EU-Energiegipfel: ZVO fordert Wirtschaftsminister erneut zum Handeln auf

Der ZVO hat bereits im August dieses Jahres auf die dramatische Situation der Galvano- und Oberflächentechnik angesichts explodierender Energiekosten aufmerksam gemacht. Vor dem EU-Energiegipfel am 9. September legt er nun nach und stellt vier Forderungen an Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck.

Die Deutsche Galvano- und Oberflächentechnik steht vor dem Infarkt. Die Energiekosten-Situation ist für die energieintensiven Galvanik- und Beschichtungsunternehmen an Dramatik nicht mehr zu überbieten, es stehen Existenzen von Unternehmen und damit auch Arbeitsplätze auf dem Spiel. Daher hat der ZVO mit einem weiteren Schreiben an Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, konkrete Erwartungen und Forderungen formuliert.

Jährliche Zusatzkosten von einer Million Euro und mehr werden, je nach Größe des Unternehmens, in den nächsten Jahren keine Seltenheit sein. Haben die ZVO-Mitgliedsunternehmen 2021 die Kilowattstunde noch durchschnittlich mit 4 ct beschaffen können, stieg dieser Wert im August 2022 auf 45 ct/kWh und wird 2023 auf etwa 60 ct/kWh und mehr explodieren. Solche Strompreise sind für die mittelständischen Unternehmen der Galvano- und Oberflächentechnik wie für alle Mittelständler in Deutschland, dem Rückgrat der deutschen Wirtschaft, nicht mehr tragbar und existenzbedrohend. Ein Branchenunternehmen hat es bereits getroffen, die Produktion war auch aufgrund weiter steigender Energiekosten nicht mehr rentabel und das Unternehmen wurde zwischenzeitlich geschlossen, was den Verlust von 100 Arbeitsplätzen bedeutet, wie ein Pressebericht deutlich macht: https://www.lokalplus.nrw/lennestadt/hohe-energiekosten-treiben-firma-dmv-in-die-insolvenz-73296.

Auch wenn zu Beginn des Septembers Strom- und Gaspreise nachgegeben haben, können die Branchenunternehmen die gegenwärtigen Strom- und Gaspreise nicht stemmen und in der Regel auch nicht an ihre Kunden weitergeben. Auch das gut gemeinte Energiekostendämpfungsprogramm hilft den Betrieben nicht oder nur eingeschränkt, denn die Jahresabschlüsse der Branchenmitglieder unterliegen überwiegend keiner Prüfungspflicht. Trotz Verlängerung bis 30. September 2022 ist zudem die Antragsfrist zu kurz, um das komplexe Verfahren mit der gebotenen Sorgfalt mitten in der Hauptferienzeit bearbeiten zu können.

Doch nicht nur das Energiepreisniveau macht Sorgen, die verminderte Gasversorgung beginnt sich zudem negativ auf die Lieferketten auszuwirken, welche die deutsche Wirtschaft seit Pandemiebeginn mit höchsten Anstrengungen, aber erfolgreich, aufrecht erhalten konnte. Sie brechen jedoch gegenwärtig auseinander und lassen in kürzester Zeit einen Dominoeffekt erwarten.

Ein für die Branche essenzieller Lieferant für Natronlauge, bei voller Auslastung der Chlorelektrolyse einer der größten industriellen Erdgasverbraucher Deutschlands, hat schon zu Beginn des Jahres wegen der hohen Gaspreise die Produktion drosseln müssen. Die verringerten Erdgaslieferungen durch Russland, die extrem hohen Energiepreise sowie die eingeschränkte Verfügbarkeit von Vorprodukten führen nun dazu, dass die Produktionsanlagen weiter heruntergefahren werden. Aufgrund der enorm hohen Kosten für die Chlorelektrolyse haben bereits weitere Hersteller die Produktion gedrosselt.

Es ist mit drastischen Preiserhöhungen und Mengenreduzierungen zu rechnen. Eine Entspannung ist vorläufig nicht in Sicht, da ein Werk wegen eines Störfalls komplett ausgefallen ist, andere Produktionsstätten spätestens im Oktober in die jährliche Anlagenwartung gehen. Aktuell ist der Markt für Salzsäure europaweit ausverkauft.

Weitere Produkte werden kurzfristig nur eingeschränkt und wenn überhaupt nur zu deutlich höheren Notierungen verfügbar sein.  

Daher drängt der ZVO stellvertretend für die Unternehmen der Galvano- und Oberflächentechnik auf schnelle, umgehende Entscheidungen und Maßnahmen. Er erwartet:  

  • Die sofortige, zumindest temporäre Aussetzung des Merit-Order-Systems:
    Es kann nicht akzeptiert werden, dass das teuerste, zur Stromerzeugung zugeschaltete Gas-Kraftwerk den Strompreis explodieren lässt, obwohl die Stromerzeugungskosten durch Kohle, Uran, Sonne und Wind gar nicht gestiegen sind.
    In einem ersten Schritt könnten die teuren Gaskraftwerke aus dem Merit-Order-Systems eliminiert werden.
  • Temporärer Weiterbetrieb der zur Abschaltung anstehenden letzten drei Atomkraftwerke. Der Reservebetrieb von zwei AKW ist sinnlos: Kosten der Laufzeitverlängerung bleiben bestehen, ohne einen Ertrag zu erzielen!
  • Preisdeckelung für Strom, Gas und Öl (andere EU-Länder machen es vor)
  • Einführung eines europaweit einheitlichen Industrie-Strompreises

Auch wenn die mögliche Aufhebung des Merit-Order-Systems inzwischen in der öffentlichen Debatte angekommen ist, wird die Entkopplung von Strom- und Gaspreis eher eine mittelfristige Lösung sein und als höchst komplexe Reform zudem mit der EU bzw. den anderen Mitgliedstaaten abgesprochen werden. Solche mittelfristigen Lösungen dauern aber zu lange und können die Galvano- und Oberflächentechnik  und die deutsche Wirtschaft im Allgemeinen nicht zufriedenstellen, denn diese Zeit wird manches Unternehmen nicht überleben.

Aktuell muss es darum gehen, den Strommarkt zu beruhigen. Derzeit sind auch durch Spekulation und externe Effekte ausgelöste Preisspitzen zu erkennen, welche die objektive Stromknappheit bei weitem übersteigen. In dieser Situation erscheint ein zeitlich begrenztes Eingreifen des Staates legitim.

Grundlage für das einstige deutsche Wirtschaftswunder und den Aufstieg zum Exportweltmeister war Energie, und zwar sichere und preiswerte Energie. Beides ist nicht mehr gegeben Stattdessen verzeichnet Deutschland schon seit vielen Jahren die höchsten Energiepreise weltweit, hat die Versorgungssicherheit verloren und die Import-Abhängigkeit erhöht. Statt das ständige Sparen auch der letzten Kilowattstunde zu proklamieren, muss alles dafür getan werden, dass Deutschland die viertgrößte Industrienation bleibt. Denn nur wirtschaftlich erfolgreiche Staaten haben die Mittel, den Umbau einer Volkswirtschaft auf Klimaneutralität zu stemmen.

Im Anhang finden Sie den Wortlaut des Appells an den Bundeswirtschaftsminister als PDF.

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