Von demokratischen Ensembles und magischer Livemusik

Es ist keine leichte Kost, die sich die Musizierenden ausgesucht haben: Dissonante Klänge und ungerade Rhythmen prägen die Probe des Württembergischen Kammerorchesters (WKO) in der Heilbronner Harmonie. Doch wer sich auf das Stück – die „Lyric Suite“ von Chick Corea – einlässt, fühlt sich mitgerissen: Die Instrumente liefern sich muntere Zwiegespräche, eine knisternde Spannung liegt in der Luft, die Musik treibt im rasanten Tempo vorwärts.

Eines fällt den Studierenden und Mitarbeitenden vom TUM Campus Heilbronn sofort auf, die die Probe im Rahmen der Kooperation ihres Campus mit dem WKO besuchen: Zwischendurch unterbricht immer wieder ein Mitglied des Ensembles das gemeinsame Spiel, stellt eine Frage oder macht einen Verbesserungsvorschlag. Es herrscht eine lebendige Diskussionskultur, und das wirft bei den Gästen Fragen nach der Feedbackstruktur der Musizierenden untereinander auf. Die Antwort geben die Ensemblemitglieder bei der anschließenden Diskussionsrunde selbst: „Wir glauben, dass jeder etwas Wichtiges zu sagen hat“, sagt Pianist Frank Dupree. „Es ist immer eine Kommunikation in beide Richtungen. Es macht keinen Sinn, hierarchisch zu denken“, stimmt Violinist Johannes Hehrmann zu. Georg Oyen, Cellist und künstlerischer Leiter der Kammermusikreihe, schlägt sogar die Brücke zwischen Musik und Politik: „Die Geburtsstunde der Kammermusik fiel mit der Geburtsstunde der Demokratie zusammen.“ Nicht umsonst gehe es in einem Kammermusikensemble viel demokratischer zu als in einem hierarchisch geprägten Sinfonieorchester.

Klassikfrust und Soundtracklust

Doch ist es überhaupt Kammermusik, die die Gäste an dem Tag zu hören bekommen? Die Besetzung mit zwei Violinen, Bratsche und Cello wirkt klassisch, aber was hat das Vibraphon – ein elektrisch betriebenes Schlaginstrument mit metallischen Klangplatten – dabei zu suchen? Und klingen einige Passagen nicht wie frei improvisiert? Ist das also Klassik oder Jazz? Für die Musikerinnen und Musiker ist die Antwort klar: Es ist beides. „Chick Corea war Jazzmusiker, aber auch klassischer Pianist, und in diesem Stück versuchte er, beides zu verbinden“, erklärt Cellist Oyen. Die Besetzung des Stücks sei einzigartig, fügt Vibraphonistin Vivi Vassileva hinzu. Aber auch die Musik von Mozart oder Beethoven sei zu ihrer Entstehungszeit revolutionär gewesen. „Wir müssen im Moment leben und Kompositionen unserer Zeit spielen“, betont sie.

Ist das ein möglicher Ausweg aus der gegenwärtigen Krise der klassischen Musik, die eine Studentin anspricht? Vielleicht gibt es gar keine Krise, meint Vassileva: „Viele Leute sagen, dass sie klassische Musik nicht mögen. Aber gleichzeitig schauen sie Filme und genießen den Soundtrack, der ja im Grunde nichts anderes ist als klassische Musik. Nur ist das ihnen oft nicht bewusst.“

Die Botschaft ans Publikum weitergeben

Eine weitere Gefahr droht der klassischen Musik wie auch der Livemusik allgemein, verdeutlicht Pianist Dupree: „Heutzutage kann man Musik komponieren, ohne etwas davon zu verstehen. Mit Künstlicher Intelligenz ist das sogar noch einfacher geworden. Die Gefahr besteht, dass wir unser Wissen verlieren.“ Wird es in 200 Jahren überhaupt noch Konzerte geben? Dupree ist davon fest überzeugt: „In bestimmten Momenten werden wir immer das Bedürfnis haben, Live-Musik hören.“

Die Faszination für akustische Instrumente müsse bewahrt werden, sagt Cellist Oyen. Und das fast magische Erlebnis eines Konzerts: „Musik ist immer Kommunikation. Der Komponist hat eine Botschaft an das Publikum. Wir sind das Medium, das die Botschaft weitergibt.“ Eine, bei der die Botschaft sicher ankommt, ist TUM-Studentin Fathia Ismail: „Es geht um so viel mehr als nur um die Noten, es steckt immer eine Geschichte dahinter“, sagt die begeisterte Pianistin. „Ich kann mir keine Welt vorstellen, in der niemand mehr klassische Musik spielt.“

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