen Sparformen wie dem Sparbuch sicherer.
Zudem hinterließ die Treuhandanstalt, die in den 90er Jahren für die Privatisierung staatseigener DDR-Unternehmen zuständig war, bei vielen Menschen einen bitteren Nachgeschmack. Tausende Unternehmen wurden verkauft oder abgewickelt, oft mit erheblichen Verlusten für die Bevölkerung.
Fazit: Finanzielle Bildung als Schlüssel
Der Tag der Deutschen Einheit erinnert uns nicht nur an die Wiedervereinigung, sondern auch an die wirtschaftlichen Herausforderungen, die immer noch bestehen. Gerade im Bereich der Geldanlage gibt es noch deutliche Unterschiede zwischen Ost und West. Der Zugang zu finanzieller Bildung und die Aufklärung über die Vorteile einer breiten Streuung von Vermögenswerten, inklusive Aktien, könnten helfen, dieses Ungleichgewicht zu reduzieren.
Auch heute, 35 Jahre nach der Wende, bleibt das Vertrauen in den Aktienmarkt gering. Der Schlüssel liegt darin, den Menschen – vor allem im Osten – die Chancen und Risiken der Aktienmärkte näherzubringen, um langfristig auch hier eine Kultur der Geldanlage zu fördern, die über das Sparbuch hinausgeht.
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