In der Rechtssache C 68/17 ging es um die Frage, ob im Rahmen der europäischen Antidiskriminierungsregeln die katholische Kirche als Arbeitgeber das katholische Eheverständnis als Anforderung für ihre katholischen Angestellten einfordern darf. Ist ein katholischer Arzt deswegen ein besserer Mediziner in einem katholischen Krankenhaus, weil er sich als Privatmann hundertprozentig an die katholische Moral- und Sittenlehre hält? Oder kann er aus einem Dienstverhältnis als Chefarzt entlassen werden, wenn er dem katholischen Eheverständnis nicht mehr entspricht? Im EU-Fachjargon vereinfacht zitiert: „Stellt die Beachtung des Eheverständnisses nach der Lehre und dem kanonischen Recht der katholischen Kirche eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung im Sinne der (Antidiskriminierungs-) Richtlinie 2000/78 dar, die bei Kündigungen zu einer Ungleichbehandlung katholischer Arbeitnehmer gegenüber Arbeitnehmern einer anderen Konfession oder ohne Konfession führen kann?“
Das ablehnende Urteil des EuGH ist eindeutig: Die Einhaltung des katholischen Eheverständnisses im Privatleben ist keine wesentliche berufliche Anforderung an einen Mediziner auf der Intensivstation. Dessen Entlassung mit der Begründung katholischer Moralvorstellungen stelle eine Ungleichbehandlung dar.
Damit droht die katholische Kirche ein wichtiges Privileg zu verlieren, nämlich die Selbstorganisation ihrer Arbeitsverhältnisse. Die EU-Rechtsprechung sägt offen an jenen Privilegien, die Deutschland der katholischen Kirche seit dem Reichskonkordat von 1933 gewährt. Das Urteil ist politisch pikant. Denn die EU-Richter stellen die Antidiskriminierungsregeln der EU über das im EU-Vertrag gewährte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Dabei hatte die Europäische Union einst in der Erklärung 11 der Schlussakte zum Vertrag von Amsterdam zum Status der Kirchen und weltanschaulichen Gemeinschaften ausdrücklich anerkannt, dass die EU jeden Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet und nicht beeinträchtigt. Das war übrigens niemals nur ein „Kirchenprivileg“, sondern galt auch für die weltanschaulichen Gemeinschaften, also beispielsweise die Freimaurer. Die Mitgliedstaaten konnten in dieser Hinsicht spezifische Bestimmungen über die wesentlichen, rechtmäßigen und gerechtfertigten beruflichen Anforderungen beibehalten oder vorsehen, die Voraussetzung für die Ausübung einer diesbezüglichen beruflichen Tätigkeit sein können.
Aus der Erklärung Nr. 11 wurde Artikel 17 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV, Lissabon-Vertrag): „Die Union achtet den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, und beeinträchtigt ihn nicht.“ Damit ist jetzt Schluss. Im Normenkonflikt zwischen Antidiskriminierung und Kirchenstatus zogen die Kirchen den Kürzeren. Die EU schafft die Sonderstellung der Kirchen ab. Welche Konsequenzen ziehen daraus die Bischofskonferenz und die zahlreichen Partei-Politiker, die in kirchlichen Gremien sitzen und die Glaubenseinrichtungen zur parteipolitischen Vorfeldarbeit nutzen?
Die Charta der Grundrechte der EU betoniert mit diesem Urteil ihren Charakter als Allzweckwaffe der EU gegen die Mitgliedsstaaten. Die Richter betonten einmal mehr, dass das in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union niedergelegte Verbot jeder Art von Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts zwingenden Charakter hat und schon für sich allein dem Einzelnen ein Recht verleiht, das er in einem Rechtsstreit, der einen vom Unionsrecht erfassten Bereich betrifft, als solches geltend machen kann. Mit dem Argument der Antidiskriminierung kann die EU ungeniert in die Mitgliedsstaaten hineinregieren.
All das ist nicht neu. Mit diesem Urteil zur Abschaffung der Kirchenprivilegien im Arbeitsrecht steht der Europäische Gerichtshof in der Linie seines Urteils C-673/16 vom 5. Juni 2018, durch das die EU-Mitgliedsstaaten zur vollumfänglichen Anerkennung der Homo-Ehe verpflichtet werden, selbst wenn es dieses Rechtsinstrument im eigenen Zivil- oder Familienrecht gar nicht gibt.
Nun müssen sich die Kirchen in Deutschland in dieser Frage für oder gegen die EU positionieren. Einfach so zu tun, als sei nichts geschehen, wäre unglaubwürdig. Gewiss waren die Gründerväter der EU überzeugte Christen. Doch heute würden sie aus dem von ihnen gegründeten Klub entschieden herauskomplimentiert. Abgesehen von den Urteilen zur Homo-Ehe und zur Europäischen Bürgerinitiative „Einer-von-uns“ zum Lebensrechtsschutz, ist es schon das zweite Mal in diesem Jahr, dass die Luxemburger EU-Richter den Kirchen Deutschlands die rote Karte mit dem EU-Gemeinschaftsrecht zeigen. Bereits im April hatte der EuGH in der Rechtssache Nr. C-414/16 das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Lichte des EU-Gemeinschaftsrechts stark eingeschränkt.
Einfaches Distanzieren von dem Urteil reicht nicht. Gerade in Deutschland sind Parteipolitik und Kirchenpolitik viel zu eng miteinander verquickt. Sowohl die katholische als auch die evangelische Kirche öffnen ihre Gremien für Parteipolitiker aller Parteien, um kirchliche Organisationen und Gremien als parteipolitische Vorfeldorganisation zu nutzen. Wie soll man da noch zwischen Politik und Verkündung des Glaubens unterscheiden? Und wie kann die Kirche sich dann glaubhaft von Fehlentwicklungen distanzieren?
Es wird kurz oder lang zum Treueschwur kommen. Christen und ihre Hirten müssen nun in Erwägung ziehen, ob sie die EU und die Förderer einer „immer tieferen Integration“ (also der immer weiteren Abgabe von Zuständigkeiten an die EU) in den Volksparteien und in der Kirchenverwaltung weiterhin bedingungslos unterstützen, als wären die Kirchen eine politische Vorfeldorganisation. Die deutschen Kirchenfürsten könnten es auch dem Präsidenten des EU-Parlaments, Antonio Tajani, gleichtun. Der hatte erst an diesem Montag bei der Eröffnung der ersten Plenarsitzung nach der Sommerpause in Strasbourg ein gegen ihn gerichtetes Urteil des EuGH mit den Worten verworfen, er sei schließlich Herr im Parlament und ein Urteil des EuGH gegen seine Amtsführung interessiere ihn nicht.
Die Herbst-Vollversammlung der deutschen Bischofskonferenz findet vom 24. bis 27. September 2018 in Fulda statt. Dann wird man sehen, wes Geistes Kind die Kirche in Deutschland heute ist.
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